Scheich Adi
Das Grab von Scheich Adi in Lalish
Eine zweite wichtige Gestalt für die Yeziden ist der als Reformer geltende
Scheich Adi aus dem
11./
12. Jahrhundert. In der Religionswissenschaft wird die These vertreten, er sei identisch mit dem sufischen Mystiker Shaikh
Adî Ibn-Musafîr (
1075-
1162), dessen Anhänger unter den
Hakkari-Kurden den
’Adawîya-Orden ins Leben riefen, der sich schließlich inhaltlich so weit von der islamischen Orthodoxie entfernte, daß seine Verfolgung ausgerufen wurde.
Scheich Adi ist für die Yeziden eine Inkarnation des Taus-i Melek, der kam, um das Yezidentum in einer schwierigen Zeit neu zu beleben. An seinem Grab in
Lalish findet jedes Jahr vom
6.-
13. Oktober das „Fest der Versammlung“ (Jashne Jimaiye) statt. Yeziden aller
Gemeinden aus den Siedlungs- und Lebensgebieten kommen zu diesem Fest zusammen, um ihre Gemeinschaft und ihre Verbundenheit zu bekräftigen. Leider erschweren oder verhindern politische Umstände häufig die
Pilgerfahrt nach Lalish, die eine Pflicht für jeden Yeziden ist. Aus Lalish bringen die Yeziden geweihte Erde mit, die mit dem heiligen Wasser der Quelle
Zemzem zu festen Kügelchen geformt wurde. Sie gelten als „heilige Steine“ (
Sing. berat) und spielen bei vielen religiösen Zeremonien eine wichtige Rolle.
Nach yezidischer Auffassung kann ein Yezide ein guter Mensch sein, aber um ein guter Mensch zu sein, muss man nicht Yezide sein. Das heißt: das Yezidentum ist von vornherein tolerant gegenüber anderen
Religionen. In einem
Gebet der Yeziden heißt es: „Gott, schütze erst die 72 Völker und dann uns.“ Die Yeziden haben keine Berührungsängste mit anderen
Religionsgemeinschaften. So ist z. B. das Verhältnis zwischen Yeziden und
Christen sehr gut, eine Konsequenz aus der gemeinsamen Leidensgeschichte der Yeziden und Christen in den kurdischen Gebieten.