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Serben und Albaner haben die kosovarische Bergbaustadt Mitrovica faktisch geteilt. Von einer gemeinsamen Zukunft spricht niemand, beide Seiten vereint nur eins: die Unsicherheit über den zukünftigen Status des Kosovo. Während viele Serben die Trennung vom Mutterland fürchten, erhoffen die meisten Albaner die Unabhängigkeit.
Von Gerwald Herter, ARD-Studio-Südosteuropa
Grafik: Brücke in Mitrovica]
Die Stadt Mitrovica braucht keine Mauer: Der Fluss Ibar bildet die Grenze zwischen dem südlichen Teil, wo vorwiegend Kosovo-Albaner leben, und dem Norden, wo Kosovo-Serben in der großen Mehrheit sind. Kaum jemand überquert in dieser Stadt die Brücken, beide Seiten vereint nur eines: Wegen des ungewissen Ausgangs der Verhandlungen über den Status des Kosovo macht sich große Unsicherheit breit. Die meisten Serben fürchten die Trennung vom Mutterland, der Großteil der Albaner erhofft die Unabhängigkeit. Selbst Vertreter der UN-Verwaltung haben sich damit abgefunden, dass die multiethnische Gesellschaft hier Vergangenheit ist. Albaner und Serben wollen in Mitrovica nicht mehr zusammenleben.
Scheinbar lockeres Leben in den CafésAuch wenn die meisten Menschen in dieser geteilten Stadt kein leichtes Schicksal haben, nicht alle verfallen in Depressionen. Der Alltag hat durchaus gute Seiten, wenn man vergessen kann und ein wenig Geld hat. Die meisten jungen Leute in einem der serbischen Cafés am Ibar scheinen sich keine großen Sorgen zu machen, wenigstens auf den ersten Blick. Dabei beginnt nur ein paar hundert Meter weiter albanisches Gebiet. Dort zahlt niemand in Dinar, dort redet kaum jemand serbisch - schon gar nicht auf der Straße. Dort hoffen alle auf die Unabhängigkeit des Kosovo, im Norden kann sich das kaum jemand vorstellen.
[Bildunterschrift: ]
Die meisten der Kosovo-Serben ahnen jedoch, dass sich irgendetwas bald ändern wird und sie wissen, dass das nichts Gutes bedeutet. Auch an die Vergangenheit mögen sich die meisten Menschen hier nicht erinnern. Irgendwann einmal in Titos Jugoslawien war Kosovska-Mitrovica eine wichtige und wohlhabende Stadt. Serben arbeiteten mit albanischen Bergleuten zusammen, unter Tage gab es keine Probleme.
Serben sind gegen Unabhängigkeit des KosovoAuch im Norden von Mitrovica waren die Kosovo-Albaner in der Mehrheit. Nun leben hier viele serbische Flüchtlinge, die ihr Hab und Gut im Süden verloren haben, denen es dort zu unsicher ist, weil es immer wieder Zwischenfälle gibt. Mitrovica ist keine Enklave, der Norden des Kosovo grenzt an Serbien-Montenegro. Wer von hier aus nach Belgrad fährt, muss albanisches Gebiet nicht durchqueren. Kein Serbe hier ist für die Unabhängigkeit des Kosovo, wenn es schon dazu kommt, hoffen viele auf die Teilung. "Zusammenleben, ja", sagt einer der Händler, "aber in Serbien in Jugoslawien!"
[Bildunterschrift: Als im Juni 1999 viele Serben Mitrovica verlassen, bejubelt die albanische Bevölkerung ihre Flucht.]
Doch Jugoslawien gibt es nicht mehr und auch der Traum vom Vielvölkerstaat ist längst geplatzt. Serben aus dem Norden gehen nicht über die Brücke, auch die meisten Albaner bleiben dort, wo sie sind, im Süden. Seit dem Ende der Nato-Luftangriffe 1999 ist es auf der Brücke immer wieder zu schweren Auseinandersetzungen gekommen: Menschen demonstrierten, schlugen aufeinander ein, es wurde scharf geschossen. Vor ein paar Monaten haben sich die Soldaten der internationalen KFOR-Truppe von der zentralen Ibar-Brücke zurückgezogen. Dennoch ist auf der Brücke kaum jemand unterwegs.
Die Grenze verläuft in den Köpfen der MenschenAuf der anderen, der südlichen Seite hat sich die UN-Verwaltung des Kosovo in einem Hochhaus einquartiert. Der Ungar György Kakouk arbeitet seit Jahren in diesem Gebäude mit bester Aussicht auf die merkwürdige Grenze: "Der Fluss ist die Demarkationslinie, sie verläuft in den Köpfen der Menschen, Stacheldraht braucht man da nicht." Für das Prinzip der multiethnischen Gesellschaft ist in Mitrovica kein Platz, auch Kakouk gibt das zu, obwohl er für UN-Verwaltung arbeitet: "Es gibt hier kein multikulturelles Leben."
Nur auf den Friedhöfen geht es noch multiethnisch zu
Grafik: Kfor-Soldaten im zerstörten Viertel Roma Mahala im Süden von Mitrovica.]
Immerhin haben sich Vertreter der serbisch-orthodoxen und der islamischen Gemeinde letztens getroffen, zum ersten Mal nach sechseinhalb Jahren. Da gibt es einiges zu klären, zum Beispiel was mit den Toten geschehen soll. Ausgerechnet auf den Friedhöfen finden sich noch Spuren des vergessenen multiethnischen Lebens dieser Stadt: serbische Gräber im Süden, albanische im Norden. Beide Seiten wollen das regeln.
Die Teilung ist in Mitrovica nicht mehr zu überwinden. Doch warum das kein Modell für das ganze Kosovo abgibt, lässt sich hier auch beobachten: Ein paar albanische Jugendliche spielen im Schneeregen Basketball, in einem Viertel, das sie Klein-Bosnien nennen, vielleicht weil hier früher so viele verschiedene ethnische Gruppen lebten. Jetzt sind es vor allem Albaner, eingeschlossen von ihren serbischen Nachbarn harren sie auf der nördlichen Seite des Ibar aus.
In den Enklaven leben Albaner und Serben wie im Gefängnis
[Bildunterschrift: Versöhnungsversuch: Kinder bei der Eröffnung eines albanisch-serbischen Kindergartens in Mitrovica]
In drei Stadtvierteln im Norden leben immer noch einige Tausend Kosovo-Albaner. Ihnen geht es wie den Serben in den Enklaven des Südens, sie leben wie im Gefängnis und ohne Perspektive. Ein albanischer Jugendlicher sagt, dass er ständig von Serben verfolgt werde. Angeblich Zivilpolizisten, von Belgrad bezahlt. Ob das nun Verfolgungswahn oder Wirklichkeit ist, wenn er die Schule abgeschlossen hat, will der junge Mann weg, weil ihn dann nichts mehr halten kann: "Man kann hier nicht leben, 90 Prozent Arbeitslosigkeit, wenn Du keine Arbeit hast, dann hast Du kein Leben!"
Das denken auch die jungen Serben, die diesen Albaner noch nie getroffen haben, obwohl sie nur ein paar Straßenzüge weiter leben. In Mitrovica wagen Kosovo-Serben und Kosovo-Albaner nicht einmal daran zu denken, dass sie dieselben Schwierigkeiten haben - von gemeinsamen Lösungen ganz zu schweigen.
Stand: 27.12.2005 14:10 Uhr
http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID5082232_TYP6_THE_NAV_REF1_BAB,00.html
Von Gerwald Herter, ARD-Studio-Südosteuropa
Grafik: Brücke in Mitrovica]
Die Stadt Mitrovica braucht keine Mauer: Der Fluss Ibar bildet die Grenze zwischen dem südlichen Teil, wo vorwiegend Kosovo-Albaner leben, und dem Norden, wo Kosovo-Serben in der großen Mehrheit sind. Kaum jemand überquert in dieser Stadt die Brücken, beide Seiten vereint nur eines: Wegen des ungewissen Ausgangs der Verhandlungen über den Status des Kosovo macht sich große Unsicherheit breit. Die meisten Serben fürchten die Trennung vom Mutterland, der Großteil der Albaner erhofft die Unabhängigkeit. Selbst Vertreter der UN-Verwaltung haben sich damit abgefunden, dass die multiethnische Gesellschaft hier Vergangenheit ist. Albaner und Serben wollen in Mitrovica nicht mehr zusammenleben.
Scheinbar lockeres Leben in den CafésAuch wenn die meisten Menschen in dieser geteilten Stadt kein leichtes Schicksal haben, nicht alle verfallen in Depressionen. Der Alltag hat durchaus gute Seiten, wenn man vergessen kann und ein wenig Geld hat. Die meisten jungen Leute in einem der serbischen Cafés am Ibar scheinen sich keine großen Sorgen zu machen, wenigstens auf den ersten Blick. Dabei beginnt nur ein paar hundert Meter weiter albanisches Gebiet. Dort zahlt niemand in Dinar, dort redet kaum jemand serbisch - schon gar nicht auf der Straße. Dort hoffen alle auf die Unabhängigkeit des Kosovo, im Norden kann sich das kaum jemand vorstellen.
[Bildunterschrift: ]
Die meisten der Kosovo-Serben ahnen jedoch, dass sich irgendetwas bald ändern wird und sie wissen, dass das nichts Gutes bedeutet. Auch an die Vergangenheit mögen sich die meisten Menschen hier nicht erinnern. Irgendwann einmal in Titos Jugoslawien war Kosovska-Mitrovica eine wichtige und wohlhabende Stadt. Serben arbeiteten mit albanischen Bergleuten zusammen, unter Tage gab es keine Probleme.
Serben sind gegen Unabhängigkeit des KosovoAuch im Norden von Mitrovica waren die Kosovo-Albaner in der Mehrheit. Nun leben hier viele serbische Flüchtlinge, die ihr Hab und Gut im Süden verloren haben, denen es dort zu unsicher ist, weil es immer wieder Zwischenfälle gibt. Mitrovica ist keine Enklave, der Norden des Kosovo grenzt an Serbien-Montenegro. Wer von hier aus nach Belgrad fährt, muss albanisches Gebiet nicht durchqueren. Kein Serbe hier ist für die Unabhängigkeit des Kosovo, wenn es schon dazu kommt, hoffen viele auf die Teilung. "Zusammenleben, ja", sagt einer der Händler, "aber in Serbien in Jugoslawien!"
[Bildunterschrift: Als im Juni 1999 viele Serben Mitrovica verlassen, bejubelt die albanische Bevölkerung ihre Flucht.]
Doch Jugoslawien gibt es nicht mehr und auch der Traum vom Vielvölkerstaat ist längst geplatzt. Serben aus dem Norden gehen nicht über die Brücke, auch die meisten Albaner bleiben dort, wo sie sind, im Süden. Seit dem Ende der Nato-Luftangriffe 1999 ist es auf der Brücke immer wieder zu schweren Auseinandersetzungen gekommen: Menschen demonstrierten, schlugen aufeinander ein, es wurde scharf geschossen. Vor ein paar Monaten haben sich die Soldaten der internationalen KFOR-Truppe von der zentralen Ibar-Brücke zurückgezogen. Dennoch ist auf der Brücke kaum jemand unterwegs.
Die Grenze verläuft in den Köpfen der MenschenAuf der anderen, der südlichen Seite hat sich die UN-Verwaltung des Kosovo in einem Hochhaus einquartiert. Der Ungar György Kakouk arbeitet seit Jahren in diesem Gebäude mit bester Aussicht auf die merkwürdige Grenze: "Der Fluss ist die Demarkationslinie, sie verläuft in den Köpfen der Menschen, Stacheldraht braucht man da nicht." Für das Prinzip der multiethnischen Gesellschaft ist in Mitrovica kein Platz, auch Kakouk gibt das zu, obwohl er für UN-Verwaltung arbeitet: "Es gibt hier kein multikulturelles Leben."
Nur auf den Friedhöfen geht es noch multiethnisch zu
Grafik: Kfor-Soldaten im zerstörten Viertel Roma Mahala im Süden von Mitrovica.]
Immerhin haben sich Vertreter der serbisch-orthodoxen und der islamischen Gemeinde letztens getroffen, zum ersten Mal nach sechseinhalb Jahren. Da gibt es einiges zu klären, zum Beispiel was mit den Toten geschehen soll. Ausgerechnet auf den Friedhöfen finden sich noch Spuren des vergessenen multiethnischen Lebens dieser Stadt: serbische Gräber im Süden, albanische im Norden. Beide Seiten wollen das regeln.
Die Teilung ist in Mitrovica nicht mehr zu überwinden. Doch warum das kein Modell für das ganze Kosovo abgibt, lässt sich hier auch beobachten: Ein paar albanische Jugendliche spielen im Schneeregen Basketball, in einem Viertel, das sie Klein-Bosnien nennen, vielleicht weil hier früher so viele verschiedene ethnische Gruppen lebten. Jetzt sind es vor allem Albaner, eingeschlossen von ihren serbischen Nachbarn harren sie auf der nördlichen Seite des Ibar aus.
In den Enklaven leben Albaner und Serben wie im Gefängnis
[Bildunterschrift: Versöhnungsversuch: Kinder bei der Eröffnung eines albanisch-serbischen Kindergartens in Mitrovica]
In drei Stadtvierteln im Norden leben immer noch einige Tausend Kosovo-Albaner. Ihnen geht es wie den Serben in den Enklaven des Südens, sie leben wie im Gefängnis und ohne Perspektive. Ein albanischer Jugendlicher sagt, dass er ständig von Serben verfolgt werde. Angeblich Zivilpolizisten, von Belgrad bezahlt. Ob das nun Verfolgungswahn oder Wirklichkeit ist, wenn er die Schule abgeschlossen hat, will der junge Mann weg, weil ihn dann nichts mehr halten kann: "Man kann hier nicht leben, 90 Prozent Arbeitslosigkeit, wenn Du keine Arbeit hast, dann hast Du kein Leben!"
Das denken auch die jungen Serben, die diesen Albaner noch nie getroffen haben, obwohl sie nur ein paar Straßenzüge weiter leben. In Mitrovica wagen Kosovo-Serben und Kosovo-Albaner nicht einmal daran zu denken, dass sie dieselben Schwierigkeiten haben - von gemeinsamen Lösungen ganz zu schweigen.
Stand: 27.12.2005 14:10 Uhr
http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID5082232_TYP6_THE_NAV_REF1_BAB,00.html