Also es ist so:
Völkerrechtlich unterscheidet man die ethnische Minderheit und das Volk.
Einen Anspruch auf das Selbstbestimmungsrecht können grundsätzlich Völker erheben (Art. 1 Nr. 1 UN-Charta, Art. 1 Abs. 1 Pakt II). Die Regelungsbereiche von Minderheiten haben im Völkerrecht einen anderen Ansatz. Der Minderheitenschutz ist in Abgrenzung von Gruppenrechten der Völker bislang als Individualrecht ausgestattet.
Konkret wird der Minderheitenschutz in Art. 27 des UN-Menschenrechtspakts und in Resolution 47/135 der UN-Generalversammlung zu den Minderheitenrechten. Gemäss Art. 27 Pakt II darf in Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten den Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen. Eine eindeutige völkerrechtliche Legaldefinition der Minderheit gibt es seitens der Vereinten Nationen bislang nicht. Der Begriff der Minderheit wird viel mehr ohne die abschliessende Erläuterung der Qualität der Minderheitenzugehörigkeit vorausgesetzt. Capotorti definiert diesen in objektiver Hinsicht anhand von vier Elementen.
- Die Minderheit ist im Vergleich zur Gesamtbevölkerung numerisch unterlegen.
- Sie hat eine nicht-dominante Stellung im Staat.
- Sie hat ethnische, religiöse oder sprachliche Gemeinsamkeiten
- Sie hat die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltstaates.
Subjektiv zeichnet sich eine Minderheit durch Solidaritäts- oder Identitätsgefühle aus. Diese können sich aus der Kultur, Tradition, Sprache oder Religion ergeben.http://www.balkanforum.info/#sdfootnote1sym
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Die Staatsangehörigkeit muss bei der Anwendung von Art. 27 Pakt II keine obligatorische Voraussetzung sein. Der restliche Pakt II bezieht sich, abgesehen von Art. 25, auch auf alle im Hochheitsgebiet anwesenden Personen.
Die Serben sind nach dieser völkerrechtlichen Definition in Bosnien-Herzegowina eine Minderheit. Als Minderheit haben sie nach herrschender Lehre keinen Anspruch auf die staatliche Unabhängigkeit.
Es wird aber auch die Ansicht vertreten, dass neben Kolonialvölkern und den Staatsvölkern auch Minderheiten ausnahmsweise das Recht auf Selbstbestimmung haben sollten. Von solchen Ausnahmen ist „in Fällen völliger Unterdrückung” auszugehen, oder wenn diese Minderheit vom politischen Willensprozess ausgeschlossen ist.http://www.balkanforum.info/#sdfootnote1sym Solche Fälle ergeben sich, wenn eine ethnisch-kulturelle Bevölkerungsgruppe schweren Menschenrechtsverletzungen durch den Staat ausgesetzt ist.http://www.balkanforum.info/#sdfootnote2sym Im Umkehrschluss zur oberen Argumentation wird klar, dass eine Minderheit das Recht zur Sezession hat, wenn der Staat über eine Regierung verfügt, die das ganze Volk nicht ohne Unterschied der Rasse, des Glaubens oder der Herkunft repräsentiert. Diese enge Auslegung bedeutet, dass auch die Befürworter des Selbstbestimmungsrechts für Minderheiten in bestimmten Fällen, die territoriale Integrität und Souveränität der Staaten nicht grundsätzlich herabstufen möchten. Grundsätzlich sollen die beiden entgegengesetzten Rechte vereinbart werden, indem der innere Aspekt des Selbstbestimmungsrechts betont wird. Den verschiedenen Bevölkerungsgruppen soll die Mitwirkung an der politischen Gestaltung innerhalb eines bestehenden Staates ermöglicht werden. Wahrt und pflegt der Staat die Eigenarten der Minderheiten, soll ein Sezessionsrecht ausgeschlossen sein.
Daraus folgt, dass die Serben aufgrund der weiten rechtlichen wie faktischen inneren Selbstbestimmung, i.c. der hochautonomen Entität "Republika Srpska", prinzipiell kein Recht auf eine Sezession haben.
Jetzt gibts hier aber ein "Problem".
Obwohl die "bosnischen Serben" kein Volk im ethnischen Sinne sind (sie fühlen sich subjektiv untereinander mit den Serben in Kroatien / Serbien / Kosovo / Montenegro etc. als "Serben" verbunden), haben sie den Status eines konstitutiven Volks. Diesen hatten sie in der SRBiH bereits in der SFRJ und behielten ihn auch nach der Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas.
In Bosnien-Herzegowina gehören salopp formuliert alle Staatsbürger Minderheiten an, die sich nicht als Kroaten, Serben oder Bosniaken bezeichnen.
Diese rechtliche Gegebenheit verwässert das Verbot der Sezession in einer gewissen Weise und kehrt die völkerrechtliche Erkenntnis um.
Nun sind die Serben, Kroatien und Bosniaken nicht nur in ihrer jeweiligen Entität "staatstragende Völker", sondern in ganz Bosnien-Herzegowina. Alle drei Staatsvölker haben überall in Bosnien die gleichen Rechte, ausser bei der Wahl ins Präsidium. Dort wird ein Kroate oder Bosniake in der RS wegen des Zwangs der Vertretung aller drei Völker seiner theoretischen passiven Wahl beraubt (und umgekehrt der Serbe in der Fed.).
Die daran zusammenhängenden Entitäten sind Gebilde der Daytoner Abkommen. Sie haben einen inneren Zusammenhang zu den 3 Staatsvölkern und stehen und fallen mit ihnen. Die Bevölkerungsstrukturen in diesen Entitäten haben keine rechtliche Grundlage, sondern sind das Ergebnis ethnischer Säuberungen. Eine solch demografische Verschiebung vermag nach lediglich 15 Jahren als "hinzunehmendes Faktum" keine Langzeitwirkung zu Gunsten einer Sezession auszulösen.
Meiner Ansicht nach hat die RS kein einseitiges Loslösungsrecht aus folgenden Grund:
Die Anerkennung Bosnien-Herzegowinas war Voraussetzung für die Gründung der RS und der Fed. Möchte man in irgendeiner Art und Weise daran etwas ändern, bräuchte es die Mehrheit aller drei konstitutiven Völker. Ergo auch im umgekehrten Fall, wenn man die Entitäten auflösen wollte.
Die Serben müssten die Sezession also generell auch den anderen 2 Staatsvölkern schmackhaft machen.
Man könnte hier andere Modalitäten anbringen. Diese Änderung bedürfte aber der Änderung der Verfassung Bosnien-Herzegowinas, da überhaupt schon die Möglichkeit einer Abspaltung die territoriale Integrität und Souveränität BiH's unterminieren würde. Eine solche Änderung bedarf gemäss Art. 10 Abs. 1 der BiH-Verfassung eine 2/3 Mehrheit der Parlamentarier.
Andererseits hält sich die Politik ja bekanntlich nicht ans Völkerrecht oder nur dann, wenn es zu ihrem Nutzen ist. Die Serben könnten also einfach mal die Unabhängigkeit erklären und schauen was passiert. Verboten in dem Sinne, dass sie anschliessend strafrechtliche Konsequenzen erwarten müssten, wäre es ihnen ja nicht. Es wäre nach geltendem BiH-Recht einfach eine "nichtige Handlung", die keinerlei Konsequenzen auslöst.
Bin für Fragen offen
