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SERBIEN Seite 103
Chronik der Nacht
Immer neue Memoiren drängen in die Bestsellerlisten - Autoren sind ehemalige Generäle, Geheimdienstler und flüchtige Kriegsverbrecher.
Der Mann wirkte selten wie ein Charismatiker. Auf Sitzungen bohrte er manchmal stundenlang mit dem Bleistift in seinen Ohren oder biss sich die Fingernägel wund.
Viel dynamischer kam der Rest der Familie daher: Seine Ehefrau, krankhaft eifersüchtig, nahm meist an nächtlichen Krisensitzungen teil, lieferte sich mit Kontrahentinnen Handtaschen-Schlachten und orderte auf Staatskosten einen Mercedes mit Fernseher und Bar. Minister wurden mitunter durch die Tochter ernannt, und der Sohn bereitete sich bereits auf die Rolle als Kronprinz einer neuen Familiendynastie vor.
Das schöne Sittengemälde stammt von Biljana Plavsic, der einstigen Präsidentin der bosnischen Republika Srpska, die derzeit in Schweden eine elfjährige Haftstrafe als Kriegsverbrecherin absitzt: Es geht um ihren Amtsvorgänger und einstigen Verbündeten Radovan Karadzic. Enthalten sind die Sottisen in einem jüngst erschienenen Buch. Sein Titel: "Ich lege Zeugnis ab".
Plavsic lässt keinen Zweifel aufkommen, dass der seit 1995 vom Haager Tribunal wegen Kriegsverbrechen gesuchte Serbenführer kein Held, sondern ein Krimineller war: ein ehemaliger Mitarbeiter des gefürchteten jugoslawischen UDBA-Geheim- diensts, der während des Bosnien-Kriegs und selbst noch danach als Präsident der Republika Srpska Gegner in den eigenen Reihen kaltblütig liquidieren ließ (Plavsic: "Auch mir drohte er mit Mord").
Nicht genug damit. Karadzic habe Millionen von Hilfsgeldern und Spenden veruntreut und sogar während des Kriegs Waffen an den Gegner, die Armee des muslimischen Bosniers Alija Izetbegovic verkauft, weiß die Autorin in ihren Erinnerungen zu berichten.
Biljana Plavsic ist nicht die Einzige, die mit ihren späten Enthüllungen eine schockierte Öffentlichkeit vor ganz entscheidende Fragen stellt: ob die Hunderttausenden von Toten während der jugoslawischen Erbfolgekriege Opfer eines ethnischen Konflikts wurden, des serbischen Größenwahns oder einer machtgierigen Polit-Mafia.
In den Auslagen der Buchläden stapeln sich seit Kriegsende Memoiren von Politikern, Generälen oder Geheimdienstmitarbeitern, die sich nun zu Literaten berufen fühlen. Es ist ein Sammelsurium meist schlecht getarnter Rechtfertigungen oder direkter Gegendarstellungen zu den Vorwürfen der Haager Ermittler.
Auch Plavsic' früherer Vertrauter Karadzic, seit 1996 erfolgreich auf der Flucht, präsentiert sich dem Volk als Romancier. "Die wundersame Chronik der Nacht" ist schon das siebte Werk des schreibenden Psychiaters, allerdings sein erster Roman. Held der Geschichte, die auf überaus rätselhafte Weise ihren Weg zum Verleger fand, ist ein in Sarajevo lebender Ingenieur, dem Unrecht widerfährt und der der Zerstörung all dessen zusehen muss, wofür er einst gekämpft hat. Karadzic' quasi autobiografisches Stück war in der engeren Wahl für Serbiens wichtigsten Literaturpreis.
War Karadzic Chefarchitekt der ethnischen Säuberungen in Bosnien, so agierte Milorad Ulemek als einer der wichtigsten Exekutoren von Serben-Präsident Slobodan Milosevic. Auch er hat einen Roman verfasst, mit dem martialischen Titel "Eiserner Schützengraben". Ulemek lässt seinen Buchhelden über die Weitsicht von Milosevic philosophieren, der in der Nato-Offensive gegenüber Belgrad rechtzeitig eine Verschwörung des "deutschen Blocks" erkannt habe - die Deutschen könnten einfach die Lektion nicht vergessen, die ihnen Serbien im Zweiten Weltkrieg erteilt habe.
Literaturneuling Ulemek ist auch unter dem Namen Lukovic bekannt und als "Legija" (der Legionär). Er sitzt gegenwärtig im Knast - als Hauptverdächtiger im Prozess um den Mord am prowestlichen Serben-Premier Zoran Djindjic. Sein Buch, das die platten Propagandaparolen seiner ehemaligen Vorgesetzten eins zu eins wiedergibt, wurde bereits mehr als 70 000-mal verkauft. Das ist für Serbien ein Absatzrekord.
Die Gräuel der ethnischen Kriege werden, natürlich, von den meisten Literaten ausgespart.
Mit besonderer Blauäugigkeit beschreibt Frau Plavsic, während des Bosnien-Kriegs von der eigenen Bevölkerung die "eiserne Lady" genannt, ihre Unschuld: In politische Entscheidungen habe man sie oft nicht eingeweiht, ihre Unterschriften seien häufig gefälscht gewesen. Dass auch Serben Folterlager für Muslime und Kroaten unterhielten, hätte sie nie für möglich gehalten.
Kein Wort fällt über die Massaker von Srebrenica. Als sie im April 1992 "erstmals" den Namen Arkan hörte, habe sie dahinter den Namen eines kleinen Dorfes bei Bijeljina vermutet - und dies, obwohl der brutale Freischärlerboss für Milosevic bereits seit einem halben Jahr in Kroatien mordete und plünderte.
Ihre eigene Schuld, die sie vor dem Tribunal in Den Haag eingestand, bleibt in diesem Kontext höchst marginal. Sie bestehe, so die Autorin heute, lediglich darin, dass sie vier Kriegsjahre nichts von alledem wusste, was sie nun auf 347 Seiten im Detail beschreibt. RENATE FLOTTAU
Seite 103 Spiegel 6/2005
Chronik der Nacht
Immer neue Memoiren drängen in die Bestsellerlisten - Autoren sind ehemalige Generäle, Geheimdienstler und flüchtige Kriegsverbrecher.
Der Mann wirkte selten wie ein Charismatiker. Auf Sitzungen bohrte er manchmal stundenlang mit dem Bleistift in seinen Ohren oder biss sich die Fingernägel wund.
Viel dynamischer kam der Rest der Familie daher: Seine Ehefrau, krankhaft eifersüchtig, nahm meist an nächtlichen Krisensitzungen teil, lieferte sich mit Kontrahentinnen Handtaschen-Schlachten und orderte auf Staatskosten einen Mercedes mit Fernseher und Bar. Minister wurden mitunter durch die Tochter ernannt, und der Sohn bereitete sich bereits auf die Rolle als Kronprinz einer neuen Familiendynastie vor.
Das schöne Sittengemälde stammt von Biljana Plavsic, der einstigen Präsidentin der bosnischen Republika Srpska, die derzeit in Schweden eine elfjährige Haftstrafe als Kriegsverbrecherin absitzt: Es geht um ihren Amtsvorgänger und einstigen Verbündeten Radovan Karadzic. Enthalten sind die Sottisen in einem jüngst erschienenen Buch. Sein Titel: "Ich lege Zeugnis ab".
Plavsic lässt keinen Zweifel aufkommen, dass der seit 1995 vom Haager Tribunal wegen Kriegsverbrechen gesuchte Serbenführer kein Held, sondern ein Krimineller war: ein ehemaliger Mitarbeiter des gefürchteten jugoslawischen UDBA-Geheim- diensts, der während des Bosnien-Kriegs und selbst noch danach als Präsident der Republika Srpska Gegner in den eigenen Reihen kaltblütig liquidieren ließ (Plavsic: "Auch mir drohte er mit Mord").
Nicht genug damit. Karadzic habe Millionen von Hilfsgeldern und Spenden veruntreut und sogar während des Kriegs Waffen an den Gegner, die Armee des muslimischen Bosniers Alija Izetbegovic verkauft, weiß die Autorin in ihren Erinnerungen zu berichten.
Biljana Plavsic ist nicht die Einzige, die mit ihren späten Enthüllungen eine schockierte Öffentlichkeit vor ganz entscheidende Fragen stellt: ob die Hunderttausenden von Toten während der jugoslawischen Erbfolgekriege Opfer eines ethnischen Konflikts wurden, des serbischen Größenwahns oder einer machtgierigen Polit-Mafia.
In den Auslagen der Buchläden stapeln sich seit Kriegsende Memoiren von Politikern, Generälen oder Geheimdienstmitarbeitern, die sich nun zu Literaten berufen fühlen. Es ist ein Sammelsurium meist schlecht getarnter Rechtfertigungen oder direkter Gegendarstellungen zu den Vorwürfen der Haager Ermittler.
Auch Plavsic' früherer Vertrauter Karadzic, seit 1996 erfolgreich auf der Flucht, präsentiert sich dem Volk als Romancier. "Die wundersame Chronik der Nacht" ist schon das siebte Werk des schreibenden Psychiaters, allerdings sein erster Roman. Held der Geschichte, die auf überaus rätselhafte Weise ihren Weg zum Verleger fand, ist ein in Sarajevo lebender Ingenieur, dem Unrecht widerfährt und der der Zerstörung all dessen zusehen muss, wofür er einst gekämpft hat. Karadzic' quasi autobiografisches Stück war in der engeren Wahl für Serbiens wichtigsten Literaturpreis.
War Karadzic Chefarchitekt der ethnischen Säuberungen in Bosnien, so agierte Milorad Ulemek als einer der wichtigsten Exekutoren von Serben-Präsident Slobodan Milosevic. Auch er hat einen Roman verfasst, mit dem martialischen Titel "Eiserner Schützengraben". Ulemek lässt seinen Buchhelden über die Weitsicht von Milosevic philosophieren, der in der Nato-Offensive gegenüber Belgrad rechtzeitig eine Verschwörung des "deutschen Blocks" erkannt habe - die Deutschen könnten einfach die Lektion nicht vergessen, die ihnen Serbien im Zweiten Weltkrieg erteilt habe.
Literaturneuling Ulemek ist auch unter dem Namen Lukovic bekannt und als "Legija" (der Legionär). Er sitzt gegenwärtig im Knast - als Hauptverdächtiger im Prozess um den Mord am prowestlichen Serben-Premier Zoran Djindjic. Sein Buch, das die platten Propagandaparolen seiner ehemaligen Vorgesetzten eins zu eins wiedergibt, wurde bereits mehr als 70 000-mal verkauft. Das ist für Serbien ein Absatzrekord.
Die Gräuel der ethnischen Kriege werden, natürlich, von den meisten Literaten ausgespart.
Mit besonderer Blauäugigkeit beschreibt Frau Plavsic, während des Bosnien-Kriegs von der eigenen Bevölkerung die "eiserne Lady" genannt, ihre Unschuld: In politische Entscheidungen habe man sie oft nicht eingeweiht, ihre Unterschriften seien häufig gefälscht gewesen. Dass auch Serben Folterlager für Muslime und Kroaten unterhielten, hätte sie nie für möglich gehalten.
Kein Wort fällt über die Massaker von Srebrenica. Als sie im April 1992 "erstmals" den Namen Arkan hörte, habe sie dahinter den Namen eines kleinen Dorfes bei Bijeljina vermutet - und dies, obwohl der brutale Freischärlerboss für Milosevic bereits seit einem halben Jahr in Kroatien mordete und plünderte.
Ihre eigene Schuld, die sie vor dem Tribunal in Den Haag eingestand, bleibt in diesem Kontext höchst marginal. Sie bestehe, so die Autorin heute, lediglich darin, dass sie vier Kriegsjahre nichts von alledem wusste, was sie nun auf 347 Seiten im Detail beschreibt. RENATE FLOTTAU
Seite 103 Spiegel 6/2005