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Minen, Milch und Menschlichkeit

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Shpresa

Guest
[h2]Minen, Milch und Menschlichkeit[/h2]
[h3] Rolf Sieling als ′Landwirt in Uniform′ berichtet von seinem erneuten Kosovo-Einsatz [/h3]
04.02.2009 · HOLTORF/PRIZREN (kra) Er nennt es ein kalkulierbares Risiko. Und er meint damit Aufenthalte in eigentlich wunderschön gelegener Gebirgslandschaft mit Wiesencharakter noch in 2000 Metern Höhe, eine Region, die ihre Gefahren birgt. "Gerade die Grenzen zu Mazedonien und Albanien sind im Krieg stark vermint worden," sagt Rolf Sieling, 43, "und die Minenlage ist weiterhin unklar." Genau dorthin wird er wieder aufbrechen - als "Landwirt in Uniform".

Im April ist er bereits zum vierten Mal im Kosovo. Der Agraringenieur aus Holtorf arbeitet für die Schutztruppe Kfor, im Sommer soll der Oberleutnant der Reserve im Rahmen der zivilmilitärischen Zusammenarbeit (Cimic) die Bauern im deutschen Verantwortungsbereich aus- und weiterbilden.
Er trifft auf denkwürdige Verhältnisse. Obwohl das Kosovo über gute, tiefgründige Lehmböden verfügt, obwohl dieser Krisenherd zu Titos Zeiten im sozialistischen Jugoslawien sogar mit Bewässerungsanlagen verwöhnt worden war, obwohl also die Landwirtschaft die führende Branche im Lande sein müsste, vielleicht sogar so etwas wie ein Export-Motor, findet Sieling ganz andere Entwicklungen vor. "Nein," sagt er, und lehnt sich zuhause in seinem Esszimmerstuhl weit zurück, "es reicht dort längst nicht für die Eigenversorgung, das Kosovo muss einen Großteil Nahrungsmittel importieren. Und die Preise liegen dann 30 Prozent über dem Durchschnitt in Deutschland."

Seine Mission also: Den Landwirten in dieser vergessenen Ecke des Balkan Wege zu mehr Effektivität aufzeigen. Der Oberleutnant bildet dazu ein Team, das aus insgesamt drei Landwirten besteht, zuletzt mit einem Unteroffizier aus Bad Tölz und einem Hauptgefreiten aus Magdeburg. Getreu dem Motto "Beratung ist effektiver als Zuschüsse" vermittelt das Trio westeuropäisches Agrarwissen.

Das Beispiel Kühe. "Zuerst haben die Tiere 3000 Liter Milch pro Jahr gegeben, mit verbesserter Fütterung waren es schnell 7000 Liter." Sogar eine simple Rapspresse, gestiftet von einem deutschen Unternehmen, hat der Nebenerwerbs-Landwirt aus Holtorf gemeinsam mit dem Landvolk vom Balkan in Betrieb genommen. Angenehmer Nebeneffekt: Das Gerät produziert nicht nur Kraftfutter fürs Rindvieh, es beschert den Betrieben auch noch Öl und Schmiermittel für die Maschinen. "Die größte Not wird auf diese Weise gelindert," sagt Rolf Sieling. Ganz abgestellt ist sie nicht. Und das liegt am System. "Meist leben auf den Höfen Großfamilien in mehreren Häusern. Einer aus der Familie ist dann für die Landwirtschaft verantwortlich. Die bewirtschaftete Fläche reicht häufig nicht über drei, vier Hektar hinaus, selbst wenn alle mithelfen, und das ist Ehrensache, genügt der Ertrag nicht zum Auskommen." Manch einer versuche es mit Direktvermarktung, aber das machen alle, und schließlich breche der Preis zusammen. "Die ganze Situation erinnert schon sehr an die Landwirtschaft der beginnenden 50er Jahre in Deutschland."


Der größte Teil der Beratung sind Seminare. "Ich habe diese Kurse selbst abgehalten, inzwischen haben wir aber auch örtliche Berater ausgebildet." 80 bis 100 Teilnehmer pflegen sich dann zu versammeln. Aber wie das so sei mit Neuerungen, zumal in erzkonservativen Ecken wie dem Kosovo: Alles dauere seine Zeit. "30 Prozent der Landwirte nehmen die Ideen auf, 50 Prozent warten ab, schauen sich alles an und entscheiden dann, 20 Prozent nehmen gar nichts an."
Schwierig sei manches Mal, Vertrauen zu der Bevölkerung aufzubauen. Sieling erinnert sich beispielsweise an zwei Bauernfamilien, die eigentlich zur Schar der Aufgeschlossenen gehörten, und ihm nach vielen Wochen erst offenbarten, dass sie in Blutfehde leben. Trotzdem freue er sich auf die Menschen, die er im Kosovo kennen und schätzen gelernt habe. Wie auf jenen Bullenmäster, der ihm beim zurückliegenden Einsatz stolz berichtet habe, dass er den Weizenertrag pro Hektar auf 60 Doppelzentner gesteigert habe. Oder auf die Bergbauern, die ihr Grünland besser nutzen und ihrem Vieh auch im Winter hochwertiges Futter anbieten können.
 
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