Grizzly
Problembär
Die US-Regierung lüftet eines ihrer explosivsten Geheimnisse: Die "Pentagon Papers" zu den Hintergründen des Vietnamkriegs werden komplett freigegeben, 40 Jahre nach ihrem spektakulären Teilabdruck. Die USA feiern das als Akt der Offenheit - gehen aber gegen "Verräter" noch genauso rigoros vor wie damals.
Am kommenden Montag ist es 40 Jahre her, dass die " New York Times" den Inhalt der "Pentagon Papers" erstmals nachdruckte, im Aufmacher vom 13. Juni 1971 (siehe PDF-Dokumente in der Spalte). Fazit der Auswertung damals: Das Weiße Haus hatte lange gewusst, dass der Vietnamkrieg nicht zu gewinnen war, und den Kongress und die Amerikaner belogen.
Es war einer der folgenschwersten Polit-Skandale in der Geschichte der USA - aber er begann nicht in Washington, sondern in Hollywood. Am Crescent Heights Boulevard, Ecke Melrose Avenue, eine damals düstere Ecke. Hier, über einem Blumenladen, befand sich 1969 eine kleine Werbeagentur - und in der stand ein Kopiergerät, das Geschichte machen würde.
Kopierer waren damals rar. Daniel Ellsberg, ein Analyst der kalifornischen Denkfabrik Rand Corporation, brauchte eine Weile, bis er ein Gerät gefunden hatte, das er diskret benutzen konnte. Die Freundin seines Kollegen Anthony Russo besaß besagte Werbeagentur in Hollywood.
Und so nahm dort in den Nachtstunden des 1. Oktober 1969 ein Drama seinen Lauf, das Amerika bis heute bewegt. Ellsberg hatte nämlich Zugang zu einem Top-Secret-Dokument bekommen - dem internen Report des Pentagons über die wahren Hintergründe des Vietnamkriegs. Der vehemente Kriegsgegner wollte das Dokument an die US-Öffentlichkeit bringen.
An jenem späten Abend nahm Ellsberg also die ersten Seiten des Berichts aus dem Bürosafe, steckte sie in seine Aktentasche und wanderte an zwei Rand-Wachmännern vorbei nach draußen. Sie grüßten ihn ahnungslos: "Good night, Dan."
Mit Russos Hilfe warf Ellsberg dann den Kopierer in Hollywood an. Um 5.30 Uhr früh war er fertig, um 8 Uhr kehrte er ins Büro zurück und legte die Seiten wieder in den Safe. Tag für Tag wiederholte er die Prozedur, bis er Tausende Seiten kopiert hatte.
7000 Seiten, ungeschwärzt, die ganze Wahrheit
Am Jahrestag dieser Erstveröffentlichung gibt die US-Regierung jetzt den folgenschweren 7000-Seiten-Bericht in seiner ungeschwärzten Fassung frei. Washington propagiert diesen Schritt als Dienst an der Öffentlichkeit. "Das wird der erste, definitive Einblick in dieses historische Dokument", verspricht das US-Nationalarchiv, das die Publikation betreut. Bislang waren nur knapp zwei Drittel des Gesamtmaterials bekannt, nun sollen auch die letzten 2384 Seiten folgen.
Doch in Wahrheit beschreitet auch die Regierung Obama keine neuen Wege, was die Geheimhaltung von Interna betrifft. Wie damals geht Washington auch heute rigoros gegen Whistleblower vor. Wer Interna an die Öffentlichkeit trägt, muss mit der vollen Härte des Justizapparats rechnen, was zuletzt wieder die WikiLeaks-Affäre demonstriert hat: Der mutmaßliche Informant Bradley Manning, den man durchaus als einen Anverwandten Daniel Ellsbergs bezeichnen kann, sitzt seit Juli 2010 unter härtesten Bedingungen in US-Einzelhaft.
Auf die Ankündigung, dass die Pentagon-Papiere nun vollständig vorgelegt werden sollen, zeigte sich Ellsberg in einer ersten Reaktion wenig beeindruckt. "Es ist absurd", erklärte er. Die späte Aufhebung der Geheimhaltung zeige, wie "peinlich oder sogar belastend" das Innenleben Washingtons sei. Vertuschung diene nicht der nationalen Sicherheit, wie es die Regierenden gerne behaupten, sondern einzig der Polit-Kosmetik.
Die "Pentagon Papers" seien "das am schlechtesten gehütete Geheimnis der Geschichte", witzelt auch die "New York Times": Jetzt solchen Wirbel um ihre vollständige Aufdeckung zu machen, sei, "als öffne man das Scheunentor, nachdem die Pferde längst entlaufen sind".
Trotzdem bergen die Papiere noch Rätsel. So versuchte die Regierung bis zuletzt, elf Worte zu schwärzen. Sie gab schließlich zwar klein bei, verriet jedoch nicht, um welche mysteriösen Worte oder Namen es sich dabei handelt. Auch dürfte ein Vergleich der 1971 veröffentlichten Passagen mit dem unredigierten Text von heute Aufschluss geben, was das Weiße Haus für besonders brisant hielt.
spiegel.de
Am kommenden Montag ist es 40 Jahre her, dass die " New York Times" den Inhalt der "Pentagon Papers" erstmals nachdruckte, im Aufmacher vom 13. Juni 1971 (siehe PDF-Dokumente in der Spalte). Fazit der Auswertung damals: Das Weiße Haus hatte lange gewusst, dass der Vietnamkrieg nicht zu gewinnen war, und den Kongress und die Amerikaner belogen.
Es war einer der folgenschwersten Polit-Skandale in der Geschichte der USA - aber er begann nicht in Washington, sondern in Hollywood. Am Crescent Heights Boulevard, Ecke Melrose Avenue, eine damals düstere Ecke. Hier, über einem Blumenladen, befand sich 1969 eine kleine Werbeagentur - und in der stand ein Kopiergerät, das Geschichte machen würde.
Kopierer waren damals rar. Daniel Ellsberg, ein Analyst der kalifornischen Denkfabrik Rand Corporation, brauchte eine Weile, bis er ein Gerät gefunden hatte, das er diskret benutzen konnte. Die Freundin seines Kollegen Anthony Russo besaß besagte Werbeagentur in Hollywood.
Und so nahm dort in den Nachtstunden des 1. Oktober 1969 ein Drama seinen Lauf, das Amerika bis heute bewegt. Ellsberg hatte nämlich Zugang zu einem Top-Secret-Dokument bekommen - dem internen Report des Pentagons über die wahren Hintergründe des Vietnamkriegs. Der vehemente Kriegsgegner wollte das Dokument an die US-Öffentlichkeit bringen.
An jenem späten Abend nahm Ellsberg also die ersten Seiten des Berichts aus dem Bürosafe, steckte sie in seine Aktentasche und wanderte an zwei Rand-Wachmännern vorbei nach draußen. Sie grüßten ihn ahnungslos: "Good night, Dan."
Mit Russos Hilfe warf Ellsberg dann den Kopierer in Hollywood an. Um 5.30 Uhr früh war er fertig, um 8 Uhr kehrte er ins Büro zurück und legte die Seiten wieder in den Safe. Tag für Tag wiederholte er die Prozedur, bis er Tausende Seiten kopiert hatte.
7000 Seiten, ungeschwärzt, die ganze Wahrheit
Am Jahrestag dieser Erstveröffentlichung gibt die US-Regierung jetzt den folgenschweren 7000-Seiten-Bericht in seiner ungeschwärzten Fassung frei. Washington propagiert diesen Schritt als Dienst an der Öffentlichkeit. "Das wird der erste, definitive Einblick in dieses historische Dokument", verspricht das US-Nationalarchiv, das die Publikation betreut. Bislang waren nur knapp zwei Drittel des Gesamtmaterials bekannt, nun sollen auch die letzten 2384 Seiten folgen.
Doch in Wahrheit beschreitet auch die Regierung Obama keine neuen Wege, was die Geheimhaltung von Interna betrifft. Wie damals geht Washington auch heute rigoros gegen Whistleblower vor. Wer Interna an die Öffentlichkeit trägt, muss mit der vollen Härte des Justizapparats rechnen, was zuletzt wieder die WikiLeaks-Affäre demonstriert hat: Der mutmaßliche Informant Bradley Manning, den man durchaus als einen Anverwandten Daniel Ellsbergs bezeichnen kann, sitzt seit Juli 2010 unter härtesten Bedingungen in US-Einzelhaft.
Auf die Ankündigung, dass die Pentagon-Papiere nun vollständig vorgelegt werden sollen, zeigte sich Ellsberg in einer ersten Reaktion wenig beeindruckt. "Es ist absurd", erklärte er. Die späte Aufhebung der Geheimhaltung zeige, wie "peinlich oder sogar belastend" das Innenleben Washingtons sei. Vertuschung diene nicht der nationalen Sicherheit, wie es die Regierenden gerne behaupten, sondern einzig der Polit-Kosmetik.
Die "Pentagon Papers" seien "das am schlechtesten gehütete Geheimnis der Geschichte", witzelt auch die "New York Times": Jetzt solchen Wirbel um ihre vollständige Aufdeckung zu machen, sei, "als öffne man das Scheunentor, nachdem die Pferde längst entlaufen sind".
Trotzdem bergen die Papiere noch Rätsel. So versuchte die Regierung bis zuletzt, elf Worte zu schwärzen. Sie gab schließlich zwar klein bei, verriet jedoch nicht, um welche mysteriösen Worte oder Namen es sich dabei handelt. Auch dürfte ein Vergleich der 1971 veröffentlichten Passagen mit dem unredigierten Text von heute Aufschluss geben, was das Weiße Haus für besonders brisant hielt.
spiegel.de