John Wayne
Keyboard Turner
ein guter artikel. traurig aber mit etwas hoffnung....
Kriegsverbrechen : Der Zeuge | ZEIT ONLINE
Er entkam der Hölle von Srebrenica: Ein einfacher bosnischer Bauer, der bald im Prozess gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Radovan Karadžić aussagen wird. Vorher hat er noch einmal die Wiese aufgesucht, auf der er sterben sollte
...
"Und sie haben uns aus dem Bus getrieben", beginnt Dudić stockend, "in einer langen Reihe auf das Feld zu, ich war der Drittletzte. Die Soldaten schlugen uns und schrien: Fickt euch! Fickt eure Mütter! Fickt Izetbegović! Fickt euern Präsidenten! Vor uns lagen Leichen in Reihen, immer 25, so lang wie unsere. Die Mörder waren ordentlich, sie legten Rechtecke für die Bagger an. Wir sind zwischen den Leichen hindurchgelaufen, tiefer ins Feld. O Mutter, Mutter, habe ich gerufen und mein übriges Leben in Sekunden gezählt. Ein paar Männer haben um Gnade gebettelt, einer um Wasser, ›ich will nicht durstig sterben‹. Ich habe gebetet, aber nicht ums Überleben, sondern um meine Seele. Ich hörte Gewehrfeuer, alle fielen, ich ließ mich auch fallen, aber ich war nicht getroffen. Die Soldaten liefen herum. ›Ist noch jemand am Leben?‹, riefen sie, in meiner Nähe meldeten sich zwei: ›Ich bin nur verwundet, erschießt mich.‹ Die Soldaten taten es und trieben neue Männer aufs Feld. Ich lag da und rührte mich nicht."
...
"Und ich holte die Kuh aus dem Stall und führte sie bergab, ich war der Letzte, der das Dorf verließ. Auf den Hügeln standen schon die serbischen Posten, sie schossen. Srebrenica war vollgestopft, vier oder fünf Familien in jedem Haus, meine Familie lebte bei einem Cousin. Jeden Tag fielen Granaten. Die muslimischen Soldaten hatten nur Jagdgewehre und Pistolen. Wir hungerten. Die Konvois mit den Hilfsgütern kamen häufig nicht durch, sie wurden von den Serben geplündert. UN-Flugzeuge warfen Essenspakete an Fallschirmen ab. Viele Leute riskierten ihr Leben, um einen Sack Mehl zu beschaffen, sie gingen nachts durch die feindlichen Linien. Am schlimmsten war, dass es kein Salz gab, es dauerte Monate, bis ich mich daran gewöhnt hatte. Am Abend bevor die Serben kamen, brachen Tausende junger Männer in die Wälder auf. Ich ging mit meiner Frau, meiner Tochter, der Schwiegertochter und vier Enkeln zum UNStützpunkt in einer alten Fabrik. Auch da waren Tausende, vor allem Frauen und alte Männer, wir bekamen keinen Platz mehr. Deshalb schliefen wir vor dem Gebäude auf dem Boden. Die Niederländer brachten uns Wasser, und wir hatten noch Zwiebeln und Brot. Wir fühlten uns sicher."
...
"Und in der zweiten Nacht sind die serbischen Soldaten gekommen, General Mladić stand mit einem Megafon vor der Fabrik: Ihr braucht euch nicht zu sorgen, wir nehmen nur eure Personalien auf und durchsuchen euch nach Waffen. Dann schleppten sie einzelne Männer weg. Wir hörten Schreie, Schüsse. Die Niederländer taten nichts. Auch sie hatten Angst. Am nächsten Morgen trieb man uns zu den Bussen. Meine Frau hatte einen Schwächeanfall, meine Tochter kümmerte sich um sie, ich verlor die beiden aus den Augen. Mit anderen Männern brachten sie mich in einem Bus nach Bratunac. Die Stadt war verlassen. Sie steckten uns in eine Schule, die ganz zerschossen war. Die meisten Gefangenen waren so alt wie ich oder noch älter, ein paar Kinder waren auch dabei. Uns werden sie doch nicht umbringen, dachte ich. Ich hatte nichts dabei, nur meine Uhr und ein Päckchen Zigaretten.
....
"Und ich lag zwischen all den Leichen, die Sonne brannte. Soldaten suchten nach Überlebenden. 'Schau mal, da rennt einer weg! Da, noch einer.' Schüsse fielen. Dann gingen sie weg und suchten Schatten. Ich dachte, wenn ich meine Fesseln nicht lösen kann, rufe ich sie auch. Ich schätzte, es würde noch zweieinhalb Stunden lang hell sein, und ich hatte Angst, dass bald die Bagger kommen würden. Zum Glück bekam ich die Fesseln auf. Da war ein aufgelassenes Feld, 20 Meter entfernt. Ich hörte ein Flüstern und sah zwei Männer im Gras. Ich entschied mich zu laufen, so schnell ich konnte. Ich lief über die Leichen, ihre Gliedmaßen rutschten weg, sodass es aussah, als lebten sie noch, als würden sie sich bewegen. 'Da rennt einer weg' – es war mir, als hörte ich den Satz schon. Dann lag ich im Gras. Neben mir kauerten vier Männer. Wir sagten kein Wort.
...
"Wir liefen fünf Tage lang durch die Wälder, halb tot vor Erschöpfung. Dann lieferten wir uns serbischen Polizisten aus. Sie nahmen uns in einem Kleinbus mit. 'Lass sie uns umbringen', hörte ich den Fahrer sagen. Sie hielten uns eine Pistole und ein Messer an den Kopf und wollten Geld, wir hatten keins. In einem Dorf gingen sie in ein Restaurant. Wir blieben im Wagen. Ein Serbe kam heraus und fragte, ob wir Hunger hätten. Dann brachte er für jeden einen Teller Eintopf und Orangensaft, danach Kaffee und Zigaretten. Ich leckte den Teller und die Tasse bis zum letzten Tropfen aus. Ich umarmte den Mann und küsste ihn."
...
Am 24. Dezember 1995 lief ich über die Brücke von Gracanica, ich lief mit 182 anderen Gefangenen auf muslimisches Territorium, in gebrauchten Winterschuhen vom Roten Kreuz. Ich weinte. Meine Söhne waren nicht da, um mich zu begrüßen. Niemand war da, auch nicht meine Frau und meine Tochter."
Kriegsverbrechen : Der Zeuge | ZEIT ONLINE
Er entkam der Hölle von Srebrenica: Ein einfacher bosnischer Bauer, der bald im Prozess gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Radovan Karadžić aussagen wird. Vorher hat er noch einmal die Wiese aufgesucht, auf der er sterben sollte
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"Und sie haben uns aus dem Bus getrieben", beginnt Dudić stockend, "in einer langen Reihe auf das Feld zu, ich war der Drittletzte. Die Soldaten schlugen uns und schrien: Fickt euch! Fickt eure Mütter! Fickt Izetbegović! Fickt euern Präsidenten! Vor uns lagen Leichen in Reihen, immer 25, so lang wie unsere. Die Mörder waren ordentlich, sie legten Rechtecke für die Bagger an. Wir sind zwischen den Leichen hindurchgelaufen, tiefer ins Feld. O Mutter, Mutter, habe ich gerufen und mein übriges Leben in Sekunden gezählt. Ein paar Männer haben um Gnade gebettelt, einer um Wasser, ›ich will nicht durstig sterben‹. Ich habe gebetet, aber nicht ums Überleben, sondern um meine Seele. Ich hörte Gewehrfeuer, alle fielen, ich ließ mich auch fallen, aber ich war nicht getroffen. Die Soldaten liefen herum. ›Ist noch jemand am Leben?‹, riefen sie, in meiner Nähe meldeten sich zwei: ›Ich bin nur verwundet, erschießt mich.‹ Die Soldaten taten es und trieben neue Männer aufs Feld. Ich lag da und rührte mich nicht."
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"Und ich holte die Kuh aus dem Stall und führte sie bergab, ich war der Letzte, der das Dorf verließ. Auf den Hügeln standen schon die serbischen Posten, sie schossen. Srebrenica war vollgestopft, vier oder fünf Familien in jedem Haus, meine Familie lebte bei einem Cousin. Jeden Tag fielen Granaten. Die muslimischen Soldaten hatten nur Jagdgewehre und Pistolen. Wir hungerten. Die Konvois mit den Hilfsgütern kamen häufig nicht durch, sie wurden von den Serben geplündert. UN-Flugzeuge warfen Essenspakete an Fallschirmen ab. Viele Leute riskierten ihr Leben, um einen Sack Mehl zu beschaffen, sie gingen nachts durch die feindlichen Linien. Am schlimmsten war, dass es kein Salz gab, es dauerte Monate, bis ich mich daran gewöhnt hatte. Am Abend bevor die Serben kamen, brachen Tausende junger Männer in die Wälder auf. Ich ging mit meiner Frau, meiner Tochter, der Schwiegertochter und vier Enkeln zum UNStützpunkt in einer alten Fabrik. Auch da waren Tausende, vor allem Frauen und alte Männer, wir bekamen keinen Platz mehr. Deshalb schliefen wir vor dem Gebäude auf dem Boden. Die Niederländer brachten uns Wasser, und wir hatten noch Zwiebeln und Brot. Wir fühlten uns sicher."
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"Und in der zweiten Nacht sind die serbischen Soldaten gekommen, General Mladić stand mit einem Megafon vor der Fabrik: Ihr braucht euch nicht zu sorgen, wir nehmen nur eure Personalien auf und durchsuchen euch nach Waffen. Dann schleppten sie einzelne Männer weg. Wir hörten Schreie, Schüsse. Die Niederländer taten nichts. Auch sie hatten Angst. Am nächsten Morgen trieb man uns zu den Bussen. Meine Frau hatte einen Schwächeanfall, meine Tochter kümmerte sich um sie, ich verlor die beiden aus den Augen. Mit anderen Männern brachten sie mich in einem Bus nach Bratunac. Die Stadt war verlassen. Sie steckten uns in eine Schule, die ganz zerschossen war. Die meisten Gefangenen waren so alt wie ich oder noch älter, ein paar Kinder waren auch dabei. Uns werden sie doch nicht umbringen, dachte ich. Ich hatte nichts dabei, nur meine Uhr und ein Päckchen Zigaretten.
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"Und ich lag zwischen all den Leichen, die Sonne brannte. Soldaten suchten nach Überlebenden. 'Schau mal, da rennt einer weg! Da, noch einer.' Schüsse fielen. Dann gingen sie weg und suchten Schatten. Ich dachte, wenn ich meine Fesseln nicht lösen kann, rufe ich sie auch. Ich schätzte, es würde noch zweieinhalb Stunden lang hell sein, und ich hatte Angst, dass bald die Bagger kommen würden. Zum Glück bekam ich die Fesseln auf. Da war ein aufgelassenes Feld, 20 Meter entfernt. Ich hörte ein Flüstern und sah zwei Männer im Gras. Ich entschied mich zu laufen, so schnell ich konnte. Ich lief über die Leichen, ihre Gliedmaßen rutschten weg, sodass es aussah, als lebten sie noch, als würden sie sich bewegen. 'Da rennt einer weg' – es war mir, als hörte ich den Satz schon. Dann lag ich im Gras. Neben mir kauerten vier Männer. Wir sagten kein Wort.
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"Wir liefen fünf Tage lang durch die Wälder, halb tot vor Erschöpfung. Dann lieferten wir uns serbischen Polizisten aus. Sie nahmen uns in einem Kleinbus mit. 'Lass sie uns umbringen', hörte ich den Fahrer sagen. Sie hielten uns eine Pistole und ein Messer an den Kopf und wollten Geld, wir hatten keins. In einem Dorf gingen sie in ein Restaurant. Wir blieben im Wagen. Ein Serbe kam heraus und fragte, ob wir Hunger hätten. Dann brachte er für jeden einen Teller Eintopf und Orangensaft, danach Kaffee und Zigaretten. Ich leckte den Teller und die Tasse bis zum letzten Tropfen aus. Ich umarmte den Mann und küsste ihn."
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Am 24. Dezember 1995 lief ich über die Brücke von Gracanica, ich lief mit 182 anderen Gefangenen auf muslimisches Territorium, in gebrauchten Winterschuhen vom Roten Kreuz. Ich weinte. Meine Söhne waren nicht da, um mich zu begrüßen. Niemand war da, auch nicht meine Frau und meine Tochter."