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Rechtsextremismus der Mitte

Marcin

Spitzen-Poster
[h=2]Nummer: 2013/083 vom 25.03.2013[/h] Bereich: Forschung, Publikationen
Sachgebiet: Geistes- und Sozialwissenschaften, Medizin und Gesundheitswissenschaften

[h=3]Rechtsextremismus der Mitte[/h] Seit 2002 untersucht die Arbeitsgruppe um Prof. Elmar Brähler und PD Dr. Oliver Decker an der Universität Leipzig die rechtsextreme Einstellung in Deutschland. Im Rahmen dieser sozialpsychologischen "Mitte-Studien" werden im Zwei-Jahres-Rhythmus repräsentative Erhebungen durchgeführt. Die aktuelle Publikation präsentiert Ergebnisse aus den letzten zehn Jahren.


Die gesellschaftliche Mitte ist nicht davor geschützt, selbst zur Bedrohung der demokratisch verfassten Gesellschaft zu werden. Die Demokratie ist kein auf immer stabiler Sockel. Im Gegenteil: Fährt der gesellschaftliche Aufzug für einen Großteil ihrer Mitglieder nach unten, dann verliert auch die Demokratie ihre Integrationskraft. Die seit 2002 gesammelten Daten aus der so genannten "Mitte-Studie" gestatten es zum ersten Mal, die Zustimmung zu rechtsextremen Einstellungen nach Altersgruppen zu unterscheiden.

Rechtsextreme Einstellung
Die rechtsextreme Einstellung ist in Ostdeutschland vor allem ein Jugendproblem, in Westdeutschland dagegen eins der älteren Jahrgänge. Zu diesem Schluss ist Diplompsychologe PD Dr. Oliver Decker durch die jüngsten Befragungen und Datenauswertung der "Mitte-Studie" gelangt. Er ist zusammen mit Prof. Elmar Brähler Leiter der "Mitte"-Studien. Im langjährigen Mittel bestätigt sich der Befund, dass die Ausländerfeindlichkeit eine bundesweit sehr verbreitete Einstellung ist. Im Westen stimmen gut 23 Prozent der Befragten den ausländerfeindlichen Aussagen zu, im Osten sind es mit annähernd 32 Prozent deutlich mehr. Während im Westen in den jüngeren Altersgruppen die wenigsten und bei kontinuierlicher Zunahme in den ältesten Gruppen die meisten ausländerfeindlich Eingestellten zu finden sind, sieht die Situation im Osten anders aus. Die ab 1981 Geborenen geben eine ähnlich hohe Zustimmung an wie die bis 1930 im Westen Geborenen, nämlich über 31 Prozent. "Unsere These, dass Ausländerfeindlichkeit die Einstiegsdroge ist, bestätigt sich deutlich", darauf weist Elmar Brähler hin.

Bei der Zustimmung zu antisemitischen Aussagen ist ein klares Ost-West-Gefälle mit anderen Vorzeichen als bei der Ausländerfeindlichkeit erkennbar. Die Zustimmung ist in Westdeutschland generell höher als in Ostdeutschland und das über alle Altersgruppen hinweg. In Westdeutschland ist jeder 10. Befragte antisemitisch eingestellt (9,8 Prozent), während es im Osten jeder 16. ist (6,3 Prozent). Im Westen ist der Antisemitismus unabhängig vom Bildungsgrad bei rund 15 Prozent der Geburtsjahrgänge bis 1930 salonfähig, während sonst in Ost wie West formal hohe Bildungsabschlüsse mit weniger Zustimmung zu antisemitischen Aussagen einher gehen. Die Verharmlosung des Nationalsozialismus ist vor allem für die Geburtsjahrgänge bis 1940 im Westen ein Thema. In Bezug auf ein manifestes rechtsextremes Weltbild zeichnet sich für Westdeutschland eine Ballung für die vor 1950 Geborenen ab: fast 10 Prozent der Befragten sind hier manifest rechtsextrem, bei den bis 1930 Geborenen sind es sogar gut 16 Prozent. In Ostdeutschland dagegen steht die junge Altersgruppe, seit 1971 geboren, mit gut 10 Prozent an der Spitze. Dabei sind die Männer überrepräsentiert.

"Das sind die Folgen einer autoritären Vergesellschaftung", erklärt Oliver Decker die Zusammenhänge. "Mit dem Zusammenbruch von Gemeinschaften, die ihre Mitglieder autoritär integrieren, treten autoritäre Aggressionen hervor. Zunächst gab es auch im Westen nach dem Krieg eine Kontinuität. Die prosperierende Wirtschaft ermöglichte den West-Bürgern die Identifikation mit Stärke und Macht, die den Verlust der Identifikation mit der Nazi-Ideologie ausglich. Allerdings kam es dann im Westen durch die 68-er Bewegung zu einer nachholenden Liberalisierung, im Osten wurde dies erst durch den Mauerfall möglich. Aber wie bei den vor 1930 Geborenen, so blieb auch auf die seit 1981 zunächst in der DDR und dann in Ostdeutschland Geborenen die Entwertung der Ideale der Elterngeneration nicht ohne Wirkung. Die über eine Lebensspanne antidemokratische Einstellung bei den vor 1930 Geborenen macht deutlich: Die Einstellung bei den nach 1980 Geborenen macht eine nachhaltige Verteidigung der Demokratie notwendig."

Kontakthypothese
Der Kontakt zu Migranten wirkt sich positiv auf die Einstellung ihnen gegenüber aus. Persönliche Kontakte stehen Vorurteilen im Weg, sagt Prof. Elmar Brähler, Leiter der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie in Leipzig. Direkter Kontakt im persönlichen Umfeld ist noch durchschlagender als der Kontakt mit Migranten im Arbeits- oder Wohnumfeld.
Fast 75 Prozent der Westdeutschen, aber nur gut 36 Prozent der Ostdeutschen haben in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz Kontakt zu Migranten. Mit 58 Prozent gegenüber 24 Prozent eröffnet sich ein ähnliches Bild im Familien- und Freundeskreis. Die untersuchte Gruppe ohne solche Kontakte zeigt eine deutlich höhere Ausländerfeindlichkeit.

Kontrollverlust
Ökonomische und soziale Krisen bedrohen die Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse. Dadurch erhöht sich das Potential ethnozentrischer und somit rechtsextremer Einstellungen. Die vorliegenden Studiendaten bestätigen den Zusammenhang. Personen, die selbst wenig Kontrolle über ihre Umwelt wahrnehmen, stimmen rechtsextremen Positionen eher zu. Kontrollverlust ist auch das Stichwort in einer modernen Gesellschaft die beständiger Beschleunigung unterliegt und ihren Mitgliedern ständig Anpassung abfordert.

Mediennutzung
Die inzwischen allgegenwärtigen Bildschirme sind das wirkmächtige Medium der Beschleunigung der Gesellschaft. Hier zeigt sich der Strukturwandel der Öffentlichkeit: politische Auseinandersetzung ist dem Werbekanal gewichen. Demokratie findet mittlerweile ohne die meisten Menschen statt. Die politische Teilhabe über Wahlen hinaus ist beunruhigend wenig ausgeprägt und die öffentliche Teilnahme gering, stellt der Politologe Johannes Kiess fest. Die Teilnahme am Geschehen stützt sich nach wie vor auf die Alten Medien wie Zeitungen und Rundfunk, während der Anteil der Neuen Medien verhältnismäßig klein ausfällt. Liegt politisches Engagement vor, spielen die Neuen Medien bei den Befragten eine nachgeordnete Rolle. Die Untersuchungsgruppe der so genannten jungen Prekären (geringes Einkommen oder arbeitslos, aber höherer Bildungsabschluss) nutzt die Neuen Medien am intensivsten, ist politisch jedoch inaktiv. Sie glauben nicht, dass sie das politische Geschehen beeinflussen können. Paradoxerweise ist die Zustimmung zur Demokratie bei ihnen dennoch überdurchschnittlich hoch.

Buchveröffentlichung:
Oliver Decker, Johannes Kiess, Elmar Brähler
Rechtsextremismus der Mitte - Eine sosiazpsychologische Gegenwartsdiagnose
Psychosozial-Verlag, 19,90 Euro
ISBN: 978-3-8379-2294-3



Universität Leipzig: Pressemeldungen
 
Die Aufklärung über Rechtsextremismus hört nie auf
Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes wird 60 Jahre alt

Dieser Tage feiert das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) mit einem großen Symposion und prominenter Politikbegleitung (Bürgermeister Michael Ludwig, Bildungsminister Martin Polaschek, Bundespräsident Alexander Van der Bellen) sein 60-jähriges Bestehen. Das DÖW ist die wichtigste Instanz für die Dokumentation und wissenschaftlich-publizistische Aufarbeitung und Vermittlung der NS-Zeit; aber ebenso für die Beobachtung des aktuellen Rechtsextremismus und Neonazismus in Österreich.

Es wird niemanden wundern, dass die FPÖ immer schon, aber ganz besonders wieder seit der Obmannschaft von Herbert Kickl eine wüste Kampagne gegen das DÖW fährt: "kommunistische Tarnorganisation", "gesinnungsterroristischen Kampagnen", "Geschichtsfälschungen und Geschichtsverdrehungen" – das gehört zum Hassvokabular der Freiheitlichen gegen das DÖW. Das Widerstandsarchiv leistet einerseits historische Arbeit – etwa eine Namensliste aller österreichischen Opfer des Holocaust –, andererseits berichtet es unter der Rubrik "Neues von ganz rechts" regelmäßig über entsprechende Aktivitäten – etwa die Einladung eines bekannten Rechtsextremen (Stefan Magnet von "AUF1") in den freiheitlichen Parlamentsklub. Das DÖW wurde vom ÖVP-Innenministerium beauftragt – nach langer Pause –, wieder einen offiziellen Rechtsextremismusbericht zu erstellen, und hofft, sein seinerzeitiges, sehr erfolgreiches Standardwerk Rechtsextremismus in Österreich (mit Jörg Haider auf dem Buchcover) wieder in einer neuen Form herausbringen zu können.

 
Rechtsextreme Szene
Parallelen zur Zwischenkriegszeit
Rechte und rechtsextreme Parteien sind in Europa im Aufwind. Die Historikerin Linda Erker vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) ortet im Interview mit science.ORF.at Parallelen zwischen heutigen rechtsextremen Netzwerken und jenen in der Zwischenkriegszeit.

Ende Juni 2024 hat der Verfassungsschutz eine bundesweite Polizeiaktion gegen Rechtsextremismus durchgeführt. Eine Person wurde festgenommen, NS-Devotionalien beschlagnahmt. Gegen 15 Personen wird seither ermittelt. Die rechtsextreme Szene sei in Österreich hervorragend vernetzt und organisiert, stellte Justizministerin Alma Zadić (Grüne) dazu fest. Sehen Sie Parallelen zwischen heutigen rechtsextremen Netzwerken und jenen in der Zwischenkriegszeit, über die Sie ja intensiv forschen?

Linda Erker: Ich möchte das nicht gleichsetzen, aber Parallelen gibt es schon. Zum Beispiel, wie rechte Gruppen auf Zuwanderung reagieren: 1919 hat sich mit dem „Antisemitenbund“ ein extremistischer Verein gegründet, der die Flucht von Jüdinnen und Juden nach Wien vor Pogromen in den Regionen der ehemaligen Monarchie zum Anlass genommen hat, um massiv Stimmung zu machen. Dieser Verein, dessen Zweck antisemitische Hetze war, hatte nicht nur einen starken Zulauf, sondern war auch mit anderen rechten Vereinen wie dem „Deutschen Klub“ eng vernetzt. Seine radikalen Forderungen – vom Numerus clausus für Personen jüdischer Herkunft bis hin zur Vertreibung der Jüdinnen und Juden aus Wien – wurden von traditionellen Parteien wie den Großdeutschen und den Christlichsozialen übernommen.

 
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