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Korruption in Griechenland

Y

Yunan

Guest
27.09.2011

Korruption in Griechenland

Paradies des Schmierens

Aus Athen berichten Jörg Diehl und Ferry Batzoglou

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Dimitrios Papadimoulis von der Linksallianz fordert ein grundsätzliches Umdenken: "Wir müssen das System, das diese Fälle ermöglicht, radikal umkrempeln. Die Bürger empören sich zu Recht darüber."


Die Justiz ist träge, die Presse abhängig, die Gesetzeslage günstig - in Griechenland blühen seit Jahrzehnten Bestechung und Bestechlichkeit. Einige Aufrechte stemmen sich wacker dem allgegenwärtigen "Fakelaki" und "Misa" entgegen. Ein Kampf auf verlorenem Posten?


Das Büro des Ermittlers in der Athener Innenstadt ist ein Schlachtfeld: Akten türmen sich auf dem Schreibtisch und dem Boden, sie stapeln sich in Einkaufswagen, liegen auf Stühlen, in Regalen, es müssen Hunderte Ordner sein, Abertausende Seiten, in denen es immer nur um das eine geht: Bestechung und Bestechlichkeit, die Grundübel Griechenlands.

"Wir waren schon immer eine Gefälligkeitsgesellschaft", sagt Kostas Bakouris, Präsident der griechischen Abteilung von Transparency International, der Anti-Korruptions-Organisation. Sie führt Griechenland auf Platz 78 der 180 korruptesten Länder der Welt, schlimmer als Ghana und Ruanda. Die griechische Durchschnittsfamilie zahlt jährlich 1700 Euro Schmiergeld.
"Fakelaki" nennen die Griechen diese Art der Bestechung, das klingt niedlich und bedeutet "kleiner Umschlag". Man braucht ihn, wenn der Arzt einen behandeln , die Familienkutsche noch eine Weile weiterfahren oder ein Steuerbeamter doch, bitte schön, nicht ganz so genau hinsehen soll. Es gibt sogar Tarife: Für die Abgasprüfung eines Autos etwa muss man 300 Euro in einen Umschlag stecken.

"Misa" hingegen ist das Geld, das nicht mehr in einen Umschlag passt, eher vielleicht noch in einen Koffer, das zumeist aber gleich in irgendeiner Steueroase verschwindet. Ohne Schmiergeld kann bislang kaum ein ausländisches Unternehmen Geschäfte in Griechenland machen. Als besonders anfällig gelten staatliche Großaufträge.

Kleine Gefälligkeiten, großer Schaden

Oft fließen bei diesen Deals Millionen über Briefkastenfirmen zurück an Industrielle, Beamte, Militärs, Politiker und Parteien - in den Büchern der Industrie zumeist deklariert als Provisionen für die Auftragsvermittlung. Und ganz vorn dabei im großen Misa-Monopoly: die deutsche Industrie.

Laut US-Börsenaufsicht SEC soll beispielsweise ein deutscher Autobauer in den vergangenen Jahren Misa bezahlt haben, um Fahrzeuge zu liefern. Und selbst ein hiesiger Logistikkonzern kam offenbar nur mit Hilfe von Schmiergeld beim Metro-Bau in Athen zum Zug. Dabei soll ein sechsstelliger Betrag über einen Berater an einen griechischen Entscheidungsträger geflossen sein.

"Sie können davon ausgehen", sagt der Ermittler in seinem chaotischen Büro, "dass hier ohne Schmiergelder gar nichts geht." Das Nachsehen hätten dann eben die griechischen Steuerzahler, denn natürlich spendierten die Unternehmen die Bestechungsgelder nicht, sondern erhöhten entsprechend den Preis ihrer Leistungen. Kleine Gefälligkeiten, großer Schaden.

Spricht man mit griechischen Fahndern, Politikern und Journalisten über die allgegenwärtige Korruption in ihrem Land, fällt sehr schnell der Name einer Firma: Siemens.

Mit Millionenbeträgen soll das deutsche Unternehmen jahrelang die politische Landschaft Griechenlands bedacht und so seine wohl äußerst einträglichen Geschäfte zusätzlich befeuert haben. Vor allem die beiden großen Parteien, die sozialistische Pasok und die konservative Nea Demokratia, haben angeblich sehr von der teutonischen Spendierfreudigkeit profitiert. Der Konzern wollte sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Es handele sich um laufende Ermittlungen, hieß es.

Undurchschaubare und widersprüchliche Finanzgesetze

Bei der Aufarbeitung dieser möglicherweise eher unschönen Geschäftspraktiken allerdings kommt allen Beteiligten eine griechische Besonderheit zugute: Sobald die Vorwürfe nämlich einen Minister betreffen, geht die Zuständigkeit für die Ermittlungen von der Justiz an das Parlament über. Dort sollen dann Untersuchungsausschüsse, in denen die beiden seit Jahrzehnten abwechselnd regierenden Volksparteien Mehrheiten haben, mögliche Verwicklungen aufklären - in der Theorie jedenfalls.

In der Praxis müssen die Volksvertreter sich noch nicht einmal offen vor ihre der Bestechlichkeit bezichtigten Parteifreunde stellen. Nein, es genügt, ihr übertrieben langsames Vorgehen als Methode der besonders gründlichen Aufklärung zu tarnen - und abzuwarten. Schon bald werden sich die Medien anderen Themen zuwenden und endlich auch sämtliche Vorwürfe verjährt sein. Noch nie ist ein mutmaßlich korrupter griechischer Minister tatsächlich bestraft worden.

"Es fehlt einfach der politische Wille, an dieser Praxis etwas zu ändern", sagt der rechtskonservative Parlamentarier Athanasios Plevris, der bereits mehreren Untersuchungsausschüssen angehörte. Und sein Abgeordnetenkollege Dimitrios Papadimoulis von der Linksallianz fordert: "Wir müssen das System, das diese Fälle ermöglicht, radikal umkrempeln. Die Bürger empören sich zu Recht darüber."

Doch auch außerhalb des politischen Betriebs geht es alles andere als professionell zu. Die Justiz arbeitet langsam und ineffektiv, verschlampt Akten und verschleppt Verfahren. Die wenigen integren Ermittler sind katastrophal überlastet und jämmerlich ausgerüstet. Das halbe Dutzend Staatsanwälte etwa, das es mit Weltkonzernen, Milliardären und der vermeintlichen gesellschaftlichen Elite seines Landes aufnehmen soll, verfügt weder über Computer noch über Sekretärinnen.

Zudem ist der Wust griechischer Finanzgesetze so undurchschaubar und widersprüchlich, dass selbst gestandene Fahnder vor ihm kapituliert haben. Jeder gewiefte Anwalt findet für seinen Mandanten ein Schlupfloch in den Vorschriften. Von den 450 wichtigsten Korruptionsfällen der jüngeren Vergangenheit wurde daher auch keiner vor Gericht abgeschlossen.

Die Medien werden ihrer Rolle als vierte Gewalt kaum gerecht

Auch sei das Interesse an konsequenter Strafverfolgung bei der Staatsanwaltschaft nicht sehr ausgeprägt, so der Generalinspekteur für öffentliche Verwaltung, Leandros Rakintzis. Darüber hinaus gebe es "Urteile, die ich trotz meiner Erfahrung nicht erklären kann". Im Klartext: "Prominente werden anders behandelt." Eigentlich muss in Griechenland niemand, der wohlhabend, mächtig oder populär ist, Angst vor der Justiz haben.

Und auch die Medien, überwiegend defizitär und in den Händen mächtiger Industrieller, werden ihrer Rolle als vierte Gewalt kaum gerecht. Viele Journalisten pflegen eine gut bezahlte Nähe zu Unternehmen und Parteien, sie berichten alles andere als kritisch.

"Was uns fehlt, ist wirklich investigativer Journalismus jenseits der schnellen Aufgeregtheit", sagt die Reporterin Katharina Kati von der linksliberalen Tageszeitung "Eleftherotypia". Zwar gebe es integre Journalisten in Griechenland, doch deren Arbeit würde nicht selten von Vorgesetzten und Kollegen erschwert. "Der Populismus ist mächtig in diesem Land, dabei brauchen wir das Gegenteil: schonungslose Aufklärung."
Der Ermittler, der rauchend zwischen den Aktenbergen sitzt, hat schon viele Jahre seines Lebens geopfert für einen Kampf, den er nie gewinnen konnte. Gerade ist wieder ein lange gesuchter Beschuldigter urplötzlich auf freien Fuß gesetzt worden. "Ich kann es nicht fassen", kreischt der Beamte ins Telefon. "Das bringt mich um." Wutschnaubend knallt er den Hörer auf.

Doch auf die Frage, wie er das aushalte, warum er weitermache, ob es nicht endlich genug sei, sagt er bloß: "Es ist meine Pflicht, aber vor allem habe ich Hoffnung." Vielleicht ändere sich etwas zum Besseren. Wenn nicht jetzt, wann dann?
 
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