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Badische Zeitung vom Mittwoch, 27. September 2006
Der Knick kam mit der Marktwirtschaft
OSTEUROPA: Fast überall nimmt die Bevölkerung ab — am meisten in Bulgarien
Von unserem Korrespondenten Norbert Mappes-Niediek
WIEN. Von "Dinks" — den Ehepaaren mit "double income no kids" (zwei Einkommen, keine Kinder) — ist in Bulgarien nie die Rede. Auch nicht von der Selbstverwirklichung, die moderne Frauen vom Kinderkriegen abhalte. Vom "Aussterben" aber schon: Wie die meisten Länder im Osten und Südosten Europas hat die Balkanrepublik mit dem Übergang zur Marktwirtschaft einen starken Knick in der Geburtenrate erlebt. Überall in der Region wird inzwischen mehr gestorben als geboren.
"Nur in der Slowakei und im katholischen Polen ist es ein bisschen besser" , sagt der Wiener Geograph Heinz Fassmann, der über die Bevölkerungsentwicklung in Osteuropa forscht. Selbst in Albanien und im Kosovo mit traditionell sehr hohen Geburtenraten werden immer weniger Kinder geboren. Schuld an der Entwicklung sei die veränderte soziale Lage, sagt Fassmann: "Wenig Geld, wenig Wohnraum" .
Bulgarien ist ein besonders starkes Beispiel für den im Osten verbreiteten Pessimismus. Zu Ostblockzeiten eine Art "Silikonski Valley" mit Fernseher- und Chipproduktion, ist das Land seit 1990 zu einem Entwicklungsland geworden, sagt die Berliner Expertin Sabine Riedel. Nur zur Strategie anderer Menschen in Entwicklungsländern, nämlich zur Alterssicherung viele Kinder zu bekommen, können sich die Bulgarinnen nicht entschließen. Fassmann: "Kein Wunder. Wenn man selbst keine Arbeit hat, glaubt man auch nicht, dass die eigenen Kinder später welche haben werden."
Gesunken ist die Geburtenrate schon zu sozialistischer Zeit. Der langjährige Staats- und Parteichef Todor Schiwkow bemühte sich deshalb, die hohen Abtreibungszahlen einzudämmen. Dann kam der Einbruch. Dass Bulgarien in letzter Zeit im internationalen Rating wieder etwas gestiegen ist, liegt mehr an den sinkenden Geburtenzahlen in Deutschland oder Italien als an steigender Gebärfreudigkeit im Osten. Schaut man sich die aktuellen Zahlen an, so gleichen sie denen im Westen. Der Osten sei eben auf dem Weg zurück nach Europa, sagt Fassmann. Im Sozialismus seien Familien stark durch Infrastruktur gefördert worden und vor allem durch Privilegierung auf dem Wohnungsmarkt — ein Trend, der sich im Kapitalismus umgekehrt hat. Der Kinderwunsch werde, wie im Westen, viel stärker rationalisiert als früher.
Unternommen, sagt Fassmann, werde im Allgemeinen nichts gegen den Bevölkerungsrückgang, der in Bulgarien bis 2025 ein glattes Viertel betragen dürfte. Für Familienpolitik fehle den Regierungen der ökonomische Spielraum.
http://www.badische-zeitung.de/nachrichten/politik/1,51-11589866.html
Der Knick kam mit der Marktwirtschaft
OSTEUROPA: Fast überall nimmt die Bevölkerung ab — am meisten in Bulgarien
Von unserem Korrespondenten Norbert Mappes-Niediek
WIEN. Von "Dinks" — den Ehepaaren mit "double income no kids" (zwei Einkommen, keine Kinder) — ist in Bulgarien nie die Rede. Auch nicht von der Selbstverwirklichung, die moderne Frauen vom Kinderkriegen abhalte. Vom "Aussterben" aber schon: Wie die meisten Länder im Osten und Südosten Europas hat die Balkanrepublik mit dem Übergang zur Marktwirtschaft einen starken Knick in der Geburtenrate erlebt. Überall in der Region wird inzwischen mehr gestorben als geboren.
"Nur in der Slowakei und im katholischen Polen ist es ein bisschen besser" , sagt der Wiener Geograph Heinz Fassmann, der über die Bevölkerungsentwicklung in Osteuropa forscht. Selbst in Albanien und im Kosovo mit traditionell sehr hohen Geburtenraten werden immer weniger Kinder geboren. Schuld an der Entwicklung sei die veränderte soziale Lage, sagt Fassmann: "Wenig Geld, wenig Wohnraum" .
Bulgarien ist ein besonders starkes Beispiel für den im Osten verbreiteten Pessimismus. Zu Ostblockzeiten eine Art "Silikonski Valley" mit Fernseher- und Chipproduktion, ist das Land seit 1990 zu einem Entwicklungsland geworden, sagt die Berliner Expertin Sabine Riedel. Nur zur Strategie anderer Menschen in Entwicklungsländern, nämlich zur Alterssicherung viele Kinder zu bekommen, können sich die Bulgarinnen nicht entschließen. Fassmann: "Kein Wunder. Wenn man selbst keine Arbeit hat, glaubt man auch nicht, dass die eigenen Kinder später welche haben werden."
Gesunken ist die Geburtenrate schon zu sozialistischer Zeit. Der langjährige Staats- und Parteichef Todor Schiwkow bemühte sich deshalb, die hohen Abtreibungszahlen einzudämmen. Dann kam der Einbruch. Dass Bulgarien in letzter Zeit im internationalen Rating wieder etwas gestiegen ist, liegt mehr an den sinkenden Geburtenzahlen in Deutschland oder Italien als an steigender Gebärfreudigkeit im Osten. Schaut man sich die aktuellen Zahlen an, so gleichen sie denen im Westen. Der Osten sei eben auf dem Weg zurück nach Europa, sagt Fassmann. Im Sozialismus seien Familien stark durch Infrastruktur gefördert worden und vor allem durch Privilegierung auf dem Wohnungsmarkt — ein Trend, der sich im Kapitalismus umgekehrt hat. Der Kinderwunsch werde, wie im Westen, viel stärker rationalisiert als früher.
Unternommen, sagt Fassmann, werde im Allgemeinen nichts gegen den Bevölkerungsrückgang, der in Bulgarien bis 2025 ein glattes Viertel betragen dürfte. Für Familienpolitik fehle den Regierungen der ökonomische Spielraum.
http://www.badische-zeitung.de/nachrichten/politik/1,51-11589866.html