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29.01.2014 · In einem kleinen sauerländischen Ort mit 830 Einwohnern soll ein Heim eingerichtet werden – für 500 Asylbewerber. Die Dorfbewohner wehren sich, fürchten einen Wertverlust ihrer Häuser und auch Konflikte.
Von Reiner Burger, Wimbern/Arnsberg
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Christian Meier hat sich schick gemacht. Jackett und Hemd. Auf seiner Krawattennadel prangt das rot-silberne Wappen von Wimbern. Meiers Bilder-Nachmittag zählt zu den gesellschaftlichen Höhepunkten des Dorfs. In Wimbern, das am nördlichen Saum des Sauerlands liegt, veranstaltet die St.-Johannes-Schützenbruderschaft zwei Schützenfeste im Jahr: eines im Sommer und eines im Winter. Beim Winterschützenfest wird allerdings statt auf einen Vogel auf einen Schneemann gezielt. Dafür ist das Winterschützenfest ein ganz besonderer Ausweis der Wimberner Toleranz: Auch Frauen und Vereinsfremde dürfen im Winter mitschießen. Das Auftaktereignis jeden Wimberner Jahres aber ist der Bilder-Nachmittag des Geschichtsvereins „Dorf Wimbern e.V.“ Keiner der 160 Plätze an den fünf langen Tischreihen bleibt frei. Das hängt vermutlich auch mit den insgesamt 29 Kuchen und Torten zusammen, die fleißige Helferinnen für den Bilder-Nachmittag angefertigt und in der Schützenhalle zu einem verlockenden Buffet arrangiert haben. Vor allem aber liegt es daran, dass Christian Meier und sein Freund, der Ortsvorsteher Edmund Schmidt, ihre Bilder-Zeitreise durch die Dorfgeschichte mit topaktuellen Fotografien zu jenem Thema beginnen wollen, das die Leute auch in ihren Tischgesprächen bewegt wie kein anderes: die Zentrale Unterbringungs-Einrichtung (ZUE) für Asylbewerber, die bald am Ortsrand in einem leerstehenden Krankenhaus eröffnet werden soll.
Während sich Dieter Feuerhack Kaffee nachschenkt, beteuert er, dass Wimbern wirklich nicht fremdenfeindlich sei. „Aber 500 Asylbewerber in einem Dorf mit gut 830 Einwohnern, wie soll denn das funktionieren?“ Der Rentner fragt sich, was die Leute den lieben langen Tag in Wimbern tun sollen. „Rumstrolchen? Dummheiten machen?“ Baulich sei das alte Krankenhaus eh ungeeignet. Anders als in der ZUE im ebenfalls sauerländischen Hemer und jener im münsterländischen Schöppingen sei die ehemalige Klinik nicht in verschiedene Gebäudekomplexe geteilt. „Verfeindete Volksgruppen ließen sich im Fall der Fälle nur schwer separieren“, sagt Feuerhack fachmännisch. Dann regelt jemand das Licht herunter.
Meier und Schmidt zeigen Bilder aus dem Inneren des Marienkrankenhauses. Kaum zu glauben, dass es schon mehr als zwei Jahre her ist, dass in der Kapelle der letzte Gottesdienst gefeiert wurde. In den Fächern liegen noch die Stundengebetsbücher der Schwestern. Die Flure der Klinik sind verwaist, die Krankenzimmer leergeräumt. Eigentlich sollte die ZUE längst in Betrieb sein. Aber drei Tage vor dem anvisierten Eröffnungstermin wurde im vergangenen Sommer in den Deckenverkleidungen PCB, eine krebserregende Verbindung, gefunden. Ein wenig hofften die Wimberner, dass das Projekt vielleicht noch scheitern könnte. Doch Ortsvorsteher Schmidt hat auch die Decken fotografiert und berichtet nun, dass die Sanierungsarbeiten weitgehend abgeschlossen sind.
„Sprunghafter Anstieg“ bei Zahl der Asylbewerber
Von Wimbern bis zur Bezirksregierung nach Arnsberg sind es nur gut zwanzig Minuten mit dem Auto. Und doch liegen zwischen Wimbern und Arnsberg Welten. „Das Krankenhaus ist geradezu ideal als ZUE geeignet“, sagt Michael Kirchner. Der Leiter der Abteilung 2 (Ordnungsrecht, Sozialwesen, Gefahrenabwehr) hat von seinem Büro im neunten Stock des Bezirksregierungs-Hochhauses eine beeindruckende Sicht weit ins Land hinein. Kirchner ist nicht nur für die Unterbringung von Asylbewerbern im Umkreis zuständig. Das Innenministerium in Düsseldorf hat per Rechtsverordnung festgelegt, dass Kirchner von Arnsberg aus ganz Nordrhein-Westfalen im Blick haben muss. Gemeinsam mit seinem Hauptdezernenten Peter Ernst ist Kirchner für die Erstaufnahme, die Erstunterbringung und auch für die Zuweisung von Asylbewerbern an die 396 Kommunen im Land zuständig. Es ist eine anstrengende Dauerbaustelle. „Unsere Aufgabe ist, die Menschen unterzubringen. Die Alternative wäre die Obdachlosigkeit.“
Kirchner legt mehrere bunte Grafiken auf den Tisch, um den Ernst der Lage zu verdeutlichen. War die Zahl der Asylbewerber 2007 in Nordrhein-Westfalen auf nur noch 5140 gesunken, steigt sie „seit 2012 geradezu sprunghaft“, sagt Ernst und deutet auf ein Balkendiagramm. Im vergangenen Jahr haben rund 23.700 Personen allein in Nordrhein-Westfalen Asyl beantragt – das sind in etwa so viele wie zuletzt 1997. „Die Zahlen spiegeln die Krisen dieser Welt wider. Die Flüchtlinge kommen aus Syrien, dem Irak, Afrika.“ Anfänglich mussten Kirchner und Ernst „in Krisenstabmanier“ Unterkünfte in Turn- und Fahrzeughallen ausweisen. Mittlerweile gibt es einige Notunterkünfte, so in Neuss oder in Nieheim im Kreis Höxter. Auch die ehemalige Landesaufnahmestelle für Spätaussiedler in Unna-Massen konnte für bis zu 600 Asylbewerber reaktiviert werden. In Bad Berleburg gibt es in einer ehemaligen Kurklinik 300 Plätze. „Im Herbst waren wir froh, dass wir überhaupt jedem ein Bett anbieten konnten. Anders als in anderen Bundesländern musste in Nordrhein-Westfalen bisher kein Asylbewerber im Zelt oder im Container schlafen“, sagt Kirchner.
Vom Geschichtsverein zum Widerstand
Als Glücksgriff bezeichnete Ernst die ehemalige Siegerlandkaserne in Burbach. Dort öffnete im September eine Notunterkunft – als Ersatz für Wimbern, nachdem dort PCB festgestellt worden war. „So eine Immobilien-Rosine wie in Burbach, so gut in Schuss, finden Sie heute kaum noch. In vielen vom Militär aufgegebenen Anlagen gibt es viel Vandalismus“, sagt Kirchner. Eine eben erst aufgegebene Militäranlage haben die beiden Notunterkunft-Spezialisten derzeit aber doch fest für eine ZUE im Blick: das frühere deutsche Hauptquartier der britischen Armee in Mönchengladbach am Niederrhein. „Nicht nur baulich exzellent geeignet“, schwärmt Ernst. Hinzu komme auch der Gerechtigkeitsaspekt. „Denn bisher trägt die Hauptlast in NRW ganz klar Westfalen.“
Auf das ehemalige Krankenhaus in Wimbern aber wollen Kirchner und Ernst trotzdem nicht verzichten. Dass der Komplex etwas abseits vom Ort liegt, hält Kirchner sogar für einen großen Vorteil. Die Asylbewerber, die sich derzeit im Durchschnitt nur einen Monat lang in einer ZUE aufhielten, bevor sie über das ganz Land verteilt werden, hätten die Chance, zur Ruhe zu kommen. Krankenschwestern, Psychologen, Wachleute kümmerten sich rund um die Uhr um die Asylbewerber. Ohnehin seien die Leute in den ersten Wochen mit vielen Formalitäten und medizinischen Untersuchungen beschäftigt. „Wimbern ist eine Streusiedlung ohne Ortskern“, sagt Ernst. „Nicht einmal einen Laden gibt es da. Welches Interesse sollte ein Asylbewerber haben, nach Wimbern zu gehen?“ Kirchner und Ernst sind sich ganz sicher: Nichts wird sich ändern in Wimbern. Alles wird gut.
Christian Meier und Edmund Schmidt sind die Gegenspieler von Kirchner und Ernst. Als sie im Oktober 2012 gerade dabei waren, ihren Verein „Dorf Wimbern“ zu gründen, gab die Bezirksregierung ihre ZUE-Pläne bekannt. „Dorf Wimbern“ ist deshalb anders als geplant derzeit nicht nur ein Geschichtsverein, in der aktuellen Lage dient er auch zur Koordinierung des Widerstands gegen das Asylbewerberheim. Zur ersten Vereinsversammlung kamen 320 Leute. Später gab es Infoveranstaltungen „mit Stammtischcharakter“, wie Schmidt formuliert. Meier und Schmidt zeigten Bilder der beiden ZUE in Schöppingen und Hemer. „Die Leute sollten sich eine eigene Meinung bilden können“, sagt Schmidt. „Auch darüber, wie so ein zweieinhalb Meter hoher Zaun rund um die Klinik aussehen wird.“
Ausweichklinik als Asylbewerberheim
Auch der Regierungspräsident war schon in Wimbern. Meier und Schmidt moderieren, informieren und kanalisieren. Ganz bewusst hat sich das Dorf auf ihren Rat dagegen entschieden, Plakate aufzustellen. Auf dem einzigen Protestplakat, das man in Wimbern findet, geht es um den anderen Großkonflikt. Seit Jahren kämpfen die Wimberner dagegen, dass die Verlängerung einer Autobahn quer durch ihr Dorf geführt wird. „Stoppt A 46 durch Wimbern“, heißt es auf einem großen Banner am Ortseingang. „Aber was soll man auf ein Plakat schreiben, ohne ausländerfeindlich rüberzukommen?“, fragt Meier. Ihm und Schmidt ist es gelungen, den Protest von radikalen Trittbrettfahrern freizuhalten. Als im vergangenen März ein paar Leute der rechtsextremen Splitterpartei „Pro NRW“ aus dem Rheinland in den Ort kamen, ließen die Wimberner sie einfach an der Kreuzung zwischen dem Marienhospital und der alten thurn-und-taxischen Poststation stehen. Schmidt grinst. „Vielleicht eine halbe Stunde lang waren die da und haben mit ihrem Lautsprecherwagen den vorbeifahrenden Autos was erzählt.“
Schmidt und Meier haben den Parkplatz des ehemaligen Krankenhauses erreicht. Sie wollen an Ort und Stelle noch mal deutlich machen, warum sich die Anlage aus ihrer Sicht nicht als Unterkunft eignet, jedenfalls nicht für so viele wie von der Bezirksregierung vorgesehen. Die Klinik entstand im „Dritten Reich“ als Ausweichklink für ausgebombte Krankenhäuser in Dortmund, Bochum und Hagen. Nach dem Krieg übernahmen dann die Steyler Missionsschwestern, die direkt nebenan ein Kloster gebaut hatten, die Klinik und bauten sie in den sechziger und siebziger Jahren komplett neu auf. Die Klinik genoss einen exzellenten Ruf. Von weit her kamen die Patienten in das Krankenhaus auf der grünen Wimberner Wiese. Zwischen 1969 und 1983 beherbergte die Klinik zudem die einzige Pockenstation Westfalens. Doch Ende 2011 musste der Betrieb der Klinik aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt werden.
Die Nachbarschaft rüstet auf
Schmidt und Meier laufen um den leerstehenden Betonkomplex herum. Schmidt zeigt nacheinander auf die einzelnen Häuser. „Die Gebäude sind alle miteinander verbunden. Wie soll man hier alleinstehende Männer und junge Frauen voneinander trennen?“ Weil keine räumliche Trennung möglich sei, werde es auch zu Konflikten und Schlägereien zwischen verfeindeten Gruppen kommen, prophezeit Meier. „Und die nächste Polizeistation ist viele Kilometer weit weg in Werl.“
Annelotte Nolden kommt mit ihren beiden Hunden vorbei, aufgeregt springen diese um sie herum. Nolden wohnt nur einen Steinwurf entfernt in der Siedlung Nachtigall. Sie ist aufgebracht. „Aufgerüstet“ habe sich die gesamte Nachbarschaft mit Hunden, sagt sie. 40 Hunde gebe es schon in der Siedlung. „Das Land, die Bezirksregierung, die haben doch alle kein Konzept, uns so ein Riesenheim vor die Nase setzen zu wollen.“ Zudem rechnet Nolden fest damit, dass ihr Haus schon jetzt drastisch an Wert verloren hat. Gerade habe sie den Grundsteuerbescheid bekommen. „Ich hätte gute Lust, bei der Verwaltung anzurufen und die 40 Prozent Rabatt einzufordern, die mein Eigentum jetzt weniger wert ist.“
Widerstand gegen ein Heim: 830 Einwohner, 500 Asylbewerber - Inland - FAZ
Wimbern: 830 Einwohner, 500 Asylbewerber – Asylbewerber an Hauswänden | kopten ohne grenzen
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