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Wie Bush der Wirklichkeit trotzt

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Wie Bush der Wirklichkeit trotzt

Von Marc Pitzke, New York
"Nobel", "notwendig", "gerecht" nennt US-Präsident Bush den Irak-Krieg zum fünften Jahrestag. Und blendet das Desaster im Land einfach aus: Kein Wort zu den enormen Kosten, der politischen Zerrissenheit, den vielen Toten - die Schönfärberei nehmen ihm auch die meisten Amerikaner nicht mehr ab.
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New York - Die Folgen des Irak-Kriegs haben mehr als fünf Millionen Iraker zu Vertriebenen gemacht. Die Füchtlingswelle wird nach Angaben der International Organization for Migration (IOM) sowohl von "sektiererischer Gewalt" wie von "militärischen Operationen" getrieben. Die Situation sei eine "Tragödie".


Das ist eine mögliche Bilanz des Irak-Krieges, den die US-Regierung von George W. Bush vor fünf Jahren begann. Eine ganz andere lieferte der Präsident heute persönlich.

REUTERS​
Präsident Bush: "Wir helfen dem irakischen Volk, eine Demokratie im Herzen des Nahen Ostens aufzubauen"


Als US-Präsident George W. Bush heute im Pentagon vor seine Offiziere trat, um den fünften Jahrestag der Invasion mit der obligatorischen Rede zu würdigen, sprach er von vielen Erfolgen und wenigen Rückschlägen. Und viermal vom "Sieg". Die fünf Millionen Flüchtlinge erwähnte er mit keinem Wort. Bush erwähnte viele Dinge nicht in seiner halbstündigen Ansprache, für die er sich auf eine Bühne voller militärischer Flaggen stellte.


Kein Wort von den angeblichen, nie entdeckten Massenvernichtungswaffen im Irak, die als Kriegsgrund gedient hatten. Kein Wort von den 151.000 umgekommenen Zivilisten, die das Rote Kreuz vermeldet. Kein Wort von den 600 Milliarden Dollar, die der Krieg bisher gekostet hat, mit Gesamtschätzungen von bis zu vier Billionen Dollar. Kein Wort davon, dass Iraks Regierung auch ein Jahr nach der jüngsten US-Truppenaufstockung bei der politischen Einung des Landes keine Fortschritte gemacht hat, wie selbst Top-General David Petraeus einräumt.
Statt dessen schien Bush entrückter denn je von den Realitäten im Irak - und in den USA.
Es war eine sehr selektive Rede, wie üblich. Bush, dessen politisches und historisches Schicksal untrennbar an diesen Krieg gefesselt ist, versuchte sich aufs vermeintlich Positive zu konzentrieren. Er wiederholte sein Dauer-Mantra: "Weil wir gehandelt haben, ist die Welt besser dran, und die Vereinigten Staaten von Amerika sind sicherer."




Eine waghalsige Behauptung, doch ein Applaus-Garant vor dem handverlesenen Soldatenpublikum.
Die US-Soldaten hätten "dem irakischen Volk geholfen, seine Nation zurückzuerobern, und geholfen, dass aus den Trümmern von Saddam Husseins Tyrannei eine junge Demokratie auferstand". Eine Demokratie, die jedoch im Chaos steckt.


Selbst die vereinzelten Verweise auf Misserfolge und Probleme im Irak, die Bush sich erlaubte, dienten der Selbstbestätigung. "Wir überdachten die Strategie und änderten den Kurs", erinnerte Bush an die Debatte, die voriges Jahr zur US-Truppenaufstockung geführt hatte, "Surge" (Welle) genannt. "Die 'Surge' hat Erfolg", proklamierte er.





So wenig ist noch übrig von Bushs Missionseifer

Sein Irak-Kommandeur Petraeus, der im April erneut nach Washington kommt, um vor dem Kongress über die Lage auszusagen, sieht das freilich etwas anders. Sicher, die Zahl der Anschläge und der Toten ist durch die Militärpräsenz logischerweise zurückgegangen. Doch das eigentliche Hauptmotiv der "Surge" bleibe unerfüllt: "Niemand" in den Regierungen der USA und des Iraks "glaubt, dass es im Bereich der nationalen Aussöhnung unter allen Umständen hinreichenden Fortschritt gegeben hat", sagte Petraeus der "Washington Post".



Es war eine unelegante, hölzerne Rede von Präsident Bush. Ohne Feuer, ohne Drang, eine vom Teleprompter abgelesene Pflichtübung. So wenig ist übrig geblieben von Bushs Missionarseifer, der die Welt mit Demokratie und Kapitalismus nach amerikanischem Muster beglücken sollte.

"Wir helfen dem irakischen Volk, eine Demokratie im Herzen des Nahen Ostens aufzubauen", sagte er fast lakonisch. "Indem wir die Hoffnung der Freiheit im Nahen Osten verbreiten, werden wir freien Gesellschaften helfen, Wurzeln zu schlagen - und wenn sie das tun, wird die Freiheit den Frieden erbringen, den wir alle wünschen."


Die Amerikaner lassen solche Visionen - so gestutzt sie Bush auch präsentieren mag - inzwischen kalt. Im öffentlichen Bewusstsein ist der Irak längst von der Rezession als Top-Priorität verdrängt worden. 64 Prozent fanden den Krieg in einer aktuellen CBS-Umfrage der hohen Kosten und fast 4000 gefallenen US-Soldaten "nicht wert". 53 Prozent halten einen Sieg in einer anderen Umfrage von NBC und "Wall Street Journal" für "nicht mehr möglich".





Tausende Demonstranten fordern Abzug

Die Umfragen haben eines gemein: Die Mehrheit der Amerikaner will einen teilweisen oder ganzen Abzug. Tausende gingen deshalb heute in vielen US-Städten auf die Straße.


Bush ist das offenbar egal - er zeigt keine Selbstzweifel, keine Selbsterkenntnis: "Einige in Washington rufen immer noch nach Rückzug", versuchte Bush den breiten Protest herabzuwürdigen - und zugleich den Demokraten Hillary Clinton und Barack Obama einen Seitenhieb zu versetzen. Sollten die Kriegsgegner sich durchsetzen, warnte er, bestehe die Gefahr, dass sich Terroristen "Massenvernichtungswaffen beschaffen, um Amerika anzugreifen". Und da war es plötzlich doch wieder, das Schreckgespenst von 2003.

Fünf Jahre Irak-Krieg: Wie Bush der Wirklichkeit trotzt - Politik - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten
 
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