Das Verhältnis von Russland zu den USA wird immer noch vom paranoiden Denken des Kalten Krieges bestimmt -ein Kommentar der anderen von Andrej Piontkowsky
Eine alte Redensart unter Moskauer Politikern besagt, dass die Beziehungen zwischen den USA und Russland immer dann besser sind, wenn im Weißen Haus ein Republikaner regiert: Wir sind Staatsmänner, und die Republikaner sind Staatsmänner. Weil wir beide an die Macht glauben, ist es für uns einfach, einander zu verstehen. Das Problem mit dieser Redensart ist das ihr zugrunde liegende paranoide Denken, denn sie impliziert, dass sich das Wesen der russisch-amerikanischen Beziehungen seit dem Ende des Kalten Krieges nicht grundlegend geändert hat – dass die Animositäten, die zwischen den beiden Ländern bestehen, jene von zwei einander für alle Zeit unerbittlich gegenüberstehenden geopolitischen Kontrahenten sind. Die Russen, so scheint es, sind nur dann mit sich zufrieden, wenn sie im direkten Wettstreit mit der weltgrößten Macht stehen. Tatsächlich betrachtet der russische Präsident Wladimir Putin den Zusammenbruch der Sowjetunion als „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“.
Schädliche Torheit
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Infolge dieses Denkens haben zentrale Elemente innerhalb der russischen Elite mit aller Macht – und insbesondere in den letzten Jahren mit einem gewissen Erfolg – versucht, eine Schädigung der russisch-amerikanischen Beziehungen herbeizuführen. Der Kreml scheint darauf bedacht zu sein, die USA systematisch zu behindern, und zwar selbst dort, wo eine derartige Obstruktion nicht in Russlands eigenem nationalen Interesse zu sein scheint. Also verkauft Russland Hightech-Waffen – darunter Bomber, U-Boote und möglicherweise einen Flugzeugträger – an China, das mit Russland nicht nur die weltweit längste Grenze gemein hat, sondern auch einen Teil des Grenzverlaufs infrage stellt. Russlands Unterstützung des Iran bei der Realisierung seiner Nuklearambitionen fällt ebenfalls in die Kategorie selbstzerstörerischer Torheit. Nicht nur baut Russland derzeit im Iran einen zivilen Atomreaktor und hilft damit dem Iran, Wissensfortschritte im Bereich des nuklearen Prozesses zu erzielen; es sträubt sich außerdem, Bemühungen des UN-Sicherheitsrates zu unterstützen, Druck auf den Iran auszulösen, damit dieser keine Nuklearwaffen entwickelt.
Öffentliche Meinung
Die Behinderung auf diplomatischem Wege ist nicht das einzige Mittel, das die russischen Eliten nutzen, um den Antagonismus in den Beziehungen zu den USA zu fördern. Sie bemühen sich auch darum, die öffentliche Meinung im eigenen Lande anzuheizen – jüngstes Beispiel: die angestrengten Bemühungen Putin-freundlicher Medien, die Polonium-Affäre als Inszenierung britisch-amerikanischer Geheimdienste und Propagandisten zu „entlarven“, die darauf abziele, die russische Staatsmacht zu erpressen (vgl. Gastkommentar „Operation ‚Löffel-Witz‘“ von Michail Leontiew, Standard, 9. 12.). Und sie tun das, weil sie anscheinend glauben, dass sie, um ihren Einfluss aufrechtzuerhalten, ein Bild von Amerika als unversöhnlichem Feind Russlands malen müssen, der durch Ausweitung der Nato-Mitgliedschaft auf die ehemals kommunistischen Länder eine existenzielle Bedrohung bis an die Schwelle des Landes selbst herangetragen hat. Natürlich ist diese Dämonisierung nicht mit jener zu Zeiten der UdSSR selbst vergleichbar. Trotzdem: Putin betrachtet es doch als erforderlich, alle paar Monate vor den Fernsehkameras zu posieren und zu verkünden, dass russische Wissenschaftler eine neue Lenkwaffe entwickelt haben, die jedes von den USA möglicherweise zu errichtende Raketenabwehrsystem durchdringen kann.
Warum Putins Berater und PR-Manager ihn zu derart banalen Triumphbekundungen ermutigen, ist schwer nachvollziehbar, wenn man jenes Gefühl der Kränkung nicht versteht, das nahezu alle Russen wegen des Verlustes des russischen Großmachtstatus noch immer empfinden. Die russischen Herrscher selbst schmerzt dieses Trauma noch stärker, was zu einem ausgeprägten und anhaltenden psychologischen Komplex geführt hat. Amerika und der Westen bleiben für sie der ultimative Feind. Descartes äußerte einst den berühmt gewordenen Satz: „Ich denke, also bin ich.“ Die russischen Herrscher scheinen dem Credo zu folgen: „Ich widersetze mich Amerika, also bin ich bedeutend.“
Gefahr: Demokraten
Man denke etwa an die Worte Vitali Tretjakows, des Herausgebers der Wochenzeitschrift Moscow News, zu den jüngsten US-Wahlen. Laut Tretjakow ist „der Aufstieg eines Demokraten zum Präsidenten Amerikas unvergleichlich viel schlimmer für uns als der primitive Imperialismus der gegenwärtigen republikanischen Regierung“. Während „die Aktionen der Republikaner nicht auf uns gerichtet sind“, sondern stattdessen „auf islamische Terroristen und Schurkenstaaten“, würde Russland unter einem demokratischen Präsidenten „aufgrund unseres Autoritarismus, unseres Mangels an Demokratie, der Unterdrückung der Freiheit und der Verletzung der Menschenrechte“ vermutlich „primärer Fokus des [amerikanischen] Antagonismus werden“. Für Tretjakow sind daher der „schlechte Bush und seine Republikaner besser für uns als die sehr schlechten Demokraten“.
Mit dieser Einstellung steht Tretjakow alles andere als allein. Im Gegenteil, seine morbide Logik spiegelt die paranoide Sichtweise, die vom Kreml Besitz ergriffen hat, auf perfekte Weise wider.
Was aber, wenn der Wunsch dieser Leute wahr würde, die Nato zusammenbräche und die Islamisten triumphierten? Wer würde dann deren Vormarsch von Afghanistan und Zentralasien in Richtung der russischen Südgrenze aufhalten? Das Problem diplomatischer Paranoia besteht nicht darin, dass jemand hinter einem her ist, sondern in der Unfähigkeit, zwischen echten und eingebildeten Feinden zu unterscheiden.(DER STANDARD, Printausgabe, 13.12.2006)
Eine alte Redensart unter Moskauer Politikern besagt, dass die Beziehungen zwischen den USA und Russland immer dann besser sind, wenn im Weißen Haus ein Republikaner regiert: Wir sind Staatsmänner, und die Republikaner sind Staatsmänner. Weil wir beide an die Macht glauben, ist es für uns einfach, einander zu verstehen. Das Problem mit dieser Redensart ist das ihr zugrunde liegende paranoide Denken, denn sie impliziert, dass sich das Wesen der russisch-amerikanischen Beziehungen seit dem Ende des Kalten Krieges nicht grundlegend geändert hat – dass die Animositäten, die zwischen den beiden Ländern bestehen, jene von zwei einander für alle Zeit unerbittlich gegenüberstehenden geopolitischen Kontrahenten sind. Die Russen, so scheint es, sind nur dann mit sich zufrieden, wenn sie im direkten Wettstreit mit der weltgrößten Macht stehen. Tatsächlich betrachtet der russische Präsident Wladimir Putin den Zusammenbruch der Sowjetunion als „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“.
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Infolge dieses Denkens haben zentrale Elemente innerhalb der russischen Elite mit aller Macht – und insbesondere in den letzten Jahren mit einem gewissen Erfolg – versucht, eine Schädigung der russisch-amerikanischen Beziehungen herbeizuführen. Der Kreml scheint darauf bedacht zu sein, die USA systematisch zu behindern, und zwar selbst dort, wo eine derartige Obstruktion nicht in Russlands eigenem nationalen Interesse zu sein scheint. Also verkauft Russland Hightech-Waffen – darunter Bomber, U-Boote und möglicherweise einen Flugzeugträger – an China, das mit Russland nicht nur die weltweit längste Grenze gemein hat, sondern auch einen Teil des Grenzverlaufs infrage stellt. Russlands Unterstützung des Iran bei der Realisierung seiner Nuklearambitionen fällt ebenfalls in die Kategorie selbstzerstörerischer Torheit. Nicht nur baut Russland derzeit im Iran einen zivilen Atomreaktor und hilft damit dem Iran, Wissensfortschritte im Bereich des nuklearen Prozesses zu erzielen; es sträubt sich außerdem, Bemühungen des UN-Sicherheitsrates zu unterstützen, Druck auf den Iran auszulösen, damit dieser keine Nuklearwaffen entwickelt.
Öffentliche Meinung
Die Behinderung auf diplomatischem Wege ist nicht das einzige Mittel, das die russischen Eliten nutzen, um den Antagonismus in den Beziehungen zu den USA zu fördern. Sie bemühen sich auch darum, die öffentliche Meinung im eigenen Lande anzuheizen – jüngstes Beispiel: die angestrengten Bemühungen Putin-freundlicher Medien, die Polonium-Affäre als Inszenierung britisch-amerikanischer Geheimdienste und Propagandisten zu „entlarven“, die darauf abziele, die russische Staatsmacht zu erpressen (vgl. Gastkommentar „Operation ‚Löffel-Witz‘“ von Michail Leontiew, Standard, 9. 12.). Und sie tun das, weil sie anscheinend glauben, dass sie, um ihren Einfluss aufrechtzuerhalten, ein Bild von Amerika als unversöhnlichem Feind Russlands malen müssen, der durch Ausweitung der Nato-Mitgliedschaft auf die ehemals kommunistischen Länder eine existenzielle Bedrohung bis an die Schwelle des Landes selbst herangetragen hat. Natürlich ist diese Dämonisierung nicht mit jener zu Zeiten der UdSSR selbst vergleichbar. Trotzdem: Putin betrachtet es doch als erforderlich, alle paar Monate vor den Fernsehkameras zu posieren und zu verkünden, dass russische Wissenschaftler eine neue Lenkwaffe entwickelt haben, die jedes von den USA möglicherweise zu errichtende Raketenabwehrsystem durchdringen kann.
Warum Putins Berater und PR-Manager ihn zu derart banalen Triumphbekundungen ermutigen, ist schwer nachvollziehbar, wenn man jenes Gefühl der Kränkung nicht versteht, das nahezu alle Russen wegen des Verlustes des russischen Großmachtstatus noch immer empfinden. Die russischen Herrscher selbst schmerzt dieses Trauma noch stärker, was zu einem ausgeprägten und anhaltenden psychologischen Komplex geführt hat. Amerika und der Westen bleiben für sie der ultimative Feind. Descartes äußerte einst den berühmt gewordenen Satz: „Ich denke, also bin ich.“ Die russischen Herrscher scheinen dem Credo zu folgen: „Ich widersetze mich Amerika, also bin ich bedeutend.“
Gefahr: Demokraten
Man denke etwa an die Worte Vitali Tretjakows, des Herausgebers der Wochenzeitschrift Moscow News, zu den jüngsten US-Wahlen. Laut Tretjakow ist „der Aufstieg eines Demokraten zum Präsidenten Amerikas unvergleichlich viel schlimmer für uns als der primitive Imperialismus der gegenwärtigen republikanischen Regierung“. Während „die Aktionen der Republikaner nicht auf uns gerichtet sind“, sondern stattdessen „auf islamische Terroristen und Schurkenstaaten“, würde Russland unter einem demokratischen Präsidenten „aufgrund unseres Autoritarismus, unseres Mangels an Demokratie, der Unterdrückung der Freiheit und der Verletzung der Menschenrechte“ vermutlich „primärer Fokus des [amerikanischen] Antagonismus werden“. Für Tretjakow sind daher der „schlechte Bush und seine Republikaner besser für uns als die sehr schlechten Demokraten“.
Mit dieser Einstellung steht Tretjakow alles andere als allein. Im Gegenteil, seine morbide Logik spiegelt die paranoide Sichtweise, die vom Kreml Besitz ergriffen hat, auf perfekte Weise wider.
Was aber, wenn der Wunsch dieser Leute wahr würde, die Nato zusammenbräche und die Islamisten triumphierten? Wer würde dann deren Vormarsch von Afghanistan und Zentralasien in Richtung der russischen Südgrenze aufhalten? Das Problem diplomatischer Paranoia besteht nicht darin, dass jemand hinter einem her ist, sondern in der Unfähigkeit, zwischen echten und eingebildeten Feinden zu unterscheiden.(DER STANDARD, Printausgabe, 13.12.2006)