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Raumschiffe für die Toten

Zmaj

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Hier ein Spiegelartikel:


















Geflügelte Augen, Riesenblumen und Beton-Ufos: Dort, wo im Zweiten Weltkrieg jugoslawische Partisanen fielen, entstanden in den siebziger Jahren unter Staatschef Tito gigantische Denkmäler. Heute zerbröckeln die irren Skulpturen. Ein Künstler dokumentierte die Monumente - und ihren langsamen Zerfall. Von Angelika Franz


Raumschiffe für die Toten - einestages


Was bleibt von einem, wenn ein Soldat im Gefecht stirbt? Ein paar Knochen, vielleicht ein Kriegsgrab. Starb man aber auf der richtigen Seite einer der großen Schlachten, die im Zweiten Weltkrieg auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien gefochten wurden, dann bekam man außerdem ein Denkmal. Groß, grau und dramatisch waren die sogenannten Spomeniks - so das slowenische, serbische und kroatische Wort für Monument.

Nach dem Krieg und noch bis in die achtziger Jahre wurden die grauen Denkmäler an jenen Stellen errichtet, an denen in schweren Kämpfen oder in Konzentrationslagern tapfere Partisanen ihr Leben verloren hatten. Schulklassen kamen, um im Schatten der Spomeniks die Geschichte ihres Landes zu lernen. Junge Pioniere tankten hier Patriotismus. Millionen von Besuchern gedachten in Massenaufläufen während der achtziger Jahre der Gefallenen.

Doch die Geschichte nahm ihren Lauf. 1991 zerfiel die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien. Und mit dem Staat starb auch das Bedürfnis, sich der Toten zu erinnern, die für ihn gestorben waren. Keiner machte sich mehr auf den beschwerlichen Weg zu den abgelegenen Spomeniks in den Bergen. Junge Pioniere gab es nicht mehr. Und auf dem Lehrplan der Schulkinder standen nun die Namen ganz anderer Schlachten. Gras wuchs über die einst so gepflegten Wege, die zu den Monumenten führten. Beton bröckelte aus den Fassaden und gab den Blick frei auf die nackten Stahlskelette in ihrem Inneren.

Graue Riesen im Nirgendwo

In diesem Zustand fand sie der belgische Künstler Jan Kempenaers. "Ich war Mitte der neunziger Jahre in Sarajewo, um die Stadt zu fotografieren", sagt der Fotograf. "Dabei stieß ich auf die ersten Spomeniks." Hunderte gibt es von ihnen. Manchmal ist es nur ein kleines Relief an einer Mauer, manchmal ein riesiges abstraktes Gebilde in der Landschaft. Doch es sollte noch zehn Jahre dauern, bis Kempenaers sich 2006 aufmachte, um die vergessenen Denkmäler systematisch im Bildern festzuhalten. Als Wegweiser zu den Spomeniks diente ihm eine Karte aus dem Jahr 1975, die er in einer Zagreber Bibliothek entdeckt hatte. "Aber ich brauchte die Hilfe der Einheimischen, um die Monumente zu finden", erzählt er. "Sie sind oft so tief in den Bergen, dass nur die Leute, die dort wohnen, noch wissen, wo sie zu finden sind und wie man dort hinkommt."

Dabei waren es oft die ganz großen Stars der jugoslawischen Kunst- und Architekturszene gewesen, die Spomeniks entwerfen durften. Dusan Dzamonja zum Beispiel, ein Liebling von Staatschef Tito. Der Bildhauer schuf unter anderem das "Spomenik revolucije", das wie ein gigantisches geflügeltes Auge über dem Schlachtfeld von Podgaric nahe der kroatischen Gemeinde Berek thront. Oder Vojin Bakic, der das Spomenik für Petrova Gora entwarf. Das stahlverleidete Wellengebilde steht an dem Ort, wo im Zweiten Weltkrieg im Feldlazarett die Widerstandskämpfer um das Leben ihrer Verletzten rangen. Heute ist die Hauptaufgabe für Bakics Monument, eine Satellitenschüssel und eine Antenne in den Himmel über Petrova Gora zu recken.

Auch der Architekt und Essayist Bogdan Bogdanovic - dessen Schriften in internationalen Blättern wie "El País", "Svenska Dagbladet" oder "Die Zeit" gedruckt wurden - schuf mehr als 20 Denkmäler und Gedenkstätten. Zu seinen Werken gehört die "Steinerne Blume", die in Jasenovac steht, an der Stelle des größten Vernichtungslagers Südosteuropas während des Zweiten Weltkriegs.

Vom Krieger- zum Kickerdenkmal

Wie das Spomenik von Petrova Gora, das zum Antennenhalter umfunktioniert wurde, erfüllen einige der Monumente heute andere Aufgaben. "Ein Monument in der Nähe von Split zum Beispiel war ursprünglich für Gefallene einer Partisaneneinheit errichtet worden, die gegen italienische Faschisten kämpfte", berichtet Kempenaers. Zu den Gefallenen hätten damals viele Spieler des Fußballvereins RNK Split gehört. Im Frühjahr 2008 retteten zwei Unternehmer den Verein vor der Pleite. In dem Zug ließen sie auch das Spomenik restaurieren. "Heute wird es häufig von Fans des Clubs besucht", sagt der Fotograf. Das Spomenik ist zum Fußball-Denkmal geworden.

Was soll man auch sonst tun mit Monumenten, die an ein Regime erinnern, an das sich niemand erinnern will? Zumal die nötige Infrastruktur fehlt, um sie in Szene zu setzen: "Der heroische Gestus und die Beeindruckungssprache funktioniert natürlich am besten, wenn das Objekt im Mittelpunkt inszenierter Massenaufmärsche oder ähnlichem steht", erläutert Leo Schmidt, Professor für Denkmalpflege an der Technischen Universität Cottbus und führender deutscher Experte für materielle Hinterlassenschaften aus der Zeit des Kalten Krieges.

Auch Kempenaers inszenierte die Objekte für seine Aufnahmen - allerdings im scharfen Kontrast zu ihrem früheren Zweck in völliger Abwesenheit von Massen. Die meisten seiner Bilder entstanden in den frühen Morgenstunden. "Ich konnte sie nicht in der Sonne fotografieren", erklärt er. "Dann hätten sie ausgesehen wie Objekte in einem fröhlichen Reisekatalog". Also achtete er streng darauf, dass weder Menschen noch harte Schatten in seinen Bildern von den Spomeniks ablenken: "Ich brauchte Wolken", sagt der Künstler.

Dramatisch, theatralisch, traurig

Warum berühren uns die verwahrlosten Spomeniks noch heute so tief? "Die neue Generation von Betrachtern schätzt jetzt vor allem die kreative Power und die Emotionalität in den Objekten", meint Schmidt. Haben sie damit vielleicht sogar eine Zukunft? "Ich kann nur hoffen, dass der besondere Charakter dieser Monumente rechtzeitig wahrgenommen wird und dass sie erhalten bleiben", mahnt der Denkmalschützer. Es handele sich schließlich - gerade als Ensemble - um eine herausragende Verkörperung der Ideen und Vorstellungen der Mächtigen in bestimmten Ländern des sozialistischen Blocks seit den sechziger Jahren. "Man gibt sich ja nicht traditionalistisch", so Schmidt, "sondern modern und fortschrittlich." Gleichzeitig seien die Objekte jedoch unglaublich dramatisch, ja theatralisch.

Einst wurden die Spomeniks wurden zur Glorifizierung eines Regimes geschaffen. Für den unbeleckten Betrachter sind die Betonriesen ein Spektakel - große, graue Raumschiffe, die in der kargen Landschaft gestrandet sind. Doch für die Bürger wurden sie zu Mahnmalen für die dunklen Seiten eines gescheiterten Systems.

Bogdan Bogdanovic, der die "Steinerne Blume" von Jasenovac schuf und im vergangenen Jahr in Wien verstarb, blickte am Ende mit Bitterkeit zurück: Das 20. Jahrhundert sei ein trauriges, gefährliches Jahrhundert gewesen. "Die Hälfte meiner Schulkameraden starb im Krieg. Die andere Hälfte bekämpfte sich gegenseitig, indem sie entweder Kommunisten oder Anti-Kommunisten wurden. Ich kann dazu nur sagen: Ich habe es gesehen, ich habe es gelebt - und ich habe es nicht verstanden."

Zum Weiterlesen:

Roma Publications Webshop : Home › Publications ›  Spomenik / Jan Kempenaers
 
Bilder


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In Jasenovac war ich. Find ich noch ein schönes Denkmal. Besser als nur so eine stinknormale Wand mit Tausenden von Namen.
 
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