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Tafelsilber - zwischen den Fronten

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Gast829627

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Eine kleine neoliberale Geschichte: Wie in Serbien die Stahlindustrie unter den Hammer kam
Smederevo - eine kleine Stadt nur 50 km von Belgrad entfernt, ist sowohl in Übersee als auch im "alten Europa" gleichermaßen beliebt. Denn dort hat SARTID, das bedeutendste Stahlwerk Serbiens und Ex-Jugoslawiens, seinen Sitz. Eine attraktive Investition sollte es für die Europäer eigentlich werden, doch das Geschäft platzte, bevor es überhaupt richtig zustande kam, und die Fabrik ging an ein amerikanisches Unternehmen. In der Fabrik wurde unterdessen der Generalstreik ausgerufen

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Es begab sich zu einer Zeit, als man im fernen Belgrad begann, aus einer Politik zwischen den Großmächten Kapital zu schlagen. Zu Titos Zeiten profitierte Jugoslawien davon. Unter Milosevic trat dann das ganze Gegenteil ein. Auch die neue Regierung schwankt, mal zur einen mal zur anderen Seite. In Serbien heißt die eine Seite EU, die andere USA. Letztere profitierten in diesem Sommer. Im Zuge des auch "Privatisierung" genannten Verkaufs des Tafelsilbers, hat Serbien gerade einige schöne Sachen feil zu bieten. Und so verkaufte die Regierung das Eisenhüttenwerk in Smederevo zu einem Spottpreis an den amerikanischen Stahlgiganten U. S. Steel.

Doch der Verkauf des Stahlwerks, das unter den Amerikanern zum führenden in Europa ausgebaut werden soll, will man in Europa selbst nicht hinnehmen. Waren hier doch Hoffungen auf eine Übernahme gehegt worden. Man hatte sogar schon investiert und Zusagen erhalten. Doch es kam nicht zur erhofften Ausschreibung.

Wie ein kräftiges Sommergewitter brach demzufolge im Juni diesen Jahres die Entrüstung aus Deutschland über Belgrad herein. Das Auswärtige Amt setzte die serbische Regierung massiv unter Druck. Der deutsche Botschafter in Belgrad, kündigte ein Verfahren vor dem Internationalen Schiedsgericht in Wien an ([extern] Berlin droht Belgrad). Doch in Belgrad war man davon nicht beeindruckt.

Rückblick

Was war geschehen? Bereits 1997 wurden gegenüber SARTID Kredite in Höhe von 100 Millionen Dollar bewilligt. In zwei Stufen seien diese gezahlt worden. Kreditgeber war ein Konsortium von sieben verschiedenen europäischen Banken aus Italien, Deutschland, Österreich und Großbritannien. Damit sollten die immensen Schulden abgebaut werden, die derzeit bei 1,7 Milliarden Dollar liegen. Noch im Mai 2001 erklärte die serbische Regierung, alles für die Wahrung der Interessen von SARTID zu tun. Doch wenig später wurden die Vorgespräche mit den europäischen Banken abgebrochen. Ein Angebot für einen weiteren Schuldenabbau wurde von der serbischen Regierung strikt zurückgewiesen.

Im Frühjahr 2002 stellte man dann die Weichen Richtung Amerika. Unter Vermittlung der Djindjic-Regierung und dem US-Botschafter in Belgrad William Montgomer, wurde am 8. März 2002 eine strategische Partnerschaft zwischen SARTID und der U. S. Steel - Fabrik aus dem slowakischen Kosice [extern] vereinbart. In dem Vertrag sahen die Amerikaner jedoch weder eine Partnerschaft noch eine Kooperation. Schon im April deutete der Chef der slowakischen Tochterfirma John Goodish mehr als deutlich an, dass dieser Vertrag Grundlage für eine baldige Übernahme sei. So titelte am 15. April 2002 die Belgrader Wirtschaftszeitschrift Ekonomist: "SARTID gehört uns."

In einem [extern] Interview mit Goodish in dieser Zeitschrift gab er an, von anderen möglichen Interessenten, wie z. B. der deutschen Thyssen Krupp, nichts zu wissen. Er verwies auf den Partnerschaftsvertrag vom 8. März, auf dessen Grundlage man nun Geld investiere. Auch über die bereits gezahlten Millionen aus Europa gab er sich nur oberflächlich informiert und verwies auf Entscheidungsträger in Regierung und Fabrikverwaltung. Zu einer möglicherweise bevorstehenden Ausschreibung sagte Goodish:

Warum für etwas zahlen, was wir selbst entwickelt haben, um es dann jemanden anderem zu geben!? [...] Wir waren die ersten die ihre Hand erhoben haben und akzeptieren die Risiken. [...] Wir wissen derzeit mehr über SARTID, als irgendjemand vor uns wusste, und selbst mehr als die serbische Regierung. [...] Wir wären nicht erfreut, wenn jemand einfach dazwischen springen würde.

Wie zu erwarten meldete Anfang Juli 2002 John Goodish erstmals konkretes Interesse am Kauf von SARTID an. Am 31. Juli 2002 wurde ein Konkursverfahren eröffnet.

Clement protestiert

Ende des Jahres 2002 wurde der Konflikt auf die politische Ebene gehoben. Anlässlich des Kanzlerbesuchs in Belgrad veröffentlichte Publizistin [extern] Mira Beham jüngst erneut Hintergründe über den "Fall SARTID" in der Belgrader Wochenzeitschrift [extern] NIN.

Demnach schrieb im Dezember 2002 der Wirtschaftsminister Wolfgang Clement einen Protestbrief an Djindjic. Das Konkursverfahren schade nicht nur den beteiligten Banken, sondern auch deutschen Investitionskonzernen und Handelhäusern, so Clement. Doch nicht Djindjic, sondern sein Kabinettschef Nemanja Kolesar antwortete darauf. Die Regierung habe keinen Einfluss auf bankrotte Firmen und das ganze sei die Sache eines Gerichts, war die kurze Antwort Kolesars.

Das Clement solche diplomatische Ungezogenheit nicht erfreut hat, lässt sich leicht ausmalen. Und dass die Antwort nicht so ganz stimmt, lag möglicherweise an Kolesar selbst. Dieser spielte bei dem Geschäft mit U. S. Steel eine entscheidende Rolle. So hatte Nemanja Kolesar zuvor den SARTID-Fabrikchef eingesetzt, der letztendlich über den Verkauf entschied. Es sei ein offenes Geheimnis, dass er die Fäden für den weiteren Verkauf in den Händen hielt und bekannt sei auch, dass bereits richterliche Untersuchungen gegen ihn laufen, so NIN.

Nach der Ermordung von Ministerpräsident Djindjic im März 2003, wurde sein Nachfolger Zoran Zivkovic sofort an den "Fall SARTID" erinnert. Das Bankenkonsortium wandte sich in Briefen an ihn sowie an die SARTID-Konkursverwaltung, das Handelsgericht in Belgrad, die Parlamentspräsidentin Micic und mehrere Minister und wies auf einen Gesetzesbruch im Konkursverfahren hin. Das Versprechen von Kabinettschef Kolesar, dass zumindest Zivkovic antworten werde, hat sich bis heute nicht erfüllt.

Der Verkauf

Nur einige Tage später, Ende März 2003, unterschrieb dann U. S. Steel einen Wirtschaft- und Technikvertrag, der sich auf den Partnerschaftsvertrag vom 8. März 2002 bezog und Grundlage für den anschließenden Kaufvertrag war. Der Schnäppchenpreis belief sich dann auf 23 Millionen Dollar. Das entsprach etwa der Investitionssumme für den Bau der Fabrik. Inklusive attraktiver Liegenschaften, zu denen auch der Donau-Hafen der Stadt gehört. Der billigste Transportweg, den man sich vorstellen kann. Die Schulden von 1,7 Milliarden Dollar wurden nicht übernommen.

Des weiteren hatte man Konditionen ausgehandelt, die von U. S. Steel kaum Verantwortung abverlangten. Sie erhielten Exklusivrechte für die kommenden sieben Jahre. Kein anderes Unternehmen hat das Recht sich in Smederevo einzukaufen. Übliche soziale Standards kannte der Vertrag nicht. Es gibt zwar zunächst keine Entlassungen oder Umbesetzungen, dafür dürfen die Arbeiter auch keine Forderungen, z. B. nach höherem Lohn etc. stellen. Auch ist die Fabrikführung für eventuelle wirtschaftliche Verluste nicht verantwortlich.

Die neuen Hausherren versprachen dafür Investitionen von 150 Millionen Dollar und zusätzliche fünf Millionen für Umwelt- und so genannte Gemeinschaftsentwicklungsprojekte. Man rechne 2005 mit einer Kapazität von 2, 2 Millionen Tonnen Stahl und 120.000 Tonnen Blech.

Die bereits an SARTID gezahlten 100 Millionen Dollar der europäischen Banken, hat bisher jedoch niemand zurückgegeben. Im April beantragte deshalb die Austria Bank, stellvertretend für das Banken-Konsortium, vor dem Hohen Handelsgericht in Belgrad die Rücknahme des SARTID-Verkaufs. Der Antrag wurde wegen Nichtzuständigkeit abgewiesen.

Im Juni diesen Jahres verurteilte der deutsche Botschafter in Belgrad, Kurt Leonberger, den Verkauf der Fabrik scharf. Gegen gültiges serbisches Recht sei schwer verstoßen worden, mögliche deutsche Investoren seien benachteiligt worden und würden durch diesen Vorfall nun verschreckt. Künftige Investitionen könnten ausbleiben, so Leonberger. Er kündigte Verfahren von beteiligten deutschen, österreichischen und italienischen Firmen vor dem Internationalen Schiedsgericht in Wien an.

Der zuständige serbische Minister für Wirtschaft und Privatisierung, Aleksandar Vlahovic, wies die Vorwürfe zurück. Gegenüber der Nachrichtenagentur SRNA sagte er:

"Es ist allgemein bekannt, dass der Verkauf von SARTID während des Konkursverfahrens stattfand, und dass es in einem solchen Fall in Übereinstimmung mit dem Konkursgesetz zwei Möglichkeiten zum Verkauf einer Firma gibt: Direkte Verhandlungen und Ausschreibungen.

Weiter wurde mitgeteilt, dass die Eigentümer von SARTID sich für einen direkten Verkauf aufgrund bestehender Verträge mit U.S. Steel entschieden hätten. Doch das Bankenkonsortium hat anscheinend genug Beweise in der Hand und strengt gerade eine Klage beim serbischen Staatsanwalt an. Bis Mitte November muss er sich entscheiden, ob er diese an eine höhere Instanz weitergibt. Sollte er es nicht tun, wären die juristischen Möglichkeiten in Serbien ausgeschöpft.

Serbien - attraktivster Markt auf dem Balkan

Das Engagement der Deutschen ist verständlich. Deutschland ist mit einem Anteil von ca. 12% größter Handelspartner Serbiens. Umgekehrt exportiert Deutschland nach Serbien mittlerweile genauso viel wie nach Russland. Wegen der traditionell wirtschaftlichen Verbundenheit mit dem ehemaligen Jugoslawien wird besonders im Maschinenbau weiteres Potential ausgemacht. Auf bis zu 70 % aller Maschinen und Anlagen, die in so mancher zum Verkauf stehenden Fabrik stehen, prangt das Schild "made in germany". Außerdem hat die deutsche WAZ-Gruppe großen [extern] Einflussim Medienmarkt, durch Anteile am Verlagshaus Politika. Die Berliner Bankgesellschaft, bekannt geworden durch die Pleite in der Hauptstadt, wirbt für Investitionen in Südosteuropa und schilderte in einer [extern] Studie vom Juni diesen Jahres die Vorzüge der Deutschen:

Nicht nur deshalb ist Deutschland in Serbien Wunschpartner Nr. 1: im Unterschied zu Wettbewerbern aus den USA oder Japan binden deutsche Unternehmen ihre serbischen Partner im Rahmen meist langfristiger Handels- und Kooperationsbeziehungen in hohem Maße in die Wertschöpfungskette und hierbei auch in den Wissenstransfer ein und schaffen somit solide zeitbeständige Partnerschaften.

Wie die Bankgesellschaft weiter feststellt, sei eine beachtliche Nachfrage nach deutschen Produkten festzustellen. Auch seien die wichtigsten Kreditinstitute der Region Südosteuropa mittlerweile mehrheitlich im Besitz europäischer Großbanken. Auch direktes ausländisches Engagement werde in wirtschaftlichen Schlüsselbereichen dort immer vorbehaltloser akzeptiert.

Generalstreik

Wie auch immer, die Fabrik wurde von den Amerikanern übernommen. Doch mittlerweile protestieren in Smederevo die 10.000 Beschäftigten und haben einen Generalstreik ausgerufen. Anders als bei sonstigen Streiks schenkten die Medien dem Thema Aufmerksamkeit. Doch trotz zahlreicher Gründe - der Lohn liegt 10 % unterhalb des Landesdurchschnitts - scheint der jetzige Streik ungewöhnlich.

Gegenüber Telepolis vertrat eine Mitarbeiterin der Fabrik die Ansicht, dass derzeitige Medienberichte nicht die Wahrheit zeigen würden. Die Berichte über die nach mehr Lohn kämpfenden Arbeiter seien nur die eine Seite der Medaille. Auch die Zeitschrift NIN zitierte Experten, die die jetzigen Streiks gegen eine gerade privatisierte Firma als unüblich einstufen. Auch würden die Gewerkschaften Forderungen stellen, die nicht in ihr Aufgabenfeld gehörten.

Es sei darüber hinaus ungewöhnlich, dass die jetzigen Gewerkschaftsführer sich noch im Januar 2003 glücklich über die Arbeitsweise des ehemaligen Direktors geäußert hatten. Zu diesem Zeitpunkt waren die Pläne von U. S. Steel für eine Übernahme aber längst bekannt. Der Direktor war schließlich die Schlüsselfigur beim Verkauf der Fabrik. Die Gewerkschaftsvertreter gaben nun an, zuvor nie einen Vertrag zu Gesicht bekommen zu haben. Damals seien sie ganz eingenommen von den Visionen der Amerikaner gewesen, stellten sie rückblickend fest.

Ob nun Dummheit, Nachlässigkeit oder eine gezielte Taktik dahinter steht, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Allein schon der Verkauf zu einem solchen Schleuderpreis und mit derart unsozialen Zugeständnissen, stellt die Fähigkeit der Regierung stark in Zweifel.

Schröder in Belgrad

Mit Sätzen wie "Es sei noch eine ganze Menge zu tun" oder "Die wirtschaftlichen Bedingungen seien noch nicht auf dem Stand, auf dem sie sein könnten.", erwähnte Kanzler Schröder bei seinem Kurzbesuch in Belgrad am 29. Oktober den "SARTID-Skandal" jedoch nicht. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Das Thema Wirtschaft stand ganz oben auf der Agenda. Verständlich bei den knappen Kassen auf beiden Seiten. Die bestehenden Investitionshemmnisse deutscher Firmen würden mit Hermes-Bürgschaften abgesichert, stellte Schröder in Aussicht.

Auch die politischen Beziehungen mit Serbien und Montenegro seien durch kein größeres Problem belastet, ließ Schröder wissen. Das war offensichtlich. Serbische Behörden nahmen Schröder wegen seinem Ja zur NATO-Bombardierung 1999 nicht fest. (Urteil - http://www.pds-sachsen.de/lfs/pvl/beo_urteil.html) Auch blieben Stimmen aus, die den Besuch des Kanzlers im Kosovo 1999 erwähnten. Denn entgegen anders lautenden Bestrebungen der serbischen Regierung, die das Kosovo weiter als Teil Serbiens betrachten, wurde allseits erwähnt, dass nun nach 18 Jahren erstmals wieder ein deutscher Kanzler Serbien besuche.

Auf der Pressekonferenz wirkte Schröder etwas griesgrämig, wie oft in letzter Zeit. Vielleicht erinnerten ihn die Ereignisse vom Nachmittag an die bevorstehenden Streiks in Deutschland. Denn im Zentrum von Belgrad demonstrierten 10.000 Menschen, um die serbische Regierung zum Rücktritt, zu Neuwahlen und zum Stopp der Privatisierungen aufzurufen. Schröder hat ihnen mit seinem Besuch dazu keinerlei Hoffnung gemacht. 7.000 weitere Firmen stehen noch in Serbien zum Verkauf.
 
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