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Serbien: Auf gefährlichem Kurs

Yutaka

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Serbien:Auf gefährlichem Kurs


04. Februar 2008 Den Serben, sagt Notenbankpräsident Radovan Jelasic, gehe es recht gut. Seit 2001 habe das jährliche Durchschnittswachstum 5,5 Prozent betragen, im vergangenen Jahr sei das Wachstum sogar auf robuste 7 Prozent geklettert. Der in der Statistik ausgewiesene Durchschnittslohn von 350 Euro im Monat reflektiere ebenso wenig die Wirklichkeit wie die Arbeitslosenzahlen, da der graue Markt blühe und viele arbeitslos gemeldete Serben schwarz arbeiteten.


Gleichwohl seien seine Landsleute chronisch unzufrieden und daher häufig bereit, den radikalen rückwärtsgewandten politischen Kräften ihre Stimme zu geben. „Die Serben vergleichen ihren heutigen Lebensstandard nicht mit den Verhältnissen vor zehn Jahren, als sie für Brot anstehen mussten, Benzin nur in Flaschen erhältlich war und die Preise explodierten“, erläutert Jelasic. Alle dächten allein an die „paradiesischen Verhältnisse“ unter Staatspräsident Tito. Die Serben seien Gefangene ihrer Vergangenheit, unfähig, der Realität ins Auge zu sehen und sich der Zukunft zuzuwenden.


Erfolgreichen Reform des Bankensystems

Jelasic, der gerade für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt worden ist, beklagt den fehlenden Mut der Reformpolitiker. Nach einem rasanten Start im Jahr 2001 habe sie die Ermordung von Ministerpräsident Zoran Djindjic im März 2003 vollkommen gelähmt. Statt die Reformen weiterzutreiben, seien sie damals dem Populismus verfallen. Dies habe die Radikale Partei zurück ins Spiel gebracht. Schlimmer noch: Neben den aufgeschobenen Strukturreformen belasteten auch die ungelösten politischen Probleme die Wirtschaft und erlaubten ihr nicht, ihr volles Potential zu verwirklichen.


Dabei habe Serbien mit der erfolgreichen Reform des Bankensystems seine Fähigkeit bewiesen, vernünftige Reformen durchzusetzen. „Mit dem Bankensystem, das heute zu 80 Prozent ausländischen Banken gehört, ist Serbien in Europa angekommen“, betont der Gouverneur. Heute gebe es in Serbien mehr als 4 Millionen Kreditkarten und Spareinlagen von mehr als 5 Milliarden Euro. Der Bankensektor zahle überdurchschnittliche Löhne und beschäftige heute mehr Angestellte als im Jahr 2001, als die Notenbank die sofortige Schließung von sechs Großbanken angeordnet hatte.

Der Dinar legt deutlich zu
Das neueste Opfer der anhaltenden politischen Unsicherheit ist die serbische Währung. Gleich nach dem ersten Wahlgang für die Präsidentenwahlen hat der bisher stabile Dinar mehr als 2 Prozent an Wert verloren. Dieser Wertverlust spiegelte die Befürchtung internationaler Investoren wider, die Präsidentenwahl könne die radikalen Kräfte stärken und das Land destabilisieren. Nach Bekanntgabe des Wahlsiegs von Boris Tadic legte der Dinar am Montag wieder deutlich zu. Er gewann rund 1,3 Prozent an Wert.






Bei dem neuen Energieabkommen mit Russland, mit dem allzu offensichtlich der politische Beistand Russlands in der Kosovo-Frage belohnt wird, musste sich die Ökonomie der Politik beugen. Wirtschaftsminister Mladjan Dinkic und Europaminister Bozidar Djelic, die mit Hilfe eines internationalen Ausschreibungsverfahrens den besten Preis für die staatliche Öl- und Gasgesellschaft Nis erzielen wollten, konnten sich gegen Präsident Boris Tadic und Ministerpräsident Vojislav Kostunica nicht durchsetzen. Nis geht für 400 Millionen Euro an den russischen Energiekonzern Gasprom. Dinkic hatte dagegen mit einem Erlös von mehr als 2 Milliarden Euro gerechnet.






Privatisierung der wichtigsten Staatsbetriebe
Zu dem Abkommen mit Russland hat Brüssel bisher geschwiegen, obschon offensichtlich gegen die in Europa üblichen Ausschreibungsregeln verstoßen wurde, zu denen sich Serbien im Rahmen des im November paraphierten Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens verpflichtet hat. Unerfüllt blieb allerdings auch die Hoffnung der Reformpolitiker um Dinkic und Djelic, die EU-Kommission werde das Abkommen als Goodwill-Geste noch vor den Wahlen unterzeichnen. Da die Niederlande die Zustimmung wegen der unzureichenden Kooperation Serbiens mit dem Haager Kriegstribunal verweigerten, bietet Brüssel Serbien alternativ nun ein Abkommen zur Liberalisierung des Handels und des Visa-Regimes an; außerdem soll die Zusammenarbeit auf dem Erziehungssektor intensiviert werden.






Ausländische Investoren warten ungeduldig auf die Umsetzung längst überfälliger struktureller Reformen, die oftmals versprochen, aber immer wieder aufgeschoben worden sind. Auch jetzt beteuert die Regierung, bis zum Jahresende werde die Privatisierung der wichtigsten Staatsbetriebe abgeschlossen sein. Dabei handelt es sich um die serbische Telekom, den Stromversorger EPS, den Flughafen Belgrad, die serbische Fluggesellschaft Jat, den Chemiekonzern Galenika sowie Nis, das bereits den Russen zugesagt ist. Die Unternehmen sollen entweder an die Börse gebracht oder an strategische Investoren verkauft werden. Wirtschaftsminister Dinkic hofft, durch diese Privatisierungen nicht nur mehr als 3 Milliarden Euro für dringend notwendige Infrastrukturinvestitionen einzunehmen. Er verspricht sich davon auch eine Aufwertung der Belgrader Börse. 15 Prozent der Aktien beziehungsweise 2,5 Prozent des Marktwertes sollen allerdings unentgeltlich an 4 Millionen Serben verteilt werden, die bei den bisherigen Privatisierungen leer ausgegangen sind.






Viele Staatsunternehmen gelten als unverkäuflich
In Serbien trifft diese Geschenkaktion, die jedem Anteilseigner mindestens 1000 Euro pro Aktie garantieren soll, nicht überall auf Begeisterung. Immer gehe es in Serbien nur um Verteilung, nie um vernünftige Maßnahmen, die den wirtschaftlichen Kuchen vergrößerten, schimpft Notenbankpräsident Jelasic. Auch internationale Investoren halten wenig von diesem Vorgehen. Da aber mit Hilfe der Weltbank die gröbsten Fehler des Aktienvergabe ausgemerzt worden sind, hoffen Wirtschaftskreise inzwischen, der unverhoffte Reichtum werde die Bevölkerung mit der Privatisierung der strategischen Staatsunternehmen versöhnen. Denn es ist keineswegs nur die Radikale Partei Serbiens, die den Verkauf der Staatsbetriebe als „Verscherbelung des Tafelsilbers“ ablehnt.




Fachleute fürchten freilich, dass Serbien den günstigsten Zeitpunkt für den Ausverkauf längst verpasst hat. Im derzeitigen internationalen Umfeld sei es zum Beispiel fast unmöglich, einen Interessenten für die staatliche Fluglinie zu finden, glaubt man in der Österreichischen Handelsvertretung in Belgrad. Viele Staatsunternehmen könnten nur mit Subventionen überleben und seien deshalb unverkäuflich. Serbien habe spät mit der Transformation begonnen und viel Zeit verloren.


Investoren fordern Abbau der Bürokratie
Neben der Privatisierung fordern die Investoren auch den Abbau der Bürokratie und die nachhaltige Verbesserung des Unternehmensklimas. Die Weltbank, die Serbien in ihrem Bericht „Doing Business“ für das Jahr 2006 noch einen Spitzenplatz unter den Reformländern eingeräumt hatte, beklagt inzwischen wieder Rückschritte. Ökonomisch stark werde Serbien nur dann werden, wenn es auf Dauer eine stabile, berechenbare und transparente Wirtschaftspolitik betreibe und die marktwirtschaftliche Transformation zu Ende führe, sagt Weltbankvertreter Simon Gray. Eine vernünftige Wirtschaftspolitik habe jedoch nur dann wirklich eine Chance, wenn die politische Unsicherheit endlich beseitigt werde.






Vor diesem Hintergrund üben auch die ausländischen Investoren Zurückhaltung. Seit dem Jahr 2000 wurden in Serbien zwar rund 11 Milliarden Dollar investiert, im Rekordjahr 2006 flossen dank einiger größerer Projekte sogar 4,7 Milliarden Dollar ins Land; inzwischen sind die Kapitalzuflüsse aber wieder recht bescheiden geworden. Es fehlen vor allem Investitionen auf der grünen Wiese, die Arbeitsplätze schaffen und mit erfolgreichen Exportprodukten das viel zu hohe Leistungsbilanzdefizit reduzieren, das im vergangenen Jahr 14,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen hat. Selbst Österreich, der erfolgreichste Investor in Serbien, hat unter 280 Unternehmen nur etwa 30, die in Serbien Produktionsanlagen betreiben. Das Gros der Unternehmen beschränkt sich auf Vertrieb und Handel. Nicht anders sieht es bei den 150 deutschen Unternehmen aus, die in Serbien gut 1,2 Milliarden Euro investiert haben. Das Interesse an Serbien sei zwar da, heißt es im Büro der deutschen Wirtschaft in Belgrad; im Wettbewerb mit anderen osteuropäischen Standorten gehe Serbien aber wegen der zahlreichen politischen Risiken, aber auch wegen der mangelhaften Umsetzung der Gesetze häufig leer aus.






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