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r4k!
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Hier steht alles Leute.
"Die Armee ist unangreifbar"
Das türkische Militär sieht sich als Wächter der Republik. Die Generäle mischen von der Regierung bis zu den Medien überall mit - nur die Demokratie bleibt außer Acht.
Die türkischen Streitkräfte sind keine normale Armee. Sie haben, so sehen sie es selbst, diese Republik erkämpft und gegründet, und sie verstehen sich als ihre Wächterin.
Kein Nato-Land gibt, gemessen an seiner Wirtschaftsleistung, so viel Geld aus für sein Militär wie die Türkei. Die türkische Armee hat eine halbe Million Mann unter Waffen. Sie hat soeben die Wahl des neuen Staatspräsidenten vereitelt und die Regierung in die Knie gezwungen.
Mit ein paar im Internet veröffentlichten Zeilen, die viele als die Androhung eines neuen Putsches lasen. Es wird ein Machtkampf ausgefochten in der Türkei. Ein Machtkampf, in dem auch tödliche Terroranschläge wie der vom Dienstag vor einer Einkaufspassage in Ankara die Balance verändern können.
Der Istanbuler Alper Görmüs ist kein gewöhnlicher Journalist. Und das nicht nur deshalb, weil er kein Mobiltelefon besitzt. Für Görmüs arbeiteten 30 Männer und Frauen, denen lag an der Demokratie so viel wie an der Republik, und die meinten, die Presse müsse ihre Wächterin sein. Also legten sie sich mit der Armee an. Nokta hieß ihre Zeitschrift, „Punkt“.
Nokta wagte, was noch kein anderes Blatt in der Türkei sich getraut hat: Enthüllungsgeschichten über die Armee. Wie sie schwarze Listen anlegt über unliebsame Journalisten. Wie sie „zivilgesellschaftliche Organisationen“ für ihre Zwecke instrumentalisiert.
Und dann der Knüller, der im März das Land umtrieb: Wie in den Reihen der Generäle schon im Jahr 2004 angeblich zwei Mal ein Putsch gegen die Regierung geplant wurde.
Gefährliche Lieblingskuh
Warum ausgerechnet er sich das traut? „Die Magie“, sagt Alper Görmüs, „liegt darin: Rechne mit allem. Dann fühlst du dich stark.“ Wie ein Krieger? „Ja.“ Görmüs hat einen Ruf als untadeliger Journalist: „Auf den kannst du dich verlassen bis zum Geht-nicht-mehr“, sagt ein einstiger Weggefährte. Für Görmüs ist es einfach: „Alle Staaten haben Tabus. Aber die Türkei hat zu viele. Demokratie kann nur gedeihen, wenn man diskutiert, was vor den Bürgern versteckt wird.“
Er steht in der leeren Redaktion, zwischen dunklen Bildschirmen. Nokta ist geschlossen. Alper Görmüs sind eine Sekretärin und der Teejunge geblieben. Sie wickeln ab. Das „blonde Mädchen“ ist Nokta zum Verhängnis geworden. So nennen türkische Bauern ihre Lieblingskuh. So nannten ein paar Generäle die Operation, mit der sie 2004 die Regierung stürzen wollten. Behauptet Nokta.
Die Zeitschrift veröffentlichte Auszüge aus angeblichen Tagebüchern des damaligen Marinekommandanten Özden Örnek. Die Artikel lesen sich im Nachhinein, nach den Turbulenzen der vergangenen Wochen, geradezu prophetisch. Wie auch das Drama um ihre Veröffentlichung selbst zum Exempel für viele Gebrechen wurde, an denen das Land noch immer krankt.
Das Tagebuch beschreibt eine vom zivilen Leben völlig abgeschottete Gesellschaft, eine Armee, die sich berufen fühlt, die Republik auch vor dem Volk zu retten. „Das Militär traut dem Bürger nicht“, sagt Görmüs: „Es spielt den ewigen Vater, den Beschützer der Unmündigen.“ Als Offizier rekrutiert man seine Bekannten aus dem Kreis der Staatsbeamten, mit denen man seit der Republikgründung 1923 die elitäre Ideologie teilt.
Als die Wähler nach dem Kollaps der Wirtschaft 2000/2001 die alten, mit dem Establishment eng verbundenen Parteien von der Macht fegen und stattdessen mit der frisch gegründeten AKP die erwachende anatolische Bourgeoisie in die Regierung heben, da schrillen die Alarmglocken. Im Tagebuch heißt es: „Diese Regierung müssen wir stoppen“, seien sich die Kommandeure einig gewesen.
Vordergründig, weil die AKP-Führer eine Vergangenheit im politischen Islam hatten. Tatsächlich aber ist es kein Geheimnis, dass viele Offiziere unglücklich sind mit der europafreundlichen Politik der Regierung: Die Reformen und die Demokratisierung des Landes beschneiden die Macht der Armee. „Ohne Generalstabschef Hilmi Özkök“, glaubt Görmüs noch heute, „wäre es damals zum Putsch gekommen.“
Özkök war ein bemerkenswerter Armeechef: Er nannte sich stolz einen „Demokraten“ - und machte das Gerede von der drohenden Islamisierung der Türkei durch die AKP nie mit. Die Generäle in der zweiten Reihe waren, Nokta zufolge, irritiert über ihren putschunlustigen Chef: „Ist er etwa selbst ein Fundamentalist?“, zitiert die Zeitschrift das Admirals-Tagebuch.
Und wie wollte man die Regierung loswerden? „Zuerst sollten wir die Medien unter Kontrolle bringen. Dann die Universitäts-Rektoren kontaktieren und die Studenten auf die Straße bringen. Schließlich die Gewerkschaften und Vereine in Stellung bringen“, heißt es in Nokta: „Wir brauchen Titelzeilen in den Zeitungen, die fragen, wann die Armee endlich eingreift.“ Schon 2004, erklärt Alper Görmüs, sollten keine Panzer rollen: „Ziel war ein Putsch durch die Mobilisierung gesellschaftlicher Gruppen.“
In den Tagebüchern ist Gendarmerie-General Sener Eruygur der Scharfmacher. Sprung in die Gegenwart: Ausgerechnet dieser mittlerweile pensionierte General Eruygur hat die erste der großen Anti-Regierungs-Demonstrationen im April in Ankara organisiert: Eruygur ist heute Vorsitzender des „Vereines zur Bewahrung der Gedanken Atatürks“. Einer der Slogans in Ankara war: „Armee, auf deinen Posten!“
So lesen sich die im März veröffentlichten Tagebücher fast wie ein Drehbuch dessen, was einen Monat später passierte. Aber sind sie echt? Alper Görmüs bleibt dabei: „Wir haben 3000 Seiten. Mit Fotos.“ Admiral Özden Örnek selbst sagt, sie seien eine Fälschung. Die Aussagen zweier gewichtiger Männer lassen das Dementi des Admirals jedoch recht lau erscheinen. Außenminister Abdullah Gül bestätigte der Zeitung Milliyet, seine Regierung habe von den Plänen „gewusst“.
Wenig später ließ sich der 2004 amtierende Armeechef Özkök diese vielsagenden Sätze entlocken: „Der Admiral sagt, er hat das nicht geschrieben, dem sollten wir vertrauen. Aber die andere Seite besteht auf ihrer Behauptung - die sollten wir auch respektieren.“
Mehr Macht durch Angst
Respekt hat Alper Görmüs nicht so viel bekommen wie er sich erhoffte. Dafür bekam er eine dreitägige Razzia in seiner Redaktion, von der ein Istanbuler Kolumnist hernach erschrocken sagte, sie erinnere ihn an die Presseverfolgung in Russland oder Kasachstan. Und er bekam die Kapitulationserklärung von Ayhan Durgun, des Besitzers von Nokta.
Durgun ließ Ende April erklären, er halte den Druck nicht mehr aus, dem er seit der Veröffentlichung der Artikel ausgesetzt sei, und werde Nokta deshalb schließen: „Ich bin verzweifelt, ich bin am Ende. Ich kann die Verleumdungen nicht mehr ertragen.“ Görmüs sagt, er verstehe Durgun. Nicht verstehen kann er die Kollegen in der Presse und die Politiker: „Einmal mehr haben sie den Test nicht bestanden.“ Die Presse deshalb nicht: „Anstatt unseren Enthüllungen nachzugehen, haben sich die Zeitungen alle auf uns gestürzt: ,Woher hat Nokta die Dokumente?‘ Nicht die Skandale waren das Thema, sondern wir.“
"Die Armee ist unangreifbar"
Das türkische Militär sieht sich als Wächter der Republik. Die Generäle mischen von der Regierung bis zu den Medien überall mit - nur die Demokratie bleibt außer Acht.
Die türkischen Streitkräfte sind keine normale Armee. Sie haben, so sehen sie es selbst, diese Republik erkämpft und gegründet, und sie verstehen sich als ihre Wächterin.
Kein Nato-Land gibt, gemessen an seiner Wirtschaftsleistung, so viel Geld aus für sein Militär wie die Türkei. Die türkische Armee hat eine halbe Million Mann unter Waffen. Sie hat soeben die Wahl des neuen Staatspräsidenten vereitelt und die Regierung in die Knie gezwungen.
Mit ein paar im Internet veröffentlichten Zeilen, die viele als die Androhung eines neuen Putsches lasen. Es wird ein Machtkampf ausgefochten in der Türkei. Ein Machtkampf, in dem auch tödliche Terroranschläge wie der vom Dienstag vor einer Einkaufspassage in Ankara die Balance verändern können.
Der Istanbuler Alper Görmüs ist kein gewöhnlicher Journalist. Und das nicht nur deshalb, weil er kein Mobiltelefon besitzt. Für Görmüs arbeiteten 30 Männer und Frauen, denen lag an der Demokratie so viel wie an der Republik, und die meinten, die Presse müsse ihre Wächterin sein. Also legten sie sich mit der Armee an. Nokta hieß ihre Zeitschrift, „Punkt“.
Nokta wagte, was noch kein anderes Blatt in der Türkei sich getraut hat: Enthüllungsgeschichten über die Armee. Wie sie schwarze Listen anlegt über unliebsame Journalisten. Wie sie „zivilgesellschaftliche Organisationen“ für ihre Zwecke instrumentalisiert.
Und dann der Knüller, der im März das Land umtrieb: Wie in den Reihen der Generäle schon im Jahr 2004 angeblich zwei Mal ein Putsch gegen die Regierung geplant wurde.
Gefährliche Lieblingskuh
Warum ausgerechnet er sich das traut? „Die Magie“, sagt Alper Görmüs, „liegt darin: Rechne mit allem. Dann fühlst du dich stark.“ Wie ein Krieger? „Ja.“ Görmüs hat einen Ruf als untadeliger Journalist: „Auf den kannst du dich verlassen bis zum Geht-nicht-mehr“, sagt ein einstiger Weggefährte. Für Görmüs ist es einfach: „Alle Staaten haben Tabus. Aber die Türkei hat zu viele. Demokratie kann nur gedeihen, wenn man diskutiert, was vor den Bürgern versteckt wird.“
Er steht in der leeren Redaktion, zwischen dunklen Bildschirmen. Nokta ist geschlossen. Alper Görmüs sind eine Sekretärin und der Teejunge geblieben. Sie wickeln ab. Das „blonde Mädchen“ ist Nokta zum Verhängnis geworden. So nennen türkische Bauern ihre Lieblingskuh. So nannten ein paar Generäle die Operation, mit der sie 2004 die Regierung stürzen wollten. Behauptet Nokta.
Die Zeitschrift veröffentlichte Auszüge aus angeblichen Tagebüchern des damaligen Marinekommandanten Özden Örnek. Die Artikel lesen sich im Nachhinein, nach den Turbulenzen der vergangenen Wochen, geradezu prophetisch. Wie auch das Drama um ihre Veröffentlichung selbst zum Exempel für viele Gebrechen wurde, an denen das Land noch immer krankt.
Das Tagebuch beschreibt eine vom zivilen Leben völlig abgeschottete Gesellschaft, eine Armee, die sich berufen fühlt, die Republik auch vor dem Volk zu retten. „Das Militär traut dem Bürger nicht“, sagt Görmüs: „Es spielt den ewigen Vater, den Beschützer der Unmündigen.“ Als Offizier rekrutiert man seine Bekannten aus dem Kreis der Staatsbeamten, mit denen man seit der Republikgründung 1923 die elitäre Ideologie teilt.
Als die Wähler nach dem Kollaps der Wirtschaft 2000/2001 die alten, mit dem Establishment eng verbundenen Parteien von der Macht fegen und stattdessen mit der frisch gegründeten AKP die erwachende anatolische Bourgeoisie in die Regierung heben, da schrillen die Alarmglocken. Im Tagebuch heißt es: „Diese Regierung müssen wir stoppen“, seien sich die Kommandeure einig gewesen.
Vordergründig, weil die AKP-Führer eine Vergangenheit im politischen Islam hatten. Tatsächlich aber ist es kein Geheimnis, dass viele Offiziere unglücklich sind mit der europafreundlichen Politik der Regierung: Die Reformen und die Demokratisierung des Landes beschneiden die Macht der Armee. „Ohne Generalstabschef Hilmi Özkök“, glaubt Görmüs noch heute, „wäre es damals zum Putsch gekommen.“
Özkök war ein bemerkenswerter Armeechef: Er nannte sich stolz einen „Demokraten“ - und machte das Gerede von der drohenden Islamisierung der Türkei durch die AKP nie mit. Die Generäle in der zweiten Reihe waren, Nokta zufolge, irritiert über ihren putschunlustigen Chef: „Ist er etwa selbst ein Fundamentalist?“, zitiert die Zeitschrift das Admirals-Tagebuch.
Und wie wollte man die Regierung loswerden? „Zuerst sollten wir die Medien unter Kontrolle bringen. Dann die Universitäts-Rektoren kontaktieren und die Studenten auf die Straße bringen. Schließlich die Gewerkschaften und Vereine in Stellung bringen“, heißt es in Nokta: „Wir brauchen Titelzeilen in den Zeitungen, die fragen, wann die Armee endlich eingreift.“ Schon 2004, erklärt Alper Görmüs, sollten keine Panzer rollen: „Ziel war ein Putsch durch die Mobilisierung gesellschaftlicher Gruppen.“
In den Tagebüchern ist Gendarmerie-General Sener Eruygur der Scharfmacher. Sprung in die Gegenwart: Ausgerechnet dieser mittlerweile pensionierte General Eruygur hat die erste der großen Anti-Regierungs-Demonstrationen im April in Ankara organisiert: Eruygur ist heute Vorsitzender des „Vereines zur Bewahrung der Gedanken Atatürks“. Einer der Slogans in Ankara war: „Armee, auf deinen Posten!“
So lesen sich die im März veröffentlichten Tagebücher fast wie ein Drehbuch dessen, was einen Monat später passierte. Aber sind sie echt? Alper Görmüs bleibt dabei: „Wir haben 3000 Seiten. Mit Fotos.“ Admiral Özden Örnek selbst sagt, sie seien eine Fälschung. Die Aussagen zweier gewichtiger Männer lassen das Dementi des Admirals jedoch recht lau erscheinen. Außenminister Abdullah Gül bestätigte der Zeitung Milliyet, seine Regierung habe von den Plänen „gewusst“.
Wenig später ließ sich der 2004 amtierende Armeechef Özkök diese vielsagenden Sätze entlocken: „Der Admiral sagt, er hat das nicht geschrieben, dem sollten wir vertrauen. Aber die andere Seite besteht auf ihrer Behauptung - die sollten wir auch respektieren.“
Mehr Macht durch Angst
Respekt hat Alper Görmüs nicht so viel bekommen wie er sich erhoffte. Dafür bekam er eine dreitägige Razzia in seiner Redaktion, von der ein Istanbuler Kolumnist hernach erschrocken sagte, sie erinnere ihn an die Presseverfolgung in Russland oder Kasachstan. Und er bekam die Kapitulationserklärung von Ayhan Durgun, des Besitzers von Nokta.
Durgun ließ Ende April erklären, er halte den Druck nicht mehr aus, dem er seit der Veröffentlichung der Artikel ausgesetzt sei, und werde Nokta deshalb schließen: „Ich bin verzweifelt, ich bin am Ende. Ich kann die Verleumdungen nicht mehr ertragen.“ Görmüs sagt, er verstehe Durgun. Nicht verstehen kann er die Kollegen in der Presse und die Politiker: „Einmal mehr haben sie den Test nicht bestanden.“ Die Presse deshalb nicht: „Anstatt unseren Enthüllungen nachzugehen, haben sich die Zeitungen alle auf uns gestürzt: ,Woher hat Nokta die Dokumente?‘ Nicht die Skandale waren das Thema, sondern wir.“