skenderbegi
Ultra-Poster
Die neuen Medien absorbieren zunehmend unsere Aufmerksamkeit. Diesen Prozess beschreibt Douglas Rushkoff in seinem neuen Buch «Present Shock» eindrücklich.
Traute Zweisamkeit war gestern. Heute sind die Angebote der digitalen Welt häufig verführerischer als intime Momente. Foto: Xulio Villarino (Cover, Getty Images)
Von Guido Kalberer02:34
Die Gegenwart wird immer dominanter, Vergangenheit und Zukunft verlieren an Bedeutung. Diese These vertritt Douglas Rushkoff in seinem neuen Buch «Present Shock». Der New Yorker Medientheoretiker, der einst der Cyberpunkszene angehörte und den Begriff «Digital Na- tives» prägte, steht nicht im Verdacht, als Konservativer oder gar Ewiggestriger die neuen Medien zu verteufeln. Er stellt bloss Entwicklungen fest, die langfristig Folgen für uns und unser Bewusstsein haben. «In den sozialen Medien zählt nur das, was jetzt im Moment passiert», schreibt Rushkoff. Da der Ansturm dessen, was mitgeteilt wird, so gewaltig sei wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit, führe dies zu einem Bedeutungsverlust all dessen, was nicht gegenwärtig ist. «Die Flut der Informationen bedeutet nicht, dass mehr passiert. Aber mehr von dem, was passiert, dringt zu uns durch.» Der Untertitel lautet denn auch: «Wenn alles jetzt passiert».
Da so viele Informationen um unsere Aufmerksamkeit buhlen, leben wir in einem Zustand ständiger Ablenkung – mit der Folge, dass das Wichtige nicht mehr vom Unwichtigen unterschieden werden kann. «Im Internet darf jeder mitreden. Uninformierte Meinungsäusserungen gelten zunehmend genauso viel wie diejenigen eines Experten, der sich intensiv mit einem bestimmten Problem beschäftigt hat.» Da der Augenblick so beherrschend ist, spricht Douglas Rushkoff von «Gegenwartsschock».
Der Blick schweift nicht mehr in die Ferne
Im Unterschied zum letzten Jahrhundert, das dem Futurismus verschrieben war, sieht er das 21. Jahrhundert im Zeichen des «Präsentismus». Das utopische Denken ist uns nicht nur abhanden gekommen, weil die Utopien des 20. Jahrhunderts ins Verderben führten, sondern weil der Blick heute gar nicht mehr in die Ferne zu schweifen wagt. Und dass die Vergangenheit, bis vor einigen Jahren noch Quelle und Garantie unserer Existenz, heute für Langeweile sorgt, hat damit zu tun, dass sie angesichts der (Schein-)Probleme der Gegenwart an den Rand gedrängt wird. Der Mensch, so Rushkoffs düstere Diagnose, fristet unter dem Diktat der Gegenwart ein mental beengtes Dasein, dem der Horizont fehlt.
Obwohl die Digitalisierung fortschreite, bleibe der Mensch ein analoges Wesen. «Physisch können wir nicht an zwei Orten gleichzeitig sein, aber im virtuellen Raum verteilen wir uns auf all die Geräte, Plattformen und Netzwerke, die wir nutzen.» Seit wir ein digitales Leben führen, haben wir uns grundsätzlich verändert. Die Tatsache, dass die Gegenwart dominiere, heisse aber nicht, dass wir auch gegenwärtig lebten. Das digitale Überangebot hat vielmehr zur Folge, dass wir uns «abgelenkt, dezentriert und sogar schizophren» fühlen. Wir alle sehen das – etwa im Tram, wo die Leute abwesend anwesend sind oder in der Freizeit, die sich von der Arbeit nicht mehr trennen lässt oder daran, dass der Chef nicht mehr im Büro nebenan sitzt, sondern einen als Smartphone stets begleitet. Letzteres ist nicht zuletzt eine smarte Form von Überwachung, wie der Kunstkritiker Boris Groys in dem Essay «Art beyond Spectatorship» andeutet: «The Internet is by its essence a machine of surveillance.»
Die Medien, ein Spiegel des jeweiligen Menschenbildes, sagen uns implizit, was wir zu tun und zu lassen haben. Heute lautet der kategorische Imperativ der sozialen Medien: Du musst kommunizieren! Und wenn du nicht kommunizieren willst, musst du das kommunizieren. Nicht nur einmal täglich oder stündlich, nein, ununterbrochen musst du in Kontakt bleiben und berichten, was sich so alles tut, auch – oder vor allem – dann, wenn sich nichts tut. Hinzu kommt, dass man unaufhörlich etwas meinen und Stellung beziehen muss – unabhängig davon, ob man von einer Sache etwas versteht.
Wo Ich war, soll Es werden
Ich maile oder simse, also bin ich; wenn ich nicht «connecte», bin ich nicht. Das Ich erkennt sich nicht mehr in den anderen, sondern nur noch im medialen Austausch mit ihnen. Geht man offline, bleibt oft nichts übrig als ein tiefes, dunkles Schweigen – und das schlechte Gewissen, dass man dem verinnerlichten Imperativ nicht gehorcht. Bestätigung findet das Ich zunehmend in der medial aufgeheizten und aufgehetzten Gegenwart, und da dieses Jetzt immer kürzer wird, droht stets die Gefahr, dass man unaufholbar abgehängt wird. «Wo Es war, soll Ich werden», hiess es bei Sigmund Freud aufklärerisch. Heute ist der gegenteilige Prozess festzustellen: Wo Ich war, soll Es werden – das mediale Rauschen im Kopf.
Verweigert man sich dem Diktat der Gegenwart, stirbt man den sozialen Tod. Im Arbeitsleben kommt ein Rückzug in die mailfreie Innerlichkeit einer Kündigung gleich – es gibt keine Alternative zur Gegenwart, die nicht wartet. Dabei schnurrt das Jetzt, dem wir uns mit Haut und Haaren ausliefern, auf immer kleinere Einheiten zusammen. «Im kurzen Für-immer gibt es keine Vorbereitungsphase mehr und deswegen auch keine Vorfreude», kritisiert Douglas Rushkoff. Es ist nicht mehr nur der heutige Tag, es sind immer winzigere Sequenzen und Ausschnitte, die unserer Zuwendung bedürfen. «Aber subito!», die Forderung der 1980er-Bewegung an die Politik, hat eine ganz neue Bedeutung und Richtung erhalten. Der aggressive Gestus hat sich von aussen nach innen gekehrt.
«Verzweifelte Dringlichkeit»
Die schnelle und schnelllebige Erregung im Jetzt bedeutet heute alles – eine Erregung, die sich, kaum abgeklungen, in die nächste stürzt. Dass die hastigen Verausgabungen mit ihrer «verzweifelten Dringlichkeit», so darf ergänzt werden, wesentlichen Anteil haben an der Modekrankheit Burn-out, wird kollektiv verdrängt. Anstatt die Krankheit im gesellschaftlichen Kontext zu verstehen und damit zu politisieren, wird sie individualisiert – so verkennt man die Zeichen der Gegenwart und schreibt sie gleichzeitig fort. Auch wenn sich die menschliche Psyche über die Jahre hinweg dramatisch verändert, nehmen wir solche leisen Erosionen unter der Oberfläche des Bewussteins kaum oder gar nicht wahr. Die ständigen Unterbrechungen durch die nervöse, ungeduldige Gegenwart – zusammen mit dem Multitasking – schwächen unsere Gedächtnisleistung. Wir merken gar nicht mehr, dass wir weniger bemerken.
Ganz ohne Hoffnung will Douglas Rushkoff den Leser nicht zurücklassen. Er sieht durchaus Chancen, dass wir das Ruder in die Hand nehmen und uns selbst steuern können – und nicht nur gesteuert werden. So kann man sich etwa entschliessen, die E-Mails nur zweimal am Tag abzurufen oder sein Handy zu bestimmten Zeiten auszuschalten. Das sind dann analoge Inseln, die zur Entspannung einladen und Platz bieten für die reale Gegenwart. «Wirklich gegenwartsorientiert zu leben heisst immer, auch Verantwortung für die Vergangenheit und, wichtiger noch, für die Zukunft zu übernehmen.» Mit diesem Appell an die Verantwortung gegenüber unseren Nachkommen, wie sie etwa Hans Jonas in seiner Philosophie formuliert hat, beschliesst Rushkoff sein Buch, das auf der ersten Seite die Widmung trägt: «Für meine Tochter Mamie, meine Gegenwart».
Douglas Rushkoff: Present Shock. Wenn alles jetzt passiert. Orange Press, Freiburg im Breisgau 2014. 286 S., ca. 38 Fr. (Tages-Anzeiger)
(Erstellt: 10.06.2014, 02:31 Uhr)
ig weis für die meisten von euch viel text und so...
aber es geht genau um euch junge "schnössel§ ,welche sich nur mit Abkürzungen und bilder unterhalten könnt ;-)
ig mag das nicht wenn die leute ständig ihre iphones streicheln.....
habe letztens eine lustige Szene beobachten können in der agglo.
2 Mädchen & 2 jungs um die 15j.
alle an ihren iphones am streicheln.....
dann wurden diese mehr oder weniger alle gleichzeitig auf die seite gelegt.
nach etwa einer Minute stille die frage von einem der Mädchen in der runde ;
Was wollen wir reden ?
herllich
Traute Zweisamkeit war gestern. Heute sind die Angebote der digitalen Welt häufig verführerischer als intime Momente. Foto: Xulio Villarino (Cover, Getty Images)
Von Guido Kalberer02:34
Die Gegenwart wird immer dominanter, Vergangenheit und Zukunft verlieren an Bedeutung. Diese These vertritt Douglas Rushkoff in seinem neuen Buch «Present Shock». Der New Yorker Medientheoretiker, der einst der Cyberpunkszene angehörte und den Begriff «Digital Na- tives» prägte, steht nicht im Verdacht, als Konservativer oder gar Ewiggestriger die neuen Medien zu verteufeln. Er stellt bloss Entwicklungen fest, die langfristig Folgen für uns und unser Bewusstsein haben. «In den sozialen Medien zählt nur das, was jetzt im Moment passiert», schreibt Rushkoff. Da der Ansturm dessen, was mitgeteilt wird, so gewaltig sei wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit, führe dies zu einem Bedeutungsverlust all dessen, was nicht gegenwärtig ist. «Die Flut der Informationen bedeutet nicht, dass mehr passiert. Aber mehr von dem, was passiert, dringt zu uns durch.» Der Untertitel lautet denn auch: «Wenn alles jetzt passiert».
Da so viele Informationen um unsere Aufmerksamkeit buhlen, leben wir in einem Zustand ständiger Ablenkung – mit der Folge, dass das Wichtige nicht mehr vom Unwichtigen unterschieden werden kann. «Im Internet darf jeder mitreden. Uninformierte Meinungsäusserungen gelten zunehmend genauso viel wie diejenigen eines Experten, der sich intensiv mit einem bestimmten Problem beschäftigt hat.» Da der Augenblick so beherrschend ist, spricht Douglas Rushkoff von «Gegenwartsschock».
Der Blick schweift nicht mehr in die Ferne
Im Unterschied zum letzten Jahrhundert, das dem Futurismus verschrieben war, sieht er das 21. Jahrhundert im Zeichen des «Präsentismus». Das utopische Denken ist uns nicht nur abhanden gekommen, weil die Utopien des 20. Jahrhunderts ins Verderben führten, sondern weil der Blick heute gar nicht mehr in die Ferne zu schweifen wagt. Und dass die Vergangenheit, bis vor einigen Jahren noch Quelle und Garantie unserer Existenz, heute für Langeweile sorgt, hat damit zu tun, dass sie angesichts der (Schein-)Probleme der Gegenwart an den Rand gedrängt wird. Der Mensch, so Rushkoffs düstere Diagnose, fristet unter dem Diktat der Gegenwart ein mental beengtes Dasein, dem der Horizont fehlt.
Obwohl die Digitalisierung fortschreite, bleibe der Mensch ein analoges Wesen. «Physisch können wir nicht an zwei Orten gleichzeitig sein, aber im virtuellen Raum verteilen wir uns auf all die Geräte, Plattformen und Netzwerke, die wir nutzen.» Seit wir ein digitales Leben führen, haben wir uns grundsätzlich verändert. Die Tatsache, dass die Gegenwart dominiere, heisse aber nicht, dass wir auch gegenwärtig lebten. Das digitale Überangebot hat vielmehr zur Folge, dass wir uns «abgelenkt, dezentriert und sogar schizophren» fühlen. Wir alle sehen das – etwa im Tram, wo die Leute abwesend anwesend sind oder in der Freizeit, die sich von der Arbeit nicht mehr trennen lässt oder daran, dass der Chef nicht mehr im Büro nebenan sitzt, sondern einen als Smartphone stets begleitet. Letzteres ist nicht zuletzt eine smarte Form von Überwachung, wie der Kunstkritiker Boris Groys in dem Essay «Art beyond Spectatorship» andeutet: «The Internet is by its essence a machine of surveillance.»
Die Medien, ein Spiegel des jeweiligen Menschenbildes, sagen uns implizit, was wir zu tun und zu lassen haben. Heute lautet der kategorische Imperativ der sozialen Medien: Du musst kommunizieren! Und wenn du nicht kommunizieren willst, musst du das kommunizieren. Nicht nur einmal täglich oder stündlich, nein, ununterbrochen musst du in Kontakt bleiben und berichten, was sich so alles tut, auch – oder vor allem – dann, wenn sich nichts tut. Hinzu kommt, dass man unaufhörlich etwas meinen und Stellung beziehen muss – unabhängig davon, ob man von einer Sache etwas versteht.
Wo Ich war, soll Es werden
Ich maile oder simse, also bin ich; wenn ich nicht «connecte», bin ich nicht. Das Ich erkennt sich nicht mehr in den anderen, sondern nur noch im medialen Austausch mit ihnen. Geht man offline, bleibt oft nichts übrig als ein tiefes, dunkles Schweigen – und das schlechte Gewissen, dass man dem verinnerlichten Imperativ nicht gehorcht. Bestätigung findet das Ich zunehmend in der medial aufgeheizten und aufgehetzten Gegenwart, und da dieses Jetzt immer kürzer wird, droht stets die Gefahr, dass man unaufholbar abgehängt wird. «Wo Es war, soll Ich werden», hiess es bei Sigmund Freud aufklärerisch. Heute ist der gegenteilige Prozess festzustellen: Wo Ich war, soll Es werden – das mediale Rauschen im Kopf.
Verweigert man sich dem Diktat der Gegenwart, stirbt man den sozialen Tod. Im Arbeitsleben kommt ein Rückzug in die mailfreie Innerlichkeit einer Kündigung gleich – es gibt keine Alternative zur Gegenwart, die nicht wartet. Dabei schnurrt das Jetzt, dem wir uns mit Haut und Haaren ausliefern, auf immer kleinere Einheiten zusammen. «Im kurzen Für-immer gibt es keine Vorbereitungsphase mehr und deswegen auch keine Vorfreude», kritisiert Douglas Rushkoff. Es ist nicht mehr nur der heutige Tag, es sind immer winzigere Sequenzen und Ausschnitte, die unserer Zuwendung bedürfen. «Aber subito!», die Forderung der 1980er-Bewegung an die Politik, hat eine ganz neue Bedeutung und Richtung erhalten. Der aggressive Gestus hat sich von aussen nach innen gekehrt.
«Verzweifelte Dringlichkeit»
Die schnelle und schnelllebige Erregung im Jetzt bedeutet heute alles – eine Erregung, die sich, kaum abgeklungen, in die nächste stürzt. Dass die hastigen Verausgabungen mit ihrer «verzweifelten Dringlichkeit», so darf ergänzt werden, wesentlichen Anteil haben an der Modekrankheit Burn-out, wird kollektiv verdrängt. Anstatt die Krankheit im gesellschaftlichen Kontext zu verstehen und damit zu politisieren, wird sie individualisiert – so verkennt man die Zeichen der Gegenwart und schreibt sie gleichzeitig fort. Auch wenn sich die menschliche Psyche über die Jahre hinweg dramatisch verändert, nehmen wir solche leisen Erosionen unter der Oberfläche des Bewussteins kaum oder gar nicht wahr. Die ständigen Unterbrechungen durch die nervöse, ungeduldige Gegenwart – zusammen mit dem Multitasking – schwächen unsere Gedächtnisleistung. Wir merken gar nicht mehr, dass wir weniger bemerken.
Ganz ohne Hoffnung will Douglas Rushkoff den Leser nicht zurücklassen. Er sieht durchaus Chancen, dass wir das Ruder in die Hand nehmen und uns selbst steuern können – und nicht nur gesteuert werden. So kann man sich etwa entschliessen, die E-Mails nur zweimal am Tag abzurufen oder sein Handy zu bestimmten Zeiten auszuschalten. Das sind dann analoge Inseln, die zur Entspannung einladen und Platz bieten für die reale Gegenwart. «Wirklich gegenwartsorientiert zu leben heisst immer, auch Verantwortung für die Vergangenheit und, wichtiger noch, für die Zukunft zu übernehmen.» Mit diesem Appell an die Verantwortung gegenüber unseren Nachkommen, wie sie etwa Hans Jonas in seiner Philosophie formuliert hat, beschliesst Rushkoff sein Buch, das auf der ersten Seite die Widmung trägt: «Für meine Tochter Mamie, meine Gegenwart».
Douglas Rushkoff: Present Shock. Wenn alles jetzt passiert. Orange Press, Freiburg im Breisgau 2014. 286 S., ca. 38 Fr. (Tages-Anzeiger)
(Erstellt: 10.06.2014, 02:31 Uhr)
ig weis für die meisten von euch viel text und so...
aber es geht genau um euch junge "schnössel§ ,welche sich nur mit Abkürzungen und bilder unterhalten könnt ;-)
ig mag das nicht wenn die leute ständig ihre iphones streicheln.....
habe letztens eine lustige Szene beobachten können in der agglo.
2 Mädchen & 2 jungs um die 15j.
alle an ihren iphones am streicheln.....
dann wurden diese mehr oder weniger alle gleichzeitig auf die seite gelegt.
nach etwa einer Minute stille die frage von einem der Mädchen in der runde ;
Was wollen wir reden ?
herllich