Wenn selbst Karl Rove die Welt nicht mehr versteht
Die US-Republikaner bewegen sich auf einem Extremkurs, sie wollen selbst den Ärmsten noch die Food Stamps streichen. Nun ist die Rede von «Verrückten» und dem «Marsch in die Anarchie».
Nebst Dick Cheney ist Karl Rove so etwas wie der dunkle Geist der US-Konservativen. Er gilt als brillanter Taktiker hinter George W. Bush, der dem hemdsärmligen Texaner zweimal zum Wahlsieg verholfen hat. Doch selbst Rove versteht die Welt nicht mehr. Auf der konservativen «Op-ed»-Seite des «Wall Street Journal» fordert er die Grand Old Party (GOP) eindringlich auf, doch um Gottes Willen vom eingeschlagenen Weg abzulassen und wieder zur Vernunft zu kommen. Was ist geschehen?
Obamacare ist für die Konservativen eine Kröte, die sie unter keinen Umständen schlucken wollen. Nachdem es Obamas Gesundheitsreform – das neue Gesetz lässt sich übrigens gut mit der obligatorischen Krankenkasse der Schweiz vergleichen – nach jahrelangem Ringen endlich durch den Kongress geschafft hat, soll sie nun auch umgesetzt werden. Das will die von der Tea Party dominierte GOP nicht zulassen. Sie setzt auf das sogenannte Defunding, will heissen, sie will Obamacare die nötigen Mittel verweigern. Die etwas merkwürdigen Sitten und Gebräuche in Washington geben ihr dazu eine neue Chance.
Bei Clinton nichts gelernt
In den kommenden Wochen muss der US-Kongress wieder einmal über die Höhe der Schuldendecke befinden. Die GOP stellt dabei Bedingungen, die die Regierung auf keinen Fall akzeptieren wird – unter anderem das Defunding von Obamacare.
Verweigert der Kongress aber dennoch seine Zustimmung, dann muss die Verwaltung dichtmachen: Nationalpärke und Museen werden geschlossen, Soldaten und Polizisten erhalten keinen Lohn mehr, Beamte müssen zu Hause bleiben. 1995 hatten die Republikaner diese Mittel bereits gegen Präsident Bill Clinton eingesetzt – und sich dabei eine blutige Nase geholt.
Der politische Schaden könnte diesmal für die GOP noch weit schlimmer ausfallen. Das rechnet Karl Rove seinen Parteifreunden mit einer Fülle von Zahlen vor. Wahrscheinlich erfolglos: Alles deutet daraufhin, dass die Republikaner ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus dafür einsetzen werden, den Regierungsapparat lahmzulegen. Die von konservativen Fundamentalisten beherrschte Partei nimmt keine Rücksicht mehr auf reale Verhältnisse. So hat sie ebenfalls beschlossen, rund vier Millionen Amerikanern die Food Stamps zu streichen, Lebensmittelmarken, die den Ärmsten zugutekommen. Dies, obwohl die jüngsten Zahlen des Landwirtschaftsdepartements zeigen, dass 17,6 Millionen US-Haushalte teilweise hungern. Das Verhalten der Republikaner lässt die Gemässigten verzweifeln. Die «New York Times» spricht von einem «Marsch in die Anarchie», der Kolumnist Paul Krugman gar von den «Verrückten».
Vereinigte Staaten – geteilte Nation
Wirtschaftlich ist das Verhalten der GOP ebenfalls nicht nachvollziehbar. Ben Bernanke, Präsident der US-Notenbank und ebenfalls Mitglied der republikanischen Partei, hat seinen Beschluss, weiterhin für tiefe Leitzinsen zu sorgen, auch damit begründet, dass der bevorstehende Streit um die Schuldenobergrenze das Wirtschaftswachstum empfindlich dämpfen werde. Bereits der Anfang Jahr auf Druck der GOP eingeführte Sequester, eine Art Schuldenbremse, hat der US-Wirtschaft schweren Schaden zugeführt.
Die Vereinigten Staaten sind im Begriff, eine geteilte Nation zu werden. Der neu geschaffene Wohlstand fliesst fast vollständig in die Taschen der Superreichen, die soziale Ungleichheit hat dramatisch zugenommen. Fast alle sozialen Indikatoren zeigen in die falsche Richtung. Die Oberschicht kapselt sich ab, die Unterschicht entwickelt sich zu einer Drittweltbevölkerung mit lausiger Ausbildung und fehlender Perspektive.
Alte Ideen in neuen Köpfen
Der Ökonom Tyler Cowen spricht von einer neuen Klassengesellschaft, die er wie folgt beschreibt: Es gibt zwei Arten von Menschen, die einen können gut mit immer intelligenteren Maschinen umgehen, die anderen werden durch sie ersetzt. Die erste Gruppe wird immer reicher, die zweite Gruppe wird ihre Zeit bald einmal mit Videospielen vertreiben.
Vor rund 100 Jahren waren die Verhältnisse in den USA ähnlich: Rockefeller, J. P. Morgan, Vanderbilts, Carnegie etc. – herrschten über grosse Konzerne, das politische Washington versank in einem Sumpf aus Geld und Korruption. Damals entstand die progressive Bewegung. Präsident Theodore Roosevelt sorgte dafür, dass die Monopole zerschlagen wurden. Unter seinem Namensvetter, Präsident Franklin Roosevelt, kam es zur «Great Contraction», die Wohlstandsunterschiede wurden wieder eingeebnet und der Mittelstand gestärkt. Dieses Ziel verfolgen heute die neuen Progressiven. Aushängeschilder sind dabei Politiker wie der Demokrat Bill de Blasio. Er hat gute Chancen, neuer Bürgermeister von New York zu werden.
Wenn selbst Karl Rove die Welt nicht mehr versteht - News Ausland: Amerika - tagesanzeiger.ch
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Ach die Vereinigten Staaten sind schon ein tolles Land...solange man jung, smart, gesund, gutaussehend und gebildet ist.
Die US-Republikaner bewegen sich auf einem Extremkurs, sie wollen selbst den Ärmsten noch die Food Stamps streichen. Nun ist die Rede von «Verrückten» und dem «Marsch in die Anarchie».
Nebst Dick Cheney ist Karl Rove so etwas wie der dunkle Geist der US-Konservativen. Er gilt als brillanter Taktiker hinter George W. Bush, der dem hemdsärmligen Texaner zweimal zum Wahlsieg verholfen hat. Doch selbst Rove versteht die Welt nicht mehr. Auf der konservativen «Op-ed»-Seite des «Wall Street Journal» fordert er die Grand Old Party (GOP) eindringlich auf, doch um Gottes Willen vom eingeschlagenen Weg abzulassen und wieder zur Vernunft zu kommen. Was ist geschehen?
Obamacare ist für die Konservativen eine Kröte, die sie unter keinen Umständen schlucken wollen. Nachdem es Obamas Gesundheitsreform – das neue Gesetz lässt sich übrigens gut mit der obligatorischen Krankenkasse der Schweiz vergleichen – nach jahrelangem Ringen endlich durch den Kongress geschafft hat, soll sie nun auch umgesetzt werden. Das will die von der Tea Party dominierte GOP nicht zulassen. Sie setzt auf das sogenannte Defunding, will heissen, sie will Obamacare die nötigen Mittel verweigern. Die etwas merkwürdigen Sitten und Gebräuche in Washington geben ihr dazu eine neue Chance.
Bei Clinton nichts gelernt
In den kommenden Wochen muss der US-Kongress wieder einmal über die Höhe der Schuldendecke befinden. Die GOP stellt dabei Bedingungen, die die Regierung auf keinen Fall akzeptieren wird – unter anderem das Defunding von Obamacare.
Verweigert der Kongress aber dennoch seine Zustimmung, dann muss die Verwaltung dichtmachen: Nationalpärke und Museen werden geschlossen, Soldaten und Polizisten erhalten keinen Lohn mehr, Beamte müssen zu Hause bleiben. 1995 hatten die Republikaner diese Mittel bereits gegen Präsident Bill Clinton eingesetzt – und sich dabei eine blutige Nase geholt.
Der politische Schaden könnte diesmal für die GOP noch weit schlimmer ausfallen. Das rechnet Karl Rove seinen Parteifreunden mit einer Fülle von Zahlen vor. Wahrscheinlich erfolglos: Alles deutet daraufhin, dass die Republikaner ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus dafür einsetzen werden, den Regierungsapparat lahmzulegen. Die von konservativen Fundamentalisten beherrschte Partei nimmt keine Rücksicht mehr auf reale Verhältnisse. So hat sie ebenfalls beschlossen, rund vier Millionen Amerikanern die Food Stamps zu streichen, Lebensmittelmarken, die den Ärmsten zugutekommen. Dies, obwohl die jüngsten Zahlen des Landwirtschaftsdepartements zeigen, dass 17,6 Millionen US-Haushalte teilweise hungern. Das Verhalten der Republikaner lässt die Gemässigten verzweifeln. Die «New York Times» spricht von einem «Marsch in die Anarchie», der Kolumnist Paul Krugman gar von den «Verrückten».
Vereinigte Staaten – geteilte Nation
Wirtschaftlich ist das Verhalten der GOP ebenfalls nicht nachvollziehbar. Ben Bernanke, Präsident der US-Notenbank und ebenfalls Mitglied der republikanischen Partei, hat seinen Beschluss, weiterhin für tiefe Leitzinsen zu sorgen, auch damit begründet, dass der bevorstehende Streit um die Schuldenobergrenze das Wirtschaftswachstum empfindlich dämpfen werde. Bereits der Anfang Jahr auf Druck der GOP eingeführte Sequester, eine Art Schuldenbremse, hat der US-Wirtschaft schweren Schaden zugeführt.
Die Vereinigten Staaten sind im Begriff, eine geteilte Nation zu werden. Der neu geschaffene Wohlstand fliesst fast vollständig in die Taschen der Superreichen, die soziale Ungleichheit hat dramatisch zugenommen. Fast alle sozialen Indikatoren zeigen in die falsche Richtung. Die Oberschicht kapselt sich ab, die Unterschicht entwickelt sich zu einer Drittweltbevölkerung mit lausiger Ausbildung und fehlender Perspektive.
Alte Ideen in neuen Köpfen
Der Ökonom Tyler Cowen spricht von einer neuen Klassengesellschaft, die er wie folgt beschreibt: Es gibt zwei Arten von Menschen, die einen können gut mit immer intelligenteren Maschinen umgehen, die anderen werden durch sie ersetzt. Die erste Gruppe wird immer reicher, die zweite Gruppe wird ihre Zeit bald einmal mit Videospielen vertreiben.
Vor rund 100 Jahren waren die Verhältnisse in den USA ähnlich: Rockefeller, J. P. Morgan, Vanderbilts, Carnegie etc. – herrschten über grosse Konzerne, das politische Washington versank in einem Sumpf aus Geld und Korruption. Damals entstand die progressive Bewegung. Präsident Theodore Roosevelt sorgte dafür, dass die Monopole zerschlagen wurden. Unter seinem Namensvetter, Präsident Franklin Roosevelt, kam es zur «Great Contraction», die Wohlstandsunterschiede wurden wieder eingeebnet und der Mittelstand gestärkt. Dieses Ziel verfolgen heute die neuen Progressiven. Aushängeschilder sind dabei Politiker wie der Demokrat Bill de Blasio. Er hat gute Chancen, neuer Bürgermeister von New York zu werden.
Wenn selbst Karl Rove die Welt nicht mehr versteht - News Ausland: Amerika - tagesanzeiger.ch
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Ach die Vereinigten Staaten sind schon ein tolles Land...solange man jung, smart, gesund, gutaussehend und gebildet ist.