napoleon
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DT vom 15.03.2008
Von Stephan Baier
Die schweigsame Religiosität der Albaner und ihre nationalistische Instrumentalisierung: Die Stiftung „Pro Oriente“ lässt Intellektuelle aus Albanien und dem Kosovo zu Wort kommen.
In Jugoslawien, dem Land der „Südslawen“, waren die in Kosovo und Mazedonien lebenden Albaner schon durch den Staatsnamen ein Fremdkörper, weil sie nämlich gar keine Slawen sind. Das Empfinden, dass sie irgendwie anders seien, führte zu einer Vielzahl von Diskriminierungen, negativ ablesbar etwa an der Bildungspolitik und an der ethnischen Zusammensetzung in den Gefängnissen. Albanien wiederum war in der Staatenwelt Europas lange Zeit nicht nur als „Armenhaus Europas“ bekannt, sondern als einziger Staat der Welt, dessen Staatsreligion der militante, alle anderen Glaubensrichtungen unbarmherzig verfolgende Atheismus war.
Heute, Jahre nach dem Zusammenbruch des atheistischen Kommunismus in Albanien und ebenso des serbisch dominierten Vielvölkerstaates Jugoslawien, stellt sich die politische Lage völlig anders dar. Was treibt und bewegt nun die Albaner in Albanien, im Kosovo und in Mazedonien? Was bestimmt ihr Denken und Sehnen? Antworten auf solche Fragen versuchten am Dienstagabend in Wien herausragende albanische Intellektuelle bei einer Podiumsdiskussion der von Kardinal König gegründeten Stiftung „Pro Oriente“ unter dem Leitwort „Religion und Kultur im albanischsprachigen Südosteuropa“.
Eine Frage der Identität
Professor Neritan Ceka, der nicht nur der führende Archäologe Albaniens ist, sondern auch Innenminister und im Vorjahr einer der Präsidentschaftskandidaten seines Landes war, meint, die Verbindung von Politik und Kultur sei „ein typisch balkanisches Phänomen“. Insofern sei Wien jene Hauptstadt in Europa, „die am meisten Interesse an balkanischen Fragen gezeigt hat“. Angesichts der Unabhängigkeit des Kosovo stelle sich die Frage nach der Identität und Kultur der Albaner wieder verschärft. Ein wirkliches Merkmal ihrer Identität sei die Sprache. Vorsichtiger ist der Wissenschaftler und Politiker schon beim Phänomen der Religion: „18 Jahre nach dem Fall des Kommunismus ist die Religion wieder aufgelebt“, meint er zwar, fügt dann aber gleich hinzu, dass die stark religiöse Identifikation der Nachbarn – gemeint sind wohl vor allem die Griechen und die Serben – die laizistische Identifikation der Albaner eher bestärkt habe.
Nicht nur deshalb mag es für viele Albaner „unangenehm“ sein, auf ihre Religion angesprochen zu werden. Die Statistiken der Religionszugehörigkeit stammten aus der Zwischenkriegszeit. Heute sei die Religiosität der Einwohner Albaniens in einem „chaotischen Zustand, weil eine ganze Generation die Religion nicht ausüben konnte“. Dazu kommen die interreligiösen Mischehen, die keineswegs zur Aufgabe der nationalen Identität geführt haben, aber eine laizistische Grundeinstellung verstärkten.
Keine Tendenz zum Islamismus
Ceka spricht auch aus persönlicher Erfahrung: Er ist selbst Muslim, während seine Frau orthodox getauft ist. Ein Problem habe es damit nie gegeben, meint er. Die Religion habe sich in Albanien „zurückgezogen“, sei ohne kulturellen oder politischen Einfluss. Darin sieht Neritan Ceka aber auch Gefahren: „Die geistigen Werte werden in jüngerer Zeit zerstört vom Materialismus.“
Adrian Klosi, Autor und Geschäftsführer der deutsch-albanischen Kulturgesellschaft „Robert Schwartz“ in Tirana, bestätigt, dass alle Religiosität während der Zeit der Diktatur von Enver Hoxha (1946–85) „nur unterdrückt und verdrängt“ worden sei. Albanien sei geprägt von einem halben Jahrhundert der Diktatur und 18 Jahren „Konsumismus und Fernsehkultur“, meint Klosi, warnt aber vor der „Falle der pauschalen Bewertungen“. Weil in den neunziger Jahren überall im Land die Moscheen wie Pilze aus der Erde wuchsen, entstehe für den oberflächlichen westlichen Besucher der Eindruck, Albanien sei ein islamisches Land. Doch seien die Moscheen wie die neugebauten orthodoxen Kirchen oft Prestigeobjekte und jedenfalls größer als der objektive Bedarf.
„Sie entsprechen nicht der schweigsamen Religiosität der Albaner“, sagt Klosi. So sei die heutige orthodoxe Kirche im Zentrum der Hauptstadt Tirana größer als die in den siebziger Jahren abgerissene. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren rund 60 Prozent der Bewohner Albaniens Muslime, 20 Prozent orthodox und zehn Prozent katholisch. Eine Analyse der Vornamen lasse heute bei etwa 20 Prozent auf einen muslimischen Hintergrund der Eltern schließen, bei zwölf Prozent auf einen katholischen und bei zehn Prozent auf einen orthodoxen, berichtet Klosi. Die übrigen 58 Prozent sind Vornamen ohne einen religiösen Hintergrund.
Der National-Kommunismus kämpfte gegen alle Religion
Der Publizist Fatos Lubonja, der unter dem kommunistischen Totalitarismus 17 Jahre als politischer Häftling in Gefängnissen und Arbeitslagern zubrachte und heute die Kulturzeitschrift „Perpjekja“ leitet, bekennt, dass er mit dem Mythos von der großen religiösen Toleranz der Albaner ein Problem hat: Im 20. Jahrhundert habe sich im muslimisch-christlichen Albanien eine sehr intolerante Religion gebildet – „ich würde das National-Kommunismus nennen“. Lubonjas These: Der Nationalismus wurde unter Hoxha zusammen mit dem Kommunismus zur Ausrottung aller anderen Religionen verwendet. Als Mutter Teresa – die bekanntlich selbst eine in Skopje geborene Albanerin war – 1990 erstmals Albanien besuchte, habe eine heimische Journalistin ernsthaft gefragt: „Die Religion der Albaner ist doch das Albanertum?“ In den achtziger Jahren fast unbekannt, sei Mutter Teresa heute eine „historische Figur der Nation“.
Damit will Lubonja sagen, dass Mutter Teresa eine universale Gestalt war, die für das universale Prinzip der christlichen Nächstenliebe steht, aber in ihrem eigenen Volk „für den albanischen Nationalismus instrumentalisiert“ wurde. Die Mission der Religionen – des Christentums wie des Islam – habe aber nichts mit der Nation zu tun, sondern sei universell und spirituell. Lubonja sieht auch den Versuch, den Islam zu instrumentalisieren: Im Kosovo und in Albanien habe es nach 1990 die These gegeben, dass die Albaner ihr Albanertum „auf der Grundlage des muslimischen Glaubens“ bewahrt hätten. Nach 2001 habe es aber auch die widersprechende These gegeben, die Albaner müssten sich auf ihre ursprüngliche Religion besinnen: auf den katholischen Glauben. In dieser Sicht sei das halbe Jahrtausend osmanischer Herrschaft nicht identitätsbildend, sondern lediglich „ein Unfall“.
Lubonja kritisierte die Idee von einer Hierarchie der Identitäten, die das einigende Nationale über den Verschiedenheiten der Religionszugehörigkeit ansiedelt: „Habe ich als Albaner das Recht, einem albanischen Muslim zu sagen, er müsse Albanien mehr lieben als seine Religion? Oder darf ein Christ einem Muslim sagen, er sei ein schlechter Albaner, wenn er seine Religion mehr liebt?“ Es sei wichtig, die Identitäten zu respektieren ohne sie in eine Hierarchie einzuordnen, meinte Lubonja, der „die Instrumentalisierung der Religion durch die nationale Frage“ ablehnt. Im Gespräch mit dieser Zeitung meinte der Publizist, dass diese Instrumentalisierung im Kosovo zur Identitätsbildung wohl notwendig gewesen sei, sich aber nun durch die Staatswerdung erledigt habe.
Der einzige Vertreter des Kosovo auf dem Podium, Rexhep Ismajli, sieht dies etwas anders. Der Sprachwissenschaftler Ismajli, der viele Jahre in serbischen Gefängnissen verbracht hat und seit 2002 Präsident der Akademie der Wissenschaften und Künste des Kosovo ist, unterscheidet die Lage im Kosovo von jener in Albanien. Im Gespräch mit der „Tagespost“ meint er, dass das Religiöse hier zur nationalen Bewusstseinsbildung weniger notwendig sei, weil die Religionen in Jugoslawien zwar marginalisiert, aber nicht völlig unterdrückt wurden. In Albanien dagegen habe es den Versuch gegeben, die Religionen auszulöschen. Eine Tendenz zum Islamismus, vor dem manche westlichen Beobachter warnen, kann Ismajli im Kosovo nicht erkennen.
Westlich orientiert
Der pazifistisch engagierte Sprachwissenschaftler schilderte beim Podium von „Pro Oriente“, dass im neuen Staat Kosovo Albanisch und Serbisch Amtssprachen sind, obwohl die Serben nur etwa sechs Prozent der Bevölkerung stellen. In Prizren ist zusätzlich Türkisch Amtssprache. Kosovo habe sich als laizistischer Staat deklariert, garantiere aber die religiösen Rechte seiner muslimischen, orthodoxen und katholischen Bürger. Reine Propaganda sei es, wenn Serbien gegen das Kosovo den Vorwurf islamistischer oder gar terroristischer Tendenzen erhebe. Umgekehrt hätten „die Serben ihre Nation immer schon mit der Religion identifiziert“. Historisch gründe der kosovarische Islam auf der osmanischen Besatzung, sodass der geographische Bezugspunkt Istanbul gewesen sei, aber kein arabisches Land. Die Albaner im Kosovo seien nicht nur gewohnt, Politik und Religion zu trennen. Um sich von Serbien abzugrenzen, seien sie westlich orientiert.
Dass mit der Unabhängigkeit des Kosovo keinesfalls alle Probleme der Region gelöst sind, macht der Moderator des Podiums, Oliver Jens Schmitt, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien, im Gespräch mit der „Tagespost“ deutlich. Die Albaner im Kosovo, in Mazedonien und in Albanien würden sich durchaus als eine Nation fühlen, meint der aus der Schweiz stammende und in Wien lehrende Professor für südosteuropäische Geschichte, doch würden sich die Kosovaren in diesen Beziehungen überlegen fühlen.
Durch die Zahlungen der Exil-Kosovaren seien die Grundstückspreise im Kosovo auf Schweizer Niveau gestiegen, während das Durchschnittseinkommen bei 40 Dollar pro Monat liege. Die wirtschaftliche Basis liege derzeit im Exil, doch kann dies angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, der mangelnden Infrastruktur und des enormen Bevölkerungsdrucks durch eine breite Jugend keine tragfähige Basis für die Zukunft sein. Schon deshalb werden die Fragen nach der Identität wie auch nach Kultur und Religiosität der Albaner für die Politik in Europa an Bedeutung gewinnen.
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[FONT=Arial, Arial, Helvetica][FONT=Arial, Arial, Helvetica] Wie religiös ist die Kultur der Albaner?[/FONT][/FONT]
DT vom 15.03.2008
Von Stephan Baier
Die schweigsame Religiosität der Albaner und ihre nationalistische Instrumentalisierung: Die Stiftung „Pro Oriente“ lässt Intellektuelle aus Albanien und dem Kosovo zu Wort kommen.
In Jugoslawien, dem Land der „Südslawen“, waren die in Kosovo und Mazedonien lebenden Albaner schon durch den Staatsnamen ein Fremdkörper, weil sie nämlich gar keine Slawen sind. Das Empfinden, dass sie irgendwie anders seien, führte zu einer Vielzahl von Diskriminierungen, negativ ablesbar etwa an der Bildungspolitik und an der ethnischen Zusammensetzung in den Gefängnissen. Albanien wiederum war in der Staatenwelt Europas lange Zeit nicht nur als „Armenhaus Europas“ bekannt, sondern als einziger Staat der Welt, dessen Staatsreligion der militante, alle anderen Glaubensrichtungen unbarmherzig verfolgende Atheismus war.
Heute, Jahre nach dem Zusammenbruch des atheistischen Kommunismus in Albanien und ebenso des serbisch dominierten Vielvölkerstaates Jugoslawien, stellt sich die politische Lage völlig anders dar. Was treibt und bewegt nun die Albaner in Albanien, im Kosovo und in Mazedonien? Was bestimmt ihr Denken und Sehnen? Antworten auf solche Fragen versuchten am Dienstagabend in Wien herausragende albanische Intellektuelle bei einer Podiumsdiskussion der von Kardinal König gegründeten Stiftung „Pro Oriente“ unter dem Leitwort „Religion und Kultur im albanischsprachigen Südosteuropa“.
Eine Frage der Identität
Professor Neritan Ceka, der nicht nur der führende Archäologe Albaniens ist, sondern auch Innenminister und im Vorjahr einer der Präsidentschaftskandidaten seines Landes war, meint, die Verbindung von Politik und Kultur sei „ein typisch balkanisches Phänomen“. Insofern sei Wien jene Hauptstadt in Europa, „die am meisten Interesse an balkanischen Fragen gezeigt hat“. Angesichts der Unabhängigkeit des Kosovo stelle sich die Frage nach der Identität und Kultur der Albaner wieder verschärft. Ein wirkliches Merkmal ihrer Identität sei die Sprache. Vorsichtiger ist der Wissenschaftler und Politiker schon beim Phänomen der Religion: „18 Jahre nach dem Fall des Kommunismus ist die Religion wieder aufgelebt“, meint er zwar, fügt dann aber gleich hinzu, dass die stark religiöse Identifikation der Nachbarn – gemeint sind wohl vor allem die Griechen und die Serben – die laizistische Identifikation der Albaner eher bestärkt habe.
Nicht nur deshalb mag es für viele Albaner „unangenehm“ sein, auf ihre Religion angesprochen zu werden. Die Statistiken der Religionszugehörigkeit stammten aus der Zwischenkriegszeit. Heute sei die Religiosität der Einwohner Albaniens in einem „chaotischen Zustand, weil eine ganze Generation die Religion nicht ausüben konnte“. Dazu kommen die interreligiösen Mischehen, die keineswegs zur Aufgabe der nationalen Identität geführt haben, aber eine laizistische Grundeinstellung verstärkten.
Keine Tendenz zum Islamismus
Ceka spricht auch aus persönlicher Erfahrung: Er ist selbst Muslim, während seine Frau orthodox getauft ist. Ein Problem habe es damit nie gegeben, meint er. Die Religion habe sich in Albanien „zurückgezogen“, sei ohne kulturellen oder politischen Einfluss. Darin sieht Neritan Ceka aber auch Gefahren: „Die geistigen Werte werden in jüngerer Zeit zerstört vom Materialismus.“
Adrian Klosi, Autor und Geschäftsführer der deutsch-albanischen Kulturgesellschaft „Robert Schwartz“ in Tirana, bestätigt, dass alle Religiosität während der Zeit der Diktatur von Enver Hoxha (1946–85) „nur unterdrückt und verdrängt“ worden sei. Albanien sei geprägt von einem halben Jahrhundert der Diktatur und 18 Jahren „Konsumismus und Fernsehkultur“, meint Klosi, warnt aber vor der „Falle der pauschalen Bewertungen“. Weil in den neunziger Jahren überall im Land die Moscheen wie Pilze aus der Erde wuchsen, entstehe für den oberflächlichen westlichen Besucher der Eindruck, Albanien sei ein islamisches Land. Doch seien die Moscheen wie die neugebauten orthodoxen Kirchen oft Prestigeobjekte und jedenfalls größer als der objektive Bedarf.
„Sie entsprechen nicht der schweigsamen Religiosität der Albaner“, sagt Klosi. So sei die heutige orthodoxe Kirche im Zentrum der Hauptstadt Tirana größer als die in den siebziger Jahren abgerissene. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren rund 60 Prozent der Bewohner Albaniens Muslime, 20 Prozent orthodox und zehn Prozent katholisch. Eine Analyse der Vornamen lasse heute bei etwa 20 Prozent auf einen muslimischen Hintergrund der Eltern schließen, bei zwölf Prozent auf einen katholischen und bei zehn Prozent auf einen orthodoxen, berichtet Klosi. Die übrigen 58 Prozent sind Vornamen ohne einen religiösen Hintergrund.
Der National-Kommunismus kämpfte gegen alle Religion
Der Publizist Fatos Lubonja, der unter dem kommunistischen Totalitarismus 17 Jahre als politischer Häftling in Gefängnissen und Arbeitslagern zubrachte und heute die Kulturzeitschrift „Perpjekja“ leitet, bekennt, dass er mit dem Mythos von der großen religiösen Toleranz der Albaner ein Problem hat: Im 20. Jahrhundert habe sich im muslimisch-christlichen Albanien eine sehr intolerante Religion gebildet – „ich würde das National-Kommunismus nennen“. Lubonjas These: Der Nationalismus wurde unter Hoxha zusammen mit dem Kommunismus zur Ausrottung aller anderen Religionen verwendet. Als Mutter Teresa – die bekanntlich selbst eine in Skopje geborene Albanerin war – 1990 erstmals Albanien besuchte, habe eine heimische Journalistin ernsthaft gefragt: „Die Religion der Albaner ist doch das Albanertum?“ In den achtziger Jahren fast unbekannt, sei Mutter Teresa heute eine „historische Figur der Nation“.
Damit will Lubonja sagen, dass Mutter Teresa eine universale Gestalt war, die für das universale Prinzip der christlichen Nächstenliebe steht, aber in ihrem eigenen Volk „für den albanischen Nationalismus instrumentalisiert“ wurde. Die Mission der Religionen – des Christentums wie des Islam – habe aber nichts mit der Nation zu tun, sondern sei universell und spirituell. Lubonja sieht auch den Versuch, den Islam zu instrumentalisieren: Im Kosovo und in Albanien habe es nach 1990 die These gegeben, dass die Albaner ihr Albanertum „auf der Grundlage des muslimischen Glaubens“ bewahrt hätten. Nach 2001 habe es aber auch die widersprechende These gegeben, die Albaner müssten sich auf ihre ursprüngliche Religion besinnen: auf den katholischen Glauben. In dieser Sicht sei das halbe Jahrtausend osmanischer Herrschaft nicht identitätsbildend, sondern lediglich „ein Unfall“.
Lubonja kritisierte die Idee von einer Hierarchie der Identitäten, die das einigende Nationale über den Verschiedenheiten der Religionszugehörigkeit ansiedelt: „Habe ich als Albaner das Recht, einem albanischen Muslim zu sagen, er müsse Albanien mehr lieben als seine Religion? Oder darf ein Christ einem Muslim sagen, er sei ein schlechter Albaner, wenn er seine Religion mehr liebt?“ Es sei wichtig, die Identitäten zu respektieren ohne sie in eine Hierarchie einzuordnen, meinte Lubonja, der „die Instrumentalisierung der Religion durch die nationale Frage“ ablehnt. Im Gespräch mit dieser Zeitung meinte der Publizist, dass diese Instrumentalisierung im Kosovo zur Identitätsbildung wohl notwendig gewesen sei, sich aber nun durch die Staatswerdung erledigt habe.
Der einzige Vertreter des Kosovo auf dem Podium, Rexhep Ismajli, sieht dies etwas anders. Der Sprachwissenschaftler Ismajli, der viele Jahre in serbischen Gefängnissen verbracht hat und seit 2002 Präsident der Akademie der Wissenschaften und Künste des Kosovo ist, unterscheidet die Lage im Kosovo von jener in Albanien. Im Gespräch mit der „Tagespost“ meint er, dass das Religiöse hier zur nationalen Bewusstseinsbildung weniger notwendig sei, weil die Religionen in Jugoslawien zwar marginalisiert, aber nicht völlig unterdrückt wurden. In Albanien dagegen habe es den Versuch gegeben, die Religionen auszulöschen. Eine Tendenz zum Islamismus, vor dem manche westlichen Beobachter warnen, kann Ismajli im Kosovo nicht erkennen.
Westlich orientiert
Der pazifistisch engagierte Sprachwissenschaftler schilderte beim Podium von „Pro Oriente“, dass im neuen Staat Kosovo Albanisch und Serbisch Amtssprachen sind, obwohl die Serben nur etwa sechs Prozent der Bevölkerung stellen. In Prizren ist zusätzlich Türkisch Amtssprache. Kosovo habe sich als laizistischer Staat deklariert, garantiere aber die religiösen Rechte seiner muslimischen, orthodoxen und katholischen Bürger. Reine Propaganda sei es, wenn Serbien gegen das Kosovo den Vorwurf islamistischer oder gar terroristischer Tendenzen erhebe. Umgekehrt hätten „die Serben ihre Nation immer schon mit der Religion identifiziert“. Historisch gründe der kosovarische Islam auf der osmanischen Besatzung, sodass der geographische Bezugspunkt Istanbul gewesen sei, aber kein arabisches Land. Die Albaner im Kosovo seien nicht nur gewohnt, Politik und Religion zu trennen. Um sich von Serbien abzugrenzen, seien sie westlich orientiert.
Dass mit der Unabhängigkeit des Kosovo keinesfalls alle Probleme der Region gelöst sind, macht der Moderator des Podiums, Oliver Jens Schmitt, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien, im Gespräch mit der „Tagespost“ deutlich. Die Albaner im Kosovo, in Mazedonien und in Albanien würden sich durchaus als eine Nation fühlen, meint der aus der Schweiz stammende und in Wien lehrende Professor für südosteuropäische Geschichte, doch würden sich die Kosovaren in diesen Beziehungen überlegen fühlen.
Durch die Zahlungen der Exil-Kosovaren seien die Grundstückspreise im Kosovo auf Schweizer Niveau gestiegen, während das Durchschnittseinkommen bei 40 Dollar pro Monat liege. Die wirtschaftliche Basis liege derzeit im Exil, doch kann dies angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, der mangelnden Infrastruktur und des enormen Bevölkerungsdrucks durch eine breite Jugend keine tragfähige Basis für die Zukunft sein. Schon deshalb werden die Fragen nach der Identität wie auch nach Kultur und Religiosität der Albaner für die Politik in Europa an Bedeutung gewinnen.
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