Ein Artikel aus dem standard
Das wird die EU-Euphorie in Kroatien weiter steigernWird Kroatien die EU-Türe vor der Nase zugeschlagen?
Henriette Riegler vom OIIP über Kroatiens Fortschritte und seine aktuellen Beitrittschancen
Henriette Riegler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Österreichischen Institut für internationale Politik. Ihre Arbeitsschwerpunkte: ethno-nationale Konflikte, Transformationsprozesse und europäische Integration, Migration, Frauen in der internationalen Politik, Regionalschwerpunkt: Südosteuropa
Die Fragen stellte Manuela Honsig-Erlenburg
derStandard.at: Heute findet in Luxemburg ein Stabilisierungs- und Assoziationsrat für Kroatien statt. Was wird besprochen?
Riegler: Das ist eine Art von ständiger Evaluation, die fortgesetzt wird, bis die Beitrittsverhandlungen tatsächlich beginnen und es ist vor allem eine politische Diskussion.
derStandard.at: Nachdem der Kriegsverbrecher Gotovina geschnappt wurde, ist die Bahn also noch immer nicht frei für Kroatiens Beitritt?
Riegler: Man muss unterscheiden: es gibt eine europäische Krise, auf Grund derer man das Bedürfnis hat, Fragen zu ergründen wie: "Was wollen wir?", "Wohin gehen wir?". Dann gibt es die Diskussion um die Erweiterung. Diese beiden Diskussionen haben sich vermischt. Interessanterweise wird nämlich jetzt auch darüber diskutiert, ob die letzte Erweiterungsrunde für die aktuellen Probleme der EU mitverantwortlich ist. Daraus entsteht das Gefühl, dass eine zusätzliche Erweiterung die gesamte Situation nur verschlimmert.
derStandard.at: Liegt das an der tatsächlichen "Aufnahmekapazität" der EU oder an der Anti-Erweiterungsstimmung der EU-BürgerInnen?
Riegler: Im Falle von Kroatien oder auch dem potentiell nächsten Beitrittsland Mazedonien ist klar: die Aufnahmekapazität kann es wohl nicht sein. Das sind beides relativ kleine Länder, wobei Kroatien wirtschaftlich besser da steht, als manche andere EU-Länder zum Zeitpunkt ihres Eintritts. Ich glaube, dass dahinter schon eine Art Verteilungswettbewerb steht. Vor allem etablierten Länder haben damit ein Problem, ständig Ressourcen umzuverteilen, weil sie etwas hergeben müssen, was sie vorher einmal gehabt haben. Außerdem sind die neuen Mitglieder ja auch starke Wettbewerbsgegner. Die Erwerbstätigen dieser Ökonomien sind prinzipiell bereit, sich viel mehr zumuten, was Arbeitsplatzsicherheit und -belastungen angehen. Die Erweiterungsmüdigkeit hat auch viel damit zu tun.
derStandard.at: Hat Österreich seine Unterstützung für Kroatien durch die Reklamierung des Begriffes "Aufnahmefähigkeit" als EU-Beitrittskriterium unbedacht sabotiert?
Riegler: Es ist meiner Meinung nach ein Humbug, die Fälle Türkei und Kroatien zusammen zu diskutieren. Mir kommt sowieso insgesamt vor, dass viele Themen der Erweiterung immer nur anhand des Türkei-Falles diskutiert werden. Das fällt dem gesamten Westbalkan auf den Kopf. Das war auch von österreichischer Seite sicher nicht bewusst so inszeniert. Denn es liegt im österreichischen Interesse, den Westbalkan an die EU heranzuführen.
derStandard.at: Erfüllt Kroatien den "aquis communitaire", ist es beitrittsreif?
Riegler: Der Beitritt eines Landes hängt - grob gesprochen - von zwei Aspekten ab. Vom politische und vom technischen Aspekt. Die Verhandlungen sind ja gerade deswegen jetzt so spannend, weil diese beiden Aspekte sich derzeit 'in die Haare' geraten. Wie schon oben besprochen, hatte man ja bis vor kurzem den Eindruck, dass, sobald Gotovina gefasst ist, den Beitrittsgesprächen nichts mehr im Wege steht. Dem war nicht so. Natürlich sind auch technisch gesehen noch Reformen offen - wie zum Beispiel am Justizsektor. Das wird aber am Schluss nicht den Ausschlag geben. Was politisch gesprochen die große Unsicherheit für Kroatien darstellt, ist, dass es keinen Konsens zwischen den EU-Staaten gibt.
Grob gesprochen gibt es auf der einen Seite den Ansatz, dass Kroatien so schnell wie möglich aufgenommen werden soll, um für den restlichen Westbalkan als Reformlokomotive zu dienen. Der andere Standpunkt: die Westbalkanländer sollen sich außerhalb der Union entwickeln und dann geschlossen beitreten, wenn alle soweit sind. Dann muss Kroatien lange auf einen Beitritt warten. Momentan steht der bilaterale Ansatz im Vordergrund, ich habe aber den Eindruck, dass die zweite Variante insgeheim immer mehr Zustimmung gewinnt.
derStandard.at: Nun zum Kaffeesud. Wie wahrscheinlich ist es, dass Kroatien doch noch die Türe vor der Nase zugeschlagen wird?
Riegler: Nach all den Indikatoren, die die EU technisch anwendet, müsste Kroatien recht schnell beitreten dürfen. Das Land ist wirtschaftlich in dieser Region einfach am weitesten entwickelt. Wenn man das Ganze aber an die Entwicklung in Serbien koppelt, könnte es schon passieren, dass der Beitritt noch lange auf sich warten lässt. Es wäre aber meiner Meinung nach ein Zeichen der Reife der europäischen Politik, Kroatien aufzunehmen und die Entwicklung am Balkan dadurch zu beschleunigen. Ein ungehöriger Optimismus? Ich weiß es nicht.