Ist dem Herren die FAZ genehm? Der Autor ist übrigens Ost-Europa Historiker an der Uni Bochum
Wladimir Putins Selbstinszenierung
Die Faschisten sitzen im Kreml
Von STEFAN PLAGGENBORG
20.03.2014 • Er ist der russische Duce: Wladimir Putin sagt, die Rechten herrschen in der Ukraine. Dabei trägt seine eigene Politik faschistische Züge. Er inszeniert sich wie einst Mussolini.
Russian President Putin chairs a meeting of the Security Council in Moscow's Kremlin
© REUTERS, F.A.Z.
Für die russische Bevölkerung ist er der Retter in der Not: der russische „Duce“, Wladimir Putin.
Was in der Ukraine geschehen ist, sei das Werk von Faschisten und Banditen, sagt der Kreml. Seit Tagen rollt das Wort Faschist wie angekündigtes Kriegsgrollen durch die Mitteilungen der russischen Politik und der Medien. Mit Faschisten hat Russland seine Erfahrungen. Wer dieses Wort gebraucht, schürt die Erinnerungen an den Vernichtungskrieg Nazi-Deutschlands gegen die Sowjetunion. Faschisten stellen eine tödliche Gefahr für die russische Heimat dar, aber man kann sie besiegen. Die Geschichte hat es bewiesen.
Wozu aber dieses Insistieren auf dem faschistischen Umsturz, der die Kräfteverhältnisse in Kiew ignoriert? Den Erfolg der Revolution in der Ukraine, die sich auf dem Majdan in Kiew entschied, erfochten auch rechtsradikale und paramilitärische Kräfte. Sie pflegen einen engen Kontakt zu Rechtsradikalen in Westeuropa, darunter zur NPD. Aber sie waren nicht die Einzigen, schon gar nicht die meisten, die gegen das verhasste Janukowitsch-Regime aufbegehrten.
Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte, keine Korruption, friedliche Umgestaltung der Ukraine, das waren die zentralen Forderungen des Majdan, der sich erst bewaffnete, als das Regime gewaltsam gegen die Aufständischen vorging.
Erinnerung an die Entstehung des italienischen Faschismus
Das größere Problem ist: Der Faschismus sitzt dort, wo er propagandistisch bekämpft wird. Er hat einen neuen Platz im Kreml gefunden. In Russland kann er sich mit politischer Stärke nach innen und außen verbinden. Das macht ihn zur Bedrohung. Um das zu erkennen, darf man nicht Faschismus mit den Nationalsozialisten gleichsetzen, sondern muss seinen Ursprung in Italien betrachten.
Selbstverständlich ist der russische Präsident kein „Adolf Putin“, wie manche in der Ukraine ihn sehen wollen. Wohl aber mahnen die Entwicklungen in Russland an die Zeit der Entstehung des italienischen Faschismus. Die Lage ist nicht gleich, aber der italienische Faschismus hilft die russischen Ereignisse besser zu verstehen.
Der Kreml „argumentiert“, die russische Bevölkerung der Ukraine sei in Gefahr. Er sucht aber keine Verhandlungswege, diese Frage zu lösen. Stattdessen lässt er Soldaten als schlecht getarnte Freischärler die „russische“ Krim besetzen. Und ein selbsternannter Anführer der Russen auf der Krim formuliert ein nationalistisches Programm für den Anschluss an Russland.
Wie Italien nach dem „verstümmelten Sieg“ von 1918, einem der Ausgangspunkte des Faschismus, kompensiert Putin-Russland seinen imperialen Minderwertigkeitskomplex nach 1991 mit Abenteuern. Da wirkt die Besetzung Fiumes 1919 durch Schwarzhemden wie ein Vorspiel zur Krim heute.
Imperiales Gehabe
Dass auf der Krim auch nicht Russisch sprechende Menschen wohnen, interessiert Freischärler und Kreml nur aus taktischen Gründen. Die Tataren und Ukrainer auf der Krim, Muslime die einen, mehr oder weniger orthodoxe Slawen die anderen, werden als irrelevant für die „Heimholung“ der Krim ins Russische Reich angesehen. Die bewaffneten Russen auf der Krim inszenieren Russland und treten als Herrenmenschen auf, die sich weder um Rechte, Gesetze noch Institutionen scheren.
Es ist auf jeden Fall imperiales Gehabe, und das gehört untrennbar zum Faschismus. Es geht nicht nur um russischen Nationalismus, sondern um die enge Verquickung von nationalem und imperialem Programm. Dazu bieten die russischsprachigen Minderheiten in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion eine Ausgangsbasis. Die Frage ist aber, wo dieses Imperium seine Grenzen sieht.
Hierzulande ist zu hören, Russland verhalte sich wie eine bedrängte Großmacht, die der Westen schlicht übergangen habe, als die Nato vertragswidrig nach Osteuropa expandierte, man müsse die Einkreisungsängste verstehen und die Sicherheitsinteressen besonders auf der Krim akzeptieren. Das ist zwar richtig, aber es geht nicht allein darum. Man muss auch sehen, dass der Kreml die imperiale Tradition der Sowjetunion mit anderer Begründung fortsetzt. Er behauptet nicht, die Lage der Arbeiter in der Ukraine verbessern und sie vor Ausbeutung schützen zu wollen. Dabei hätte er ein prima Argument zur Hand, denn gerade „Europa“ bedeutet für viele in der Ostukraine Deindustrialisierung, Arbeitslosigkeit und Armut.
Wandel vom Kommunismus zum radikalen Nationalismus
Die Versuche der EU, die Ukraine mit 45 Millionen Einwohnern als Markt zu erschließen und als neues Billiglohnland zu nutzen, sind vielen russophonen ukrainischen Arbeitern klarer als den zumeist unkundigen Bürgern der EU. Aber diese Karte spielt der Kreml nicht, sondern die nationalistische. Der Übergang vom Kommunismus zum radikalen Nationalismus ist historisch eben nicht unmöglich. Er war in der Sowjetunion schon angelegt, wird aber im Verein mit der Wiedererlangung des Imperiums ideologisch weiter rechts verortet.
Wie die Verbindungen zwischen dem Kreml und den „Russen“ in der Ukraine genau aussehen, ist nicht bekannt. Es scheint aber, dass sich dezentrale Strukturen und Organisationen herausgebildet haben, die auch für den Anfang des italienischen Faschismus typisch waren. In diesem Fall sind sie zwar prorussisch, werden aber nicht aus Moskau gesteuert. Dies gilt für die Ostukraine mehr als für die Krim, wo allein schon die russische Militärpräsenz einem russischen Parochialismus entgegensteht.
Auf der Krim beherrschten die russischen Squadre die Straße, sie schufen Straßenrecht, besetzten politische Büros und staatliche und gesellschaftliche Einrichtungen, verhafteten und verschleppten Personen und taten so, als seien sie die rechtmäßige Herrschaft, wo sie doch nur mit dem Schießprügel in der Hand Gewalt androhen.
Europa ist keine Alternative
In Verbindung mit einem diffusen nationalistischen Programm entstehen auf diese Weise lokale und regionale „Fürstentümer“, die Kiew nicht anerkennen und sich an Moskau anlehnen, ohne sich jedoch vereinnahmen zu lassen. Wenn in den Industriegebieten der Ostukraine der Zorn der arbeitenden und darbenden Bevölkerung sich mittlerweile sogar gegen die unantastbaren Oligarchen richtet, dann bricht das bisherige kleptokratische System der Ukraine zusammen.
Europa ist keine Alternative. Denn man hat die Segnungen von Freiheit und Kapitalismus nach 1991 in wirtschaftlichem und sozialem Ruin in einer Härte erlebt, dass jede sowjetische Propaganda als milde Untertreibung erscheinen musste. Der ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Orientierungskrise folgt die Suche nach dem starken Mann und der autoritären Ordnung.
Das ist die Stunde des Faschismus. Putin erscheint als Retter in der Not, als Mann, der aus der Krise führt, der Allmachtsphantasien weckt, der die Russen „erlöst“ und zugleich die händeringend suchende russischsprachige Bevölkerung der Ukraine. Er ist der „russische“ Duce, der den westlichen Weg des Kapitalismus ebenso ablehnt wie den verstaubten Sozialismus, einen „russischen“ Weg anbietet, was immer das heißen mag, die Nation überhöht, dem Staat die entscheidende Rolle in allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konflikten überträgt, was nur autoritär geschehen kann.
Er versucht, selbst die Gesellschaft auf faschistisch-korporatistische Weise freizuhalten von Konflikten. Die Partei „Einiges Russland“ belegt das. Die demokratischen Institutionen sind ausgehöhlt, bestehen aber weiter; eine Opposition gibt es praktisch nicht; die freie Presse ist bis auf wenige Relikte erledigt; der Westen mit Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten wird abgelehnt und eine unscharfe „russische“ Zivilisation dagegengestellt. Das ist kein Zufall, sondern ein antiwestliches Modell, das auch von zahlreichen Intellektuellen in Russland getragen wird.
Der Führer ist das System
Auch die wirtschaftlichen Strukturen weisen in Richtung Faschismus. In Russland herrscht eine eigentümliche Art des Kapitalismus, wo der Staat die Zügel in der Hand hält und die Unternehmer an sich gebunden hat. Die Oligarchen sind auf den Staat angewiesen, das „Putin-System“ auf seine „Steigbügelhalter“. Der italienische Faschismus kannte dafür das Wort „fiancheggiatori“.
Putin inszeniert sich wie Mussolini. Der Führer ist das System. Man muss nur die Bilder nebeneinanderhalten, um die Parallele zu bemerken. Führerschaft und Virilität gehen zusammen: Mussolini halbnackt bei der Ernte, Putin halb nackt beim Angeln, das ganze Bildprogramm des Faschismus con variazione, mit Amphoren, sibirischen Tigern, beim Reiten und beim Skifahren. Dieser öffentliche Putin ist ebenso wie der Duce eine Kunstfigur, deren beherrschende Stellung aber nicht übersehen werden darf. Wie Mussolini aber ist er nicht der Alleinherrscher, als der er hierzulande präsentiert wird, sondern die moderierende Verkörperung eines komplizierten Systems. Clans und Seilschaften hält er in der Waage.
Propaganda zeigt ihre Wirkung
Schließlich setzt Moskau auf eine Internationale der Rechten. Während man OSZE-Beobachter von der Krim jagt, werden Vertreter der rechten Parteien Westeuropas, etwa des Front National in Frankreich, eingeladen, den „Wahlen“ beizuwohnen. Wenn das mehr ist als eine Provokation, dann öffnet sich hier eine europäische Perspektive, die Russland zum Zentrum einer rechten Bewegung macht. Was Mussolini nicht gelang, will der Kreml offenbar versuchen.
Das alles ist, wie jeder Faschismus, Ausdruck einer tiefen Krise, nicht der Stärke. Daraus entstehen Handlungen, die der Rationalität der satten und konsolidierten Staaten und Gesellschaften des Westens widersprechen. Daher die Verwunderung westlicher Politiker über das Handeln des Kremls, den die „kleine“ Kriegsgefahr nicht schreckt. Das war beim italienischen Faschismus genauso. Die erste Schlacht hat der Kreml schon gewonnen: die Propagandaschlacht. Zu viele Russen glauben den Parolen und verstehen nicht, welchem Modell sie wirklich folgen.
Stefan Plaggenborg ist Osteuropa-Historiker an der Universität Bochum.