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Kriegstraumata-Behandlung "Deutschland muss mehr tun"

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Emir

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Bei westlichen Kriseninterventionen wie in Afghanistan steht meist der militärische Einsatz im Vordergrund. Die deutsche Ärztin Monika Hauser kümmert sich um Opfer, die oft vergessen werden: vergewaltigte Frauen. Im Interview fordert sie mehr deutsches Engagement für zivile Hilfsprojekte.
SPIEGEL ONLINE: Frau Hauser, in Den Haag steht gerade der kongolesische Milizenführer Germain Katanga, genannt Simba, vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Eine der von ihrer Organisation betreuten Frauen sagt, es würde ihr helfen, wenn nur ein einziger Mann, der im Krieg vergewaltigt hat, für seine Taten zur Verantwortung gezogen würde. Können Sie ihr viel Hoffnung machen?

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Monika Hauser: Im Moment läuft das in die ganz falsche Richtung. Katanga hat im Ostkongo Frauen und Kinder sexuell versklavt. Aber die Den Haager Ankläger haben die Verbrechen, die mit sexualisierter Gewalt zu tun haben, aus der Klageschrift gegen ihn herausgenommen. Dasselbe ist schon beim Verfahren gegen den Serben Radovan Karadzic passiert. Dabei ist gerade der mitverantwortlich für unendlich viele Vergewaltigungen in Bosnien. Es ist tragisch, dass dies bereits ein Präzedenzfall geworden ist. SPIEGEL ONLINE: Aber es ist doch tatsächlich sehr kompliziert, die Fälle von Vergewaltigungen im Krieg zu verfolgen.
Hauser: Wo ist der Unterschied zu anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Die Frauen sind doch nicht dafür verantwortlich, dass solche Dinge so schwer zu ermitteln sind. Diese Mühe müssen sich die Strafverfolger schon machen. Es geht allein um den politischen Willen. Den hat gerade auch die ehemalige Den Haager Chefanklägerin Carla Del Ponte nicht gezeigt. Sie und andere Entscheider sind mitverantwortlich dafür, dass sexualisierte Gewalt immer wieder aus Anklagen rausgenommen worden ist.
SPIEGEL ONLINE: Wieviele Kriegsvergewaltiger sind denn überhaupt bisher verurteilt worden?
Hauser: Nur eine gute Handvoll. Aber die Prozesse waren trotzdem extrem wichtig. 2001 entschied Den Haag im sogenannten Foca-Prozess erstmals, dass Vergewaltigungen ein Kriegsverbrechen und Folter sind. Dass Zwangsschwängerungen und sexuelle Versklavung als Tatbestände dazugehören. Zum allerersten Mal wurde gezeigt, wie systematisch die weibliche Bevölkerung in Bosnien zwischen 12 und 70 Jahren sexualisierter Gewalt ausgesetzt war. Die Täter haben bis zu 20 Jahre Haft bekommen.
SPIEGEL ONLINE: Aber ist es für die Frauen nicht sehr belastend, vor Gericht auszusagen?
Hauser: Ja, vor allem, wenn sie ganz allein ohne eigenen Beistand den zwei, drei hochbezahlten Verteidigern des Angeklagten gegenüberstehen. Aber es gibt Frauen, die laut und deutlich sagen wollen und können, was ihnen angetan wurde. Wenn sie das vor einer internationalen Autorität aussprechen, heilt damit auch ein Stück ihrer zerbrochenen Welt wieder. Aber wir brauchen endlich Zeuginnenschutzprogramme, ein Konzept, wie Frauen wirklich in größerer Zahl aussagen können, ohne wieder traumatisiert zu werden und ohne Racheakte zu Hause befürchten zu müssen. Denn ohne Zeuginnen können die Verbrechen nicht geahndet werden.
SPIEGEL ONLINE: Können Gerichte in diesen Fällen überhaupt Gerechtigkeit bringen?
Hauser: Gerechtigkeit kann für eine Frau im Kongo auch sein, ihren zerrissenen Unterleib operiert zu bekommen. Gerechtigkeit kann für eine Frau im Kosovo sein, eine Kuh geschenkt zu bekommen, mit deren Milch sie ihre Kinder ernähren kann. Aber genau das passiert eben nicht.
SPIEGEL ONLINE: Im August hat US-Außenministerin Hillary Clinton so hart wie noch kein mächtiger Politiker die Kriegsvergewaltigungen im Kongo angeprangert.
Hauser: Das war sehr gut, ich frage mich nur, warum kann das ein deutscher Außenminister nicht auch tun? Warum tut die Bundeskanzlerin das nicht? Medica Mondiale war vor ein paar Monaten im Kanzleramt, um genau das zu fordern. Deutschland muss sein politisches Gewicht in die Waagschale werfen. Deutschland ist ja ein wichtiger Geldgeber für den Kongo, für Afghanistan. Und die Geldervergabe muss an die Durchsetzung von Menschen- und Frauenrechten geknüpft sein. Norwegen zum Beispiel macht das seit vielen Jahren: Die Regierung dort gibt auch Millionensummen. Aber dann wollen die Norweger sehen, was die kongolesische Armee tut, um zu verhindern, dass Regierungssoldaten vergewaltigen.
SPIEGEL ONLINE: Was können Sie vor Ort politisch verändern?
Hauser: Wir bilden Aktivistinnen in Afghanistan und Liberia politisch weiter. Sie sollen ihre Belange selber vertreten können. In Afghanistan schalten wir außerdem Rundfunkspots, die über solarbetriebene Radios in den Dörfern gehört werden können. Wir sprechen davon, dass es ein Verbrechen ist, eine zwölfjährige Tochter zu verheiraten.
SPIEGEL ONLINE: Was sind die Herausforderungen in Afghanistan?
Hauser: Die Menschen sind von der Korruption frustriert und von der Gewalt gezeichnet. Zwei Drittel aller Frauen sind zwangsverheiratet worden, oft mit 13 oder 14 Jahren. Da stehen dann 20-jährige Patientinnen vor uns, sie haben sechs, sieben Kinder und sind bereits seelische und körperliche Wracks.
SPIEGEL ONLINE: Was können Sie da erreichen?
Hauser: Leider hatte der militärische Einsatz immer Vorrang vor der zivilen Hilfe. Also mussten wir ohne Unterstützung um viele kleine Verbesserungen kämpfen. Mit jahrelangem Einsatz haben wir es etwa geschafft, dass private Konsultationszimmer in Kabuler Krankenhäusern eingerichtet werden. Vorher fanden solche Gespräche in der Besenkammer statt oder vor der ganzen Familie. Es ist schon ein Politikum, wenn eine Frau allein mit einer Beraterin sprechen darf, wenn sie das Gefühl haben darf: Hier geht es endlich mal um mich. Wir konnten auch Hunderten Frauen aus dem Gefängnis helfen. Da hinein sind sie nur geraten, weil sie sich vermeintlich unpassend verhalten haben: Weil sie von zu Hause weggelaufen sind, weil sie des Ehebruchs verdächtigt wurden, weil sie allein auf der Straße angetroffen wurden.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben in Deutschland auch die Kampagne "Zeit zu sprechen" ins Leben gerufen. Sie wollen an das Schicksal der etwa zwei Millionen deutschen Frauen erinnern, die im Zweiten Weltkrieg vergewaltigt worden sind.
Hauser: Die deutsche Nachkriegsgesellschaft hat diese Frauen mit großer Ignoranz behandelt. Da ist es nur logisch, dass ich mich um Anerkennung für sie bemühe. In meinen Lesungen und Veranstaltungen zu Bosnien oder dem Kosovo kam fast immer hinterher eine ältere Dame zu mir und sagte: "Ich weiß genau, wovon Sie reden." Und dann erzählte sie mir, wie sie damals vergewaltigt worden ist. Aber wer würdigt das Leid dieser Frauen denn? Es gibt kein Mahnmal, keine Gedenkstätte. In der großen Ausstellung "Flucht und Vertreibung" kam das Thema so gut wie nicht vor. Da musste ich lange Gespräche führen, bis es überhaupt am Rande berücksichtigt wurde. Deutsche Politiker argumentieren immer gern mit afghanischen Frauenrechten, aber in Deutschland ist auch noch viel zu tun.
SPIEGEL ONLINE: Was wünschen Sie sich denn?
Hauser: Ich möchte endlich die Männer sehen, die sich des Themas annehmen. Wir heilen und trösten, aber die Männer sehe ich nirgendwo. Ein weiteres Problemfeld sind die Altersheime, da fehlt dem Personal fast immer das Wissen um Kriegstraumata.
SPIEGEL ONLINE: Warum ist das wichtig?
Hauser: Es kann sein, dass die alten Frauen kurz vorm Tod noch mal von ihren Erlebnissen berichten möchten. Noch häufiger kommt folgende Situation vor: Einer pflegebedürftigen Frau wird ein Urin-Katheter gelegt. Sie fängt an auszurasten. Dann denken alle: Die ist ja hysterisch, die Alte. Sie schreit: "Tu's nicht schon wieder." Und niemand kommt auf die Idee, dass das mit dem zu tun hat, was die alte Dame im Krieg erlebte. So werden die alten Frauen noch einmal neu traumatisiert. Das ist grausam und passiert leider sehr, sehr häufig. Diese nie bearbeiteten Traumata hatten lebenslange Folgen für die Frauen. Und über die nächsten Generationen wirken sie bis heute in die deutsche Gesellschaft hinein.
Das Interview führte Cordula Meyer
Einen ausführlichen Bericht der Autorin über die Arbeit von Hauser und der Organisation Medica Mondiale lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des SPIEGEL.



Kriegstraumata-Behandlung: "Deutschland muss mehr tun" - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten - Panorama
 
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