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Mutter Abdullahs
Von Matthias Gebauer, Sven Röbel und Holger Stark
Eine deutsche Muslimin aus Berlin soll einen Selbstmordanschlag im Ausland geplant haben. Ermittler warnen vor der Gefahr, die von Konvertiten ausgehen kann.
Die E-Mail an die "lieben Brüder und Schwestern", verschickt im Morgengrauen des 9. April, war in jener blumigen, zweideutigen Dschihad-Prosa verfasst, die typisch ist für islamistische Internet-Seiten: "Ich bekomme jetzt eine großartige Möglichkeit mit meinem Baby, natürlich habe ich ein bisschen Angst um mein Kind", schrieb die Autorin, die sich selbst als "Mutter Abdullahs" bezeichnete, um 5 Uhr 32. "Deshalb will ich euch bitten, für mich und mein Baby zu beten, dass Allah, der Gepriesene, uns für das Paradies akzeptieren wird."
Der Weg ins vermeintliche Paradies endete jedoch für die Berlinerin Sonja B., 39, offenbar bereits, bevor sie ihn antreten konnte: Wie erst jetzt bekannt wurde, durchsuchten Beamte des Landeskriminalamts in den Nachmittagsstunden des 23. April die Zwei-Zimmer-Wohnung der alleinerziehenden Mutter, die nach Überzeugung der Ermittler die Urheberin der Netzbotschaften ist. Während die mit zwei Sprengstoffhunden angerückten Staatsschützer die Fliesen im Badezimmer ihrer Wohnung im Bezirk Neukölln aufstemmten, brachten Zivilbeamte die junge Mutter im Rettungswagen in eine Klinik, wo sie von Psychologen betreut wurde. Sonja B.s zweijähriger Sohn ist inzwischen in der Obhut des Jugendamts.
Deutsch, gläubig, jung, sucht und auf der Suche nach einem direkten Weg zu Allah - diese Mischung ist der Alptraum der Sicherheitsbehörden. Die Ermittler vermuten, dass die zum Islam konvertierte Deutsche in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet reisen wollte, um sich dort als Märtyrerin im Kampf gegen die Ungläubigen zu opfern. Auch der Irak gilt den Fahndern als mögliches Ziel. Weil aber weder die Ankündigung eines Selbstmords noch die Ausreise in eine Krisenregion strafbar ist, ließen die Polizisten die Frau nach mehreren Tagen wieder laufen.
Frauen wie Sonja B. schlüpfen leicht durch das Raster deutscher Staatsschützer, weil sie keinem gängigen Muster entsprechen. Sie fallen in den Moscheen nicht auf,
wo meist Männer die großen Reden halten; sie können unbehelligt reisen, weil sie einen deutschen Pass besitzen. Nur wenn sie einen Fehler machen, wenn sie sich im Internet oder anderswo so verdächtig outen, wie Sonja B. es offenbar tat, gibt es eine reelle Chance, Schlimmeres zu verhindern.
Sicher ist, dass die gebürtige Hannoveranerin, die sich sogar für den Personalausweis mit Kopftuch ablichten ließ, eingebunden war in ein Umfeld, das sie in ihrem Glauben bestärkte. Von einem "Schwestern-Netzwerk" sprechen Staatsschützer, einem Verbund zum Islam konvertierter deutscher Frauen, die meist über ihre Ehemänner radikalisiert wurden und dann oft nicht minder kompromisslos als die Gatten für den Dschihad eintreten. "Konvertiten spielen eine immer wichtigere Rolle im militanten Islamismus", sagt der Berliner Politikwissenschaftler Guido Steinberg. "Das ist ein Trend, auf den wir uns einstellen müssen."
Dass es von der bekundeten Sehnsucht nach dem Paradies zu tödlichen Taten mitunter nur ein paar Schritte sind, zeigt der Fall von Muriel Degauque, 38: Die Belgierin starb Anfang November in der irakischen Stadt Baakuba, als sie in der Nähe einer US-Patrouille einen Sprengsatz zündete, den sie unter ihrem Tschador versteckt hatte.
Ähnlich wie bei Sonja B. verlief das Leben der Tochter eines Kranführers und einer Putzfrau aus der belgischen Kleinstadt Charleroi eher unspektakulär. Erst nach der Heirat mit einem gebürtigen Marokkaner wurde sie zusehends radikaler.
"Kamikaze belge" nennen die Zeitungen die Konvertitin seit ihrem Tod. Ihre Biografie ist bis ins Detail analysiert worden. "Es sind Leute, die gegen eine Gesellschaft rebellieren, zu der sie sich nicht zugehörig fühlen", sagt der zuständige belgische Polizist Alain Grignard hilflos.
Eine Erklärung für die Motive, warum Konvertitinnen aus Europa in der Ferne sterben wollen, hat auch im Fall Sonja B. niemand. Tagelang behandelten Ärzte die Neuköllnerin nach ihren Vernehmungen psychiatrisch, erst stationär, dann ambulant. Von einer "labilen Psyche" und Verfolgungswahn ist die Rede. Aber wer sie so radikalisiert haben könnte, dass sie womöglich bereit war, nicht nur ihr eigenes Leben zu opfern, sondern sogar das ihres Kindes, diese Frage haben auch die Ärzte nicht beantworten können.
Nachbarn in Neukölln jedenfalls sprechen von einer "sehr netten, sehr freundlichen" jungen Mutter mit Prinzipien. An ihrer Wohnungstür im ersten Stock einer Fünfziger-Jahre-Mietskaserne hängt ein computergedrucktes Schild "Bitte Schuhe ausziehen" und am Briefkasten die Mahnung
"Müll vermeiden" mit drei Ausrufungszeichen dahinter. Die Vorhänge im dunklen Grün des Islam lassen keinen Blick ins Innere zu, aber ab und an schallten Gebetssuren nach draußen. Bei ihrem Einzug hatte ein in ein langes weißes Gewand gekleideter Mann die Möbel getragen. Ihren Sohn schob die Sozialhilfeempfängerin in einem dunkelblauen Buggy durch den Kiez, ein paar Fußminuten weiter bietet eine Moschee mit Leuten aus dem Umfeld palästinensischer Radikaler Gelegenheit zum Gebet.
"Es war, als wollte sie sich oder ihren Sohn vor irgendjemandem verstecken", berichtet eine Bekannte. Bevor Sonja B. Anfang November bei Nacht und Nebel aus dem Ost-Berliner Bezirk Treptow nach Neukölln zog, soll sie Nachbarn von ihrer Angst erzählt haben, jemand könne ihr das Kind wegnehmen.
Welche Rolle die Hamburger al-Nur-Moschee spielte, in der Sonja B. früher gelegentlich verkehrte und welche ihr Mann Abdulrahman Hussein M., von dem sie mittlerweile getrennt lebt, untersuchen die Ermittler derzeit noch. Vielleicht waren es auch erst Freundschaften aus dem Umfeld des internationalen Internet-Forums, in dem sie sich öfter aufhielt, die sie dem Dschihad näherbrachten.
Dort, in den virtuellen Weiten des Netzes, suchte sie offenbar sowohl Kontakte als auch Unterstützung, in einem Kauderwelsch aus Englisch und Arabisch. Am 9. März meldete sich Sonja B. laut Ermittlern unter ihrem Pseudonym "Ummu Abdullah" in dem einschlägig bekannten Forum an, in dem "junge Dschihadisten Tipps und Tricks austauschen", wie Rita Katz von dem auf Terrorismusforschung spezialisierten Site-Institut in Washington sagt. Einem Rechercheur von Site fielen dann schließlich die eindringlichen Bitten auf, sie in Gebeten zu berücksichtigen - "eine eindeutige Ankündigung, fast ein Abschiedsbrief" vor dem Märtyrertod, wie Katz glaubt. Allerdings warnen Ermittler vor Panikmache; in den Chaträumen würden sich keineswegs reihenweise deutsche Konvertitinnen zum Dschihad melden, die "Mutter Abdullahs" sei schon außergewöhnlich weit gegangen.
Als deren Ton Anfang April immer schriller wurde, beschloss die von Site alarmierte deutsche Polizei zuzugreifen - zu groß schien den Staatsschützern das Risiko, dass die Frau in Berlin einfach unter- und in einer der Krisenregionen dieser Welt wieder auftauchen könnte, womöglich wie Muriel Degauque als Märtyrerin.
Sonja B. selbst, die tiefverschleiert wie stets durch Neukölln läuft und sich öffentlich nicht äußern will, räumte einer Vertrauten gegenüber ein, auf islamischen Web-Seiten gechattet zu haben - bestritt aber, einen Selbstmordanschlag vorbereitet zu haben: Sie werde von Polizei und Geheimdiensten zu Unrecht verfolgt.
Quelle:
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,419460,00.html
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Von Matthias Gebauer, Sven Röbel und Holger Stark
Eine deutsche Muslimin aus Berlin soll einen Selbstmordanschlag im Ausland geplant haben. Ermittler warnen vor der Gefahr, die von Konvertiten ausgehen kann.
Die E-Mail an die "lieben Brüder und Schwestern", verschickt im Morgengrauen des 9. April, war in jener blumigen, zweideutigen Dschihad-Prosa verfasst, die typisch ist für islamistische Internet-Seiten: "Ich bekomme jetzt eine großartige Möglichkeit mit meinem Baby, natürlich habe ich ein bisschen Angst um mein Kind", schrieb die Autorin, die sich selbst als "Mutter Abdullahs" bezeichnete, um 5 Uhr 32. "Deshalb will ich euch bitten, für mich und mein Baby zu beten, dass Allah, der Gepriesene, uns für das Paradies akzeptieren wird."
Der Weg ins vermeintliche Paradies endete jedoch für die Berlinerin Sonja B., 39, offenbar bereits, bevor sie ihn antreten konnte: Wie erst jetzt bekannt wurde, durchsuchten Beamte des Landeskriminalamts in den Nachmittagsstunden des 23. April die Zwei-Zimmer-Wohnung der alleinerziehenden Mutter, die nach Überzeugung der Ermittler die Urheberin der Netzbotschaften ist. Während die mit zwei Sprengstoffhunden angerückten Staatsschützer die Fliesen im Badezimmer ihrer Wohnung im Bezirk Neukölln aufstemmten, brachten Zivilbeamte die junge Mutter im Rettungswagen in eine Klinik, wo sie von Psychologen betreut wurde. Sonja B.s zweijähriger Sohn ist inzwischen in der Obhut des Jugendamts.
Deutsch, gläubig, jung, sucht und auf der Suche nach einem direkten Weg zu Allah - diese Mischung ist der Alptraum der Sicherheitsbehörden. Die Ermittler vermuten, dass die zum Islam konvertierte Deutsche in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet reisen wollte, um sich dort als Märtyrerin im Kampf gegen die Ungläubigen zu opfern. Auch der Irak gilt den Fahndern als mögliches Ziel. Weil aber weder die Ankündigung eines Selbstmords noch die Ausreise in eine Krisenregion strafbar ist, ließen die Polizisten die Frau nach mehreren Tagen wieder laufen.
Frauen wie Sonja B. schlüpfen leicht durch das Raster deutscher Staatsschützer, weil sie keinem gängigen Muster entsprechen. Sie fallen in den Moscheen nicht auf,
wo meist Männer die großen Reden halten; sie können unbehelligt reisen, weil sie einen deutschen Pass besitzen. Nur wenn sie einen Fehler machen, wenn sie sich im Internet oder anderswo so verdächtig outen, wie Sonja B. es offenbar tat, gibt es eine reelle Chance, Schlimmeres zu verhindern.
Sicher ist, dass die gebürtige Hannoveranerin, die sich sogar für den Personalausweis mit Kopftuch ablichten ließ, eingebunden war in ein Umfeld, das sie in ihrem Glauben bestärkte. Von einem "Schwestern-Netzwerk" sprechen Staatsschützer, einem Verbund zum Islam konvertierter deutscher Frauen, die meist über ihre Ehemänner radikalisiert wurden und dann oft nicht minder kompromisslos als die Gatten für den Dschihad eintreten. "Konvertiten spielen eine immer wichtigere Rolle im militanten Islamismus", sagt der Berliner Politikwissenschaftler Guido Steinberg. "Das ist ein Trend, auf den wir uns einstellen müssen."
Dass es von der bekundeten Sehnsucht nach dem Paradies zu tödlichen Taten mitunter nur ein paar Schritte sind, zeigt der Fall von Muriel Degauque, 38: Die Belgierin starb Anfang November in der irakischen Stadt Baakuba, als sie in der Nähe einer US-Patrouille einen Sprengsatz zündete, den sie unter ihrem Tschador versteckt hatte.
Ähnlich wie bei Sonja B. verlief das Leben der Tochter eines Kranführers und einer Putzfrau aus der belgischen Kleinstadt Charleroi eher unspektakulär. Erst nach der Heirat mit einem gebürtigen Marokkaner wurde sie zusehends radikaler.
"Kamikaze belge" nennen die Zeitungen die Konvertitin seit ihrem Tod. Ihre Biografie ist bis ins Detail analysiert worden. "Es sind Leute, die gegen eine Gesellschaft rebellieren, zu der sie sich nicht zugehörig fühlen", sagt der zuständige belgische Polizist Alain Grignard hilflos.
Eine Erklärung für die Motive, warum Konvertitinnen aus Europa in der Ferne sterben wollen, hat auch im Fall Sonja B. niemand. Tagelang behandelten Ärzte die Neuköllnerin nach ihren Vernehmungen psychiatrisch, erst stationär, dann ambulant. Von einer "labilen Psyche" und Verfolgungswahn ist die Rede. Aber wer sie so radikalisiert haben könnte, dass sie womöglich bereit war, nicht nur ihr eigenes Leben zu opfern, sondern sogar das ihres Kindes, diese Frage haben auch die Ärzte nicht beantworten können.
Nachbarn in Neukölln jedenfalls sprechen von einer "sehr netten, sehr freundlichen" jungen Mutter mit Prinzipien. An ihrer Wohnungstür im ersten Stock einer Fünfziger-Jahre-Mietskaserne hängt ein computergedrucktes Schild "Bitte Schuhe ausziehen" und am Briefkasten die Mahnung
"Müll vermeiden" mit drei Ausrufungszeichen dahinter. Die Vorhänge im dunklen Grün des Islam lassen keinen Blick ins Innere zu, aber ab und an schallten Gebetssuren nach draußen. Bei ihrem Einzug hatte ein in ein langes weißes Gewand gekleideter Mann die Möbel getragen. Ihren Sohn schob die Sozialhilfeempfängerin in einem dunkelblauen Buggy durch den Kiez, ein paar Fußminuten weiter bietet eine Moschee mit Leuten aus dem Umfeld palästinensischer Radikaler Gelegenheit zum Gebet.
"Es war, als wollte sie sich oder ihren Sohn vor irgendjemandem verstecken", berichtet eine Bekannte. Bevor Sonja B. Anfang November bei Nacht und Nebel aus dem Ost-Berliner Bezirk Treptow nach Neukölln zog, soll sie Nachbarn von ihrer Angst erzählt haben, jemand könne ihr das Kind wegnehmen.
Welche Rolle die Hamburger al-Nur-Moschee spielte, in der Sonja B. früher gelegentlich verkehrte und welche ihr Mann Abdulrahman Hussein M., von dem sie mittlerweile getrennt lebt, untersuchen die Ermittler derzeit noch. Vielleicht waren es auch erst Freundschaften aus dem Umfeld des internationalen Internet-Forums, in dem sie sich öfter aufhielt, die sie dem Dschihad näherbrachten.
Dort, in den virtuellen Weiten des Netzes, suchte sie offenbar sowohl Kontakte als auch Unterstützung, in einem Kauderwelsch aus Englisch und Arabisch. Am 9. März meldete sich Sonja B. laut Ermittlern unter ihrem Pseudonym "Ummu Abdullah" in dem einschlägig bekannten Forum an, in dem "junge Dschihadisten Tipps und Tricks austauschen", wie Rita Katz von dem auf Terrorismusforschung spezialisierten Site-Institut in Washington sagt. Einem Rechercheur von Site fielen dann schließlich die eindringlichen Bitten auf, sie in Gebeten zu berücksichtigen - "eine eindeutige Ankündigung, fast ein Abschiedsbrief" vor dem Märtyrertod, wie Katz glaubt. Allerdings warnen Ermittler vor Panikmache; in den Chaträumen würden sich keineswegs reihenweise deutsche Konvertitinnen zum Dschihad melden, die "Mutter Abdullahs" sei schon außergewöhnlich weit gegangen.
Als deren Ton Anfang April immer schriller wurde, beschloss die von Site alarmierte deutsche Polizei zuzugreifen - zu groß schien den Staatsschützern das Risiko, dass die Frau in Berlin einfach unter- und in einer der Krisenregionen dieser Welt wieder auftauchen könnte, womöglich wie Muriel Degauque als Märtyrerin.
Sonja B. selbst, die tiefverschleiert wie stets durch Neukölln läuft und sich öffentlich nicht äußern will, räumte einer Vertrauten gegenüber ein, auf islamischen Web-Seiten gechattet zu haben - bestritt aber, einen Selbstmordanschlag vorbereitet zu haben: Sie werde von Polizei und Geheimdiensten zu Unrecht verfolgt.
Quelle:
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,419460,00.html
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