ich war unterwegs mitm Auto und hörte dieses Interview, gefiel mir auch und dachte vielleicht könnten sowohl die "Islamisten" als auch ein paar "Antislamisten" was vom Fachmann lernen
Hier das ganze Interview zum Hören auch
Wir hätten schon vor dreißig Jahren über Integration sprechen sollen, findet der Politikwissenschafter Thomas Schmidinger.
Deutschland schlägt sich mit den gewagten Thesen von Thilo Sarrazin herum, Frankreich schiebt Roma ab und in Österreich wird provoziert - in der Steiermark und Wien stehen Landtagswahlen vor der Tür. Entsprechend hitzig läuft die Integrationsdebatte hierzulande von Moschee-Spiel bis Wiener Blut.
Politikwissenschafter Thomas Schmidinger hat in FM4 Connected (15-19) einen Blick hinter die Kulissen geworfen und benennt Brennpunkte wie Versäumnisse der österreichischen Debatte.
FM4: Wenn man sich in Österreich Debatten zum Thema Asyl, Migration, Integration und Zuwanderung anschaut, scheint ein jeweils ähnliches Muster abzulaufen, nämlich "Vorstoß-Reaktion-Vorstoß(...)" bzw. je nach Parteinahme "Provokation/Kritik-Provokation/Kritik(...)". Welche Mechanismen laufen hier ab?
Thomas Schmidinger: Das ist ein so emotionalisiertes Thema, dass es zwei Lagerbildungen gibt, und dass die antirassistischen, liberalen und linken Kräfte oft auch nichts besseres wissen, als dem Rassismus von rechts ein aufklärerisches "Das ist aber rassistisch!" entgegenzusetzen. Offenbar führt diese Diskussion zu nichts, weil wir sie jetzt schon zwanzig Jahre in dieser Form führen. Ich würde mir wünschen, dass es neben dieser natürlich richtigen Denunzierung von Rassismus auch ein Ernstnehmen von real vorhandenen Problemen und von Anliegen der Bevölkerung gibt. Mit der Bevölkerung meine ich jetzt nicht nur die "Mehrheitsbevölkerung", sondern auch die MigrantInnen selbst, die man nicht nur stereotyp als eine homogene Gruppe betrachten darf - auch dann nicht, wenn man sie mit einem positiven Stereotyp belegt.
Welche Versäumnisse in den letzten Jahren sind dafür verantwortlich, dass Hantieren mit Angst in der Debatte so gut funktioniert?
Ein Hauptfaktor ist sicher, dass man schon zu viele Jahre lang nicht wahrgenommen hat, dass die ArbeitsmigrantInnen, die seit den sechziger Jahren nach Österreich gekommen sind, hier bleiben und eben keine "Gastarbeiter" sind, als die man sie bezeichnet hat. Das heißt, man hat die ganze Integrationsdebatte überhaupt erst dreißig Jahre verspätet begonnen, und sich dann auch nicht klar gemacht, was man denn überhaupt unter Integration versteht und wer dafür verantwortlich ist. In Österreich wird das sehr oft als Bringschuld der MigrantInnen definiert, aber so funktioniert Integration nicht - das ist (vielmehr, Anm.) ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, der auch die Frage nach unserer eigenen Gesellschaft stellt - diese Fragen werden letztlich bis heute nicht gestellt. Ganz besonders werden die Defizite im Sozialbereich, im Bildungsbereich viel zu wenig realistisch angesprochen: sie werden zwar thematisiert, aber wenn, nur als Skandalisierung, meistens eben von rechts. Sie werden aber nicht problemlösungsorientiert thematisiert.
Der Blick des "Mehrheitsösterreichers", der sich diese Debatte ausschließlich über auflagenstarke Tageszeitungen zuführt, trifft auf "die Inländer" und "die Ausländer". Sehr oft fallen auch Begriffe wie der "islamische Kulturkreis" als Konterpart zum "christlichen Abendland". Sind solche Begriffe überhaupt zulässig?
Naja, wer erlaubt sie, und wer verbietet sie!? Sie sind auf jeden Fall falsch. Die "Kulturkreislehre" ist seit mindestens fünfzig Jahren passé und es gibt genauso unterschiedliche Muslime wie es unterschiedliche Christen, Juden oder Buddhisten gibt. Es gibt verschiedene konfessionelle Ausrichtungen innerhalb des Islams, die Menschen unterscheiden sich auch nach Herkunftsländern, nach sozialen Klassen, nach politischen Einstellungen. Es gibt in Wien auch genug AtheistInnen, die aus islamischen Ländern kommen. Die Diskussion ist sehr kulturalisiert worden, und man übersieht dabei, dass eben auch Muslime in Österreich, oder Menschen, die aus muslimischen Ländern kommen, genauso verschiedenste politische Interessen und auch Glaubensüberzeugungen haben wie die Mehrheitsbevölkerung. Wenn man diese Unterschiede und Widersprüche, diese Vielfältigkeit nicht sehen will, sondern sagt, es gibt "den Islam", dann tappt man von vornherein in eine Falle - egal, ob man sagt "der Islam ist das Problem", oder ob man, wie viele wohlmeinende Linksliberale, sagt, "der Islam ist nicht das Problem, sondern er ist lieb und nett".
Hängt das mit der "offiziellen Repräsentation" islamischer Mitbürger und Mitbürgerinnen in Österreich zusammen?
Selbstverständlich ist das ein Teil des Problems: Die österreichische Politik will einen einzigen Repräsentanten für alle Muslime haben, das ist laut Gesetz die islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich, die pro forma diese halbe Million Muslime in Österreich vertritt, obwohl de facto nur wenige tausend Menschen tatsächlich in dieser islamischen Glaubensgemeinschaft teilhaben und wesentlich größere Vereine teilweise gar nicht in der islamischen Glaubensgemeinschaft repräsentiert sind, sich zum Beispiel die Aleviten überhaupt nicht vertreten fühlen und eine eigene anerkannte Glaubensgemeinschaft werden wollen, auch die Schiiten sich teilweise nicht repräsentiert fühlen, auch ganz viele wesentlich liberalere, säkularere sunnitische Muslime nicht. Das ist sicher ein Teil des Problems, und nicht, wie das sehr oft propagiert wird, ein Teil der Lösung.
Was kann man tun, damit sich für die nachwachsende Generation überhaupt ein gemeinsamer Lebensalltag ergeben kann?
Das allererste ist, dass es auf jeden Fall eine gemeinsame Gesamtschule geben muss, und zwar eine echte Gesamtschule, nicht einen weiteren Schultyp, der halt dann einen anderen Namen führt: eine Schule, wo tatsächlich alle von der ersten Klasse bis zur achten Schulstufe gemeinsam in die Schule gehen. Da muss es natürlich interne Differenzierungen geben und den richtigen "Schultyp" für diese gemeinsame Gesamtschule muss man diskutieren - dafür gibt es Fachleute - aber dass es diese Gemeinsamkeit gibt, ist absolut notwendig. Sonst führt das, was wir jetzt haben, dazu, dass es eben Gymnasien und elitäre Privatschulen gibt, in denen dann die Kinder des österreichischen Bildungsbürgertums gehen, und Resthauptschulen, in denen sich Migrantinnen bzw. Kinder von Migrantinnen und österreichisches Subproletariat einfinden. Das hat zur Folge, dass sich die Lebenswege bereits mit zehn Jahren unwiderruflich trennen.
Thomas Schmidinger (*1974) ist Politikwissenschafter und Sozial- und Kulturanthropologe und Lektor an der Universität Wien.
"So funktioniert Integration nicht" - fm4.ORF.at
Hier das ganze Interview zum Hören auch
Wir hätten schon vor dreißig Jahren über Integration sprechen sollen, findet der Politikwissenschafter Thomas Schmidinger.
Deutschland schlägt sich mit den gewagten Thesen von Thilo Sarrazin herum, Frankreich schiebt Roma ab und in Österreich wird provoziert - in der Steiermark und Wien stehen Landtagswahlen vor der Tür. Entsprechend hitzig läuft die Integrationsdebatte hierzulande von Moschee-Spiel bis Wiener Blut.
Politikwissenschafter Thomas Schmidinger hat in FM4 Connected (15-19) einen Blick hinter die Kulissen geworfen und benennt Brennpunkte wie Versäumnisse der österreichischen Debatte.
FM4: Wenn man sich in Österreich Debatten zum Thema Asyl, Migration, Integration und Zuwanderung anschaut, scheint ein jeweils ähnliches Muster abzulaufen, nämlich "Vorstoß-Reaktion-Vorstoß(...)" bzw. je nach Parteinahme "Provokation/Kritik-Provokation/Kritik(...)". Welche Mechanismen laufen hier ab?
Thomas Schmidinger: Das ist ein so emotionalisiertes Thema, dass es zwei Lagerbildungen gibt, und dass die antirassistischen, liberalen und linken Kräfte oft auch nichts besseres wissen, als dem Rassismus von rechts ein aufklärerisches "Das ist aber rassistisch!" entgegenzusetzen. Offenbar führt diese Diskussion zu nichts, weil wir sie jetzt schon zwanzig Jahre in dieser Form führen. Ich würde mir wünschen, dass es neben dieser natürlich richtigen Denunzierung von Rassismus auch ein Ernstnehmen von real vorhandenen Problemen und von Anliegen der Bevölkerung gibt. Mit der Bevölkerung meine ich jetzt nicht nur die "Mehrheitsbevölkerung", sondern auch die MigrantInnen selbst, die man nicht nur stereotyp als eine homogene Gruppe betrachten darf - auch dann nicht, wenn man sie mit einem positiven Stereotyp belegt.
Welche Versäumnisse in den letzten Jahren sind dafür verantwortlich, dass Hantieren mit Angst in der Debatte so gut funktioniert?
Ein Hauptfaktor ist sicher, dass man schon zu viele Jahre lang nicht wahrgenommen hat, dass die ArbeitsmigrantInnen, die seit den sechziger Jahren nach Österreich gekommen sind, hier bleiben und eben keine "Gastarbeiter" sind, als die man sie bezeichnet hat. Das heißt, man hat die ganze Integrationsdebatte überhaupt erst dreißig Jahre verspätet begonnen, und sich dann auch nicht klar gemacht, was man denn überhaupt unter Integration versteht und wer dafür verantwortlich ist. In Österreich wird das sehr oft als Bringschuld der MigrantInnen definiert, aber so funktioniert Integration nicht - das ist (vielmehr, Anm.) ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, der auch die Frage nach unserer eigenen Gesellschaft stellt - diese Fragen werden letztlich bis heute nicht gestellt. Ganz besonders werden die Defizite im Sozialbereich, im Bildungsbereich viel zu wenig realistisch angesprochen: sie werden zwar thematisiert, aber wenn, nur als Skandalisierung, meistens eben von rechts. Sie werden aber nicht problemlösungsorientiert thematisiert.
Der Blick des "Mehrheitsösterreichers", der sich diese Debatte ausschließlich über auflagenstarke Tageszeitungen zuführt, trifft auf "die Inländer" und "die Ausländer". Sehr oft fallen auch Begriffe wie der "islamische Kulturkreis" als Konterpart zum "christlichen Abendland". Sind solche Begriffe überhaupt zulässig?
Naja, wer erlaubt sie, und wer verbietet sie!? Sie sind auf jeden Fall falsch. Die "Kulturkreislehre" ist seit mindestens fünfzig Jahren passé und es gibt genauso unterschiedliche Muslime wie es unterschiedliche Christen, Juden oder Buddhisten gibt. Es gibt verschiedene konfessionelle Ausrichtungen innerhalb des Islams, die Menschen unterscheiden sich auch nach Herkunftsländern, nach sozialen Klassen, nach politischen Einstellungen. Es gibt in Wien auch genug AtheistInnen, die aus islamischen Ländern kommen. Die Diskussion ist sehr kulturalisiert worden, und man übersieht dabei, dass eben auch Muslime in Österreich, oder Menschen, die aus muslimischen Ländern kommen, genauso verschiedenste politische Interessen und auch Glaubensüberzeugungen haben wie die Mehrheitsbevölkerung. Wenn man diese Unterschiede und Widersprüche, diese Vielfältigkeit nicht sehen will, sondern sagt, es gibt "den Islam", dann tappt man von vornherein in eine Falle - egal, ob man sagt "der Islam ist das Problem", oder ob man, wie viele wohlmeinende Linksliberale, sagt, "der Islam ist nicht das Problem, sondern er ist lieb und nett".
Hängt das mit der "offiziellen Repräsentation" islamischer Mitbürger und Mitbürgerinnen in Österreich zusammen?
Selbstverständlich ist das ein Teil des Problems: Die österreichische Politik will einen einzigen Repräsentanten für alle Muslime haben, das ist laut Gesetz die islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich, die pro forma diese halbe Million Muslime in Österreich vertritt, obwohl de facto nur wenige tausend Menschen tatsächlich in dieser islamischen Glaubensgemeinschaft teilhaben und wesentlich größere Vereine teilweise gar nicht in der islamischen Glaubensgemeinschaft repräsentiert sind, sich zum Beispiel die Aleviten überhaupt nicht vertreten fühlen und eine eigene anerkannte Glaubensgemeinschaft werden wollen, auch die Schiiten sich teilweise nicht repräsentiert fühlen, auch ganz viele wesentlich liberalere, säkularere sunnitische Muslime nicht. Das ist sicher ein Teil des Problems, und nicht, wie das sehr oft propagiert wird, ein Teil der Lösung.
Was kann man tun, damit sich für die nachwachsende Generation überhaupt ein gemeinsamer Lebensalltag ergeben kann?
Das allererste ist, dass es auf jeden Fall eine gemeinsame Gesamtschule geben muss, und zwar eine echte Gesamtschule, nicht einen weiteren Schultyp, der halt dann einen anderen Namen führt: eine Schule, wo tatsächlich alle von der ersten Klasse bis zur achten Schulstufe gemeinsam in die Schule gehen. Da muss es natürlich interne Differenzierungen geben und den richtigen "Schultyp" für diese gemeinsame Gesamtschule muss man diskutieren - dafür gibt es Fachleute - aber dass es diese Gemeinsamkeit gibt, ist absolut notwendig. Sonst führt das, was wir jetzt haben, dazu, dass es eben Gymnasien und elitäre Privatschulen gibt, in denen dann die Kinder des österreichischen Bildungsbürgertums gehen, und Resthauptschulen, in denen sich Migrantinnen bzw. Kinder von Migrantinnen und österreichisches Subproletariat einfinden. Das hat zur Folge, dass sich die Lebenswege bereits mit zehn Jahren unwiderruflich trennen.
Thomas Schmidinger (*1974) ist Politikwissenschafter und Sozial- und Kulturanthropologe und Lektor an der Universität Wien.
"So funktioniert Integration nicht" - fm4.ORF.at