"Mehr Juden ins Kino": 18. Jüdisches Filmfestival Berlin & Potsdam
Von der intimen Dokumentation bis zum absurden Familienporträt: Auch in seiner 18. Ausgabe zeigt das Jüdische Filmfestival Berlin & Potsdam wieder die zahlreichen Facetten des aktuellen jüdischen Films. Doch die renommierte Veranstaltung steht finanziell mit dem Rücken zur Wand.
Wer dieser Tage durch Berlin oder Potsdam fährt, dem begegnet an vielen Orten ein auffälliges Plakat. Auf tiefschwarzem Grund knallt einem in grellem Gelb die Botschaft entgegen "Mehr Juden ins Kino" - der provokante Claim des diesjährigen Jüdischen Filmfestivals Berlin & Potsdam. Die einprägsamen Poster wurden von dem israelischen Künstler und Fotografen Daniel Josefsohn gestaltet, der für seinen ausgesprochenen jüdischen Humor bekannt ist. "Mehr Juden ins Kino": Das sei durchaus wörtlich zu nehmen, so Festivalleiterin Nicola Galliner. Seit seinen Anfängen sei es dem Festival darum gegangen, jüdische Filme, Filmemacher und Themen zurück in die deutsche Filmlandschaft zu bringen und so eine Lücke zu schließen, die der Holocaust hinterlassen habe. "Zudem kann man über das Medium Film den Menschen ganz anders begegnen und Themen besonders vermitteln", führt Galliner aus.
Doch die markante Plakatkampagne hat noch einen weiteren Hintergrund: Das dunkle Schwarz, so Galliner, stehe auch symbolisch für ihre verzweifelten Bemühungen, das Festival weiterhin auf die Beine stellen zu können. Obwohl das Filmfest mittlerweile bereits zum 18. Mal stattfindet und sich in dieser Zeit bundesweites Renommee erarbeitet hat, ist eine feste Finanzierung nicht in Sicht - im Gegenteil: "Wir fühlen uns teilweise nicht ernst genommen, sondern als würden wir als Anfänger gesehen", so Nicola Galliner. Jedes Jahr gebe es ein neues Hickhack um die Finanzierung. Galliner betont: "Das Schwarz der Kampagne soll ausdrücken, dass wir jedes Jahr wieder am Anfang stehen."
Knapp 30 Filme in zwei Wochen
Dabei hat sich das Jüdische Filmfestival Berlin & Potsdam längst als feste Größe etabliert: "Dass es in Deutschland immer mehr jüdische Filmfestivals gibt, hat sicher auch mit uns zu tun", glaubt Galliner. Immer mehr Filme würden eingereicht, Jahr für Jahr kämen mehr Zuschauer, die Zahl der Spielstätten würde ausgeweitet. So findet das Festival dieses Mal gleich in sechs Kinos in der Region statt und ist einen Tag länger. Als Förderer konnten schlussendlich die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin, das Land Brandenburg, sowie zu kleinen Teilen auch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, das Medienboard Berlin-Brandenburg und der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien gewonnen werden.
Neu ist der Name des Filmfest, das in diesem Jahr erstmals als Jüdisches Filmfestival Berlin & Potsdam stattfindet. Den englischen Titel habe man aufgegeben, da weltweit so viele "Jewish Film Festivals" existierten, so Galliner. Zudem hätten viele Besucher wegen des internationalen Namens gedacht, es würden nur israelische Filme gezeigt.
Doch unter den knapp 30 Filmen, die in diesem Jahr aufgeführt werden, befinden sich allein zwölf deutsche Produktionen bzw. Koproduktionen, dazu Werke aus Israel, den USA, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden. Viele davon feiern bei dem Festival ihre Premiere. Die Auswahl der Filme sei nicht leicht gefallen, erklärt Nicola Galliner: "Das ist jedes Mal ein schmerzhafter Prozess, aber wir können eben kein dreiwöchiges Festival stemmen."
Dokumentationen über faszinierende Einzelschicksal
Filmstill aus "How to re-establish a Vodka empire"
Wie ein roter Faden zieht sich dabei die Darstellung von Einzelschicksalen durch das Programm, sei es nun in den Dokumentationen oder in den Spielfilmen. In diese Reihe gehört schon der Eröffnungsfilm "Max Raabe in Israel", der bei der Gala am 4. Juni im Potsdamer Hans Otto Theater seine Weltpremiere feiert. Die Dokumentation begleitet den Musiker bei seiner ersten Israel-Tour 2010 – diese Konzerte bezeichnete Raabe selbst als seine wichtigsten Auslandsauftritte. Der Film zeigt sehr sensibel und intim zum einen die Sicht des Musikers, zum anderen die Reaktionen des Publikums: junge Menschen, die die Lieder der 1920er Jahre zum ersten Mal hören, aber auch ältere Besucher, deren Liebe zur Musik die Flucht aus Deutschland überdauert hat. Für Nicola Galliner ist "Max Raabe in Israel", produziert von Sönke Wortmann, schon jetzt einer der Festivalhöhepunkte, zumal der Entertainer zusammen mit dem Palastorchester bei der Premiere auftreten werde. Zwei andere prominente Gäste werden die Schauspieler Meret Becker und Richy Müller sein, die die Patenschaft für das Festival übernommen haben.
Ein weiteres Highlight unter den Dokumentationen ist das Bio-Pic "Mendelsohn’s Incessant Visions", das den Architekten Erich Mendelsohn zeigt. Von ihm stammen Bauklassiker wie das Gebäude der Schaubühne am Kurfürstendamm, vormals Universum-Kino, oder der Einstein-Turm in Potsdam. In dem Film werden allerdings nicht nur Mendelsohns architektonische Leistungen gewürdigt, sondern auch sein bewegtes und überraschend modernes Privatleben beleuchtet. Bei zwei der Aufführungen des Films ist zudem Regisseur Duki Dror dabei. Nicht minder spannend klingt das Thema der britischen Doku "How to re-establish a Vodka empire": Darin erfährt der in London lebende Dan Edelstyn durch die Memoiren seine jüdisch-ukrainischen Großmutter, dass der Familie einst eine Wodka-Fabrik gehörte. Edelstyn besucht die Fabrik – und versucht das Unternehmen zu retten. Für Nicola Galliner ein faszinierender Film, den man außerhalb des Festivals in Deutschland wahrscheinlich nicht nochmal zu Gesicht bekommen würde.
Absurde Familiengeschichten im Fokus der Spielfilme
Doch auch unter den gezeigten Spielfilmen finden sich zahlreiche Höhepunkte – nicht zuletzt der Oscar-nominierte Streifen "Footnote" des israelischen Regisseurs Joseph Cedar: Darin geht es um die Rivalität zweier Talmud-Professoren, die ganz nebenbei auch noch Vater und Sohn sind. Ironisch, streckenweise absurd aber auch dramatisch zeichnet Cedar, der selbst Gast des Festivals sein wird, den Familienkonflikt zwischen altem Patriarchen und aufstrebendem Wissenschaftsshootingstar nach.
Ebenfalls sehenswert verspricht die französische Komödie "Let my people go" von Mikael Buch zu werden. Darin geht es um den jungen Franzosen Ruben, der vor seiner besitzergreifenden jüdischen Familie nach Finnland geflohen ist, wo er als Postbote arbeitet. Doch eine plötzlich auftauchende, riesige Geldsumme zwingt ihn zurück in die Arme seiner anstrengenden Pariser Familie. Es sind Filme wie dieser, die beweisen, dass es durchaus so etwas wie einen "jüdischen Film" gibt – auch, wenn sich jüdische Filmemacher darüber streiten, was das eigentlich bedeutet. Für Festivalleiterin Galliner ist ein Film jüdisch, wenn sie in ihm etwas wiedererkenne. "Das hat nichts damit zu tun, ob der Regisseur oder die Darsteller jüdisch sind, sondern damit, wie mit dem Thema umgegangen wird", sagt sie.
Mit dem Rücken zur Wand
Nicola Galliner, Leiterin des Jüdischen Filmfestivals Berlin & Potsdam
Mit seinen fast 30 Beiträgen zeigt das Festival so ein facettenreiches Panoptikum des aktuellen jüdischen Films – und bietet nebenbei noch die Chance, zahlreiche spannende Gäste kennenzulernen. Entsprechend hofft Leiterin Galliner, dass es zu faszinierenden Begegnungen kommt und das Publikum bereichert nach Hause gehe. Wie es im kommenden Jahr weitergehe, sei allerdings noch nicht abzusehen. "Ich stehe mit dem Rücken zur Wand und finde es einfach nur enttäuschend und erbärmlich, was wir für eine Reaktion auf unsere Förderanträge bekommen", klagt Galliner. Sie könne sich die Schwierigkeiten nur mit mangelndem Interesse erklären: "Das Thema ist für viele Menschen anscheinend vorbei."
Alice Lanzke
"Mehr Juden ins Kino": 18. Jüdisches Filmfestival Berlin & Potsdam | rbb Rundfunk Berlin-Brandenburg
Willkommen - 18. Jüdisches Filmfestival Berlin & Potsdam
Von der intimen Dokumentation bis zum absurden Familienporträt: Auch in seiner 18. Ausgabe zeigt das Jüdische Filmfestival Berlin & Potsdam wieder die zahlreichen Facetten des aktuellen jüdischen Films. Doch die renommierte Veranstaltung steht finanziell mit dem Rücken zur Wand.
Wer dieser Tage durch Berlin oder Potsdam fährt, dem begegnet an vielen Orten ein auffälliges Plakat. Auf tiefschwarzem Grund knallt einem in grellem Gelb die Botschaft entgegen "Mehr Juden ins Kino" - der provokante Claim des diesjährigen Jüdischen Filmfestivals Berlin & Potsdam. Die einprägsamen Poster wurden von dem israelischen Künstler und Fotografen Daniel Josefsohn gestaltet, der für seinen ausgesprochenen jüdischen Humor bekannt ist. "Mehr Juden ins Kino": Das sei durchaus wörtlich zu nehmen, so Festivalleiterin Nicola Galliner. Seit seinen Anfängen sei es dem Festival darum gegangen, jüdische Filme, Filmemacher und Themen zurück in die deutsche Filmlandschaft zu bringen und so eine Lücke zu schließen, die der Holocaust hinterlassen habe. "Zudem kann man über das Medium Film den Menschen ganz anders begegnen und Themen besonders vermitteln", führt Galliner aus.
Doch die markante Plakatkampagne hat noch einen weiteren Hintergrund: Das dunkle Schwarz, so Galliner, stehe auch symbolisch für ihre verzweifelten Bemühungen, das Festival weiterhin auf die Beine stellen zu können. Obwohl das Filmfest mittlerweile bereits zum 18. Mal stattfindet und sich in dieser Zeit bundesweites Renommee erarbeitet hat, ist eine feste Finanzierung nicht in Sicht - im Gegenteil: "Wir fühlen uns teilweise nicht ernst genommen, sondern als würden wir als Anfänger gesehen", so Nicola Galliner. Jedes Jahr gebe es ein neues Hickhack um die Finanzierung. Galliner betont: "Das Schwarz der Kampagne soll ausdrücken, dass wir jedes Jahr wieder am Anfang stehen."
Knapp 30 Filme in zwei Wochen
Dabei hat sich das Jüdische Filmfestival Berlin & Potsdam längst als feste Größe etabliert: "Dass es in Deutschland immer mehr jüdische Filmfestivals gibt, hat sicher auch mit uns zu tun", glaubt Galliner. Immer mehr Filme würden eingereicht, Jahr für Jahr kämen mehr Zuschauer, die Zahl der Spielstätten würde ausgeweitet. So findet das Festival dieses Mal gleich in sechs Kinos in der Region statt und ist einen Tag länger. Als Förderer konnten schlussendlich die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin, das Land Brandenburg, sowie zu kleinen Teilen auch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, das Medienboard Berlin-Brandenburg und der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien gewonnen werden.
Neu ist der Name des Filmfest, das in diesem Jahr erstmals als Jüdisches Filmfestival Berlin & Potsdam stattfindet. Den englischen Titel habe man aufgegeben, da weltweit so viele "Jewish Film Festivals" existierten, so Galliner. Zudem hätten viele Besucher wegen des internationalen Namens gedacht, es würden nur israelische Filme gezeigt.
Doch unter den knapp 30 Filmen, die in diesem Jahr aufgeführt werden, befinden sich allein zwölf deutsche Produktionen bzw. Koproduktionen, dazu Werke aus Israel, den USA, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden. Viele davon feiern bei dem Festival ihre Premiere. Die Auswahl der Filme sei nicht leicht gefallen, erklärt Nicola Galliner: "Das ist jedes Mal ein schmerzhafter Prozess, aber wir können eben kein dreiwöchiges Festival stemmen."
Dokumentationen über faszinierende Einzelschicksal
Filmstill aus "How to re-establish a Vodka empire"
Wie ein roter Faden zieht sich dabei die Darstellung von Einzelschicksalen durch das Programm, sei es nun in den Dokumentationen oder in den Spielfilmen. In diese Reihe gehört schon der Eröffnungsfilm "Max Raabe in Israel", der bei der Gala am 4. Juni im Potsdamer Hans Otto Theater seine Weltpremiere feiert. Die Dokumentation begleitet den Musiker bei seiner ersten Israel-Tour 2010 – diese Konzerte bezeichnete Raabe selbst als seine wichtigsten Auslandsauftritte. Der Film zeigt sehr sensibel und intim zum einen die Sicht des Musikers, zum anderen die Reaktionen des Publikums: junge Menschen, die die Lieder der 1920er Jahre zum ersten Mal hören, aber auch ältere Besucher, deren Liebe zur Musik die Flucht aus Deutschland überdauert hat. Für Nicola Galliner ist "Max Raabe in Israel", produziert von Sönke Wortmann, schon jetzt einer der Festivalhöhepunkte, zumal der Entertainer zusammen mit dem Palastorchester bei der Premiere auftreten werde. Zwei andere prominente Gäste werden die Schauspieler Meret Becker und Richy Müller sein, die die Patenschaft für das Festival übernommen haben.
Ein weiteres Highlight unter den Dokumentationen ist das Bio-Pic "Mendelsohn’s Incessant Visions", das den Architekten Erich Mendelsohn zeigt. Von ihm stammen Bauklassiker wie das Gebäude der Schaubühne am Kurfürstendamm, vormals Universum-Kino, oder der Einstein-Turm in Potsdam. In dem Film werden allerdings nicht nur Mendelsohns architektonische Leistungen gewürdigt, sondern auch sein bewegtes und überraschend modernes Privatleben beleuchtet. Bei zwei der Aufführungen des Films ist zudem Regisseur Duki Dror dabei. Nicht minder spannend klingt das Thema der britischen Doku "How to re-establish a Vodka empire": Darin erfährt der in London lebende Dan Edelstyn durch die Memoiren seine jüdisch-ukrainischen Großmutter, dass der Familie einst eine Wodka-Fabrik gehörte. Edelstyn besucht die Fabrik – und versucht das Unternehmen zu retten. Für Nicola Galliner ein faszinierender Film, den man außerhalb des Festivals in Deutschland wahrscheinlich nicht nochmal zu Gesicht bekommen würde.
Absurde Familiengeschichten im Fokus der Spielfilme
Doch auch unter den gezeigten Spielfilmen finden sich zahlreiche Höhepunkte – nicht zuletzt der Oscar-nominierte Streifen "Footnote" des israelischen Regisseurs Joseph Cedar: Darin geht es um die Rivalität zweier Talmud-Professoren, die ganz nebenbei auch noch Vater und Sohn sind. Ironisch, streckenweise absurd aber auch dramatisch zeichnet Cedar, der selbst Gast des Festivals sein wird, den Familienkonflikt zwischen altem Patriarchen und aufstrebendem Wissenschaftsshootingstar nach.
Ebenfalls sehenswert verspricht die französische Komödie "Let my people go" von Mikael Buch zu werden. Darin geht es um den jungen Franzosen Ruben, der vor seiner besitzergreifenden jüdischen Familie nach Finnland geflohen ist, wo er als Postbote arbeitet. Doch eine plötzlich auftauchende, riesige Geldsumme zwingt ihn zurück in die Arme seiner anstrengenden Pariser Familie. Es sind Filme wie dieser, die beweisen, dass es durchaus so etwas wie einen "jüdischen Film" gibt – auch, wenn sich jüdische Filmemacher darüber streiten, was das eigentlich bedeutet. Für Festivalleiterin Galliner ist ein Film jüdisch, wenn sie in ihm etwas wiedererkenne. "Das hat nichts damit zu tun, ob der Regisseur oder die Darsteller jüdisch sind, sondern damit, wie mit dem Thema umgegangen wird", sagt sie.
Mit dem Rücken zur Wand
Nicola Galliner, Leiterin des Jüdischen Filmfestivals Berlin & Potsdam
Mit seinen fast 30 Beiträgen zeigt das Festival so ein facettenreiches Panoptikum des aktuellen jüdischen Films – und bietet nebenbei noch die Chance, zahlreiche spannende Gäste kennenzulernen. Entsprechend hofft Leiterin Galliner, dass es zu faszinierenden Begegnungen kommt und das Publikum bereichert nach Hause gehe. Wie es im kommenden Jahr weitergehe, sei allerdings noch nicht abzusehen. "Ich stehe mit dem Rücken zur Wand und finde es einfach nur enttäuschend und erbärmlich, was wir für eine Reaktion auf unsere Förderanträge bekommen", klagt Galliner. Sie könne sich die Schwierigkeiten nur mit mangelndem Interesse erklären: "Das Thema ist für viele Menschen anscheinend vorbei."
Alice Lanzke
"Mehr Juden ins Kino": 18. Jüdisches Filmfestival Berlin & Potsdam | rbb Rundfunk Berlin-Brandenburg
Willkommen - 18. Jüdisches Filmfestival Berlin & Potsdam