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[h=1]Serbien und die KorruptionDer unbekannte Gangster[/h]09.02.2013 · Serbiens Regierung hat sich mit mächtigen Oligarchen angelegt. Nun steht Regierungschef Dačić selbst unter Verdacht, Kontakte zur Mafia zu haben.
Von MICHAEL MARTENS, ISTANBUL
Alle vier Jahre geben Politiker der Balkanstaaten feierliche Versprechen ab: Im Wahlkampf geloben sie, sofern sie in der Opposition sind, einen entschlossenen Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität. An die Macht gelangt, arrangieren sich viele dann mit den vorgefundenen Verhältnissen. So war es beispielsweise in den ersten zwölf Jahren nach dem Sturz des großserbischen Kriegstreibers Slobodan Milošević am 5. Oktober 2000.
Derzeit scheint sich das jedoch zu ändern. Was mit der Verhaftung des einst allmächtigen Oligarchen Miroslav Mišković im Dezember begann, setzt sich seither fort. Nach Mišković erhielt Ende Januar Milan Beko, ein anderer zwielichtiger serbischer Wirtschaftsführer, eine Vorladung von der serbischen Polizei. Beko war in den neunziger Jahren, als Milošević in Belgrad herrschte, als „Privatisierungsminister“ für die Ausplünderung der serbischen Bevölkerung und das Zusammenraffen von Staatseigentum zuständig. Dann sank Miloševićs Stern, und Beko lief wie die meisten Oligarchen zur demokratischen Opposition über. Als Sponsor der nach dem Sturz Miloševićs an die Macht gekommenen neuen Parteien kaufte er sich nicht nur die Befreiung vor Strafverfolgung, sondern auch die Garantie, weiterhin seine Geschäfte ungehindert verfolgen zu können.
[h=2]Keiner hat sie aufgehalten[/h]Jahrelang funktionierte das gut, zumindest für die Oligarchen. Der frühere serbische Staatspräsident Boris Tadić und der ehemalige Regierungschef Vojislav Koštunica, aber auch fast alle anderen gewählten Machthaber in Serbien ließen die Oligarchen ungestört walten. Mit Hilfe der Politik hinderten die Wirtschaftsbosse ausländische Mitbewerber in jenen Branchen, in denen sie eigene Interessen verfolgten, erfolgreich am Markteintritt in Serbien. Der bizarre Verlauf einiger „Privatisierungen“ demonstrierte, dass die Oligarchen oft unter Ausschaltung rechtsstaatlicher Prinzipien handeln und ihren Besitz mehren konnten. Beko ist unter anderem dem in Serbien (nicht ohne eigene Mitschuld) arg gerupften Essener Zeitungskonzern WAZ noch in unguter Erinnerung, weil er die Investoren aus Deutschland systematisch hinters Licht führte.
Doch seit einigen Monaten weht in Serbien ein neuer Wind. Wichtigster Windmacher ist Aleksandar Vučić, der als stellvertretender Regierungschef, Vorsitzender der größten Koalitionspartei, Verteidigungsminister und Koordinator der serbischen Geheimdienste immer unverkennbarer zur dominierenden politischen Figur in dem Balkanstaat heranwächst. Als seine Parteifreundin Jorgovanka Tabaković, Chefin der serbischen Zentralbank, unlängst in einem Fernsehinterview Äußerungen tat, die so verstanden werden konnten, als verteidige sie Milan Beko, der gerade sechs Stunden lang von der Polizei wegen seiner Rolle in der höchst suspekten Privatisierung des Belgrader Hafens verhört worden war, intervenierte Vučić sofort. Die Zentralbankgouverneurin hatte gemutmaßt, Beko werde davonkommen, weil er „ein sehr, sehr intelligenter“ und „weitsichtiger“ Mann sei.
[h=2]Nur das Gesetz zählt[/h]Diese Aussage nährte Spekulationen, dass Vučić nur selektiv gegen die korrupten Magnaten vorgehen, jene Oligarchen aber schonen wolle, die sich als Sponsoren seiner Partei großherzig zeigten. Dem widersprach Vučić, Chef der Serbischen Fortschrittspartei (SNS), energisch: Es gehe allein um die Frage, ob bei einigen (auch von der EU in ihren Fortschrittsberichten bemängelten) Privatisierungen die Gesetze eingehalten worden seien. „Das ist alles, was uns interessiert. Sollte das Gesetz verletzt worden sein, wird jeder Schuldige verfolgt, einschließlich Bekos“, so Vučić, der zudem ankündigte, „in den kommenden Tagen“ werde der Beweis dafür erbracht werden, dass der Kampf der Regierung gegen Korruption „alles andere als selektiv“ sei. Die Serben vernahmen es mit Interesse und warten gespannt auf die Dinge, die da kommen mögen.
Neu für Serbien ist, dass vom Kampf gegen Korruption nicht nur geredet wird, sondern tatsächlich erste messbare Schritte folgen. Früher wagten es serbische Regierungspolitiker nicht einmal, die im ganzen Land bekannten Oligarchen auch nur beim Namen zu nennen. Die serbischen Oligarchen waren der Gottseibeiuns der Belgrader Politik.
Sollte Vučić, ein ehemaliger Aktivist der extrem nationalistischen Serbischen Radikalen Partei, es tatsächlich ernst meinen mit dem Kampf gegen die Großkorruption, droht ihm allerdings Ungemach in der eigenen Regierung. Serbiens Regierungschef Ivica Dačić, zugleich Innenminister, steht nämlich seit Tagen wegen angeblicher Kontakte zur Mafia unter Druck. Dačić, ehemals ein enger Weggefährte Miloševićs, ist Vorsitzender der Sozialistischen Partei Serbiens, ohne deren Stimmen im Parlament sich die SNS einen neuen Regierungspartner suchen müsste. Mehrere serbische Zeitungen veröffentlichten dieser Tage ihnen zugespielte Dokumente, laut denen Dačić sich in der vorigen Legislaturperiode, als er bereits Innenminister war, mehrfach mit einem einflussreichen Mitglied einer auf dem gesamten Balkan tätigen, auf den Schmuggel von Kokain aus Südamerika nach Europa spezialisierten Rauschgiftbande getroffen habe.
[h=2]Abhörprotokolle geben Auskunft über Treffen[/h]Dačić bestreitet nicht, dass sich die Treffen ereigneten, behauptet aber, der kriminelle Hintergrund seines Gesprächspartners sei ihm nicht bekannt gewesen. Warum er sich als Innenminister mehrfach mit einem Mann traf, dessen Hintergrund er nicht kannte, und worüber er mit dem Unbekannten sprach, sagte Dačić nicht. Es ließ sich aber partiell aus den veröffentlichten Abhörprotokollen rekonstruieren, deren Authentizität bisher nicht bestritten wurde. Abgehört wurde nicht Dačić, sondern sein ihm unbekannter Gesprächspartner, wodurch auch Dačićs Äußerungen protokolliert wurden. Offenbar fragte der Gangster den ahnungslosen Minister nach dem Verlauf eines Prozesses gegen eine andere Unterweltgröße, woraufhin der Minister dem Gangster treuherzig bedeutete, er solle sich keine Sorgen machen.
Laut einem Bericht der Zeitung „Blic“ fanden die Treffen zwischen 2008 und 2009 statt. Die ehemals mit Dačcic regierende Demokratische Partei, aus deren Reihen die Dokumente vermutlich der Presse zugesteckt wurden, fordert Neuwahlen und einen Rücktritt Dačićs. Vučić steht indes weiterhin zu seinem Chef, denn ein geschwächter Ministerpräsident kommt ihm zupass. In Belgrad wird nun vermutet, dass Dačić noch Regierungschef bleiben darf, bis Serbien den Dialog mit dem Kosovo zur Zufriedenheit Brüssels abgeschlossen und als Belohnung ein Datum für den Beginn von EU-Beitrittsgesprächen erhalten hat. Das könnte im Juni des Jahres der Fall sein. Vielleicht wissen die Serben bis dahin mehr darüber, was Dačić mit dem ihm angeblich unbekannten Mafiaboss zu besprechen hatte. Sollte er sich partout nicht erinnern können, wäre es keine Überraschung, wenn Belgrader Zeitungen ihm durch die Veröffentlichung weiterer Gedächtnisstützen zur Hilfe kämen.
Quelle: F.A.Z.
Von MICHAEL MARTENS, ISTANBUL
Alle vier Jahre geben Politiker der Balkanstaaten feierliche Versprechen ab: Im Wahlkampf geloben sie, sofern sie in der Opposition sind, einen entschlossenen Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität. An die Macht gelangt, arrangieren sich viele dann mit den vorgefundenen Verhältnissen. So war es beispielsweise in den ersten zwölf Jahren nach dem Sturz des großserbischen Kriegstreibers Slobodan Milošević am 5. Oktober 2000.
Derzeit scheint sich das jedoch zu ändern. Was mit der Verhaftung des einst allmächtigen Oligarchen Miroslav Mišković im Dezember begann, setzt sich seither fort. Nach Mišković erhielt Ende Januar Milan Beko, ein anderer zwielichtiger serbischer Wirtschaftsführer, eine Vorladung von der serbischen Polizei. Beko war in den neunziger Jahren, als Milošević in Belgrad herrschte, als „Privatisierungsminister“ für die Ausplünderung der serbischen Bevölkerung und das Zusammenraffen von Staatseigentum zuständig. Dann sank Miloševićs Stern, und Beko lief wie die meisten Oligarchen zur demokratischen Opposition über. Als Sponsor der nach dem Sturz Miloševićs an die Macht gekommenen neuen Parteien kaufte er sich nicht nur die Befreiung vor Strafverfolgung, sondern auch die Garantie, weiterhin seine Geschäfte ungehindert verfolgen zu können.
[h=2]Keiner hat sie aufgehalten[/h]Jahrelang funktionierte das gut, zumindest für die Oligarchen. Der frühere serbische Staatspräsident Boris Tadić und der ehemalige Regierungschef Vojislav Koštunica, aber auch fast alle anderen gewählten Machthaber in Serbien ließen die Oligarchen ungestört walten. Mit Hilfe der Politik hinderten die Wirtschaftsbosse ausländische Mitbewerber in jenen Branchen, in denen sie eigene Interessen verfolgten, erfolgreich am Markteintritt in Serbien. Der bizarre Verlauf einiger „Privatisierungen“ demonstrierte, dass die Oligarchen oft unter Ausschaltung rechtsstaatlicher Prinzipien handeln und ihren Besitz mehren konnten. Beko ist unter anderem dem in Serbien (nicht ohne eigene Mitschuld) arg gerupften Essener Zeitungskonzern WAZ noch in unguter Erinnerung, weil er die Investoren aus Deutschland systematisch hinters Licht führte.
Doch seit einigen Monaten weht in Serbien ein neuer Wind. Wichtigster Windmacher ist Aleksandar Vučić, der als stellvertretender Regierungschef, Vorsitzender der größten Koalitionspartei, Verteidigungsminister und Koordinator der serbischen Geheimdienste immer unverkennbarer zur dominierenden politischen Figur in dem Balkanstaat heranwächst. Als seine Parteifreundin Jorgovanka Tabaković, Chefin der serbischen Zentralbank, unlängst in einem Fernsehinterview Äußerungen tat, die so verstanden werden konnten, als verteidige sie Milan Beko, der gerade sechs Stunden lang von der Polizei wegen seiner Rolle in der höchst suspekten Privatisierung des Belgrader Hafens verhört worden war, intervenierte Vučić sofort. Die Zentralbankgouverneurin hatte gemutmaßt, Beko werde davonkommen, weil er „ein sehr, sehr intelligenter“ und „weitsichtiger“ Mann sei.
[h=2]Nur das Gesetz zählt[/h]Diese Aussage nährte Spekulationen, dass Vučić nur selektiv gegen die korrupten Magnaten vorgehen, jene Oligarchen aber schonen wolle, die sich als Sponsoren seiner Partei großherzig zeigten. Dem widersprach Vučić, Chef der Serbischen Fortschrittspartei (SNS), energisch: Es gehe allein um die Frage, ob bei einigen (auch von der EU in ihren Fortschrittsberichten bemängelten) Privatisierungen die Gesetze eingehalten worden seien. „Das ist alles, was uns interessiert. Sollte das Gesetz verletzt worden sein, wird jeder Schuldige verfolgt, einschließlich Bekos“, so Vučić, der zudem ankündigte, „in den kommenden Tagen“ werde der Beweis dafür erbracht werden, dass der Kampf der Regierung gegen Korruption „alles andere als selektiv“ sei. Die Serben vernahmen es mit Interesse und warten gespannt auf die Dinge, die da kommen mögen.
Neu für Serbien ist, dass vom Kampf gegen Korruption nicht nur geredet wird, sondern tatsächlich erste messbare Schritte folgen. Früher wagten es serbische Regierungspolitiker nicht einmal, die im ganzen Land bekannten Oligarchen auch nur beim Namen zu nennen. Die serbischen Oligarchen waren der Gottseibeiuns der Belgrader Politik.
Sollte Vučić, ein ehemaliger Aktivist der extrem nationalistischen Serbischen Radikalen Partei, es tatsächlich ernst meinen mit dem Kampf gegen die Großkorruption, droht ihm allerdings Ungemach in der eigenen Regierung. Serbiens Regierungschef Ivica Dačić, zugleich Innenminister, steht nämlich seit Tagen wegen angeblicher Kontakte zur Mafia unter Druck. Dačić, ehemals ein enger Weggefährte Miloševićs, ist Vorsitzender der Sozialistischen Partei Serbiens, ohne deren Stimmen im Parlament sich die SNS einen neuen Regierungspartner suchen müsste. Mehrere serbische Zeitungen veröffentlichten dieser Tage ihnen zugespielte Dokumente, laut denen Dačić sich in der vorigen Legislaturperiode, als er bereits Innenminister war, mehrfach mit einem einflussreichen Mitglied einer auf dem gesamten Balkan tätigen, auf den Schmuggel von Kokain aus Südamerika nach Europa spezialisierten Rauschgiftbande getroffen habe.
[h=2]Abhörprotokolle geben Auskunft über Treffen[/h]Dačić bestreitet nicht, dass sich die Treffen ereigneten, behauptet aber, der kriminelle Hintergrund seines Gesprächspartners sei ihm nicht bekannt gewesen. Warum er sich als Innenminister mehrfach mit einem Mann traf, dessen Hintergrund er nicht kannte, und worüber er mit dem Unbekannten sprach, sagte Dačić nicht. Es ließ sich aber partiell aus den veröffentlichten Abhörprotokollen rekonstruieren, deren Authentizität bisher nicht bestritten wurde. Abgehört wurde nicht Dačić, sondern sein ihm unbekannter Gesprächspartner, wodurch auch Dačićs Äußerungen protokolliert wurden. Offenbar fragte der Gangster den ahnungslosen Minister nach dem Verlauf eines Prozesses gegen eine andere Unterweltgröße, woraufhin der Minister dem Gangster treuherzig bedeutete, er solle sich keine Sorgen machen.
Laut einem Bericht der Zeitung „Blic“ fanden die Treffen zwischen 2008 und 2009 statt. Die ehemals mit Dačcic regierende Demokratische Partei, aus deren Reihen die Dokumente vermutlich der Presse zugesteckt wurden, fordert Neuwahlen und einen Rücktritt Dačićs. Vučić steht indes weiterhin zu seinem Chef, denn ein geschwächter Ministerpräsident kommt ihm zupass. In Belgrad wird nun vermutet, dass Dačić noch Regierungschef bleiben darf, bis Serbien den Dialog mit dem Kosovo zur Zufriedenheit Brüssels abgeschlossen und als Belohnung ein Datum für den Beginn von EU-Beitrittsgesprächen erhalten hat. Das könnte im Juni des Jahres der Fall sein. Vielleicht wissen die Serben bis dahin mehr darüber, was Dačić mit dem ihm angeblich unbekannten Mafiaboss zu besprechen hatte. Sollte er sich partout nicht erinnern können, wäre es keine Überraschung, wenn Belgrader Zeitungen ihm durch die Veröffentlichung weiterer Gedächtnisstützen zur Hilfe kämen.
Quelle: F.A.Z.