Crossover: "Goodbye, How Are You?"
Reise durch einen bizarren Kosmos
27. April 2009, 17:04
Der serbische Filmemacher Boris Mitić erzählt ein modernes Märchen
Anleitung zum besseren Verständnis des Balkans: Der serbische Filmemacher Boris Mitić erzählt ein modernes Märchen in messerscharfen Aphorismen und schrägen Bildern.
Györ/Belgrad/Budapest - Brennende Autos, Kriegsbilder, prügelnde Polizisten, Taufszenen, dazu romantische Pianoklänge und die Stimme eines Mannes aus dem Off: "Ich bin bereit zu sterben für etwas, woran ich glaube - aber Gott sei Dank glaube ich an nichts mehr."
So beginnt "Goodbye, How Are You?" , der neueste Film des jungen serbischen Regisseurs Boris Mitić. Es ist ein Filmessay über die Abgründe, Absurditäten und monströsen Mickrigkeiten, die er in seinem Land und der weiteren Region vorfand. Ein "satirisches Dokumentar-Märchen" , wie Mitić es nennt, lakonische Bestandsaufnahme einer verwüsteten Landschaft an der Peripherie des "neuen" Europas, ständig in einer zum Scheitern verurteilten Transformation begriffen, bevölkert von Menschen, denen zur Bewahrung der Würde nur eines zur Verfügung zu stehen scheint: ihr lapidarer, schwarzer Humor.
Der Ich-Erzähler verharrt den ganzen Film hindurch im Off. Er verkörpert einen "Helden unserer Zeit" , sagt Mitić (31), dessen Streifen am Wochenende beim Go-East-Festival in Wiesbaden und am Montag beim "Mediawave" in Györ international vorgestellt wurde. Wie der Protagonist aus Lermontows gleichnamigem Roman ist der Erzähler ein junger Mann, dessen Fähigkeiten in der ihn umgebenden dumpfen gesellschaftlichen Atmosphäre nur verkümmern können. Er will die selbsternannten Leitfiguren seiner Epoche - den humanen Geschäftsmann, den ehrlichen Politiker, den geläuterten Kriegsverbrecher - zum Duell herausfordern. Doch er scheitert jedes Mal bereits im Vorfeld, weil ihm sein Freund und Alter Ego, der Sekundant, den jeweiligen Wunschgegner stets mit einem desavouierenden Aphorismus abschießt.
Aber auch der gesamte Text des Erzählers ist nichts anderes als eine lange Abfolge von Aphorismen. Mitić hat dabei ein außerhalb Serbiens wenig bekanntes Phänomen zum zentralen Prinzip seines Films erhoben: den serbischen Aphorismus. Seit der Tito-Zeit gibt es eine authentische, lebendige, zum Teil apokryphe Tradition aphoristischer Literatur. Sie wird von Laien gepflegt, pfiffigen Zeitgenossen, unter ihnen Vagabunden, Ex-Politiker, Zahnärzte, Weinbauern, Briefträger, die den anhaltenden Irrsinn in Politik und Gesellschaft mit scharfem Witz aufspießen. Diese Aphorismen werden in Broschüren nachgedruckt, in Radio und TV verlesen, sie erscheinen als Graffiti an tristen Betonwänden und als Transparentaufschriften bei Demonstrationen.
Es gibt sogar einen Belgrader Aphoristischen Kreis, bei dessen Veranstaltungen die Aphoristiker ihre intellektuellen Schnappschüsse einander vortragen. Als ihr Doyen gilt der im Sozialismus mehrfach verbotene Autor Rastko Zakić. Als wieder einmal ein Buch von ihm eingezogen wurde, veröffentlichte er es neu, allerdings mit den darin enthaltenen Aphorismen in verneinter oder dementierter Form. Vor Gericht ließ er Mathematiker und Philosophen als Gutachter aufmarschieren, die bekräftigten, dass man nicht sowohl für eine Aussage als auch für deren Negation bestraft werden könne. Die Richter des Regimes überzeugte dies freilich nicht.
Der gegenwärtige Präsident des Kreises, Aleksandar Baljak, ist unerschütterlicher Optimist. Von ihm ist das Wort überliefert: "Unsere besten Aphorismen entstanden in schweren Zeiten. Für unsere moderne Satire kommen sogar noch bessere Tage!"
Der politische Aphorismus ist für Mitić "ein Sprichwort mit einem unerwarteten Dreh" . "Wenn du die Dinge nicht ändern kannst, dann ändere zumindest ihre Perspektive." Das Ergebnis sei befreiend. "Es geht darum, den Feind lächerlich zu machen, das falsche Bild der Stärke zu ent-mystifizieren." In seinem Film legte Mitić die Erzählung über einen Bilderfluss, dessen Material er als "Dokumentar-Satire" bezeichnet. Drei Jahre lang fuhr er auf Nebenstraßen durch jede Ecke Serbiens und der bosnischen Serben-Republik, legte dabei gut 50.000 Kilometer zurück, durchforstete Archive, klopfte die unbedeutendsten Provinzzeitungen auf seltsame Vorkommnisse ab, um mit der Kamera schräge, frappante, bizarre Bilder einzufangen. Ein halbes Jahr brauchte er schließlich, um aus dem angehäuften Fundus von 4000 "satirischen Doku-Shots" die aussagekräftigsten Bilder auszuwählen und sie in die passende Stelle des Erzählstroms zu montieren. "Balkan-Zen-Philosophie vom Feinsten" sei ihm dabei gelungen, meint Mitić.
Der Regisseur war früher Journalist und hatte einen gutbezahlten Job bei einer internationalen Nachrichtenagentur. Er schmiss ihn hin, weil er die Oberflächlichkeit dieses Gewerbes nicht mehr ertrug. 2003 drehte er seinen ersten Dokumentarfilm, "Pretty Dyane" , über den mit ungeahnt kreativen Energien geführten Überlebenskampf der geflüchteten Kosovo-Roma in Belgrad. Seine derzeitigen Lebensumstände vermag er auch nur mit einem Aphorismus zu umschreiben: "Ich lebe von dem Geld, das ich beim Filmemachen verliere." (Gregor Mayer/DER STANDARD, Printausgabe, 28.4.2009)
"Goodbye, How Are You?" von Boris Mitić wird beim Mediawave-Festival in Györ noch einmal am Samstag, 2. Mai, Beginn 18 Uhr, im Rómer-Haus (Teleki u. 21) gezeigt (Originalversion mit englischen Untertiteln).
Reise durch einen bizarren Kosmos - Crossover - derStandard.at/International
wäre neugierig auf den Film
Reise durch einen bizarren Kosmos
27. April 2009, 17:04
Der serbische Filmemacher Boris Mitić erzählt ein modernes Märchen
Anleitung zum besseren Verständnis des Balkans: Der serbische Filmemacher Boris Mitić erzählt ein modernes Märchen in messerscharfen Aphorismen und schrägen Bildern.
Györ/Belgrad/Budapest - Brennende Autos, Kriegsbilder, prügelnde Polizisten, Taufszenen, dazu romantische Pianoklänge und die Stimme eines Mannes aus dem Off: "Ich bin bereit zu sterben für etwas, woran ich glaube - aber Gott sei Dank glaube ich an nichts mehr."
So beginnt "Goodbye, How Are You?" , der neueste Film des jungen serbischen Regisseurs Boris Mitić. Es ist ein Filmessay über die Abgründe, Absurditäten und monströsen Mickrigkeiten, die er in seinem Land und der weiteren Region vorfand. Ein "satirisches Dokumentar-Märchen" , wie Mitić es nennt, lakonische Bestandsaufnahme einer verwüsteten Landschaft an der Peripherie des "neuen" Europas, ständig in einer zum Scheitern verurteilten Transformation begriffen, bevölkert von Menschen, denen zur Bewahrung der Würde nur eines zur Verfügung zu stehen scheint: ihr lapidarer, schwarzer Humor.
Der Ich-Erzähler verharrt den ganzen Film hindurch im Off. Er verkörpert einen "Helden unserer Zeit" , sagt Mitić (31), dessen Streifen am Wochenende beim Go-East-Festival in Wiesbaden und am Montag beim "Mediawave" in Györ international vorgestellt wurde. Wie der Protagonist aus Lermontows gleichnamigem Roman ist der Erzähler ein junger Mann, dessen Fähigkeiten in der ihn umgebenden dumpfen gesellschaftlichen Atmosphäre nur verkümmern können. Er will die selbsternannten Leitfiguren seiner Epoche - den humanen Geschäftsmann, den ehrlichen Politiker, den geläuterten Kriegsverbrecher - zum Duell herausfordern. Doch er scheitert jedes Mal bereits im Vorfeld, weil ihm sein Freund und Alter Ego, der Sekundant, den jeweiligen Wunschgegner stets mit einem desavouierenden Aphorismus abschießt.
Aber auch der gesamte Text des Erzählers ist nichts anderes als eine lange Abfolge von Aphorismen. Mitić hat dabei ein außerhalb Serbiens wenig bekanntes Phänomen zum zentralen Prinzip seines Films erhoben: den serbischen Aphorismus. Seit der Tito-Zeit gibt es eine authentische, lebendige, zum Teil apokryphe Tradition aphoristischer Literatur. Sie wird von Laien gepflegt, pfiffigen Zeitgenossen, unter ihnen Vagabunden, Ex-Politiker, Zahnärzte, Weinbauern, Briefträger, die den anhaltenden Irrsinn in Politik und Gesellschaft mit scharfem Witz aufspießen. Diese Aphorismen werden in Broschüren nachgedruckt, in Radio und TV verlesen, sie erscheinen als Graffiti an tristen Betonwänden und als Transparentaufschriften bei Demonstrationen.
Es gibt sogar einen Belgrader Aphoristischen Kreis, bei dessen Veranstaltungen die Aphoristiker ihre intellektuellen Schnappschüsse einander vortragen. Als ihr Doyen gilt der im Sozialismus mehrfach verbotene Autor Rastko Zakić. Als wieder einmal ein Buch von ihm eingezogen wurde, veröffentlichte er es neu, allerdings mit den darin enthaltenen Aphorismen in verneinter oder dementierter Form. Vor Gericht ließ er Mathematiker und Philosophen als Gutachter aufmarschieren, die bekräftigten, dass man nicht sowohl für eine Aussage als auch für deren Negation bestraft werden könne. Die Richter des Regimes überzeugte dies freilich nicht.
Der gegenwärtige Präsident des Kreises, Aleksandar Baljak, ist unerschütterlicher Optimist. Von ihm ist das Wort überliefert: "Unsere besten Aphorismen entstanden in schweren Zeiten. Für unsere moderne Satire kommen sogar noch bessere Tage!"
Der politische Aphorismus ist für Mitić "ein Sprichwort mit einem unerwarteten Dreh" . "Wenn du die Dinge nicht ändern kannst, dann ändere zumindest ihre Perspektive." Das Ergebnis sei befreiend. "Es geht darum, den Feind lächerlich zu machen, das falsche Bild der Stärke zu ent-mystifizieren." In seinem Film legte Mitić die Erzählung über einen Bilderfluss, dessen Material er als "Dokumentar-Satire" bezeichnet. Drei Jahre lang fuhr er auf Nebenstraßen durch jede Ecke Serbiens und der bosnischen Serben-Republik, legte dabei gut 50.000 Kilometer zurück, durchforstete Archive, klopfte die unbedeutendsten Provinzzeitungen auf seltsame Vorkommnisse ab, um mit der Kamera schräge, frappante, bizarre Bilder einzufangen. Ein halbes Jahr brauchte er schließlich, um aus dem angehäuften Fundus von 4000 "satirischen Doku-Shots" die aussagekräftigsten Bilder auszuwählen und sie in die passende Stelle des Erzählstroms zu montieren. "Balkan-Zen-Philosophie vom Feinsten" sei ihm dabei gelungen, meint Mitić.
Der Regisseur war früher Journalist und hatte einen gutbezahlten Job bei einer internationalen Nachrichtenagentur. Er schmiss ihn hin, weil er die Oberflächlichkeit dieses Gewerbes nicht mehr ertrug. 2003 drehte er seinen ersten Dokumentarfilm, "Pretty Dyane" , über den mit ungeahnt kreativen Energien geführten Überlebenskampf der geflüchteten Kosovo-Roma in Belgrad. Seine derzeitigen Lebensumstände vermag er auch nur mit einem Aphorismus zu umschreiben: "Ich lebe von dem Geld, das ich beim Filmemachen verliere." (Gregor Mayer/DER STANDARD, Printausgabe, 28.4.2009)
"Goodbye, How Are You?" von Boris Mitić wird beim Mediawave-Festival in Györ noch einmal am Samstag, 2. Mai, Beginn 18 Uhr, im Rómer-Haus (Teleki u. 21) gezeigt (Originalversion mit englischen Untertiteln).
Reise durch einen bizarren Kosmos - Crossover - derStandard.at/International
wäre neugierig auf den Film