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Wie Ecstasy das Hirn zerstört
Die Party ist vorbei
Es ist die Droge, mit der eine ganze Generation experimentierte. Milliarden von Partypillen überschwemmten unter dem Namen Ecstasy die Clubs. Jetzt zeigen sich die Spätfolgen.
Von Sabine Magerl
"Wir gingen zur Beerdigung und abends wieder in den Club und warfen die Pillen ein."
Foto: AP
In einer Zeit, in der die elektronische Musik so schön kalt klang wie die Großstadt, machte Ecstasy die Menschen warm und wach, die Welt verwandelte sich in eine Blumenwiese, alle Menschen wirkten nett.
Vor zwanzig Jahren schon erklärten zunächst amerikanische Behörden und dann die UN-Mitgliedsstaaten den Ecstasy-Grundstoff MDMA (3,4-Methylendioxy-amphetamin) zur Droge. Doch was wurde aus der Generation, die Nacht für Nacht ein Glücksgefühl synthetisch herstellte? Was aus dem Versprechen einer Gesellschaft, in der sich alle lieb haben? Welche Spätfolgen zeigen sich erst jetzt?
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Stichwort
Ecstasy
Paul blickt aus dem Fenster einer Berliner Drogentherapie-Einrichtung am Wannsee, als suche er etwas, was er längst verloren hat. Vielleicht das einmalige Gefühl nach der ersten halben Pille, die er mit 15 nahm, die sein Herz öffnete und sein Leben veränderte. Doch dieses Glück, das bleiben sollte, sei verflogen, sagt Paul.
Das Gesicht des 25-Jährigen hat etwas Engelhaftes, eingerahmt von halblangen blonden Haaren, unter seine Augen haben sich Schatten gelegt. Bald waren es zehn, 15 Tabletten an einem Abend. In der einen Welt machte er eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, in der anderen verkaufte er bis vor einem Jahr Ecstasy. Er flüstert die Zahl: Hunderttausende von Pillen.
Ecstasy werde immer noch wie verrückt konsumiert, von 20-Jährigen wie von fast schon 40-Jährigen, quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und Berufe, vor allem aber auf den Technopartys, die oft nur noch eine schlechte Kopie von früher seien – so wie die Pillen selbst.
Heute bekomme man drei Stück für zehn Euro, früher kostete eine Tablette noch zwanzig, dreißig Mark. Vor einem Jahr wurde Paul auf der A 8 Richtung Salzburg bei einer routinemäßigen Polizeikontrolle angehalten, den Kofferraum seines Autos voller Ecstasy, den Kopf voller Synthetik und wirrer Gedanken.
Erst dachte Paul, er hätte Glück, als seine Strafe nach der Untersuchungshaft in drei Jahre Psychiatrie umgewandelt wurde. Doch die Beruhigungsspritzen in einer geschlossenen Anstalt nahe Wasserburg am Inn stellten ihn „ruhig wie einen Zombie“, es gab keine Therapie, sondern nur noch mehr Medikamente. „Hätte ich da bis 2007 bleiben müssen, wäre ich verrückt geworden.“
Nach neun Monaten konnte er jetzt auf Drängen seines Anwalts in das Therapiehaus Collignon am Berliner Wannsee umziehen. Die Behandlung dort schlägt an, er sagt, er könne jetzt wieder klar denken. Aber Visionen verfolgten ihn, „ich bin vergesslich geworden, völlig schusselig, auch das kommt vom Ecstasy“.
Welche Schäden Ecstasy im Gehirn hinterlässt, weiß man erst jetzt durch eine Studie der Hamburger Universitätsklinik Eppendorf. Erstmals wurden aktuelle und ehemalige Ecstasy-Konsumenten mit den Konsumenten anderer Drogen und einer drogenfreien Gruppe über fünf Jahre hinweg verglichen.
http://www.sueddeutsche.de/,trt3m1/panorama/artikel/214/47167/
Wie Ecstasy das Hirn zerstört
Die Party ist vorbei
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Mit Hilfe der so genannten Positronen-Emissions-Tomographie, die die Struktur einzelner Nervenzellen sichtbar macht, erforschten Rainer Thomasius und seine Mitarbeiter die Veränderungen im Gehirn. „Ecstasy bewirkt, dass die Hirnregion, die für die Gefühle zuständig ist, für kurze Zeit mit dem körpereigenen Botenstoff Serotonin überschwemmt wird.“
Die Aufnahmen zeigen, dass bei Langzeitkonsumenten von Ecstasy die Zahl funktionsfähiger Nervenzellen stark abnimmt, „wahrscheinlich als Folge des Zelltodes“, sagt Rainer Thomasius.
In Fragebögen, Gesprächen und Beobachtungen auf der psychiatrischen Station der Klinik ergründeten die Forscher die psychischen Störungen: Im Vergleich bekommen Ecstasy-Patienten eindeutig mehr Depressionen und Angstzustände als andere Drogenabhängige.
Ehemalige Konsumenten können sich Wörter und andere Daten schlecht merken – ein Problem, das während des Konsums noch nicht auftritt. Ecstasy schädigt nachhaltig den mittelfristigen Gedächtnisspeicher, mit dem der Mensch lernt. In der Klinik werden Ecstasy-Patienten nun auch mit einem Computerprogramm namens Cogpack behandelt. In dem Gedächtnistraining müssen sie Muster ordnen, Zahlen kombinieren, sich Situationen einprägen.
„Manchmal fühlt sich mein Kopf wie eine vergiftete Landschaft an.“ Langsam geht Peter den Gang der psychiatrischen Abteilung an der Eppendorfer Klinik entlang, als würde er schlafwandeln. Seine Augen starren das Gegenüber an, minutenlang, bis Leben in sie fährt. Die Erinnerung kommt.
Der 35-Jährige arbeitete als Türsteher in Hamburg. Man kann ihn gut aussehend nennen, intelligent, doch der Eindruck wird von etwas überlagert, für das es nur ein Wort gibt: geisterhaft. Anfangs dachte er, dieses lustige Leben sei das Rezept für eine glückliche Zukunft. „Doch die Endzeit schlich sich immer öfter ein.“ Er erwachte mit einer Leere im Kopf, voller Aggression. Innerhalb von vier Jahren nahm er Tausende Ecstasy-Pillen, manchmal auch LSD und Speed.
Wie Fehlzündungen in seinem Gehirn schlagen die Launen nun ständig um. Vor kurzem trat er so lange gegen eine Tür, bis sein Knie brach, die Knochen zerschnitten sein Kreuzband. Er bekommt nun Antidepressiva und hofft, dass er wieder der wird, der er einmal war.
Ob sich die Nervenzellen langsam und wieder vollständig zurückbilden, bleibt ungewiss. „Es kann sein, dass sie, ähnlich einer vernarbten Wunde, ihre ehemalige Leistung nie mehr erreichen“, meint der Ecstasy-Forscher Thomasius. Er erzählt von Fällen, die er jugendliche Demenz nennt, eine Vergesslichkeit, die sonst nur bei alten Menschen auftritt.
Peters Zimmernachbar Sebastian blickt versonnen auf ein Stofftier, das sorgfältig bis zum Hals zugedeckt in dem Krankenhausbett liegt. Manchmal weiß er nicht, ob er gerade eine Halluzination hat oder in die Wirklichkeit schaut. Sein Gedächtnis sei wie ein Sieb. „Du kannst mir sagen, was es zum Mittagessen gibt, und kurz darauf frage
ich dich: Was gibt es zum Mittagessen?“
Nachdem er an einem Wochenende 14 Pillen und dazu Speed genommen hatte, „dauerte der Film im Kopf zwölf Stunden“. Die Bilder kommen immer wieder – auch ohne Ecstasy. „Plötzlich sehe ich einen orangefarbenen Ball auf mich zufliegen, eine Wand zerfließt oder ein Papier segelt wie in einem Zeichentrickfilm langsam durch die Luft.“
Früher habe sich die Welt des Rauschgifts grob in Heroin- und Kokainabhängige aufgeteilt, sagt Regina Papke, eine Therapeutin vom Haus Collignon. Die einen wollten der Welt entfliehen, die anderen ihre Leistung steigern. Doch dann, seit Ende der Neunziger, kam die neue Klientel, die Ecstasy meist mit Speed, Amphetaminen, mal mit einem Trip oder THC (Marihuana) kombinierte – eine explosive Mischung. „Die Leute sehen schick aus, haben flotte Berufe.“
Wie Ecstasy das Hirn zerstört
Die Party ist vorbei
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Kerstin Jüngling vom Drogennotdienst nahe dem Bahnhof Zoo in Berlin weiß, dass diese neue Kundschaft nichts mit dem alten Bild des Junkies zu tun haben will, zumal Ecstasy körperlich nicht abhängig macht. Kürzlich kam ein junger Computerfachmann, gut gekleidet, er fühlte sich hier völlig fehl am Platz.
Erst nach einiger Zeit brach ein Satz wie ein Eisblock aus ihm heraus: Seine Gedanken, sagte er, blieben nicht mehr in seinem Kopf, sie würden ihm zu den Augen und Ohren hinausfahren und wie Pingpong-Bälle durch den Raum jagen. „Die Dunkelziffer von Menschen um die Dreißig, die mit psychischen Problemen leben, die vermutlich von einer Mixtur aus Ecstasy mit anderen Drogen ausgelöst wurden, könnte unglaublich hoch sein“, sagt Kerstin Jüngling.
Die Wohnung des jungen Paares Julia und Markus hängt voller Plakate von vergangenen Technopartys. Sie lernten sich im Berliner Club „Ostgut“ kennen, nun sind beide in Psychotherapie. Julia führte, wie sie sagt, ein Doppelleben mit Amphetaminen, Speed und Ecstasy. Während die Drogen noch durch ihren Körper rasten, ging sie zur Arbeit, denn sie dachte, alles sei doch in Ordnung.
Wie viel Ecstasy Markus schon genommen hat, weiß er nicht mehr. Erst in der Therapie hätten beide gemerkt, was eigentlich passiert war: Obwohl die Drogen das Leben immer schneller machten, blieb doch alles unverändert, wie eingefroren, fern der Realität. „Ich kapierte gar nicht, dass ich Menschen verlor.“ Heute ist Julia sich sicher, dass der Tod zweier Freunde, die sich umbrachten, mit den Substanzen zu tun hatte. „Wir gingen zur Beerdigung und abends wieder in den Club und warfen die Pillen ein.“
Inzwischen spricht man von einer neuen Schule der Behandlung: In der schicken Altbauwohnung des Berliner „Therapieladens“ geht es nicht mehr darum, clean zu werden. Die Psychologen versuchen, die depressiven Zustände, die Ängste in Gesprächen zu bändigen. Denn der Alltag nach der Euphorie erscheint leer und öde. Die psychischen Probleme, die viele ehemalige Konsumenten von Ecstasy jetzt mit sich tragen, passten nicht zu ihrem Selbstbild, ein alltagstauglicher Mensch zu sein. „Nach dem Gemeinschaftsgefühl kommt oft die Isolation“, sagt der Psychologe Andreas Gantner.
Oft muss die Behandlung mit Antidepressiva, in schweren Fällen mit Neuroleptika unterstützt werden, oft würden die Patienten diese Stimmungsaufheller aber überdosieren. „Diese synthetische Welt hat einen Sog, dem man kaum entkommt“, sagt der 40-jährige Christian.
Mit geübter Hand kritzelt er die Formel von MDMA auf einen Zettel. Der Chemiker stellte in seinen als Wohnungen getarnten Labors selbst Ecstasy her. Sieben Jahre war Christian deshalb im Gefängnis und jetzt ging er freiwillig in die Berliner Therapie am Wannsee, denn die Drogen lassen ihn nicht los. Als sei das ein Job wie jeder andere, erzählt er, wie er aus Phenylaceton (BMK), dem Grundstoff von Ecstasy, ein rosa Pulver destillierte, das er zu kleinen Tabletten presste.
Im Jahr werden bis zu siebzig Großlabors entdeckt, meist in den Niederlanden“, erklärt Jörg Mölling von der Rauschgiftabteilung bei Europol in Den Haag. Die neuen Spezialfahnder des Europäischen Polizeiamtes unterstützen ihre Kollegen in den Mitgliedsstaaten bei der Suche nach den Labors. Denn Ecstasy hat die Drogenwelt verändert: Früher wurden Opiate, Kokain und Cannabisprodukte nach Europa importiert, nun sind die europäischen Länder selbst die Produzenten und Exporteure.
Jörg Mölling schätzt, dass jährlich zwei bis fünf Milliarden Pillen in Westeuropa hergestellt werden. Im Keller von Europol steht der Nachbau eines Ecstasylabors, in dem nun in Kursen geübt wird, wie man ein Labor stürmt – und wie man diesen Einsatz überlebt.
Jedes dritte Labor wird entdeckt, weil es in die Luft fliegt oder in Flammen aufgeht, andere, weil die illegalen Vertriebswege aufgespürt werden. „Die Sicherstellung einer Produktionsstätte gleicht der Entschärfung einer Bombe. Ein lebensgefährlicher Job.“
Manchmal reicht es, einen Lichtschalter anzumachen, um verdampfte Lösungsmittel zu entzünden. Oder ein Fahnder öffnet eine Kühltruhe voll mit Äther, das aus undichten Behältern entwich, und vergiftet sich. Ein weiteres Problem: Bei der Produktion von einem Kilogramm Ecstasy entstehen rund zwölf Liter chemische Abfallstoffe, zum großen Teil toxisch.
In Nordrhein-Westfalen fand man beispielsweise einen verlassenen Sattelschlepper mit mehreren tausend Liter giftiger Reststoffe, die eindeutig aus der Produktion von Partypillen stammten.
Vielleicht gleicht Ecstasy einem russischen Roulette: Man weiß nicht, wann und welche Pille einen aus der Realität bläst und wen es trifft. Sabine stand mit beiden Beinen im Leben, hatte ihre Arbeit und eine Tochter. Erst mit 35, vor zwei Jahren, nahm sie ihre erste Pille. Wie Kräuterhexen seien die Dealer in diesen Nächten herumgelaufen und hätten diese oder jene Mischung empfohlen. „Der heilige Rausch, hinter dem ein knallhartes Geschäft steckte.“
Eines Morgens, vor einigen Monaten, fühlte sie sich vollkommen vergiftet, sie brach zusammen, zitternd, heulend. Als ihr Freund, ein DJ, sich mit den Worten verabschiedete, wenn sie jetzt vorhabe, eine Therapie zu machen, dann solle sie ihn da herauslassen, denn er sei Beamter und könne sich keine Fragen leisten – in dem Moment wusste sie: Diese auf dem künstlichen Stoff gebaute Gemeinschaft, in der sich alle so lieb haben, existiert nicht.
Die Namen aller Betroffenen wurden geändert.
(SZ-Magazin vom 4.2.2005)
Die Party ist vorbei
Es ist die Droge, mit der eine ganze Generation experimentierte. Milliarden von Partypillen überschwemmten unter dem Namen Ecstasy die Clubs. Jetzt zeigen sich die Spätfolgen.
Von Sabine Magerl
"Wir gingen zur Beerdigung und abends wieder in den Club und warfen die Pillen ein."
Foto: AP
In einer Zeit, in der die elektronische Musik so schön kalt klang wie die Großstadt, machte Ecstasy die Menschen warm und wach, die Welt verwandelte sich in eine Blumenwiese, alle Menschen wirkten nett.
Vor zwanzig Jahren schon erklärten zunächst amerikanische Behörden und dann die UN-Mitgliedsstaaten den Ecstasy-Grundstoff MDMA (3,4-Methylendioxy-amphetamin) zur Droge. Doch was wurde aus der Generation, die Nacht für Nacht ein Glücksgefühl synthetisch herstellte? Was aus dem Versprechen einer Gesellschaft, in der sich alle lieb haben? Welche Spätfolgen zeigen sich erst jetzt?
Stichwort
Ecstasy
Paul blickt aus dem Fenster einer Berliner Drogentherapie-Einrichtung am Wannsee, als suche er etwas, was er längst verloren hat. Vielleicht das einmalige Gefühl nach der ersten halben Pille, die er mit 15 nahm, die sein Herz öffnete und sein Leben veränderte. Doch dieses Glück, das bleiben sollte, sei verflogen, sagt Paul.
Das Gesicht des 25-Jährigen hat etwas Engelhaftes, eingerahmt von halblangen blonden Haaren, unter seine Augen haben sich Schatten gelegt. Bald waren es zehn, 15 Tabletten an einem Abend. In der einen Welt machte er eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, in der anderen verkaufte er bis vor einem Jahr Ecstasy. Er flüstert die Zahl: Hunderttausende von Pillen.
Ecstasy werde immer noch wie verrückt konsumiert, von 20-Jährigen wie von fast schon 40-Jährigen, quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und Berufe, vor allem aber auf den Technopartys, die oft nur noch eine schlechte Kopie von früher seien – so wie die Pillen selbst.
Heute bekomme man drei Stück für zehn Euro, früher kostete eine Tablette noch zwanzig, dreißig Mark. Vor einem Jahr wurde Paul auf der A 8 Richtung Salzburg bei einer routinemäßigen Polizeikontrolle angehalten, den Kofferraum seines Autos voller Ecstasy, den Kopf voller Synthetik und wirrer Gedanken.
Erst dachte Paul, er hätte Glück, als seine Strafe nach der Untersuchungshaft in drei Jahre Psychiatrie umgewandelt wurde. Doch die Beruhigungsspritzen in einer geschlossenen Anstalt nahe Wasserburg am Inn stellten ihn „ruhig wie einen Zombie“, es gab keine Therapie, sondern nur noch mehr Medikamente. „Hätte ich da bis 2007 bleiben müssen, wäre ich verrückt geworden.“
Nach neun Monaten konnte er jetzt auf Drängen seines Anwalts in das Therapiehaus Collignon am Berliner Wannsee umziehen. Die Behandlung dort schlägt an, er sagt, er könne jetzt wieder klar denken. Aber Visionen verfolgten ihn, „ich bin vergesslich geworden, völlig schusselig, auch das kommt vom Ecstasy“.
Welche Schäden Ecstasy im Gehirn hinterlässt, weiß man erst jetzt durch eine Studie der Hamburger Universitätsklinik Eppendorf. Erstmals wurden aktuelle und ehemalige Ecstasy-Konsumenten mit den Konsumenten anderer Drogen und einer drogenfreien Gruppe über fünf Jahre hinweg verglichen.
http://www.sueddeutsche.de/,trt3m1/panorama/artikel/214/47167/
Wie Ecstasy das Hirn zerstört
Die Party ist vorbei
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Mit Hilfe der so genannten Positronen-Emissions-Tomographie, die die Struktur einzelner Nervenzellen sichtbar macht, erforschten Rainer Thomasius und seine Mitarbeiter die Veränderungen im Gehirn. „Ecstasy bewirkt, dass die Hirnregion, die für die Gefühle zuständig ist, für kurze Zeit mit dem körpereigenen Botenstoff Serotonin überschwemmt wird.“
Die Aufnahmen zeigen, dass bei Langzeitkonsumenten von Ecstasy die Zahl funktionsfähiger Nervenzellen stark abnimmt, „wahrscheinlich als Folge des Zelltodes“, sagt Rainer Thomasius.
In Fragebögen, Gesprächen und Beobachtungen auf der psychiatrischen Station der Klinik ergründeten die Forscher die psychischen Störungen: Im Vergleich bekommen Ecstasy-Patienten eindeutig mehr Depressionen und Angstzustände als andere Drogenabhängige.
Ehemalige Konsumenten können sich Wörter und andere Daten schlecht merken – ein Problem, das während des Konsums noch nicht auftritt. Ecstasy schädigt nachhaltig den mittelfristigen Gedächtnisspeicher, mit dem der Mensch lernt. In der Klinik werden Ecstasy-Patienten nun auch mit einem Computerprogramm namens Cogpack behandelt. In dem Gedächtnistraining müssen sie Muster ordnen, Zahlen kombinieren, sich Situationen einprägen.
„Manchmal fühlt sich mein Kopf wie eine vergiftete Landschaft an.“ Langsam geht Peter den Gang der psychiatrischen Abteilung an der Eppendorfer Klinik entlang, als würde er schlafwandeln. Seine Augen starren das Gegenüber an, minutenlang, bis Leben in sie fährt. Die Erinnerung kommt.
Der 35-Jährige arbeitete als Türsteher in Hamburg. Man kann ihn gut aussehend nennen, intelligent, doch der Eindruck wird von etwas überlagert, für das es nur ein Wort gibt: geisterhaft. Anfangs dachte er, dieses lustige Leben sei das Rezept für eine glückliche Zukunft. „Doch die Endzeit schlich sich immer öfter ein.“ Er erwachte mit einer Leere im Kopf, voller Aggression. Innerhalb von vier Jahren nahm er Tausende Ecstasy-Pillen, manchmal auch LSD und Speed.
Wie Fehlzündungen in seinem Gehirn schlagen die Launen nun ständig um. Vor kurzem trat er so lange gegen eine Tür, bis sein Knie brach, die Knochen zerschnitten sein Kreuzband. Er bekommt nun Antidepressiva und hofft, dass er wieder der wird, der er einmal war.
Ob sich die Nervenzellen langsam und wieder vollständig zurückbilden, bleibt ungewiss. „Es kann sein, dass sie, ähnlich einer vernarbten Wunde, ihre ehemalige Leistung nie mehr erreichen“, meint der Ecstasy-Forscher Thomasius. Er erzählt von Fällen, die er jugendliche Demenz nennt, eine Vergesslichkeit, die sonst nur bei alten Menschen auftritt.
Peters Zimmernachbar Sebastian blickt versonnen auf ein Stofftier, das sorgfältig bis zum Hals zugedeckt in dem Krankenhausbett liegt. Manchmal weiß er nicht, ob er gerade eine Halluzination hat oder in die Wirklichkeit schaut. Sein Gedächtnis sei wie ein Sieb. „Du kannst mir sagen, was es zum Mittagessen gibt, und kurz darauf frage
ich dich: Was gibt es zum Mittagessen?“
Nachdem er an einem Wochenende 14 Pillen und dazu Speed genommen hatte, „dauerte der Film im Kopf zwölf Stunden“. Die Bilder kommen immer wieder – auch ohne Ecstasy. „Plötzlich sehe ich einen orangefarbenen Ball auf mich zufliegen, eine Wand zerfließt oder ein Papier segelt wie in einem Zeichentrickfilm langsam durch die Luft.“
Früher habe sich die Welt des Rauschgifts grob in Heroin- und Kokainabhängige aufgeteilt, sagt Regina Papke, eine Therapeutin vom Haus Collignon. Die einen wollten der Welt entfliehen, die anderen ihre Leistung steigern. Doch dann, seit Ende der Neunziger, kam die neue Klientel, die Ecstasy meist mit Speed, Amphetaminen, mal mit einem Trip oder THC (Marihuana) kombinierte – eine explosive Mischung. „Die Leute sehen schick aus, haben flotte Berufe.“
Wie Ecstasy das Hirn zerstört
Die Party ist vorbei
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Kerstin Jüngling vom Drogennotdienst nahe dem Bahnhof Zoo in Berlin weiß, dass diese neue Kundschaft nichts mit dem alten Bild des Junkies zu tun haben will, zumal Ecstasy körperlich nicht abhängig macht. Kürzlich kam ein junger Computerfachmann, gut gekleidet, er fühlte sich hier völlig fehl am Platz.
Erst nach einiger Zeit brach ein Satz wie ein Eisblock aus ihm heraus: Seine Gedanken, sagte er, blieben nicht mehr in seinem Kopf, sie würden ihm zu den Augen und Ohren hinausfahren und wie Pingpong-Bälle durch den Raum jagen. „Die Dunkelziffer von Menschen um die Dreißig, die mit psychischen Problemen leben, die vermutlich von einer Mixtur aus Ecstasy mit anderen Drogen ausgelöst wurden, könnte unglaublich hoch sein“, sagt Kerstin Jüngling.
Die Wohnung des jungen Paares Julia und Markus hängt voller Plakate von vergangenen Technopartys. Sie lernten sich im Berliner Club „Ostgut“ kennen, nun sind beide in Psychotherapie. Julia führte, wie sie sagt, ein Doppelleben mit Amphetaminen, Speed und Ecstasy. Während die Drogen noch durch ihren Körper rasten, ging sie zur Arbeit, denn sie dachte, alles sei doch in Ordnung.
Wie viel Ecstasy Markus schon genommen hat, weiß er nicht mehr. Erst in der Therapie hätten beide gemerkt, was eigentlich passiert war: Obwohl die Drogen das Leben immer schneller machten, blieb doch alles unverändert, wie eingefroren, fern der Realität. „Ich kapierte gar nicht, dass ich Menschen verlor.“ Heute ist Julia sich sicher, dass der Tod zweier Freunde, die sich umbrachten, mit den Substanzen zu tun hatte. „Wir gingen zur Beerdigung und abends wieder in den Club und warfen die Pillen ein.“
Inzwischen spricht man von einer neuen Schule der Behandlung: In der schicken Altbauwohnung des Berliner „Therapieladens“ geht es nicht mehr darum, clean zu werden. Die Psychologen versuchen, die depressiven Zustände, die Ängste in Gesprächen zu bändigen. Denn der Alltag nach der Euphorie erscheint leer und öde. Die psychischen Probleme, die viele ehemalige Konsumenten von Ecstasy jetzt mit sich tragen, passten nicht zu ihrem Selbstbild, ein alltagstauglicher Mensch zu sein. „Nach dem Gemeinschaftsgefühl kommt oft die Isolation“, sagt der Psychologe Andreas Gantner.
Oft muss die Behandlung mit Antidepressiva, in schweren Fällen mit Neuroleptika unterstützt werden, oft würden die Patienten diese Stimmungsaufheller aber überdosieren. „Diese synthetische Welt hat einen Sog, dem man kaum entkommt“, sagt der 40-jährige Christian.
Mit geübter Hand kritzelt er die Formel von MDMA auf einen Zettel. Der Chemiker stellte in seinen als Wohnungen getarnten Labors selbst Ecstasy her. Sieben Jahre war Christian deshalb im Gefängnis und jetzt ging er freiwillig in die Berliner Therapie am Wannsee, denn die Drogen lassen ihn nicht los. Als sei das ein Job wie jeder andere, erzählt er, wie er aus Phenylaceton (BMK), dem Grundstoff von Ecstasy, ein rosa Pulver destillierte, das er zu kleinen Tabletten presste.
Im Jahr werden bis zu siebzig Großlabors entdeckt, meist in den Niederlanden“, erklärt Jörg Mölling von der Rauschgiftabteilung bei Europol in Den Haag. Die neuen Spezialfahnder des Europäischen Polizeiamtes unterstützen ihre Kollegen in den Mitgliedsstaaten bei der Suche nach den Labors. Denn Ecstasy hat die Drogenwelt verändert: Früher wurden Opiate, Kokain und Cannabisprodukte nach Europa importiert, nun sind die europäischen Länder selbst die Produzenten und Exporteure.
Jörg Mölling schätzt, dass jährlich zwei bis fünf Milliarden Pillen in Westeuropa hergestellt werden. Im Keller von Europol steht der Nachbau eines Ecstasylabors, in dem nun in Kursen geübt wird, wie man ein Labor stürmt – und wie man diesen Einsatz überlebt.
Jedes dritte Labor wird entdeckt, weil es in die Luft fliegt oder in Flammen aufgeht, andere, weil die illegalen Vertriebswege aufgespürt werden. „Die Sicherstellung einer Produktionsstätte gleicht der Entschärfung einer Bombe. Ein lebensgefährlicher Job.“
Manchmal reicht es, einen Lichtschalter anzumachen, um verdampfte Lösungsmittel zu entzünden. Oder ein Fahnder öffnet eine Kühltruhe voll mit Äther, das aus undichten Behältern entwich, und vergiftet sich. Ein weiteres Problem: Bei der Produktion von einem Kilogramm Ecstasy entstehen rund zwölf Liter chemische Abfallstoffe, zum großen Teil toxisch.
In Nordrhein-Westfalen fand man beispielsweise einen verlassenen Sattelschlepper mit mehreren tausend Liter giftiger Reststoffe, die eindeutig aus der Produktion von Partypillen stammten.
Vielleicht gleicht Ecstasy einem russischen Roulette: Man weiß nicht, wann und welche Pille einen aus der Realität bläst und wen es trifft. Sabine stand mit beiden Beinen im Leben, hatte ihre Arbeit und eine Tochter. Erst mit 35, vor zwei Jahren, nahm sie ihre erste Pille. Wie Kräuterhexen seien die Dealer in diesen Nächten herumgelaufen und hätten diese oder jene Mischung empfohlen. „Der heilige Rausch, hinter dem ein knallhartes Geschäft steckte.“
Eines Morgens, vor einigen Monaten, fühlte sie sich vollkommen vergiftet, sie brach zusammen, zitternd, heulend. Als ihr Freund, ein DJ, sich mit den Worten verabschiedete, wenn sie jetzt vorhabe, eine Therapie zu machen, dann solle sie ihn da herauslassen, denn er sei Beamter und könne sich keine Fragen leisten – in dem Moment wusste sie: Diese auf dem künstlichen Stoff gebaute Gemeinschaft, in der sich alle so lieb haben, existiert nicht.
Die Namen aller Betroffenen wurden geändert.
(SZ-Magazin vom 4.2.2005)