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Little Bosnia

Dobojlija

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Little Bosnia

Während der Jugoslawienkriege verließen Zehntausende das Land. Nirgendwo siedelten sich mehr Bosnier an, als in der amerikanischen Stadt St. Louis. Ein Besuch in Bosniens größter Exklave

Schau mal", sagt Amir Karadciz und deutet mit dem Finger durch das Seitenfenster, "eine bosnische Bäckerei. Und gleich daneben ein bosnisches Café. Und dieser Laden gehört bosnischen Sinti und Roman. Und noch eine bosnische Bäckerei. Und der Typ dort auf der Straße: ein Bosnier." Eigentlich nichts Besonderes. Doch wir sind gar nicht in den Schluchten des Balkans. Wir kurven durch die Straßen von St. Louis im US-Bundesstaat Missouri. Vor uns an der Straßenkreuzung dreht sich eine schöne, eine gewaltige Windmühle, die deutsche Einwanderer hier vor 100 Jahren errichtet haben. Sie ist das Wahrzeichen dieses Viertels, das offiziell "Bevo" heißt. Inoffiziell aber trägt es längst den Namen "Little Bosnia".
40 000 bosnische Einwanderer leben in St. Louis. Das schätzt jedenfalls Amir Karadciz. "Eher 50 000. Wahrscheinlich sogar 60 000." Sicher ist jedenfalls: Es die größte Ansammlung von Bosniern außerhalb Bosnien-Herzegowinas.
Wie hat es diese Menschen nur ausgerechnet nach Missouri verschlagen? "Es hat sich halt so ergeben", sagt Amir Karadciz, der als Vizepräsident der bosnischen Gemeinde vorsteht und damit meint er den Bürgerkrieg, der den Balkan Anfang und Mitte der 90er-Jahre erschütterte. Nach 1992 kamen die Flüchtlinge aus den serbischen Konzentrationslagern an. Als sie Amerikaner geworden waren, konnten sie ihre Verwandten nachziehen lassen, indem sie "Affidavits" für sie ausfüllten - Erklärungen, dass sie im Notfall finanziell für sie einspringen würden. Mittlerweile gibt es sogar eine Binnenmigration: Bosnier aus anderen Teilen der USA ziehen hierher um. "St. Louis liegt so schön praktisch in der Mitte des Landes", sagt Amir Karadciz. "Außerdem kann man hier schon für 20 000 oder 40 000 Dollar ein Haus kaufen." Kein Vergleich mit New York, wo solche Preise wie eine verrückte Utopie klingen.
"Bevo war eine müde, heruntergewirtschaftete Gegend", berichtet hinterher beim Mittagessen Harry Kennedy, der als Senator im Kongress des Staates Missouri sitzt. "Die bosnischen Einwanderer haben etwas draus gemacht, sie sind fleißige Leute, hervorragende Handwerker." Tatsächlich: Die alten Backsteinhäuser rund um die alte Windmühle funkeln wie neu. Aber: Diese Bosnier sind doch Muslime, jedenfalls die meisten von ihnen. Ist das denn gar kein Problem? "Es bedeutet einfach gute Baklavas zu Weihnachten." Der Senator grinst.
In Wahrheit hat St. Louis, Missouri nur ein ernsthaftes Problem, das ist die Straßenkriminalität. Der Norden und der Osten der Stadt gelten als regelrecht gefährlich. Little Bosnia ist ruhig. Religiöser Fundamentalismus? "Es handelt sich um herrlich schlechte Muslime", erklärt Ben Moore, der an der katholischen Fontbonne-Universität englische Literatur unterrichtet und sich im Nebenberuf für die bosnische Exilgemeinde interessiert. "Die trinken alle Bier. Unser Freund Amir hier zum Beispiel war drüben in Bosnien nie in einer Moschee." Jetzt gibt es immerhin drei islamische Gotteshäuser in St. Louis. Und Amir Karadciz hat Probleme mit einem der Imame, der sich öffentlich zur bosnischen Politik äußert. "Der soll sich gefälligst um Glaubensfragen kümmern", schimpft Karadciz, "da kennt er sich aus. Er kann sowieso nicht für alle Bosnier sprechen. Unter uns gibt es schließlich nicht nur Muslime, sondern auch Katholiken und orthodoxe Christen." Übrigens: Karadciz? Ist das nicht ein etwas schrecklicher Name für den Vizepräsidenten einer bosnischen Gemeinde? Müssen wir uns das nicht beinahe so vorstellen, als hieße das Vorstandsmitglied einer jüdischen Gemeinde "Schlomo Eichmann"? Amir Karadciz lacht, dann wird er ernst: "Ich werde doch wegen diesem Massenmörder Radovan Karadciz nicht meinen Namen ändern."
Mittlerweile haben wir den Lunch hinter uns gebracht, wir stehen vor der Tür der Augenärztin Edina Karahodciz. "Ich habe eine ganz normale Geschichte", sagt sie, nachdem sie uns an einem vollen Wartezimmer vorbeigelotst hat. "Ich komme aus Prijedor, einer Stadt im Nordwesten von Bosnien. Habe ein Kind unter serbischer Besatzung geboren. Von 1993 bis 1995 Exil in Kroatien. Dann bekamen wir ,Affidavits', sind nach Amerika ausgewandert. Während ich studierte, hat mein Mann gearbeitet. 2003 habe ich meine eigene Praxis aufgemacht. Das ist alles, das war es schon." Edina Karahodciz ist eine zierliche Dame mittleren Alters mit feinen Zügen, und was sie da erzählt, ist keineswegs alles.
Allerdings muss man schon nachfragen, um zu erfahren, was sie ausgelassen hat: Wie sie zitternd in ihrer Wohnung saß, weil sie Angst vor serbischen Vergewaltigern hatte. Wie sie an einem Tag nicht wissen konnte, welche Qual der nächste für sie bereithalten würde. "Wenn die Serben vor Sarajevo einen Sieg gefeiert hatten, dann war das eine Atempause für uns", wirft Amir Karadciz ein, der ebenfalls aus Prijedor stammt. "Aber wenn sie eine Niederlage erlitten, kamen sie mit Wut im Bauch zurück, und das bekamen wir zu spüren."
Frau Karahodciz hat ferner Folgendes ausgelassen: die Schüsse auf der Straße, die Todesschreie der bei lebendigem Leib Verbrannten. Das Geld, das sie dem Roten Kreuz bezahlen musste, als sie endlich genug von dem Terror hatte, um sich aus ihrer Heimatstadt wegfahren zu lassen. ("50 Deutsche Mark! Das war 1992 noch echtes Geld!") Sie vergaß zu erwähnen, dass es in dem Krankenhaus, wo sie ihr Kind geboren hatte, weder Wasser noch Elektrizität gab und es damals gerade November war. "Der Schrecken bricht bei uns erst jetzt auf wie eine Wunde", sagt Edina Karahodciz, "jetzt, wo es uns gut geht. Ich sehe die Folgen auch schon bei unseren Kindern. Unseren Kindern kann man helfen. Aber uns? Wir werden all das erst vergessen, wenn man Erde auf unser Grab schaufelt. Schöne schwarze Ackererde!" Sie kichert, als hätte sie einen richtig guten Witz gemacht.
Dijana Groth hat eine ganz andere Geschichte zu erzählen. "Ich bin im Himmel!", strahlt sie. Dijana Groth kam schon 1978 nach St. Louis, als zehnjähriges Mädchen. Später hat sie einen Einheimischen geheiratet und ein ganz normales amerikanisches Kleinstadtleben geführt. Aber immer hatte sie diese ungestillte Sehnsucht nach Sarajevo. Nun ist ihre Heimat nachgekommen, und sie kann endlich beides zugleich sein: Bosnierin und Amerikanerin. "Der Grund war natürlich furchtbar traurig", sagt sie. "Aber ich fühle mich jetzt ganz zu Hause hier."
Dijana Groth hat einen Buchladen aufgemacht, den "Novella Bookstore", wo man Kafka, Witold Gombrowicz und Gogol in bosnischer Übersetzung erwerben kann, aber auch "Mihael Kolhas", eine Novelle von "Hajnrih fon Klajst". Sie beliefert Bibliotheken in ganz Amerika.
Eine Meile vom "Novella Bookstore" entfernt liegt die Redaktion von "Sabah", die sich selbst stolz "Die bosnisch-herzegowinische ,New York Times'" nennt. Das Wochenblatt wird im Wesentlichen von zwei kettenrauchenden attraktiven Damen gemacht. In der nächsten Ausgabe: ein Interview mit Christian Schwarz-Schilling. Am meisten beeindruckt in der Redaktion eine riesige Landkarte der USA an der Wand - sie ist von schwarzen Stecknadelköpfen gesprenkelt. Wofür stehen sie? "Für jeden Ort in Amerika, wo mehr als 1000 Bosnier leben." Wie viele Bosnier gibt es insgesamt in den USA? "Ungefähr eine Viertelmillion."
Wenn man vor die Tür der Redaktion von "Sabah" tritt und eine geschäftige Straße überquert, fällt man sozusagen die Stufen der Southern Commercial Bank hinauf. In einem Nebenraum wird dort gerade eine Ausstellung über Prijedor gezeigt, die Ben Moore, der Englischprofessor von der Fontbonne-Universität, mitorganisiert hat. Die Ausstellung zeigt diese kalte, blutige Geschichte, die wir in Europa ein bisschen zu vorschnell hinter uns gelassen haben: die systematische Folter, die Massenvergewaltigungen, die Erlässe gegen "nicht serbische Minderheiten". Auf großen Schautafeln stehen Ortsnamen, die kein Mensch in Europa mehr hören will: Omarska. Trnopolje. Last, but not least: Srebrenica, wo die Soldaten des serbischen Generals Ratko Mladic am 15. Juli 2005 etwa 8000 bosnische Männer ermordeten. Ben Moore zeigt auf ein Foto von einem zerschundenen Jungen. "Nedzad Jakupovic heißt er. Ist jetzt Mitte 30, lebt irgendwo in Iowa." Und die Fotografin, der es wie durch ein Wunder gelang, ihre Bilder zu schießen? "Azra Blazevic. Heute Bürgerin von St. Louis, Missouri." Und Prijedor? "Gehört seit dem Dayton-Abkommen zur ethnisch gesäuberten Republik Srpska."
Melany Kniffen, die stellvertretende Bankdirektorin, gesellt sich zu den Besuchern der Ausstellung. Sie erzählt, wie es war, damals, als die ersten Flüchtlinge aus Bosnien ankamen. "Wir verständigten uns darauf, jedem einen Kredit zu geben, der eine Greencard hatte und einer geregelten Arbeit nachging." Die Investition hat sich für die Southern Commercial Bank gelohnt: Die Bosnier waren erfolgreich, zahlten ihre Kredite mit Zins und Zinseszins zurück. Nachdem sie das Bevo-Viertel von St. Louis renoviert haben, fangen sie jetzt an, ihre Häuser zu verkaufen und aufs Land hinauszuziehen - so helfen sie, den ganzen Staat Missouri wirtschaftlich voranzubringen. "Ich nenne es den gelebten amerikanischen Traum", sagt Melany Kniffen ganz unpathetisch. Wie sollte man es auch anders nennen?


Little Bosnia - DIE WELT - WELT ONLINE
 
woooow na und aber immernoch ist die ALbanische Lobby einer der mächtigsten von denn ausländer in den Vereinigten Staaten
 
HAHA:Hab den Artikel gerade gelesen unglaublich was die leute erlebt haben,gibt aber leider tausende solcher Geschichten.

Na ja ich glaube es gibt fast keinen der nicht nen Verwandten in st.louis hat....
(hab nen rodo dort)
 
immerwieder schön zu lesen wie es balkanimmigranten in anderen ländern zu etwas bringen...
 
hier wird eine Moschee gebaut

StLouisMosque2.jpg
 
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