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Lasst uns die Bastille stürmen! (von Biljana Srbljanovic)

ooops

Land Of Eagles
Sehr schön geschrieben....

Lasst uns die Bastille stürmen!

Mein Vater war das Paradebeispiel eines Konformisten. Ein Aufsteiger und kleiner Vertreter des Mittelstands: alles in allem ein gelungenes Experiment Titos. Ich aber bin jung und will wildwüchsig sein! – Ein Aufruf aus Serbien.

Papa war kein Bürger, nicht einmal Kleinbürger. Man konnteihm auch keine kakanische Heuchelei vorwerfen, denn Kakanien war nie bis zu ihm vorgedrungen. Serbien war immer zweigeteilt zwischen der Doppelmonarchie und dem Osmanischen Reich, zwischen den Modernisten und den Populisten, zwischen fortschrittlichen und konservativen Kräften, zwischen dem Dorf und der Stadt, zwischen dem kommunistischen Osten und dem kapitalistischen Westen. Die Doppelmonarchie reichte bis an den Rand Belgrads, aber es war eine andere Peripherie als die meiner Eltern. Um die Wahrheit zu sagen, sind auch die Türken nie bis zu meinem Vater vorgedrungen und nie bis zu seiner Familie und seinen Ahnen in einer Gebirgseinöde Montenegros, wo die Dörfer nicht nur schwer erreichbar sind, sondern auch nichts zu bieten haben. Stolze Montenegriner behaupten, sie wurden nie von den Türken bezwungen, die Türken wiederum, sie hatten keine Lust, auf den kahlen, felsigen Bergen herumzukraxeln, wo kein Zweig grünt. Kurzum, jeder hatte seine Gründe, daraus einen Mythos zu schaffen.
Mein Vater betonte immer stolz, dass er aus Geschlechtern von Wildwüchsigen stamme, die sich selber Vor- und Nachfahren sind, und ich, obwohl eingeschüchtert, empfand dafür große Bewunderung. Wenn er mir von seiner Urgroßmutter erzählte, die in ihrem Haarknoten Pistolen versteckte, war ich sehr beeindruckt und wünschte mir bodenlanges Haar, um auch Waffen darin zu verbergen, etwa den Zirkel oder das zugespitzte Lineal, mit dem meine Schwester einmal eine Fledermaus aufspießte, die sich in einer heißen Nacht in unser Zimmer verirrt hatte.

Whisky statt Wodka – war's das?

Ich wollte ebenso zu den Wildwüchsigen gehören, ich dachte, wenn du vor dir warst und nach dir wieder du kommst, Autodidaktin, Wildwüchsige, du dir selbst das Maß, du dir selbst Grund und Ziel – das muss eine wunderbare und gefährliche Welt sein, die es nirgends mehr gibt. Ist das denn nicht die wahre Natur des Menschen, niemandem zu gehören, auch nicht der Gesellschaft, auch nicht der Geschichte, von der Nation und der Religion ganz zu schweigen? Wäre es nicht herrlich und schrecklich und traurig, so ganz allein auf der Welt zu sein?
Mein Vater blieb indes nicht lange dieser mythischen Welt verhaftet. Bald tauschte er einen Mythos gegen einen anderen. Das kommunistische Jugoslawien integrierte ihn und bot ihm viele Möglichkeiten: eine Ausbildung zu erhalten, Sport zu treiben, in der Welt herumzureisen, ein erfolgreicher sozialistischer Geschäftsmann zu werden, der zwar für die „Allgemeinheit“ und nicht für sich arbeitete, aber dennoch so viel verdiente, dass er gesellschaftlich aufstieg. So wurde aus Papa, dem Sohn eines Totengräbers und einer kränklichen Hausfrau, der die Kindheit in einer Kate – mit Hunger und Krieg – verbrachte, ein wahrer Vertreter des Mittelstands, er sprach Englisch und nicht Russisch, versank in Whisky und nicht in Wodka, liebte Amerika und bedauerte die Russen. Alles in allem ein gelungenes Experiment Titos.
Als er noch nicht so alt war und vor Scham, Angst und Schmerzen schwitzte, war mein Vater auch einmal ein Emigrant. In den 1960er-Jahren setzte er sich wie so viele andere in den Zug und fuhr nach Schweden. Er wollte sich dort niederlassen. Er war relativ jung, fleißig, arbeitete unermüdlich und verkraftete zunächst alles gut. Aber seine Logik, wonach er Herr über sich selbst und insbesondere über seine Kinder, aber auch über alle Schwächeren war, akzeptierte diese für ihn kalte Gesellschaft nicht. Papa konnte nämlich grob, oft gewalttätig und außerordentlich hart sein. Als er die Emigration aufgab, hatte er schon ei- ne Familie, eine junge Frau und zwei Töchter, und es war an der Zeit, dass er sein Leben ordnete. Heimgekehrt, brachte er tatsächlich alles in Ordnung, nur seine Natur nicht, gegen die er nicht ankommen konnte, weil er es nicht wollte. Jetzt war er ein verdorrter Greis, körperlich harmlos, aber noch immer unerträglich aufbrausend. Entweder runzelte er die Stirn und zeigte Verachtung, oder er beleidigte und beschimpfte, er war grundsätzlich: kontra.
Und das ist der größte Schatz, den ich ihm zu verdanken habe: Meine rebellische Natur entspringt der Auflehnung gegen ihn. Meine Aggressivität, die ich, genauso wie er, nie zu ändern vermochte (weil ich es nie wollte), entwickelte ich in der Auseinandersetzung mit ihm. Immer im Widerspruch zu ihm, zu seinen moralischen und politischen Ansichten.
Und dennoch gibt es keine klare Regel, wie etwa: Weil mein Vater so und so war, bin ich genau das Gegenteil davon geworden. Mein Vater war zum Beispiel nie ein überzeugter Kommunist, eine derartige Haltung lag ihm fern. Zu meiner Zeit konnte man zwar nicht mehr Kommunist sein, aber ich bin auch nicht zum anderen Extrem übergegangen und eine überzeugte Antikommunistin geworden – solche Menschen finde ich in ihrem Wesen doch etwas beschränkt.

Aufgemerkt, wir sind Tausende!

Mein Vater war das Beispiel eines Konformisten, er war bereit, für das eigene Wohl und das seiner Familie Kompromisse einzugehen. Die Familie, den Stamm stellte er über alles, mutige Menschen hielt er für Narren, Protestler und Revolutionäre für verfehlte Existenzen. Sein Lieblingsspruch war: Kopf in den Sand, Arsch an die Wand, der Mensch ist dem Menschen ein Hund. Vor dem Tod hatte er eine Heidenangst. Das Fortschreiten der Zeit und jede Veränderung fürchtend, haben diese Menschen jahrelang uns, die verrückten Stürmer, die nur Veränderungen wollten, ohne nach dem Danach zu fragen, daran gehindert, die letzte Revolution zu machen. Ich sage ungern „die letzte“, denn gemäßigt und vernünftig zu sein und die letzte, die samtene Revolution durchzuführen, damit es mit den Revolutionen ein für alle Mal ein Ende nimmt, ist nicht mein Ding.
Und wenn Havel sagt, man solle den Erstürmern der Bastille nicht trauen, weil sie die Ersten sein würden, die eine neue Bastille bauten, werde ich sehr traurig. Denn daraus spricht entweder ein großes Misstrauen gegenüber der menschlichen Natur oder eine gründliche Kenntnis derselben; beides ist für mich tragisch und bestätigt nur, dass ich doch allein auf der Welt bin. Was nicht heißt, dass es nicht noch Tausende, Millionen solcher einsamer Leute gibt, die die Bastille stürmen, weil sie gegen die Tyrannei sind – und nicht, weil sie eine eigene Tyrannei begründen wollen. Vielleicht ist gerade dies das Einzige, was uns verbindet. Denn die Kultur, die Sprache, der Kulturraum, die Weltanschauung können nicht einmal im Ansatz die Grundlage für eine neue, eine wesentliche Verbindung sein. ■
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2010)


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