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Was die moderne Zivilisation dem Islam schuldet
Was die moderne Zivilisation dem Islam schuldet
- Mohamad Abdallah - Obwohl es wohl keinen einzigen Bereich europäischer Entwicklung gibt, in dem sich der Einfluss der islamischen Kultur nicht nachweisen ließe, ist dieser doch nirgends so deutlich präsent wie im Aufstieg der beiden entscheidenden Antriebskräfte der modernen Welt: in der Naturwissenschaft und im naturwissenschaftlichen Geist. Der Beitrag der islamischen Kultur beschränkt sich nicht auf einzelne durchaus bemerkenswerte Entdeckungen oder revolutionäre Theorien. Nein, die moderne Wissenschaft schuldet ihr viel mehr - nämlich ihre ganze Existenz.1
Einführung
Viele Historiker der Vergangenheit waren der Meinung, die Araber hätten sich lediglich um die Übersetzung einiger wichtiger griechischer Werke verdient gemacht. Darüber hinaus hätten sie keinen Beitrag zu den Fortschritten des Westens geleistet. Diese Sichtweite ist inzwischen nicht mehr zeitgemäß. Heute ist klar: Unter der Führung des Islam eigneten sich die Araber das wissenschaftliche Erbe früherer Zivilisationen, zu denen auch die des klassischen Griechenlands und Roms gehörten, an. Sie übersetzten und bewahrten viele wissenschaftliche Werke jener Zivilisationen, arbeiteten mit ihnen und entwickelten sie weiter. Muslimische Wissenschaftler und ihre Erfahrungen beeinflussten die westliche Welt des späten Mittelalters ganz entscheidend. Ihre Leistungen waren nicht zuletzt für das Heraufziehen des Zeitalters der Renaissance verantwortlich. Die Muslime schrieben Weltgeschichte.
Noch bis vor kurzer Zeit waren diese historischen Tatsachen im Westen nahezu unbekannt. In den letzten Jahren jedoch wurde den großartigen Leistungen der islamischen Wissenschaft endlich jene Beachtung geschenkt, die sie verdienen. Die moderne Geschichtswissenschaft brachte zu Tage, dass muslimische Wissenschaftler bis ins 16. Jahrhundert hinein in ihren Fachgebieten Erstaunliches vollbrachten. Zuvor hatten einige Geschichtswerke, die sich mit der islamischen Wissenschaft beschäftigten, behauptet, dass diese ab dem 12. Jahrhundert im Niedergang begriffen war. Als Gründe führen sie, um nur einige zu nennen, die Opposition der religiösen Autoritäten (v.a. Imam Ghazzalis), das islamische Recht und die Nichtexistenz einer kapitalistischen Ökonomie an.2 Analysiert man jedoch die Wissenschaft in der islamischen Welt nach dem 11. Jahrhundert, wird man feststellten, dass sie in der Folgezeit eine eindrucksvolle Blütephase erlebte. Insofern dürften jene Aussagen entweder nicht zutreffen oder zumindest viel zu oberflächlich sein. Auf den folgenden Seiten wird es darum gehen, einige der größten Leistungen, die Bedeutsamkeit und die Originalität der islamischen Wissenschaft zwischen dem 9. und 16. Jahrhundert zu beleuchten.
Eine Definition der islamischen Wissenschaft
Je mehr sich die Historiker bemühen, den großen Strang ihrer eigenen Disziplin zu analysieren und zu differenzieren, desto schwerer fällt es ihnen, dem Begriff Wissenschaft linguistische, zivilisatorische und kulturelle Adjektive zuzuordnen.3 Auf den Gebrauch von Adjektiven wie griechisch, arabisch, chinesisch, indisch, islamisch oder auch westlich sollte man heute eigentlich generell verzichten, denn gerade in jüngster Zeit ist man sich der Tatsache bewusst geworden, welch hegemoniale Aussagen diese Adjektive schon immer transportiert haben.4 In Zeiten, in denen Sprachen, Kulturen und Zivilisationen individuelle Eigenschaften verkörperten, die sie voneinander unterschieden, wurden diese Adjektive oft als analytische Kategorien verwendet.5 Mittlerweile erfüllen sie diese Funktion jedoch nicht mehr, weil sie nicht länger zu ähnlich analytischen Resultaten wie in der Vergangenheit führen. Begriffe wie Kultur, Zivilisation, Sprache und Wissenschaft sind nicht mehr die gleichen unveränderlichen gemeinhin akzeptierten Begriffe, die sie einmal waren. Jeder dieser Begriffe ist für sich mit Zweideutigkeiten belastet, die es verbieten, ihn mit den erwähnten Adjektiven zu assoziieren. Abgesehen davon macht es die tiefe gegenseitige Durchdringung der wissenschaftlichen Traditionen nahezu unmöglich, von einer griechischen, einer arabischen oder einer europäischen Wissenschaft zu sprechen und so zu tun, als hätte jede dieser Wissenschaften einen eigenen unverwechselbaren Charakter.6
Aus diesen Ausführungen ergibt sich natürlich auch die Frage, was denn eigentlich unter einer islamischen Wissenschaft zu verstehen ist. Deshalb hier zunächst einmal eine Wissenschaftsdefinition: Als Wissenschaft definieren möchte ich jedes systematische Wissen, das aus Beobachtungen, Studien und Experimenten gezogen wird, die dem Ziel dienen, die Beschaffenheit oder die Prinzipien der Dinge zu erklären. Als islamische Wissenschaft soll eine Wissenschaft bezeichnet werden, die vor allem in arabischer Sprache und im Kontext der islamischen Zivilisation betrieben wurde. An diesem Unterfangen waren viele Individuen mit ganz unterschiedlichem religiösen und ethnischen Background beteiligt: Christen (wie Hunayn ibn Ishaq), Perser (wie Ibn Nawbakht) und Sabier (wie Thabit ibn Qurra) ebenso wie Juden (z.B. Masha'allah). Islamisch war diese Wissenschaft insofern, als sie den neuen und stetig wachsenden Bedürfnissen der islamischen Zivilisation Rechnung trug. Außerdem beschäftigte man sich ausschließlich in arabischer Sprache mit ihr, und eine wachsende Zahl von muslimischen Übersetzern, Studenten und Wissenschaftlern war mit ihr vertraut.7 Andererseits war das Arabische zwar die Sprache jener islamischen Wissenschaft, nicht unbedingt jedoch auch die Muttersprache ihrer Wissenschaftler.
In diesem Sinne soll der Begriff islamische Wissenschaft auch in diesem Artikel verwendet werden. Der Begriff islamische Wissenschaft umfasst in unserem Kontext nicht die religiösen Wissenschaften (wie die Rechtsprechung), sondern nur die Naturwissenschaften (wie Mathematik, Astronomie oder Medizin). Außerdem bezieht er auch nicht jene Form von Wissenschaft mit ein, die besagt, alles Wissen und damit auch alles wissenschaftliche Wissen, sei im Koran zu finden.8 Jene Fachrichtung untersucht die wissenschaftlichen Inhalte des Koran und kommt zu dem Ergebnis, dass von der Relativität und der Quantenmechanik über die Urknalltheorie und das gesamte Feld der Embryonenforschung bis hin zu den Ergebnissen der modernen Geologie alle Erkenntnisse im Koran enthalten sind.9 Die Anhänger dieser Fachrichtung sind der Auffassung, dass die Berechtigung wissenschaftlicher Experimente darin liege, dass sie die Wahrheiten des Koran bestätigen. Obwohl diese Sichtweise heute die populärste Version der islamischen Wissenschaft darstellt, soll sie in diesem Artikel keine Berücksichtigung finden.
Auch die mystische Perspektive soll unberücksichtigt bleiben. Sie setzt die islamische Wissenschaft mit einer Erforschung der Natur der Dinge in einem ontologischen Sinne gleich. Die Anhänger dieser Perspektive studieren das materielle Universum nämlich als einen integralen und untergeordneten Teil der höheren Ebenen von Existenz, Bewusstsein und Wissen.10 Im Kontext dieser Perspektive ist die Wissenschaft weder eine Initiative zur Lösung von Problemen noch eine objektive Analyse, sondern vielmehr ein mystisches Streben nach dem Verstehen des Absoluten.11 Diese Sichtweise beinhaltet auch die Idee, dass Vermutung und Hypothese eigentlich keinen Platz in diesem Universum haben. Ihr zufolge muss jede Forschung in den Dienst des mystischen Experiments gestellt werden.12 Ihre Anhänger betrachten alle in der islamischen Zivilisation betriebenen Wissenschaften als heilige Wissenschaften - als Produkte einer bestimmten mystischen Tradition, deren Wurzeln bis zu den griechischen Neo-Platonisten zurückzuverfolgen sei. Eine solche Einschätzung wurde jedoch von muslimischen Wissenschaftshistorikern (wie Ahmad al-Hassan) und westlichen Historikern (wie David King und Donald Hill) gleichermaßen vehement zurückgewiesen.
Um es noch einmal klarzustellen: In diesem Artikel bezieht sich der Begriff islamische Wissenschaft ausschließlich auf jene Naturwissenschaften, die auf Beobachtung, Experiment und kritisch vorgebrachten rationalen Überlegungen basieren - auf jene Art von Wissenschaft also, die von Wissenschaftlern verschiedener Religionen und Ethnien unter islamischer Vorherrschaft betrieben wurde.
Was die moderne Zivilisation dem Islam schuldet
- Mohamad Abdallah - Obwohl es wohl keinen einzigen Bereich europäischer Entwicklung gibt, in dem sich der Einfluss der islamischen Kultur nicht nachweisen ließe, ist dieser doch nirgends so deutlich präsent wie im Aufstieg der beiden entscheidenden Antriebskräfte der modernen Welt: in der Naturwissenschaft und im naturwissenschaftlichen Geist. Der Beitrag der islamischen Kultur beschränkt sich nicht auf einzelne durchaus bemerkenswerte Entdeckungen oder revolutionäre Theorien. Nein, die moderne Wissenschaft schuldet ihr viel mehr - nämlich ihre ganze Existenz.1
Einführung
Viele Historiker der Vergangenheit waren der Meinung, die Araber hätten sich lediglich um die Übersetzung einiger wichtiger griechischer Werke verdient gemacht. Darüber hinaus hätten sie keinen Beitrag zu den Fortschritten des Westens geleistet. Diese Sichtweite ist inzwischen nicht mehr zeitgemäß. Heute ist klar: Unter der Führung des Islam eigneten sich die Araber das wissenschaftliche Erbe früherer Zivilisationen, zu denen auch die des klassischen Griechenlands und Roms gehörten, an. Sie übersetzten und bewahrten viele wissenschaftliche Werke jener Zivilisationen, arbeiteten mit ihnen und entwickelten sie weiter. Muslimische Wissenschaftler und ihre Erfahrungen beeinflussten die westliche Welt des späten Mittelalters ganz entscheidend. Ihre Leistungen waren nicht zuletzt für das Heraufziehen des Zeitalters der Renaissance verantwortlich. Die Muslime schrieben Weltgeschichte.
Noch bis vor kurzer Zeit waren diese historischen Tatsachen im Westen nahezu unbekannt. In den letzten Jahren jedoch wurde den großartigen Leistungen der islamischen Wissenschaft endlich jene Beachtung geschenkt, die sie verdienen. Die moderne Geschichtswissenschaft brachte zu Tage, dass muslimische Wissenschaftler bis ins 16. Jahrhundert hinein in ihren Fachgebieten Erstaunliches vollbrachten. Zuvor hatten einige Geschichtswerke, die sich mit der islamischen Wissenschaft beschäftigten, behauptet, dass diese ab dem 12. Jahrhundert im Niedergang begriffen war. Als Gründe führen sie, um nur einige zu nennen, die Opposition der religiösen Autoritäten (v.a. Imam Ghazzalis), das islamische Recht und die Nichtexistenz einer kapitalistischen Ökonomie an.2 Analysiert man jedoch die Wissenschaft in der islamischen Welt nach dem 11. Jahrhundert, wird man feststellten, dass sie in der Folgezeit eine eindrucksvolle Blütephase erlebte. Insofern dürften jene Aussagen entweder nicht zutreffen oder zumindest viel zu oberflächlich sein. Auf den folgenden Seiten wird es darum gehen, einige der größten Leistungen, die Bedeutsamkeit und die Originalität der islamischen Wissenschaft zwischen dem 9. und 16. Jahrhundert zu beleuchten.
Eine Definition der islamischen Wissenschaft
Je mehr sich die Historiker bemühen, den großen Strang ihrer eigenen Disziplin zu analysieren und zu differenzieren, desto schwerer fällt es ihnen, dem Begriff Wissenschaft linguistische, zivilisatorische und kulturelle Adjektive zuzuordnen.3 Auf den Gebrauch von Adjektiven wie griechisch, arabisch, chinesisch, indisch, islamisch oder auch westlich sollte man heute eigentlich generell verzichten, denn gerade in jüngster Zeit ist man sich der Tatsache bewusst geworden, welch hegemoniale Aussagen diese Adjektive schon immer transportiert haben.4 In Zeiten, in denen Sprachen, Kulturen und Zivilisationen individuelle Eigenschaften verkörperten, die sie voneinander unterschieden, wurden diese Adjektive oft als analytische Kategorien verwendet.5 Mittlerweile erfüllen sie diese Funktion jedoch nicht mehr, weil sie nicht länger zu ähnlich analytischen Resultaten wie in der Vergangenheit führen. Begriffe wie Kultur, Zivilisation, Sprache und Wissenschaft sind nicht mehr die gleichen unveränderlichen gemeinhin akzeptierten Begriffe, die sie einmal waren. Jeder dieser Begriffe ist für sich mit Zweideutigkeiten belastet, die es verbieten, ihn mit den erwähnten Adjektiven zu assoziieren. Abgesehen davon macht es die tiefe gegenseitige Durchdringung der wissenschaftlichen Traditionen nahezu unmöglich, von einer griechischen, einer arabischen oder einer europäischen Wissenschaft zu sprechen und so zu tun, als hätte jede dieser Wissenschaften einen eigenen unverwechselbaren Charakter.6
Aus diesen Ausführungen ergibt sich natürlich auch die Frage, was denn eigentlich unter einer islamischen Wissenschaft zu verstehen ist. Deshalb hier zunächst einmal eine Wissenschaftsdefinition: Als Wissenschaft definieren möchte ich jedes systematische Wissen, das aus Beobachtungen, Studien und Experimenten gezogen wird, die dem Ziel dienen, die Beschaffenheit oder die Prinzipien der Dinge zu erklären. Als islamische Wissenschaft soll eine Wissenschaft bezeichnet werden, die vor allem in arabischer Sprache und im Kontext der islamischen Zivilisation betrieben wurde. An diesem Unterfangen waren viele Individuen mit ganz unterschiedlichem religiösen und ethnischen Background beteiligt: Christen (wie Hunayn ibn Ishaq), Perser (wie Ibn Nawbakht) und Sabier (wie Thabit ibn Qurra) ebenso wie Juden (z.B. Masha'allah). Islamisch war diese Wissenschaft insofern, als sie den neuen und stetig wachsenden Bedürfnissen der islamischen Zivilisation Rechnung trug. Außerdem beschäftigte man sich ausschließlich in arabischer Sprache mit ihr, und eine wachsende Zahl von muslimischen Übersetzern, Studenten und Wissenschaftlern war mit ihr vertraut.7 Andererseits war das Arabische zwar die Sprache jener islamischen Wissenschaft, nicht unbedingt jedoch auch die Muttersprache ihrer Wissenschaftler.
In diesem Sinne soll der Begriff islamische Wissenschaft auch in diesem Artikel verwendet werden. Der Begriff islamische Wissenschaft umfasst in unserem Kontext nicht die religiösen Wissenschaften (wie die Rechtsprechung), sondern nur die Naturwissenschaften (wie Mathematik, Astronomie oder Medizin). Außerdem bezieht er auch nicht jene Form von Wissenschaft mit ein, die besagt, alles Wissen und damit auch alles wissenschaftliche Wissen, sei im Koran zu finden.8 Jene Fachrichtung untersucht die wissenschaftlichen Inhalte des Koran und kommt zu dem Ergebnis, dass von der Relativität und der Quantenmechanik über die Urknalltheorie und das gesamte Feld der Embryonenforschung bis hin zu den Ergebnissen der modernen Geologie alle Erkenntnisse im Koran enthalten sind.9 Die Anhänger dieser Fachrichtung sind der Auffassung, dass die Berechtigung wissenschaftlicher Experimente darin liege, dass sie die Wahrheiten des Koran bestätigen. Obwohl diese Sichtweise heute die populärste Version der islamischen Wissenschaft darstellt, soll sie in diesem Artikel keine Berücksichtigung finden.
Auch die mystische Perspektive soll unberücksichtigt bleiben. Sie setzt die islamische Wissenschaft mit einer Erforschung der Natur der Dinge in einem ontologischen Sinne gleich. Die Anhänger dieser Perspektive studieren das materielle Universum nämlich als einen integralen und untergeordneten Teil der höheren Ebenen von Existenz, Bewusstsein und Wissen.10 Im Kontext dieser Perspektive ist die Wissenschaft weder eine Initiative zur Lösung von Problemen noch eine objektive Analyse, sondern vielmehr ein mystisches Streben nach dem Verstehen des Absoluten.11 Diese Sichtweise beinhaltet auch die Idee, dass Vermutung und Hypothese eigentlich keinen Platz in diesem Universum haben. Ihr zufolge muss jede Forschung in den Dienst des mystischen Experiments gestellt werden.12 Ihre Anhänger betrachten alle in der islamischen Zivilisation betriebenen Wissenschaften als heilige Wissenschaften - als Produkte einer bestimmten mystischen Tradition, deren Wurzeln bis zu den griechischen Neo-Platonisten zurückzuverfolgen sei. Eine solche Einschätzung wurde jedoch von muslimischen Wissenschaftshistorikern (wie Ahmad al-Hassan) und westlichen Historikern (wie David King und Donald Hill) gleichermaßen vehement zurückgewiesen.
Um es noch einmal klarzustellen: In diesem Artikel bezieht sich der Begriff islamische Wissenschaft ausschließlich auf jene Naturwissenschaften, die auf Beobachtung, Experiment und kritisch vorgebrachten rationalen Überlegungen basieren - auf jene Art von Wissenschaft also, die von Wissenschaftlern verschiedener Religionen und Ethnien unter islamischer Vorherrschaft betrieben wurde.