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SZ: Wie baut man eine Demokratie auf?

lupo-de-mare

Gesperrt
Ein Klasse Artikel in der SZ und wie die Amerikaner und die Weltbank absolut Alles falsch machen. Und dies nicht nur auf dem Balkan.

Mittel und Wege

Wie baut man eine Demokratie auf? / Von Timothy Garton Ash



Haben Sie lieber Demokratien als Nachbarstaaten oder Diktaturen? Demokratien, werden Sie antworten, richtig? In wirklichen liberalen Demokratien geht es den Bewohnern besser, und auch ihre Nachbarstaaten profitieren davon. Warum also nicht die Demokratie in anderen Ländern fördern? Oder meinen Sie, Verpflichtungen haben wir nur gegenüber unseren Landsleuten und Interessen nur innerhalb der Grenzen unseres eigenen Staates? Wenn es Ihnen gleichgültig ist, ob die Herrscher anderswo ihre politischen Gegner -- oder ganze ethnische oder religiöse Gruppen -- unterdrücken, foltern oder ermorden, sollten Sie nicht weiterlesen. Machen Sie sich lieber ein paar schöne Stunden.

Sie sind noch da? Prima. Kommen wir also zur eigentlichen Frage: Welche Mittel sind geeignet und legitim, um die Entstehung von Demokratien auf der Welt zu fördern? Wir wissen, wie man es falsch anpacken kann: Siehe Irak. Doch welcher Weg ist der richtige? Ganze Bibliotheken geben Auskunft über die Kriterien, die für eine Militärintervention sprechen. Doch über die Unterstützung demokratischer Bestrebungen wurde fast nichts geschrieben.

Die Frage drängte sich auf, als jetzt heftig über die Bedeutung von Westgeld für die Revolution in der Ukraine debattiert wurde. In Wirklichkeit ist sie jedoch von weit größerer Tragweite. Die Bush-Regierung platzierte die Demokratisierung des Großraums Naher und Mittlerer Osten ganz oben auf ihrer außenpolitischen Agenda. Nun ist es an uns, zu überlegen, wie wir darauf reagieren. Sind wir gegen das Ziel als solches oder nur gegen die Weise, wie Washington es erreichen will?

Diese wichtige Debatte müsste sich mit einigen Grundregeln beschäftigen:

1. Ein Krieg zur Verbreitung von Demokratie ist illegitim. Der Irak-Krieg hätte geführt werden dürfen, wenn Saddam zum Zeitpunkt der Invasion einen Genozid gegen sein eigenes Volk verübt hätte oder wenn er in der Tat gerade im Begriff war, Atomwaffen zu beschaffen. Beides war nicht der Fall. Wer als Hauptgrund für diesen Krieg die Förderung von Demokratie nennt, bringt diese in Verruf.

2. Spione, haltet euch heraus! Auch wenn Sie Geheimdienste für ein notwendiges Übel in einer gefährlichen Welt halten: Zur Unterstützung von Demokraten in anderen Ländern sollten sie nicht eingesetzt werden. Eine Beteiligung der CIA kann buchstäblich zum Todeskuss für Dissidenten werden. Nichts ist den Gegnern westlicher Demokratie lieber, als ihre Feinde wegen vermeintlicher Spionage anschwärzen zu können.

Fakten sind subversiv


3. Maximale Transparenz. Förderer der Demokratie in nicht-demokratischen Ländern geben ungern Auskunft, von wem das Geld stammt und an wen es ging. Ein triftiger Grund für das Verschweigen des Spenders oder des Empfängers könnte es aber allenfalls sein, wenn andernfalls Menschenleben gefährdet würden. Doch selbst dann sollten präzise Angaben baldmöglichst nachfolgen.

Wer ein wenig nachforscht, kann ohne weiteres die Namen ukrainischer Nichtregierungsorganisationen (NGOs) herausfinden, die von Einrichtungen wie der "American National Endowment for Democracy" oder der Stiftung von George Soros in Kiew unterstützt werden. Mit größtem Interesse würde jeder von uns einen unabhängigen und umfassenden Bericht über die Finanzströme lesen, die aus Anlass der orangefarbenen Revolution in die Ukraine flossen. Um seriös und fair zu sein, müsste dieser Bericht aber auch die russischen Zuwendungen berücksichtigen. Leider hält sich die russische Seite mit Veröffentlichungen dieser Art sehr zurück.

4. Alles hängt von den konkreten Umständen ab -- vor allem von der Art des Regimes, mit dem wir es zu tun haben. Was gegen Adolf Hitler durchaus angebracht gewesen wäre, war gegen andere, auch autokratische Herrscher noch lange nicht gerechtfertigt.

Wenn ein Land aufbricht aus einem rein diktatorischen Regime zu einer -- wie wir hoffen -- liberalen Demokratie, ändert sich unser politischer Verhaltenskodex ihm gegenüber. So ist in den meisten westlichen Demokratien, einschließlich der Vereinigten Staaten, eine Finanzierung von politischen Parteien und von Wahlkämpfen aus dem Ausland verboten oder zumindest rechtlich stark eingeschränkt. (Großbritannien stellt hier gewissermaßen eine Ausnahme dar: Unsere Entscheidung beim Referendum über die Europäische Verfassung wird wahrscheinlich stark von einem Ausländer beeinflusst -- vom australisch-amerikanischen Medien-Mogul Rupert Murdoch).

Mehr denn je ist man heute bestrebt, die Demokratie in Staaten zu fördern, die sich bereits irgendwo auf der Strecke zwischen totalitärer Diktatur und liberaler Demokratie befinden. In diesen Ländern existieren nicht selten halb autoritäre, halb demokratische Zustände nebeneinander -- in Lateinamerika sind diese als democradura bekannt. Hier herrschen unlautere Praktiken wie Erpressung und Einschüchterung, hier sind häufig parteiische Fernsehsender im Besitz regierungsfreundlicher Oligarchen -- gerade diese informellen Herrschaftstechniken sind ebenso wirksam und ebenso demokratiefeindlich wie formale staatliche Repressionen. In dieser Grauzone lassen sich kaum eindeutige Regeln für das richtige Vorgehen aufstellen.

5. Eines muss aber auch in solchen schillernden Zwischenstadien gelten: Verhältnismäßigkeit. Auf sie kommt es bei der Befürwortung eines "gerechten Krieges" aus humanitären Gründen ebenso an wie bei Aktionen zur Förderung der Demokratie. Allerdings, was ist schon "verhältnismäßig"? Das USAußenministerium tat unlängst kund, es habe im Laufe der letzten zwei Jahre insgesamt 65 Millionen Dollar in der Ukraine ausgegeben. Auch andere westliche Regierungen und unabhängige Spender leisteten bedeutende Beiträge. In einem Bericht der Soros-Stiftung in der Ukraine vom Oktober 2004 steht, über eine Million Dollar seien an NGOs für wahlbezogene Projekte gezahlt worden.

Und die Spender gaben an, dieses Westgeld sei nicht direkt an die Opposition geflossen, sondern dazu bestimmt gewesen, generell den Boden für freie und faire Wahlen zu bereiten. Auch das ist ein Aspekt, den es bei der Bestimmung der Verhältnismäßigkeit im Auge zu behalten gilt. Unterdessen hieß es, von Russland seien gar 200 Millionen Dollar zur Unterstützung des Regierungslagers in der Ukraine ausgegeben worden. Wird hierdurch die Proportionalität vorgegeben?

Wahlen werden heute vor allem im Fernsehen entschieden. In der Ukraine tendierten die meisten TV-Sender klar zum Favoriten der Regierung. Wie viel Unterstützung ist also angemessen, um für die Kandidaten gleiche Voraussetzungen in der Wahlkampfarena zu schaffen?

6. Unterstützen, nicht selbst anpacken. Bei der Förderung der Demokratie sollten wir nicht möglichst hohe Dollarzahlungen anstreben, sondern vor allem Menschen ermutigen, demokratische Verhältnisse zu schaffen.

Das gilt auch dort, wo man es nicht auf den ersten Blick erwartet. Aus Vergleichsstudien geht hervor, dass die Menschen im arabischen Raum größere Begeisterung für die Demokratie zeigen als wir. Umgekehrt kann es zu Fehlentwicklungen führen, wenn hohe Beträge in ein Land gepumpt werden, dessen Bevölkerung wenig Lust zeigt, aus eigenem Antrieb ein demokratisches System aufzubauen. Die Solidarnosc in Polen war eine absolut authentische Bewegung, die aus eigener Kraft emporwuchs und schließlich vom Westen ein wenig unterstützt wurde. Doch manche spätere osteuropäische Initiative scheint auf dem umgekehrten Weg entstanden zu sein. Ein Demokrat aus Osteuropa kommentierte trocken: "Wir haben von einer Bürgergesellschaft geträumt, jetzt haben wir NGOs bekommen."

Alle diese Punkte skizzieren nur einen ersten Versuch, elementare Prinzipien für die Förderung fremder Demokratien zu umreißen. Um eine sicherere Grundlage zu haben, brauchen wir mehr Fakten. "Fakten sind subversiv", erklärte der große amerikanische Journalist I.F. Stone. Ihre subversive Kraft kann vor allem auch Mythen vom Sturz vergangener Regime entlarven.

Worauf wir aber in erster Linie achten sollten, ist unsere Gespür für Angemessenheit. Der Befund österreichischer Ärzte lässt keinen vernünftigen Zweifel daran, dass versucht wurde, Viktor Juschtschenko, Präsidentschaftskandidat der ukrainischen Opposition, zu vergiften. Jeder, der meint, die Finanzierung von Umfragen sei moralisch gleichzusetzen mit der Vergiftung eines politischen Gegners, gehört auf seine Zurechnungsfähigkeit hin überprüft.

Timothy Garton Ash lehrt Zeitgeschichte in Oxford und Stanford. Deutsch von Eva Christine Koppold

(SZ vom 22.12.2004)

http://www.sueddeutsche.de/sz/2004-12-22/feuilleton/artikel/sz-2004-12-22-013-ash_irak.ash_irak/
 
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