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Sieg für Nahda-Partei
Warum Tunesien die Islamisten gewählt hat
Von Mathieu von Rohr
Es ist eine Blamage für Tunesiens Elite: Die islamistische Nahda-Partei wird wohl in die Regierung einziehen. Gewählt hat sie das einfache Volk, das sich nach ehrlicher Politik sehnt. Doch Panik vor einem neuen Gottesstaat ist nicht angebracht - das Vorbild der Sieger ist die Türkei.
Paris - Sie sind die Sieger der ersten freien Wahlen in Tunesien: die Islamisten von der Nahda-Partei. Wie viele Stimmen sie genau gewonnen haben, steht zwar noch nicht endgültig fest, aber sie haben wohl mehr als 30 Prozent, vielleicht sogar mehr als 40 Prozent bekommen, und sie werden in der neuen verfassungsgebenden Versammlung mit Abstand über die meisten Sitze verfügen.
Warum Menschen sich in ihren ersten freien Wahlen für eine religiöse Partei entscheiden? Die "Bild"-Zeitung fragte gar: "Kann ich noch in Tunesien Badeurlaub machen?"
Es fällt leicht, die Nachrichten von der Wiedereinführung der Polygamie in Libyen und die Nachricht vom Sieg der Islamisten in Tunesien miteineinander in Verbindung zu bringen. Doch es liegen Welten dazwischen. Denn das tunesische Wahlergebnis ist erstens nicht überraschend, und es ist zweitens kein Grund zur Sorge.
Zunächst einmal ist es ein Sieg der Demokratie. Die Wahlen vom Sonntag verliefen reibungslos, sie waren perfekt organisiert, sie waren frei und fair, wie alle internationalen Beobachter bestätigen. Deutlich über 50 Prozent der Wahlberechtigten sind an die Urne gegangen. Das sind sehr erfreuliche Nachrichten aus einem Land, wo erstmals überhaupt wirklich demokratische Wahlen stattfanden. Außerdem hat eine sehr große Zahl der Bürger, vielleicht sogar die Mehrzahl, Parteien gewählt, die nicht religiös geprägt sind.
Die Islamisten in Tunesien sind moderat
Es ist auch nicht zu erwarten, dass Tunesien zu einem Gottesstaat nach iranischem Muster wird. Die Islamisten von der Nahda-Partei sind in ihrer großen Mehrzahl moderat. Rachid Ghannouchi, ihr Anführer, hat immer wieder betont, dass seine Partei die in der bisherigen Verfassung festgeschriebene Gleichheit von Mann und Frau unterstütze, dass sie niemandem vorschreiben wolle, ein Kopftuch zu tragen und schon gar nichts von Forderungen wie der Einführung der Polygamie oder gar Körperstrafen halte. Ghannouchi vergleicht die Positionen von Nahda gerne mit den moderaten Islamisten von der AKP, die in der Türkei an der Regierung sind.
Nahda ist eine sehr große Bewegung, und es gibt darin auch Strömungen, die konservativer sind als ihre jetzige Führung. Doch die meisten Wähler haben sich nicht für Nahda entschieden, weil sie sich nach einem rigiden religiösen Regime sehnen, sondern weil sie ihnen als die glaubwürdigste, volksnaheste Partei gilt.
Nach der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1956 wurde Tunesien von einer französisch geprägten Elite nach westlichem Muster gelenkt. Staatsgründer Habib Bourguiba konnte mit Religion nichts anfangen - das Kopftuch nannte er einen "abscheulichen Fetzen", im Ramadan ließ er sich filmen wie er trotz des Fastengebots Orangensaft trank. Schon unter Bourguiba war Tunesien keine Demokratie - unter seinem Nachfolger Zine el-Abidine Ben Ali war es endgültig eine Diktatur.
Das alte Regime verfolgte Islamisten rigoros
Das Regime ließ die Islamisten jahrzehntelang verfolgen, es ließ ihre Anhänger in Gefängnisse sperren und brutal foltern, viele von ihnen mussten ins Ausland fliehen - so auch ihr Anführer Ghannouchi, der 20 Jahre in London lebte und erst im Januar in seine Heimat zurückkehrte. Deswegen sah man auf tunesischen Straßen vor der Revolution kaum Frauen mit Kopftüchern, der Islam spielte im Land eine untergeordnete Rolle und berufstätige Frauen waren zumindest in Tunis schon lange eine Selbstverständlichkeit. Das Land hatte ein westliches Gesicht, aber das war nur die Hälfte der Wahrheit.
Die kulturelle und soziale Kluft im Land war immer schon groß, und sie nahm immer weiter zu in den vergangenen Jahren. Auf der einen Seite die reiche tunesische Elite in Tunis, die oft in Frankreich ausgebildet war und den französischen Lebensstil nachahmte, manchmal sogar lieber Französisch als Arabisch sprach.
Auf der anderen Seite das einfache, meist konservative Volk im Landesinnern und den armen Vororten der Hauptstadt. Es war nicht die Elite, die Ben Ali stürzte, es waren die jungen Leute aus den ärmsten Regionen des Landes, die verzweifelt und arbeitslos sind. Sie waren es, die sich wochenlang Kämpfe mit der Polizei lieferten, aus ihren Reihen kamen die meisten Toten.
Nahda wirbt mit Wirtschaftsboom
Viele von ihnen haben jetzt Nahda gewählt. Denn Nahda ist in ihren Augen all das, was die bisherigen Herrscher nicht waren: vertrauenswürdig, nicht korrupt, moralisch einwandfrei, sozial eingestellt. Sie wurden von Ben Ali verfolgt, sie waren Outsider, sie hatten vom alten System bestimmt nicht profitiert, und darin konnte man sich bei vielen anderen Politikern nicht sicher sein. Nahda stellte in ihrer Kampagne auch einen Wirtschaftsboom nach türkischem Vorbild in Aussicht und schaffte es, sich als einzig wahre Bewahrerin der "arabo-musulmanischen" tunesischen Identität darzustellen.
Der Erfolg von Nahda ist auch eine Ohrfeige für die westlich geprägte tunesische Elite - ihre säkularen, linksliberalen Parteien erzielten teils verheerende Wahlergebnisse. Sie mussten feststellen, dass sie keinen Draht zur einfachen Landbevölkerung fanden, während Nahda in diesen Gebieten gewaltige Siege verzeichnete. Das lag zwar auch an der überlegenen Organisation und Finanzkraft von Nahda, die im ganzen Land Zehntausende von Mitgliedern hat und als einzige Partei Beobachter in alle Wahllokale entsenden konnte.
Aber es lag vor allem daran, dass viele der Politiker bei den Wählern Ressentiments auslösten - sie mochten mit Ben Ali nichts zu tun gehabt haben, aber sie sahen aus und erschienen den Leuten wie Vertreter des alten Regimes. So erging es etwa Achmed Nejib Chebbi, der sich unter Ben Ali als Oppositioneller profiliert hatte und mit seiner linksliberalen Mitte-Partei PDP als kritischster Gegenkandidat zu Nahda positionieren wollte - ein glattrasierter, Anzug tragender Mann, der perfektes Französisch spricht. Seine Partei hat nach bisherigem Stand trotz sehr hoher Erwartungen nur mickrige drei Sitze gewonnen.
Immer mehr Kopftücher im Straßenbild
Nicht nur in Europa, auch in Tunesien machen sich die Vertreter einer säkularen Politik Sorgen wegen des überragenden Wahlerfolgs der Islamisten. Und es ist gewiss: Der Islam wird in Tunesien in Zukunft größeres Gewicht erhalten. Schon seit der Revolution sieht man überall Kopftücher und Bärte, es gibt Berichte von Imamen, die aus der Moschee verjagt wurden, weil sie als zu liberal galten. Und als ein Privatsender eine Woche vor der Wahl den Zeichentrickfilm "Persepolis" zeigte, in dem Allah entgegen der islamischen Gebote als alter Mann zu sehen ist, kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen.
Aber Tunesien ist auch immer noch ein vergleichsweise liberales islamisches Land, seine Bevölkerung ist mehrheitlich konservativ, aber auch nicht streng gläubig und durchaus auch westlich beeinflusst. Es ist auch auf Touristen und Investoren angewiesen. Es kann sich nicht leisten, sie zu vergraulen.
Nahda wird voraussichtlich nicht alleine regieren können. Eine Mehrheit der Tunesier hat die Partei nicht gewählt, und sie wird sich voraussichtlich Koalitionspartner aus den Reihen der säkularen Parteien suchen müssen.
Ein Nahda-Sprecher regte eine Regierung der nationalen Einheit an. Das würde ein Zeichen der Versöhnung setzen, und es würde auch die Stabilität garantieren, die das Land nun dringend braucht. Die Politiker müssen die Wirtschaft wieder ankurbeln und sie müssen sich auf eine Verfassung einigen. Ein Jahr ist für die Arbeit daran vorgesehen. Dann wird es voraussichtlich wieder Wahlen geben. Und alle Parteien bekommen eine neue Chance.
DER SPIEGEL
Sieg für Nahda-Partei: Warum Tunesien die Islamisten gewählt hat - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten - Politik
Na ja immerhin moderate Islamisten
Warum Tunesien die Islamisten gewählt hat
Von Mathieu von Rohr
Es ist eine Blamage für Tunesiens Elite: Die islamistische Nahda-Partei wird wohl in die Regierung einziehen. Gewählt hat sie das einfache Volk, das sich nach ehrlicher Politik sehnt. Doch Panik vor einem neuen Gottesstaat ist nicht angebracht - das Vorbild der Sieger ist die Türkei.
Paris - Sie sind die Sieger der ersten freien Wahlen in Tunesien: die Islamisten von der Nahda-Partei. Wie viele Stimmen sie genau gewonnen haben, steht zwar noch nicht endgültig fest, aber sie haben wohl mehr als 30 Prozent, vielleicht sogar mehr als 40 Prozent bekommen, und sie werden in der neuen verfassungsgebenden Versammlung mit Abstand über die meisten Sitze verfügen.
Warum Menschen sich in ihren ersten freien Wahlen für eine religiöse Partei entscheiden? Die "Bild"-Zeitung fragte gar: "Kann ich noch in Tunesien Badeurlaub machen?"
Es fällt leicht, die Nachrichten von der Wiedereinführung der Polygamie in Libyen und die Nachricht vom Sieg der Islamisten in Tunesien miteineinander in Verbindung zu bringen. Doch es liegen Welten dazwischen. Denn das tunesische Wahlergebnis ist erstens nicht überraschend, und es ist zweitens kein Grund zur Sorge.
Zunächst einmal ist es ein Sieg der Demokratie. Die Wahlen vom Sonntag verliefen reibungslos, sie waren perfekt organisiert, sie waren frei und fair, wie alle internationalen Beobachter bestätigen. Deutlich über 50 Prozent der Wahlberechtigten sind an die Urne gegangen. Das sind sehr erfreuliche Nachrichten aus einem Land, wo erstmals überhaupt wirklich demokratische Wahlen stattfanden. Außerdem hat eine sehr große Zahl der Bürger, vielleicht sogar die Mehrzahl, Parteien gewählt, die nicht religiös geprägt sind.
Die Islamisten in Tunesien sind moderat
Es ist auch nicht zu erwarten, dass Tunesien zu einem Gottesstaat nach iranischem Muster wird. Die Islamisten von der Nahda-Partei sind in ihrer großen Mehrzahl moderat. Rachid Ghannouchi, ihr Anführer, hat immer wieder betont, dass seine Partei die in der bisherigen Verfassung festgeschriebene Gleichheit von Mann und Frau unterstütze, dass sie niemandem vorschreiben wolle, ein Kopftuch zu tragen und schon gar nichts von Forderungen wie der Einführung der Polygamie oder gar Körperstrafen halte. Ghannouchi vergleicht die Positionen von Nahda gerne mit den moderaten Islamisten von der AKP, die in der Türkei an der Regierung sind.
Nahda ist eine sehr große Bewegung, und es gibt darin auch Strömungen, die konservativer sind als ihre jetzige Führung. Doch die meisten Wähler haben sich nicht für Nahda entschieden, weil sie sich nach einem rigiden religiösen Regime sehnen, sondern weil sie ihnen als die glaubwürdigste, volksnaheste Partei gilt.
Nach der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1956 wurde Tunesien von einer französisch geprägten Elite nach westlichem Muster gelenkt. Staatsgründer Habib Bourguiba konnte mit Religion nichts anfangen - das Kopftuch nannte er einen "abscheulichen Fetzen", im Ramadan ließ er sich filmen wie er trotz des Fastengebots Orangensaft trank. Schon unter Bourguiba war Tunesien keine Demokratie - unter seinem Nachfolger Zine el-Abidine Ben Ali war es endgültig eine Diktatur.
Das alte Regime verfolgte Islamisten rigoros
Das Regime ließ die Islamisten jahrzehntelang verfolgen, es ließ ihre Anhänger in Gefängnisse sperren und brutal foltern, viele von ihnen mussten ins Ausland fliehen - so auch ihr Anführer Ghannouchi, der 20 Jahre in London lebte und erst im Januar in seine Heimat zurückkehrte. Deswegen sah man auf tunesischen Straßen vor der Revolution kaum Frauen mit Kopftüchern, der Islam spielte im Land eine untergeordnete Rolle und berufstätige Frauen waren zumindest in Tunis schon lange eine Selbstverständlichkeit. Das Land hatte ein westliches Gesicht, aber das war nur die Hälfte der Wahrheit.
Die kulturelle und soziale Kluft im Land war immer schon groß, und sie nahm immer weiter zu in den vergangenen Jahren. Auf der einen Seite die reiche tunesische Elite in Tunis, die oft in Frankreich ausgebildet war und den französischen Lebensstil nachahmte, manchmal sogar lieber Französisch als Arabisch sprach.
Auf der anderen Seite das einfache, meist konservative Volk im Landesinnern und den armen Vororten der Hauptstadt. Es war nicht die Elite, die Ben Ali stürzte, es waren die jungen Leute aus den ärmsten Regionen des Landes, die verzweifelt und arbeitslos sind. Sie waren es, die sich wochenlang Kämpfe mit der Polizei lieferten, aus ihren Reihen kamen die meisten Toten.
Nahda wirbt mit Wirtschaftsboom
Viele von ihnen haben jetzt Nahda gewählt. Denn Nahda ist in ihren Augen all das, was die bisherigen Herrscher nicht waren: vertrauenswürdig, nicht korrupt, moralisch einwandfrei, sozial eingestellt. Sie wurden von Ben Ali verfolgt, sie waren Outsider, sie hatten vom alten System bestimmt nicht profitiert, und darin konnte man sich bei vielen anderen Politikern nicht sicher sein. Nahda stellte in ihrer Kampagne auch einen Wirtschaftsboom nach türkischem Vorbild in Aussicht und schaffte es, sich als einzig wahre Bewahrerin der "arabo-musulmanischen" tunesischen Identität darzustellen.
Der Erfolg von Nahda ist auch eine Ohrfeige für die westlich geprägte tunesische Elite - ihre säkularen, linksliberalen Parteien erzielten teils verheerende Wahlergebnisse. Sie mussten feststellen, dass sie keinen Draht zur einfachen Landbevölkerung fanden, während Nahda in diesen Gebieten gewaltige Siege verzeichnete. Das lag zwar auch an der überlegenen Organisation und Finanzkraft von Nahda, die im ganzen Land Zehntausende von Mitgliedern hat und als einzige Partei Beobachter in alle Wahllokale entsenden konnte.
Aber es lag vor allem daran, dass viele der Politiker bei den Wählern Ressentiments auslösten - sie mochten mit Ben Ali nichts zu tun gehabt haben, aber sie sahen aus und erschienen den Leuten wie Vertreter des alten Regimes. So erging es etwa Achmed Nejib Chebbi, der sich unter Ben Ali als Oppositioneller profiliert hatte und mit seiner linksliberalen Mitte-Partei PDP als kritischster Gegenkandidat zu Nahda positionieren wollte - ein glattrasierter, Anzug tragender Mann, der perfektes Französisch spricht. Seine Partei hat nach bisherigem Stand trotz sehr hoher Erwartungen nur mickrige drei Sitze gewonnen.
Immer mehr Kopftücher im Straßenbild
Nicht nur in Europa, auch in Tunesien machen sich die Vertreter einer säkularen Politik Sorgen wegen des überragenden Wahlerfolgs der Islamisten. Und es ist gewiss: Der Islam wird in Tunesien in Zukunft größeres Gewicht erhalten. Schon seit der Revolution sieht man überall Kopftücher und Bärte, es gibt Berichte von Imamen, die aus der Moschee verjagt wurden, weil sie als zu liberal galten. Und als ein Privatsender eine Woche vor der Wahl den Zeichentrickfilm "Persepolis" zeigte, in dem Allah entgegen der islamischen Gebote als alter Mann zu sehen ist, kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen.
Aber Tunesien ist auch immer noch ein vergleichsweise liberales islamisches Land, seine Bevölkerung ist mehrheitlich konservativ, aber auch nicht streng gläubig und durchaus auch westlich beeinflusst. Es ist auch auf Touristen und Investoren angewiesen. Es kann sich nicht leisten, sie zu vergraulen.
Nahda wird voraussichtlich nicht alleine regieren können. Eine Mehrheit der Tunesier hat die Partei nicht gewählt, und sie wird sich voraussichtlich Koalitionspartner aus den Reihen der säkularen Parteien suchen müssen.
Ein Nahda-Sprecher regte eine Regierung der nationalen Einheit an. Das würde ein Zeichen der Versöhnung setzen, und es würde auch die Stabilität garantieren, die das Land nun dringend braucht. Die Politiker müssen die Wirtschaft wieder ankurbeln und sie müssen sich auf eine Verfassung einigen. Ein Jahr ist für die Arbeit daran vorgesehen. Dann wird es voraussichtlich wieder Wahlen geben. Und alle Parteien bekommen eine neue Chance.
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Na ja immerhin moderate Islamisten