Y
Yunan
Guest
Korrektes Sprechen: "Sag das Wort nicht"
Eine Kolumne von Jan Fleischhauer
Es braucht nicht viel, um linksfühlende Menschen in Aufregung zu versetzen. Wie wenig dazu ausreicht, zeigt der Eklat auf einem "taz"-Kongress. Manchmal genügt hierzulande schon ein einziges Wort.
Vor ein paar Wochen erreichte mich aus der Redaktion der "taz" die Anfrage, ob ich Zeit und Lust hätte, an einer Podiumsdiskussion zu Rassismus und Sexismus in Deutschland teilzunehmen. Einmal im Jahr veranstaltet die "taz" in Berlin einen Kongress, um über die drängenden Fragen der Zeit zu debattieren. Man findet dort alles, was die Bewegung ausmacht, von der Anleitung für das perfekte Kräuterbeet bis zur Antwort auf die Frage, wie man endlich die Mietpreisspirale bricht (nein, nicht durch den Abschluss eines Bausparvertrags!).
Ich bin seit Jahren "taz"-Abonnent, insofern empfand ich die Anfrage als Lohn für meine Lesertreue. Bei meiner Morgenlektüre kommt sie noch vor der "Bild"-Zeitung. Wer zuverlässig über die Sonder- und Verstiegenheiten der linken Lebenswelt im Bilde sein will, für den ist die Zeitung aus der Rudi-Dutschke-Straße in Berlin eine unverzichtbare Begleiterin. Außerdem ist manches wirklich komisch. Ich weiß nicht, wer dort auf die Idee gekommen ist, zur Suche des SPIEGEL nach einem neuen Chefredakteur die Zeile zu machen: "SPIEGEL sucht Führer", garniert mit den letzten Hitler-Titeln aus meinem Haus. Ich musste darüber jedenfalls herzlich lachen.
Das Panel, auf dem ich am vergangenen Samstag Platz nahm, trug die Überschrift "Das Ende des weißen Mainstreams". Eingeladen waren neben mir der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik, die Migrationsexpertin Ferda Ataman und Mekonnen Mesghena von der Heinrich-Böll-Stiftung, der Anfang des Jahres mit einem Brief an den Otfried-Preußler-Verlag die Kinderbuchdebatte ins Rollen brachte. Ich hatte mir fest vorgenommen, einen guten Eindruck zu machen. Als der Moderator davon sprach, welche Hoffnung auch in Deutschland von dem Wahlsieg Obamas ausgehe, der seinen Erfolg den Schwarzen, Latinos und Frauen verdankte, nickte ich wie alle auf dem Podium eifrig mit dem Kopf.
Das Verhängnis begann damit, dass ich die Frage stellte, was wohl nach dem Ende des weißen Mannes komme werde, von dem nun ständig die Rede ist. Ich will dem Fortschritt nicht im Wege stehen: Wenn es der Sache dient, müssen ich und meine Geschlechtsgenossen eben Platz machen, so ist der Lauf der Dinge. Ich habe nur gewisse Zweifel, dass wir an der Sexismusfront wirklich weiter kommen, wenn in unserem Fall an die Stelle des weißen Mittelschichtsmannes sein türkischer, arabischer oder indischer Kollege tritt. Den Gedanken hätte ich besser für mich behalten. "Rassist" tönte es aus einer Ecke, die Mehrheit schüttelte entsetzt den Kopf. Kurz, die Stimmung war schon nach meiner ersten Einlassung zum Thema im Eimer.
Ich hatte Glück im Unglück, muss man sagen. Vor der Tür, bei einem Panel zur korrekten Sprache, entgleisten die Dinge so, dass mehrere Zuhörer unter Protest den Raum verließen - ein Eklat, der gottlob alles andere in den Schatten stellte, inklusive meines Auftritts. Moderator Deniz Yücel hatte den unverzeihlichen Fehler begannen, aus Texten vorzulesen, in denen das sogenannte "N-Wort" vorkommt, darunter die berühmte Rede von Martin Luther King aus dem Jahr 1963.
Erst hielten sich Leute im Publikum die Ohren zu, ein Abwehrreflex, der Yücel an "katholische Nonnen" erinnerte, "die versehentlich auf Youporn landen", wie er später schrieb. Dann riefen die Teilnehmer immer wieder empört: "Sag das Wort nicht, sag das Wort nicht", was der Moderator nur als "zwangsneurotisches Verhalten" zu deuten wusste. Sein größter Fauxpas war allerdings ganz zweifellos der Satz "Geht bügeln", mit der er die empörten Antirassismus-Aktivisten verabschiedete. Damit war der Skandal perfekt. Seit Sonntag überlegt die Chefredaktion nun fieberhaft, welche Konsequenzen sie aus dem Vorfall ziehen soll.
Linkes Betschwestertum
Es ist immer wieder verblüffend zu sehen, wie wenig ausreicht, um Menschen, die der Linken angehören, in Aufregung zu versetzen. Man sollte bei Leuten, die sich, wenn es sein muss, an Gleise ketten lassen und jedem Wasserwerfer zu trotzen wissen, mehr Verblüffungsresistenz erwarten. Aber so ist das, wenn man ins Alter kommt beziehungsweise zulange am Drücker war: Mit der Zeit erlahmen die Widerstandskräfte, dann reichen schon kleine Irritationen, damit man die Fassung verliert.
Tatsächlich ist der Referenzraum, in dem sich viele Überzeugungslinke bewegen, erstaunlich eng. Die meisten Menschen suchen in ihrem Meinungsumfeld nach Bestätigung für ihre Weltsicht, das gilt lagerübergreifend. Aber nirgendwo ist die ideologische Selbstisolierung so weit fortgeschritten wie in den Vierteln, in denen man sich auf die eigene Weltläufigkeit sonst so viel einbildet. Hier achtet man nicht nur beim Gemüse auf das Kontrollsiegel, das die Reinheit von allen unerwünschten Rückständen garantiert, sondern auch bei der Zufuhr geistiger Nahrung.
Ein gewisser Hang zur Bigotterie ist dabei fast unausweichlich: Wenn man sich den ganzen Tag darüber Gedanken machen muss, wie man möglichst so redet, dass man niemanden auf die Füße tritt, bleibt das nicht ohne Folgen für die geistige Freiheit. Im Umgang mit Gleichgesinnten ist das vielleicht egal, im politischen Meinungskampf ist diese Vergrämung eindeutig von Nachteil. Wer, mit anderen Meinungen konfrontiert, nur noch zu rituellen Beschwörungsformeln greifen kann, hat es schwer, seinen Punkt zu machen, wenn es darauf ankommt. Es ist genau diese Diskursträgheit, die in den siebziger Jahren zur Umkehrung der kulturellen Machtverhältnisse in Deutschland führte. Man vergisst heute leicht, dass die 68er nicht als Herrschaftsformation, sondern als Protestbewegung begonnen haben. Ihren Siegeszug verdanken sie ganz wesentlich auch der geistigen Erstarrung des anderen Lagers, das am Ende schon über ein paar Happenings auf dem Ku'damm den Kopf verlor.
Keine Ahnung übrigens, warum mich die "taz" eingeladen hat. Soweit ich sehen konnte, war ich unter den rund 200 Referenten des "taz.lab" der einzige Vertreter einer Welt, in der man sich nicht das Ende des Kapitalismus herbeiwünscht oder jeden Morgen ganz fest für die Energiewende betet. Meine Vermutung wäre, dass auch einigen bei der "taz" das linke Betschwestertum gehörig auf die Nerven geht. Je größer der Druck ist, sich ja richtig zu benehmen, desto heftiger ist oft auch der Wunsch, die Verbotszone zu beschreiten. Das gilt jedenfalls bei allen Menschen, die sich einen Funken Widerstandsgeist bewahrt haben.
http://www.spiegel.de/politik/deuts...um-fast-fuer-einen-eklat-sorgte-a-896469.html
Eine Kolumne von Jan Fleischhauer
Es braucht nicht viel, um linksfühlende Menschen in Aufregung zu versetzen. Wie wenig dazu ausreicht, zeigt der Eklat auf einem "taz"-Kongress. Manchmal genügt hierzulande schon ein einziges Wort.
Vor ein paar Wochen erreichte mich aus der Redaktion der "taz" die Anfrage, ob ich Zeit und Lust hätte, an einer Podiumsdiskussion zu Rassismus und Sexismus in Deutschland teilzunehmen. Einmal im Jahr veranstaltet die "taz" in Berlin einen Kongress, um über die drängenden Fragen der Zeit zu debattieren. Man findet dort alles, was die Bewegung ausmacht, von der Anleitung für das perfekte Kräuterbeet bis zur Antwort auf die Frage, wie man endlich die Mietpreisspirale bricht (nein, nicht durch den Abschluss eines Bausparvertrags!).
Ich bin seit Jahren "taz"-Abonnent, insofern empfand ich die Anfrage als Lohn für meine Lesertreue. Bei meiner Morgenlektüre kommt sie noch vor der "Bild"-Zeitung. Wer zuverlässig über die Sonder- und Verstiegenheiten der linken Lebenswelt im Bilde sein will, für den ist die Zeitung aus der Rudi-Dutschke-Straße in Berlin eine unverzichtbare Begleiterin. Außerdem ist manches wirklich komisch. Ich weiß nicht, wer dort auf die Idee gekommen ist, zur Suche des SPIEGEL nach einem neuen Chefredakteur die Zeile zu machen: "SPIEGEL sucht Führer", garniert mit den letzten Hitler-Titeln aus meinem Haus. Ich musste darüber jedenfalls herzlich lachen.
Das Panel, auf dem ich am vergangenen Samstag Platz nahm, trug die Überschrift "Das Ende des weißen Mainstreams". Eingeladen waren neben mir der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik, die Migrationsexpertin Ferda Ataman und Mekonnen Mesghena von der Heinrich-Böll-Stiftung, der Anfang des Jahres mit einem Brief an den Otfried-Preußler-Verlag die Kinderbuchdebatte ins Rollen brachte. Ich hatte mir fest vorgenommen, einen guten Eindruck zu machen. Als der Moderator davon sprach, welche Hoffnung auch in Deutschland von dem Wahlsieg Obamas ausgehe, der seinen Erfolg den Schwarzen, Latinos und Frauen verdankte, nickte ich wie alle auf dem Podium eifrig mit dem Kopf.
Das Verhängnis begann damit, dass ich die Frage stellte, was wohl nach dem Ende des weißen Mannes komme werde, von dem nun ständig die Rede ist. Ich will dem Fortschritt nicht im Wege stehen: Wenn es der Sache dient, müssen ich und meine Geschlechtsgenossen eben Platz machen, so ist der Lauf der Dinge. Ich habe nur gewisse Zweifel, dass wir an der Sexismusfront wirklich weiter kommen, wenn in unserem Fall an die Stelle des weißen Mittelschichtsmannes sein türkischer, arabischer oder indischer Kollege tritt. Den Gedanken hätte ich besser für mich behalten. "Rassist" tönte es aus einer Ecke, die Mehrheit schüttelte entsetzt den Kopf. Kurz, die Stimmung war schon nach meiner ersten Einlassung zum Thema im Eimer.
Ich hatte Glück im Unglück, muss man sagen. Vor der Tür, bei einem Panel zur korrekten Sprache, entgleisten die Dinge so, dass mehrere Zuhörer unter Protest den Raum verließen - ein Eklat, der gottlob alles andere in den Schatten stellte, inklusive meines Auftritts. Moderator Deniz Yücel hatte den unverzeihlichen Fehler begannen, aus Texten vorzulesen, in denen das sogenannte "N-Wort" vorkommt, darunter die berühmte Rede von Martin Luther King aus dem Jahr 1963.
Erst hielten sich Leute im Publikum die Ohren zu, ein Abwehrreflex, der Yücel an "katholische Nonnen" erinnerte, "die versehentlich auf Youporn landen", wie er später schrieb. Dann riefen die Teilnehmer immer wieder empört: "Sag das Wort nicht, sag das Wort nicht", was der Moderator nur als "zwangsneurotisches Verhalten" zu deuten wusste. Sein größter Fauxpas war allerdings ganz zweifellos der Satz "Geht bügeln", mit der er die empörten Antirassismus-Aktivisten verabschiedete. Damit war der Skandal perfekt. Seit Sonntag überlegt die Chefredaktion nun fieberhaft, welche Konsequenzen sie aus dem Vorfall ziehen soll.
Linkes Betschwestertum
Es ist immer wieder verblüffend zu sehen, wie wenig ausreicht, um Menschen, die der Linken angehören, in Aufregung zu versetzen. Man sollte bei Leuten, die sich, wenn es sein muss, an Gleise ketten lassen und jedem Wasserwerfer zu trotzen wissen, mehr Verblüffungsresistenz erwarten. Aber so ist das, wenn man ins Alter kommt beziehungsweise zulange am Drücker war: Mit der Zeit erlahmen die Widerstandskräfte, dann reichen schon kleine Irritationen, damit man die Fassung verliert.
Tatsächlich ist der Referenzraum, in dem sich viele Überzeugungslinke bewegen, erstaunlich eng. Die meisten Menschen suchen in ihrem Meinungsumfeld nach Bestätigung für ihre Weltsicht, das gilt lagerübergreifend. Aber nirgendwo ist die ideologische Selbstisolierung so weit fortgeschritten wie in den Vierteln, in denen man sich auf die eigene Weltläufigkeit sonst so viel einbildet. Hier achtet man nicht nur beim Gemüse auf das Kontrollsiegel, das die Reinheit von allen unerwünschten Rückständen garantiert, sondern auch bei der Zufuhr geistiger Nahrung.
Ein gewisser Hang zur Bigotterie ist dabei fast unausweichlich: Wenn man sich den ganzen Tag darüber Gedanken machen muss, wie man möglichst so redet, dass man niemanden auf die Füße tritt, bleibt das nicht ohne Folgen für die geistige Freiheit. Im Umgang mit Gleichgesinnten ist das vielleicht egal, im politischen Meinungskampf ist diese Vergrämung eindeutig von Nachteil. Wer, mit anderen Meinungen konfrontiert, nur noch zu rituellen Beschwörungsformeln greifen kann, hat es schwer, seinen Punkt zu machen, wenn es darauf ankommt. Es ist genau diese Diskursträgheit, die in den siebziger Jahren zur Umkehrung der kulturellen Machtverhältnisse in Deutschland führte. Man vergisst heute leicht, dass die 68er nicht als Herrschaftsformation, sondern als Protestbewegung begonnen haben. Ihren Siegeszug verdanken sie ganz wesentlich auch der geistigen Erstarrung des anderen Lagers, das am Ende schon über ein paar Happenings auf dem Ku'damm den Kopf verlor.
Keine Ahnung übrigens, warum mich die "taz" eingeladen hat. Soweit ich sehen konnte, war ich unter den rund 200 Referenten des "taz.lab" der einzige Vertreter einer Welt, in der man sich nicht das Ende des Kapitalismus herbeiwünscht oder jeden Morgen ganz fest für die Energiewende betet. Meine Vermutung wäre, dass auch einigen bei der "taz" das linke Betschwestertum gehörig auf die Nerven geht. Je größer der Druck ist, sich ja richtig zu benehmen, desto heftiger ist oft auch der Wunsch, die Verbotszone zu beschreiten. Das gilt jedenfalls bei allen Menschen, die sich einen Funken Widerstandsgeist bewahrt haben.
http://www.spiegel.de/politik/deuts...um-fast-fuer-einen-eklat-sorgte-a-896469.html