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Abgeordnetenhaus - Wie die Piraten den Parlamentalltag angehen - Berlin - Berliner Morgenpost - BerlinAuch bei der zweiten Sitzung erschien Pirat Gerwald Claus-Brunner mit Palästinensertuch. Pikant: Selbst beim Verstorbenengedenken ließen er und sein Kollege Spies ihre Kopfbedeckungen auf. Inhaltlich gelang den Piraten jedoch gleich ein Treffer.
Natürlich kam er mit Kopftuch. Als um 13 Uhr der Gong zur Eröffnung der zweiten Abgeordnetenhaussitzung der neuen Legislatur ertönte, saß der Pirat Gerwald Claus-Brunner in der letzten Reihe des Sitzungssaals, trug eine orangefarbene Latzhose, ein orangefarbenes T-Shirt – und das weiß-rote Palästinensertuch, das in den vergangenen Tagen für so viel Wirbel gesorgt hatte. Die ehemalige Präsidentin des Zentralrates der Juden, Charlotte Knobloch, hatte Claus-Brunner dazu aufgerufen, sein Palästinensertuch nicht mehr im Parlament zu tragen. Der hatte das bereits im Vorfeld abgelehnt und trug am Donnerstag dafür zusätzlich einen Davidstern um den Hals.
Das Tuch blieb entgegen den allgemeinen Gepflogenheiten auch auf seinem Kopf, als das Parlament der verstorbenen ehemaligen Abgeordneten Horst Grabert, Heinz Striek (beide SPD) und Heinz Zellermayer (CDU) gedachte. Co-Pirat Alexander Spies ließ seine Mütze ebenfalls auf.
Politischer Treffer
Dennoch landeten die Piraten dann in der Fragestunde einen politischen Treffer: Nachdem der scheidende Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) den aktuellen Stand der umstrittenen Software zur Aufspürung von Raubkopien an Schulen dargelegt hatte, verblüffte Lauer ihn mit seiner Anschlussfrage. Nach dem neuen Vertrag zwischen den Bundesländern sowie Urhebern und Verlagen zur Nutzung von Unterlagen müsse jedes Bundesland einen Ansprechpartner für die Urheber benennen. „Wer ist das“, fragte Lauer. „Ich kenne ihn nicht“, räumte Zöllner ein.
Auch danach machten die Piraten deutlich, dass sie ihren politischen Schwerpunkt – die Themen Internet und Transparenz – beharrlich verfolgen. Für die meisten der aufgerufenen Fragen meldeten sie entsprechende Nachfragen an. Deutlich weniger sachkundig zeigten sie sich dagegen bei anderen Themen. Die Rede zur zukünftigen Zusammenarbeit zwischen Charité und dem Max-Delbrück-Centrum von Martin Delius verfehlte das Thema deutlich und bot stattdessen Allgemeinplätze zum Thema Studium in Berlin.
SPD und CDU sehen in der verstärkten Zusammenarbeit der beiden Spitzeneinrichtungen ein erstes Signal ihrer kommenden Koalition. Nicolas Zimmer (CDU) nannte die Kooperation eine „wissenschaftspolitische Sensation“. Die geplante Zusammenarbeit sei ein „Leuchtturm für die Lebenswissenschaft“ und ein Modellversuch für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Auch Oppositions-Vertreter begrüßten die Zusage von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), die neue gemeinsame Dachorganisation finanziell zu unterstützen. Während die Charité vom Land bezahlt wird, trägt der Bund das Max-Delbrück-Centrum zu 90 Prozent. „Damit kommen wir weg vom Kooperationsverbot, dem aus meiner Sicht unseligen Ergebnis der Föderalismusreform“, sagte Zimmer.
Schließlich bestimmten die Piraten wieder das Geschehen im Abgeordnetenhaus. Bildungssenator Zöllner beantwortete ihre Große Anfrage zur Überwachungssoftware an Schulen. „Es geht nicht um die Überwachung der Lehrkräfte und der Schüler, sondern um den Schutz vor Raubkopien“, begründete Zöllner Berlins Zustimmung zur Verwendung der Software. Die Länder hatten sich Anfang des Jahres auf eine entsprechende Regelung verständigt.
Die Schulbuchverlage seien jetzt aufgefordert, eine entsprechende Software zu entwickeln. Danach werde der Senat zusammen mit dem Datenschutzbeauftragten entscheiden, ob die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten gewahrt bleiben. Zöllner kritisierte dabei den von der Opposition gebrauchten Begriff des „Schultrojaners“. Der Begriff Trojaner unterstelle einen geheimen Mechanismus zum Ausspionieren eines anderen, von dem dieser nichts wisse. Davon könne bei dieser Software gar nicht die Rede sein.
Wowereit kritisiert Bund
Wegen der laufenden Koalitionsverhandlungen hatten die Abgeordneten am Donnerstag insgesamt wenig Redebedarf. Bis die neue Landesregierung steht, haben die Parlamentarier wenig Raum für Entscheidungen. Die aktuelle Themenarmut nutzte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit dann dazu, die Bundesregierung für ihre Steuersenkungspläne zu attackieren. Angesichts der hohen Schulden in den öffentlichen Haushalten gebe es keinerlei Spielraum für Steuersenkungen, sagte er. Die Entlastung in Höhe von insgesamt sechs Milliarden Euro fehlte den Kommunen beispielsweise beim dringend notwendigen Ausbau der Kitas. Letztlich bedeuteten die Pläne eine jährliche Entlastung von 30 Euro für Geringverdiener. „Das ist eine Politik, die an den Interessen der Menschen vorbeigeht“, sagte Klaus Wowereit.
Derweil ärgerten sich die Piraten über die Gepflogenheiten der etablierten Parteien im politischen Alltag. Während die 15 fast durchgängig auf ihren Plätzen im Plenum sitzen blieben, leerten sich die Reihen der anderen vier Parteien recht zügig. Mehr noch störten die Piraten aber die Gespräche der verbliebenen Abgeordneten. „Und die CDU quatscht die ganze Zeit. Ich höre jedes Wort“, beschwerte sich Christopher Lauer via Internetdienst Twitter. „Die Abgeordneten der CDU scheinen sich sonst nie zu sehen, so viel, wie die hier quasseln“, antwortete Pavel Mayer. Eine Reaktion der Angesprochenen erhielten sie nicht. Keiner der CDU-Abgeordneten war am Donnerstag auf Twitter vertreten.
Schließlich widmeten sich die Piraten einer detaillierten Analyse ihrer neuen Kollegen. „Die Top 3 Dinge, mit denen die anderen es ohne Rechner schaffen: 3. Zeitung lesen 2. hektisch Rede schreiben 1. Quasseln“, schrieb der Piratenabgeordnete Simon Kowalewski schließlich.
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