Mellitus
Balkaner
Duisburg, ein Jahr nach dem Einzug von mehr als tausend Roma in ein Hochhaus: Die Stadt ist überfordert, Rechte und Linke bekämpfen einander.
Von Dagmar Rosenfeld
"Ich bin hier, um die Roma zu erziehen, mit Peitsche und Konsequenz", sagt Vasilka Bettziche, während sie durch das Duisburger Hochhaus läuft, das in der Stadt nur "das Problemhaus" genannt wird, seit vor einem Jahr mehr als tausend Rumänen eingezogen sind (ZEIT Nr. 12/13). Mit ihnen kamen Chaos, Frust und Wut in das gutbürgerliche Duisburg-Rheinhausen, die Nachbarn klagten über Müllberge, menschliche Exkremente im Park, Lärm und Kriminalität. Vasilka Bettziche, gebürtige Bulgarin und seit Langem in Deutschland, will den Roma Ordnung beibringen: Sie stellt Putzpläne auf, schneidet Wäscheleinen von Balkonen, scheucht Roma-Kinder von der Straße. Sie ist überzeugt, dass Roma ihre linke Hirnhälfte kaum nutzen und allein nicht zu logischem Denken fähig seien.
Vasilka Bettziches Erziehungsprogramm gehört zu den fragwürdigen Entwicklungen im Roma-Haus von Duisburg. Die Stadt ist pleite und von der Armutszuwanderung überfordert; Möchtegernhelfer und Radikale nutzen das Elend für ihre Sache: Vasilka Bettziche, um sich selbst zu verwirklichen, Rechtsextreme, um ihren Fremdenhass auszuleben, und Linksautonome, um die Rechten zu bekämpfen.
Als Neonazis im August zu Gewalt gegen die Roma aufriefen, richteten einige Anwohner eine Nachtwache ein. Anfangs waren es nur drei, vier Leute, doch jeden Abend versammelten sich mehr Menschen vor dem Hochhaus, um es zu bewachen. "Da waren viele Fremde, die nicht aus der Nachbarschaft kamen, einige gehörten wohl zur autonomen Szene", erzählt ein Anwohner. Eine ungute Melange aus echtem Engagement und radikalen Absichten, die nach einigen Tagen eskalierte.
Ein Bürgerverein hatte zu einer Versammlung geladen, damit sich "die Leute mal richtig auskotzen können", wie der Vorsitzende Rolf Karling sagte. Karling ist in Duisburg bekannt, seit er den ehemaligen Oberbürgermeister Adolf Sauerland mit Ketchup bespritzte, er gilt als Wichtigtuer. 70 Menschen kamen an diesem Freitagabend, sie klagten über kulturelle Unterschiede und Verwahrlosung, es wurde heftig diskutiert. Nach der Veranstaltung griff ein Trupp Unbekannter mit Reizgas und Stöcken an, Augenzeugen wollen Teilnehmer der Nachtwachen erkannt haben. Die Angreifer verletzten einige der Versammelten und flüchteten anschließend ins Roma-Haus, die Polizei stürmte das Gebäude.
Die Lage ist chaotisch, doch es gibt auch Menschen, die wirklich Ordnung schaffen. Das Büro des Vereins Zof (Zukunftsorientierte Förderung) liegt nebenan. Kindergeldanträge, Behördentermine, Handyverträge – Eduard Pusic und seine zwei Kolleginnen kümmern sich im Auftrag der Stadt um die Rumänen. Und um deren deutsche Nachbarn.
"Eddi" nennt ihn Hans-Wilhelm Halle, dessen Reihenhäuschen auf der Straßenseite gegenüber steht. Er war einmal der Prototyp des Wutbürgers, frustriert von den Politikern, die ihm das Rumänen-Problem erst eingebrockt und ihn dann damit alleingelassen haben. "Die Roma müssen aus dem Haus raus", lautete sein Credo. Die Helfer von Zof waren die Ersten, die seine Sorgen ernst nahmen. Halle, der anfangs nur an den Protest glaubte, nennt sich heute "freiwilliger Mitarbeiter von Zof". Vor ein paar Tagen klingelte ein rumänischer Mann bei ihm und bat ihn, einen Krankenwagen für seine schwangere Frau zu rufen. Trotzdem will Halle, dass die Roma das Viertel wieder verlassen. Er selbst will hier auch nicht mehr leben, er wird wegziehen und sein Haus verkaufen. Allerdings hat er dafür noch keinen Käufer gefunden.
Eine einfache Lösung für das "Problemhaus" gibt es nicht. Als EU-Bürgern steht den Rumänen Deutschland offen, Duisburg kann ihre Zuwanderung nicht regulieren. Auch die Zustände im Haus sind nicht Sache der Stadt, sondern des Vermieters. Der heißt Branko Barisic und ist ein Mann von kräftiger Statur, über den erzählt wird, dass er eine große Nummer im Rotlichtmilieu sei. Das ärgert ihn. Er habe zwar das größte Erotik-Center im Ruhrgebiet gebaut, sei aber nicht dessen Betreiber, sondern nur der Vermieter. So wie er in dem Roma-Haus der Vermieter ist und damit für viele der Hauptschuldige: Würde er nicht an die Rumänen vermieten, wäre alles gut.
Branko Barisic schüttelt den Kopf. "Was in meinem Haus los ist, davon habe ich erst Anfang des Jahres aus den Medien erfahren", sagt er. Als er 2009 die Immobilie erworben habe, hätten dort vor allem Hartz-IV-Empfänger gelebt. Seine Verwalterin habe ihm geraten, einen Großteil der Mieter rauszuklagen. Barisic ließ sie machen. Dass sie dann mehr und mehr rumänische Familien ins Haus holte und die Miete meist in bar kassierte, weil am Monatsende oft andere Leute in den Wohnungen lebten als noch am Monatsanfang – davon will Barisic nichts gewusst haben.
"Abzocke", sagen die meisten über das Geschäft mit den Zuwanderern. "Verlustbringer", sagt Barisic. Rund 800.000 Euro habe er bisher draufgezahlt: Neue Müllcontainer, neue Schließanlage, neue Fenster, neuer Treppenhausanstrich und neue Brandschutztüren, die zwei Tage nach Einbau verschwunden gewesen seien, weil Bewohner den Stahl zu Geld gemacht hätten. Vergeblich seien all diese Renovierungsarbeiten gewesen, zumal er mit 400 Euro Warmmiete seine Kosten nicht decken könne, klagt Barisic. Die Miete kassiert er in bar, weil der Versuch scheiterte, Mietverträge und Überweisungsaufträge aufzusetzen. Mitte des Monats seien "null Euro" auf seinem Konto gewesen.
Barisic würde die Immobilie gern loswerden, aber keiner will sie. "Die Menschen auf die Straße setzen, das kann ich nicht, allein schon wegen all der kleinen Kinder", sagt er. Vielleicht will er es aber auch nicht, weil er dann gar keine Einnahmen mehr hätte. Das Hochhaus ist längst außer Kontrolle geraten, für Barisic, die Stadt und die Anwohner.
Immerhin gibt es nun einen Plan, wie das Problem der Überbelegung gelöst werden kann: Der Verein Zof hat eine Liste mit Familien erstellt, die bleiben und sich integrieren wollen. Die Stadt hat sich verpflichtet, ihnen Wohnungen zur Verfügung zu stellen, und Branko Barisic hat zugesagt, seine frei gewordenen Wohnungen nicht neu zu vermieten. Nach einer Phase gegenseitiger Schuldzuweisungen könnte das der Beginn einer echten Zusammenarbeit sein. Das ist den Zof-Leuten zu verdanken, denen es allen Störungen zum Trotz gelungen ist, Vertrauen zu schaffen. Oder wie Branko Barisic sagt: "Durch Zof sind wir alle schmusiger geworden."
Von Dagmar Rosenfeld
"Ich bin hier, um die Roma zu erziehen, mit Peitsche und Konsequenz", sagt Vasilka Bettziche, während sie durch das Duisburger Hochhaus läuft, das in der Stadt nur "das Problemhaus" genannt wird, seit vor einem Jahr mehr als tausend Rumänen eingezogen sind (ZEIT Nr. 12/13). Mit ihnen kamen Chaos, Frust und Wut in das gutbürgerliche Duisburg-Rheinhausen, die Nachbarn klagten über Müllberge, menschliche Exkremente im Park, Lärm und Kriminalität. Vasilka Bettziche, gebürtige Bulgarin und seit Langem in Deutschland, will den Roma Ordnung beibringen: Sie stellt Putzpläne auf, schneidet Wäscheleinen von Balkonen, scheucht Roma-Kinder von der Straße. Sie ist überzeugt, dass Roma ihre linke Hirnhälfte kaum nutzen und allein nicht zu logischem Denken fähig seien.
Vasilka Bettziches Erziehungsprogramm gehört zu den fragwürdigen Entwicklungen im Roma-Haus von Duisburg. Die Stadt ist pleite und von der Armutszuwanderung überfordert; Möchtegernhelfer und Radikale nutzen das Elend für ihre Sache: Vasilka Bettziche, um sich selbst zu verwirklichen, Rechtsextreme, um ihren Fremdenhass auszuleben, und Linksautonome, um die Rechten zu bekämpfen.
Als Neonazis im August zu Gewalt gegen die Roma aufriefen, richteten einige Anwohner eine Nachtwache ein. Anfangs waren es nur drei, vier Leute, doch jeden Abend versammelten sich mehr Menschen vor dem Hochhaus, um es zu bewachen. "Da waren viele Fremde, die nicht aus der Nachbarschaft kamen, einige gehörten wohl zur autonomen Szene", erzählt ein Anwohner. Eine ungute Melange aus echtem Engagement und radikalen Absichten, die nach einigen Tagen eskalierte.
Ein Bürgerverein hatte zu einer Versammlung geladen, damit sich "die Leute mal richtig auskotzen können", wie der Vorsitzende Rolf Karling sagte. Karling ist in Duisburg bekannt, seit er den ehemaligen Oberbürgermeister Adolf Sauerland mit Ketchup bespritzte, er gilt als Wichtigtuer. 70 Menschen kamen an diesem Freitagabend, sie klagten über kulturelle Unterschiede und Verwahrlosung, es wurde heftig diskutiert. Nach der Veranstaltung griff ein Trupp Unbekannter mit Reizgas und Stöcken an, Augenzeugen wollen Teilnehmer der Nachtwachen erkannt haben. Die Angreifer verletzten einige der Versammelten und flüchteten anschließend ins Roma-Haus, die Polizei stürmte das Gebäude.
Die Lage ist chaotisch, doch es gibt auch Menschen, die wirklich Ordnung schaffen. Das Büro des Vereins Zof (Zukunftsorientierte Förderung) liegt nebenan. Kindergeldanträge, Behördentermine, Handyverträge – Eduard Pusic und seine zwei Kolleginnen kümmern sich im Auftrag der Stadt um die Rumänen. Und um deren deutsche Nachbarn.
"Eddi" nennt ihn Hans-Wilhelm Halle, dessen Reihenhäuschen auf der Straßenseite gegenüber steht. Er war einmal der Prototyp des Wutbürgers, frustriert von den Politikern, die ihm das Rumänen-Problem erst eingebrockt und ihn dann damit alleingelassen haben. "Die Roma müssen aus dem Haus raus", lautete sein Credo. Die Helfer von Zof waren die Ersten, die seine Sorgen ernst nahmen. Halle, der anfangs nur an den Protest glaubte, nennt sich heute "freiwilliger Mitarbeiter von Zof". Vor ein paar Tagen klingelte ein rumänischer Mann bei ihm und bat ihn, einen Krankenwagen für seine schwangere Frau zu rufen. Trotzdem will Halle, dass die Roma das Viertel wieder verlassen. Er selbst will hier auch nicht mehr leben, er wird wegziehen und sein Haus verkaufen. Allerdings hat er dafür noch keinen Käufer gefunden.
Eine einfache Lösung für das "Problemhaus" gibt es nicht. Als EU-Bürgern steht den Rumänen Deutschland offen, Duisburg kann ihre Zuwanderung nicht regulieren. Auch die Zustände im Haus sind nicht Sache der Stadt, sondern des Vermieters. Der heißt Branko Barisic und ist ein Mann von kräftiger Statur, über den erzählt wird, dass er eine große Nummer im Rotlichtmilieu sei. Das ärgert ihn. Er habe zwar das größte Erotik-Center im Ruhrgebiet gebaut, sei aber nicht dessen Betreiber, sondern nur der Vermieter. So wie er in dem Roma-Haus der Vermieter ist und damit für viele der Hauptschuldige: Würde er nicht an die Rumänen vermieten, wäre alles gut.
Branko Barisic schüttelt den Kopf. "Was in meinem Haus los ist, davon habe ich erst Anfang des Jahres aus den Medien erfahren", sagt er. Als er 2009 die Immobilie erworben habe, hätten dort vor allem Hartz-IV-Empfänger gelebt. Seine Verwalterin habe ihm geraten, einen Großteil der Mieter rauszuklagen. Barisic ließ sie machen. Dass sie dann mehr und mehr rumänische Familien ins Haus holte und die Miete meist in bar kassierte, weil am Monatsende oft andere Leute in den Wohnungen lebten als noch am Monatsanfang – davon will Barisic nichts gewusst haben.
"Abzocke", sagen die meisten über das Geschäft mit den Zuwanderern. "Verlustbringer", sagt Barisic. Rund 800.000 Euro habe er bisher draufgezahlt: Neue Müllcontainer, neue Schließanlage, neue Fenster, neuer Treppenhausanstrich und neue Brandschutztüren, die zwei Tage nach Einbau verschwunden gewesen seien, weil Bewohner den Stahl zu Geld gemacht hätten. Vergeblich seien all diese Renovierungsarbeiten gewesen, zumal er mit 400 Euro Warmmiete seine Kosten nicht decken könne, klagt Barisic. Die Miete kassiert er in bar, weil der Versuch scheiterte, Mietverträge und Überweisungsaufträge aufzusetzen. Mitte des Monats seien "null Euro" auf seinem Konto gewesen.
Barisic würde die Immobilie gern loswerden, aber keiner will sie. "Die Menschen auf die Straße setzen, das kann ich nicht, allein schon wegen all der kleinen Kinder", sagt er. Vielleicht will er es aber auch nicht, weil er dann gar keine Einnahmen mehr hätte. Das Hochhaus ist längst außer Kontrolle geraten, für Barisic, die Stadt und die Anwohner.
Immerhin gibt es nun einen Plan, wie das Problem der Überbelegung gelöst werden kann: Der Verein Zof hat eine Liste mit Familien erstellt, die bleiben und sich integrieren wollen. Die Stadt hat sich verpflichtet, ihnen Wohnungen zur Verfügung zu stellen, und Branko Barisic hat zugesagt, seine frei gewordenen Wohnungen nicht neu zu vermieten. Nach einer Phase gegenseitiger Schuldzuweisungen könnte das der Beginn einer echten Zusammenarbeit sein. Das ist den Zof-Leuten zu verdanken, denen es allen Störungen zum Trotz gelungen ist, Vertrauen zu schaffen. Oder wie Branko Barisic sagt: "Durch Zof sind wir alle schmusiger geworden."