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Wie der Westen den Iran verriet

  • Ersteller Ersteller Fan Noli
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Fan Noli

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Im verwilderten Garten der Demokratie: Die Künstlerin Shirin Neshat hat ihren ersten Kinofilm gedreht - und gleich den Goldenen Löwen von Venedig gewonnen. Jetzt startet "Woman without Men" auch bei uns
von Tim Ackermann

Eine Frau fällt von einem Haus. Sie fällt, wie das im Kino so ist, in Zeitlupe. Ihre Haare flattern im Wind und hinter ihrem Rücken schwebt ein schwarzer Schleier zu Boden, der sich wie ein rettendes Tuch aufspannt und sie doch nicht schützen kann. Wenn sie auf dem Pflaster aufprallt, werden ihre Knochen brechen.

Die Regisseurin und Künstlerin Shirin Neshat sitzt in ihrem Wohnzimmer. Es ist Sommer, das Fenster steht offen. Draußen auf der Straße stehen die Autos im Stau und hupen. Das Geräusch dringt ins Zimmer hinein, man registriert es eher unbewusst. Es ist ein urbanes Hintergrundgeräusch. Ein Allerweltsgeräusch. Es könnte statt New York auch Teheran sein. Aber es ist nicht Teheran. Denn Neshat kann nicht einfach in ihre Heimat zurückkehren. Seit 1996 lebt sie praktisch im Exil in den USA.

"Als Künstlerin im Iran ist es ein Tabu, politisch zu sein", sagt Neshat. "Aber wenn ich in diesem Kampf neutral wäre, was für eine Art von Mensch wäre ich dann?" Sie hat einen Kinofilm gedreht und ihn all denen gewidmet, die sich in ihrer Heimat für die Demokratie eingesetzt haben. Im Abspann erwähnt sie die "Grüne Revolution", die Freiheitsdemonstrationen junger Iraner im vergangenen Sommer. Deswegen ist die 53-Jährige mehr denn je für das Regime um Präsident Ahmadinedschad zur Staatsfeindin geworden. "Der Westen muss verstehen, dass die Ereignisse im Iran kein Problem der Region sind", sagt Neshat. "Sie sind ein Problem für die ganze Welt."

Der Westen muss verstehen. Der Westen muss vor allem erst einmal begreifen, was er angerichtet hat: "Women without Men" versetzt den Betrachter zurück in die 50er-Jahre. Der Iran hat seit Kurzem eine demokratisch gewählte Regierung, viele Frauen gehen unverschleiert aus dem Haus und der nationalistische Premierminister Mohammed Mossadegh will die iranische Ölförderung verstaatlichen. Die USA fürchten ein Abgleiten des Irans in den Kommunismus. 1953 investiert die CIA eine Million Dollar in einen Staatsstreich, Agenten verteilen Geld auf den Straßen, damit die Menschen Parolen gegen Mossadegh rufen. Am 19. August besetzt das Militär das Land. Nach dem Putsch wird der Schah mit allen königlichen Vollmachten als Regierungsoberhaupt eingesetzt. Das ist das Ende der Demokratie im Iran.

Neshats Film "Women without Men", der in Venedig den Goldenen Löwen gewann und ab Donnerstag in den deutschen Kinos läuft, erzählt die Ereignisse des Jahres 1953 aus dem Blickwinkel von vier Protagonistinnen. Munis (Shabnam Tolouei), eine politisch interessierte junge Frau, verbringt ihre Tage vor dem Radiogerät, den Nachrichten lauschend. Ihrem Bruder gefällt das nicht: "Mach lieber das Abendessen. Und wenn du auf die Straße gehst, breche ich dir beide Beine", sagt er. Daraufhin springt Munis vom Dach des Hauses.

Unter der Gewalt der Männer leiden auch die anderen drei Frauen des Films. Die schon etwas ältere Fakhri ist mit einem hochdekorierten General verheiratet. Als dieser droht, sich eine jüngere Zweitfrau zu nehmen, verlässt sie ihn und zieht vor die Tore der Stadt in ein Anwesen mit einem verwilderten Garten. Dort nimmt sie bald zwei weitere Frauen auf: Faezeh (Pegah Ferydoni), die von zwei fremden Männern in einer Gasse vergewaltigt wurde, und Zarin (Orsi Tóth), eine wortkarge Prostituierte, die aus einem Bordell geflüchtet ist.

Das Sexuelle und das Politische - bei Neshat gehört beides zusammen. 1993 schuf sie ihre Serie "Women of Allah": kämpferische Frauen im Tschador, der schwarzen Ganzkörperverhüllung, mit Gewehren in der Hand. International bekannt wurde Neshat vor allem mit Videoarbeiten, in denen sie mit starken Kontrasten und der Opposition der Geschlechter arbeitet: Die Frauen tragen Tschador, die Männer weiße Hemden und oft sind die beiden Gruppen durch eine Mauer oder eine andere Barriere voneinander getrennt. "Eine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern hat es im Iran nie gegeben", sagt Neshat. Ihr Film sei kein Anti-Männer-Film. "Ich wollte einfach nur einen Film über starke Frauen machen."

Tatsächlich gelingt es den Frauen in "Women without Men" sich für eine Weile von den selbstgefälligen, gewalttätigen, arroganten und eitlen Männern des Films zu befreien. Munis wird nach ihrem Begräbnis auf wundersame Weise wiederbelebt und schließt sich in ihrer postmortalen Existenz einer kommunistischen Kampfgruppe an. Auf den Straßen Teherans beobachtet sie den Staatstreich gegen Mossadegh, die Demonstrationen und das Anrücken der Militärs. Im verwilderten Garten von Fakhri, Faezeh und Zarin hingegen blühen die Blumen. Doch vor allem Zarins Schicksal scheint bald eng mit dem Garten verknüpft, als habe sie sich in eine Art scheuen Waldgeist verwandelt: Als Fakhri die Tore des Anwesens öffnet und ihre intellektuellen Freunde aus der Stadt einlädt, fällt Zarin in einen Fieberschlaf. Als ein Jeep der Armee das Gelände erreicht, stirbt sie.

"Die Tore des Gartens öffnen sich in dem Moment, in dem der Schah sein Land an die Amerikaner verrät", sagt Neshat. "Zarin wird zur Metapher für die Seele des Iran und beide sterben am Ende: die Frau und das Land." Ungebremst hantiert die Künstlerin in ihrem Film mit Magischem Realismus, mit Symbolismen, Allegorien. Auf westliche Betrachter kann das leicht platt oder kitschig wirken. "Im Gegensatz zum Westen braucht das iranische Publikum diese Allegorien", entgegnet Neshat. "Wir werden schon so lange zensiert und haben keine Redefreiheit im Iran. Die Form der metaphorischer Sprache ist deshalb unsere Nahrung geworden, mit der wir unsere Gedanken füttern."

Beeindruckend sind die Bilder des Films: berauschende Tableaus in Sepia-Tönen, manchmal fast bis auf Schwarz-Weiß heruntergedimmt. "Ich dachte beim Filmen an den Look handkolorierter Postkarten aus den 50er-Jahren", sagt Neshat. "Ich wollte diese Epoche wieder zum Leben erwecken, die Frisuren, die Musik. 70 Prozent der Iraner sind nach der Islamischen Revolution geboren. Diesen jungen Menschen möchte ich zeigen, wie die Generationen vor ihnen für die Demokratie gekämpft haben."

Natürlich wird "Women without Men" im Iran nicht in die Kinos kommen. "Aber die DVDs zirkulieren auf dem Schwarzmarkt", sagt Neshat. Ihr Sendungsbewusstsein erstrecke sich dabei nicht nur auf das Publikum in der Heimat, sondern auch auf das in Europa und Amerika. "Als der Schah nach dem Coup von 1953 wieder an die Macht kam, hat er ein Terrorregime errichtet. Seine Geheimpolizei hat viele Oppositionelle ermordet. Die demokratischen Kräfte im Land wurden geschwächt und als es dann 1979 doch eine Revolution gegen den Schah gab, haben sich die islamischen Fundamentalisten durchgesetzt", sagt Neshat. "Der Westen hatte seinen Anteil an der Zerstörung der iranischen Demokratie, ist für die heutigen Probleme des Landes mitverantwortlich. Genau deshalb darf er die Menschen dort jetzt nicht im Stich lassen." Es habe sie frustriert, mitzuerleben, wie die "Grüne Demokratiebewegung" nach der blutigen Niederschlagung im vergangenen Sommer aus den Schlagzeilen der Medien verschwand. Gegen dieses schleichende Vergessen will sich mit ihrem Film wehren. "Im Iran sind immer noch Hunderte unschuldiger Männer und Frauen im Gefängnis. Sie werden dort gefoltert und zum Teil sogar hingerichtet." Man dürfe aber nicht einfach zulassen, dass das Regime gewinnt. "Was wäre das für eine Botschaft?", fragt Neshat. Sie wäre fatal, zweifellos.

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