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Wenn der Müll nicht nur zum Himmel stinkt
Bagheria - Ein Ort mit einem für Italiener wohlklingenden Namen. Bagheria. Es war das eleganteste Städtchen für die Sommerfrische des sizilianischen Adels, der in Palermo residierte. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden zahlreiche Landresidenzen errichtet, die in Schönheit und Prunk sogar vom Italienreisenden Johann Wolfgang von Goethe bestaunt wurden. Seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts leidet Bagheria unter einem Bauboom. Villen wurden abgerissen und Mietskasernen errichtet.
In diesen Wochen läuft in Italiens Kinos der Film "Baaria" des italienischen Starregisseurs Giuseppe Tornatore, in dem er die Geschichte dieser Kleinstadt bei Palermo erzählt. In die Schlagzeilen gerät Bagheria aber nicht nur wegen des Films, sondern auch weil die Ortschaft immer öfter "Müllhauptstadt Italiens" genannt wird. Bagheria, so die Tageszeitung "La Repubblica", sei ein "nationaler Skandal". "Wundert Sie das?" Die 72-jährige Rentnerin kann die Eingangstür in das Mehrfamilienhaus, in dem sie wohnt, nur mit Mühe erreichen. Bis zu einem Meter hoch türmen sich Müllsäcke. Teilweise sind sie aufgerissen, von herumstreunenden Hunden und Katzen. Nachbarn der Rentnerin kippen immer wieder Wasser aus den Fenstern, um die Tiere zu vertreiben. "Nachts kommen die Ratten, massenweise", sagt die alte Frau und schüttelt ihren Kopf.
Müllnotstand. Dieses Mal nicht in Neapel und Umgebung, sondern in Bagheria auf Sizilien. Und Italiens Medien berichten ausführlich darüber. Unvergesslich die weltweit ausgestrahlten Bilder über das neapolitanische Mülldrama. Dass inzwischen auch im historischen Zentrum Roms kleine Müllberge zum Alltag gehören und das, weitaus schlimmer, im "Palermitano", in der Umgebung Palermos, in 60 Ortschaften ein so akuter Müllnotstand herrscht, dass bereits sämtliche Schulen geschlossen wurden, wird zwar in den Medien thematisiert, aber von der großen Politik so gut wie ignoriert. Auf Sizilien regieren die Parteien der Mitte-rechts-Koalition, und da passt ein Müllchaos wie in Bagheria und Umgebung nicht in die schöne heile Medienwelt des TV-Zaren und Premiers Silvio Berlusconi.
Der Müll stinkt dermaßen stark zum Himmel, dass die Gesundheitsämter eine Gefahr für die Schulkinder ausgemacht haben, die morgens zur Schule müssen. Fast alle Schulgebäude sind von Müllsäcken umgeben. "Man hat den Eindruck, als ob es sich um eine Art Belagerungszustand handelt", klagt die Grundschullehrerin Antonia Franceschini. "Ich selbst bringe seit Tagen meine Kinder nicht mehr zur Schule, weil ich den Gestank nicht ertrage und die Kleinen lieber zu Hause behalte." Seit Donnerstag sind sämtliche Schulen geschlossen.
Die gleichen 60 Ortschaften wollen wahrscheinlich auch ab Montag alle öffentlichen Ämter schließen. Aus Protest gegen die Regionalpolitiker, die das Thema Müllchaos ignorieren. Auf Sizilien existiert keine Abfalltrennung. Die Halden sind voll bis zum Rand, und neue werden aus unerklärlichen Gründen nicht geschaffen. Müllverbrennungsanlagen gibt es nicht. Es heißt, die Mafia, die auf Sizilien Cosa Nostra genannt wird, kontrolliere das Müllentsorgungsgeschäft - aber niemand spricht offen darüber.
"Die Situation ist so katastrophal", erklärt ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung von Bagheria, der anonym bleiben will, "dass wir gezwungen sind, die Bürger mit Flugblättern darauf hinzuweisen, dass sie ihre Müllsäcke nicht einfach auf die Straße vor dem Haus ablegen, sondern in bestimmte Straßen bringen" - Straßen, die relativ unbewohnt sind und die "wir gezwungenermaßen als Freiluftmüllkippen nutzen müssen". Das heißt, dass die Bürger dort ihren Haushaltsmüll ablegen, damit er irgendwann abgeholt wird. Eine vage Hoffnung, denn noch hat sich in der Regionalverwaltung Siziliens, in Palermo, niemand konkret um das Müllproblem gekümmert.
Seit 30 Tagen wird der Müll nicht eingesammelt. Der Grund dafür sind nicht nur die vollen Müllkippen. Das in der Region Palermo arbeitende Müllunternehmen Coinres verzeichnet ein Defizit in Höhe von 60 Millionen Euro. Indiskretionen zufolge steht es vor dem Bankrott. Aus Protest gegen die Zustände in Bagheria und Umgebung zündeten aufgebrachte Bürger zahlreiche Müllcontainer an. Die Kosten für diese Beschädigungen belaufen sich bereits auf mehr als eine Million Euro. An diesem Wochenende wollen die Bürgermeister der betroffenen Ortschaften in Palermo demonstrieren. Sollte es sich nicht bald zum Besseren wenden, so ihre Drohung, dann gehen sie nach Rom, um vor dem Parlament zu demonstrieren und dort Müllsäcke abzuladen.
Sizilien: Wenn der Müll nicht nur zum Himmel stinkt - Stuttgarter Nachrichten online
Bagheria - Ein Ort mit einem für Italiener wohlklingenden Namen. Bagheria. Es war das eleganteste Städtchen für die Sommerfrische des sizilianischen Adels, der in Palermo residierte. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden zahlreiche Landresidenzen errichtet, die in Schönheit und Prunk sogar vom Italienreisenden Johann Wolfgang von Goethe bestaunt wurden. Seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts leidet Bagheria unter einem Bauboom. Villen wurden abgerissen und Mietskasernen errichtet.
In diesen Wochen läuft in Italiens Kinos der Film "Baaria" des italienischen Starregisseurs Giuseppe Tornatore, in dem er die Geschichte dieser Kleinstadt bei Palermo erzählt. In die Schlagzeilen gerät Bagheria aber nicht nur wegen des Films, sondern auch weil die Ortschaft immer öfter "Müllhauptstadt Italiens" genannt wird. Bagheria, so die Tageszeitung "La Repubblica", sei ein "nationaler Skandal". "Wundert Sie das?" Die 72-jährige Rentnerin kann die Eingangstür in das Mehrfamilienhaus, in dem sie wohnt, nur mit Mühe erreichen. Bis zu einem Meter hoch türmen sich Müllsäcke. Teilweise sind sie aufgerissen, von herumstreunenden Hunden und Katzen. Nachbarn der Rentnerin kippen immer wieder Wasser aus den Fenstern, um die Tiere zu vertreiben. "Nachts kommen die Ratten, massenweise", sagt die alte Frau und schüttelt ihren Kopf.
Müllnotstand. Dieses Mal nicht in Neapel und Umgebung, sondern in Bagheria auf Sizilien. Und Italiens Medien berichten ausführlich darüber. Unvergesslich die weltweit ausgestrahlten Bilder über das neapolitanische Mülldrama. Dass inzwischen auch im historischen Zentrum Roms kleine Müllberge zum Alltag gehören und das, weitaus schlimmer, im "Palermitano", in der Umgebung Palermos, in 60 Ortschaften ein so akuter Müllnotstand herrscht, dass bereits sämtliche Schulen geschlossen wurden, wird zwar in den Medien thematisiert, aber von der großen Politik so gut wie ignoriert. Auf Sizilien regieren die Parteien der Mitte-rechts-Koalition, und da passt ein Müllchaos wie in Bagheria und Umgebung nicht in die schöne heile Medienwelt des TV-Zaren und Premiers Silvio Berlusconi.
Der Müll stinkt dermaßen stark zum Himmel, dass die Gesundheitsämter eine Gefahr für die Schulkinder ausgemacht haben, die morgens zur Schule müssen. Fast alle Schulgebäude sind von Müllsäcken umgeben. "Man hat den Eindruck, als ob es sich um eine Art Belagerungszustand handelt", klagt die Grundschullehrerin Antonia Franceschini. "Ich selbst bringe seit Tagen meine Kinder nicht mehr zur Schule, weil ich den Gestank nicht ertrage und die Kleinen lieber zu Hause behalte." Seit Donnerstag sind sämtliche Schulen geschlossen.
Die gleichen 60 Ortschaften wollen wahrscheinlich auch ab Montag alle öffentlichen Ämter schließen. Aus Protest gegen die Regionalpolitiker, die das Thema Müllchaos ignorieren. Auf Sizilien existiert keine Abfalltrennung. Die Halden sind voll bis zum Rand, und neue werden aus unerklärlichen Gründen nicht geschaffen. Müllverbrennungsanlagen gibt es nicht. Es heißt, die Mafia, die auf Sizilien Cosa Nostra genannt wird, kontrolliere das Müllentsorgungsgeschäft - aber niemand spricht offen darüber.
"Die Situation ist so katastrophal", erklärt ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung von Bagheria, der anonym bleiben will, "dass wir gezwungen sind, die Bürger mit Flugblättern darauf hinzuweisen, dass sie ihre Müllsäcke nicht einfach auf die Straße vor dem Haus ablegen, sondern in bestimmte Straßen bringen" - Straßen, die relativ unbewohnt sind und die "wir gezwungenermaßen als Freiluftmüllkippen nutzen müssen". Das heißt, dass die Bürger dort ihren Haushaltsmüll ablegen, damit er irgendwann abgeholt wird. Eine vage Hoffnung, denn noch hat sich in der Regionalverwaltung Siziliens, in Palermo, niemand konkret um das Müllproblem gekümmert.
Seit 30 Tagen wird der Müll nicht eingesammelt. Der Grund dafür sind nicht nur die vollen Müllkippen. Das in der Region Palermo arbeitende Müllunternehmen Coinres verzeichnet ein Defizit in Höhe von 60 Millionen Euro. Indiskretionen zufolge steht es vor dem Bankrott. Aus Protest gegen die Zustände in Bagheria und Umgebung zündeten aufgebrachte Bürger zahlreiche Müllcontainer an. Die Kosten für diese Beschädigungen belaufen sich bereits auf mehr als eine Million Euro. An diesem Wochenende wollen die Bürgermeister der betroffenen Ortschaften in Palermo demonstrieren. Sollte es sich nicht bald zum Besseren wenden, so ihre Drohung, dann gehen sie nach Rom, um vor dem Parlament zu demonstrieren und dort Müllsäcke abzuladen.
Sizilien: Wenn der Müll nicht nur zum Himmel stinkt - Stuttgarter Nachrichten online