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[h=1]Was wäre gewesen, wenn die USA Deutsch sprächen?[/h]Vor 220 Jahren brachten deutsche Einwanderer eine Sprach-Petition in das US-Repräsentantenhaus ein. Ihre Ablehnung führte zur Muhlenberg-Legende: Amerika habe sich beinahe für Deutsch entschieden.
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Von Florian Stark
So stellte man sich Ende des 19. Jahrhunderts die "Deutsche Ansiedlung in Amerika" vor. Damals stellten die Deutschen neben den Iren die größte Gruppe unter den ImmigrantenFoto: picture-alliance / akg-images
Als das United States Census Bureau zum Milleniumswechsel die aktuellen Ergebnisse seiner Volkszählung vorstellte, war die Überraschung groß. Danach gaben mehr als 49,2 Millionen von seinerzeit 282 Millionen Amerikanern an, von Deutschen abzustammen. Damit stellen sie die größte Einwanderergruppe überhaupt. Auf genuin englische Wurzeln führen sich nur 26,9 Millionen US-Bürger zurück, womit die einstigen Kolonialherren gerade einmal auf den fünften Platz kommen, hinter Afroamerikanern (41,3 Millionen), Iren (35,5 Millionen) und Mexikanern (31,79 Millionen).
Im Zuge des 150-Jahr-Gedenkens des US-Bürgerkriegs, der auch als zweite Staatsgründung Amerikas aufgefasst wird, haben wieder Gedankenspiele Konjunktur, die den Zensusbefund weiterspinnen. Was wäre gewesen, wenn es die deutsche Immigration nicht gegeben hätte? Vier von fünf Deutschstämmigen – Einwanderer wie Nachgeborene – optierten im Bürgerkrieg für die Partei des Nordens, bei keiner anderen Ethnie kam die Sache der Union auf derartige Sympathiewerte.
[h=2]Der böse Bube war ein Deutscher[/h]Von diesem Befund ist es nicht mehr weit zur sogenannten Muhlenberg-Legende. Sie besagt kurzgefasst, dass bei einer Abstimmung über die Staatssprache der USA das Deutsche nur mit einer Stimme vom Englischen geschlagen wurde. Und diese entscheidende Stimme soll ausgerechnet von einem Deutschstämmigen abgegeben worden sein: Frederick Muhlenberg (1750-1801).
Diese Geschichte geistert seit dem frühen 19. Jahrhundert in verschiedenen Versionen durch Gazetten und Bücher. Gemeinsam ist ihnen nur, dass sie allesamt falsch sind. Eine solche Abstimmung hat es nie gegeben.
Richtig ist: Vor 220 Jahren, im Januar 1794, brachte eine Gruppe deutscher Einwanderer aus Virginia die Bitte in das Repräsentantenhaus ein, Gesetzestexte auch in deutscher Sprache zu veröffentlichen. Zur Begründung hieß es, es würde den neuen Bürgern damit leichter fallen, sich in Amerika zurechtzufinden.
Foto: Wikpedia/public domainFrederick Muhlenberg (1750-1801), Sohn eines deutschen Missionars, brachte es bis zum Sprecher des Repräsentantenhauses
Der Antrag wurde an den Hauptausschuss überwiesen. Dort kam es schließlich zur Abstimmung. 41 Mitglieder votierten mit Ja, 42 mit Nein. Frederick Muhlenberg, dessen Vater noch in Einbeck im heutigen Niedersachsen geboren worden war, hatte es zum ersten Sprecher des Repräsentantenhauses gebracht. Er enthielt sich der Stimme. In der Debatte zuvor hatte er sich aber ablehnend geäußert: Je schneller die Deutschen (zu denen auch Bewohner aus dem Habsburger-, dem Zarenreich und dem Alpen- und Balkanraum gezählt wurden) das Englische erlernen würden, des schneller würden sie sich in den USA eingewöhnen.
Ausgerechnet in Pennsylvania provozierte die Entscheidung zwei sehr unterschiedliche Reaktionen. Der Quäker-Führer William Penn hatte das Gebiet 1681 von der englischen Krone als Kolonie erhalten. Von Anfang an herrschte hier Glaubensfreiheit, was zahlreiche Angehörige von Freikirchen und unterprivilegierten Glaubensgemeinschaften hier Zuflucht suchen ließ. Ende des 18. Jahrhunderts führte sich rund ein Drittel seiner Bürger auf deutsche Wurzeln zurück.
Aber Pennsylvania war auch das Herzland der Amerikanischen Revolution. In der Hauptstadt Philadelphia hatte der Kontinentalkongress getagt, dort wurde am 4. Juli 1776 die Unabhängigkeitserklärung der USA unterzeichnet. Bis 1800 war Philadelphia die zweite Hauptstadt der Vereinigten Staaten.
Foto: picture-alliance/ obsMillionen Deutsche zogen über die Jahrhunderte hinweg in das "gelobte Land" Amerika
Bei den Deutschstämmigen wurde die Abweisung ihrer Petition als Zurückweisung berechtigter Wünsche empfunden. Die Muhlenberg-Legende gab diesen Ressentiments eine griffige Formel, die zumal in der Publizistik in Deutschland immer neue Blüten hervorbrachte.
Umgekehrt griffen die nichtdeutschen Nachbarn diese Geschichte gern auf, um auf die drohende Überfremdung hinzuweisen. Fast wäre es den Deutschen gelungen, so diese Version, ihre Sprache gegen das Englische durchzusetzen. Tatsächlich ist eine Entscheidung über eine amerikanische Staatssprache nicht gefällt worden. Das Englische hat diesen formalen Rang niemals erreicht.
Obwohl spätere Einwandererwellen das Dreieck zwischen Milwaukee, Cincinnati und St. Louis zum "German Belt" machten, haben sich die Neusiedler aus Deutschland mit der sprachlichen Situation schneller arrangiert als etwa die Italiener oder Polen. Dabei kam ihnen die sprachliche und häufig auch konfessionelle Nähe zu den Engländern sehr entgegen. Schnell integriert, machten sie bald Karriere.
In diesem Sinne hatte schon der deutsche Verleger von Germantown (heute ein Stadtteil Philadelphias) im 18. Jahrhundert seine neu ankommenden Landsleute ermahnt: "Bedencket, dass wir meistens in Europa theils weder Hauß, noch Hof noch Güter besessen und manche in großem Mangel und Armuth gelebt. Bedencket hergegen was vor eine gelinde und milde Regierung wir allhier gefunden und noch haben."