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Zur Machtkonzeption Slobodan Milosevics

Revolut

Top-Poster
(Vortrag am 12.6.99 in der Europäischen Akademie)
Holm Sundhausen
Teil 1

Ich möchte meine Ausführungen mit drei kurzen Vorbemerkungen einleiten:

1) Auch wer nicht die Auffassung teilt, daß die Geschichte das Werk “großer Männer” ist, wird zugeben müssen, daß einzelne Akteure in Situationen der Anomie, der Erosion von Institutionen- und Machtssystemen, in Situationen allgemeiner Verunsicherung und Orientierungslosigkeit eine herausragende Rolle spielen können, - eine Rolle, die ihnen unter “normalen” Bedingungen nie zugefallen wäre. Im ehem. Jugoslawien bahnte sich in der zweiten Hälfte der 80er Jahre eine solche Situation an: die institutionalisierte Macht des Bundesstaats war kollabiert, die Föderation war kaum noch regierbar und alles, woran sich die Bürger bis dahin (sei es auch wider Willen) orientiert hatten, hatte seine Bedeutung eingebüßt oder befand sich in Auflösung: das jugoslawische Selbstverwaltungsmodell, die Blockfreiheit, die jugoslawische politische Identität und der einst - im Vergleich zu den Ostblockländern - deutliche Vorsprung im Lebensstandard und in der begrenzten Ausübung bürgerlicher Rechte. Ein Macht- und Wertevakuum tat sich vor den erschrockenen Bürgern auf: Der Bund war unfähig zu agieren. Alle Macht konzentrierte sich in den kommunistischen (oft korrumpierten) Führungscliquen der Teilrepubliken. Nur die Jugoslawische Volksarmee stand noch außerhalb des allgemeinen Auflösungprozesses. Das war die große Stunde einzelner Akteure, die mittels Manipulation und Indoktrination das Vakuum zu füllen suchten.

2) Slobodan Miloševic, der 1986/87 die politische Macht in Serbien an sich reißen konnte, war der Hauptverantwortliche (der Haupt-, nicht der Alleinverantwortliche) für das, was im auseinanderberechenden bzw. auseinandergebrochenen Jugoslawien seit 1991 bis heute an Gewalt praktiziert wurde. Es geht hierbei nicht um die strafrechtliche Verantwortung (diese muß vom Haager Kriegstribunal geklärt werden), sondern um die politische Verantwortung. Es war Miloševiæ, der die Verunsicherung in der serbischen Gesellschaft und die latente Unzufriedenheit der Bevölkerung nationalistisch fokussierte, mit Mythen, Stereotypen und Feindbildern versah und jene nationalistischen (mitunter rassistischen) Leidenschaften schürte, die sich in den 90er Jahre blutig entluden. Unterstützt wurde Miloševiæ von serbischen Intellektuellen und hochrangigen Mitgliedern der serbisch-orthodoxen Kirche, die sich als nationalistische “Vordenker” betätigt hatten. Es war Miloševic, der im Frühjahr 1989 die Demontage des zweiten jugoslawischen Staats vollzog, und er war es, der die Führer der Serben in Kroatien und Bosnien-Herzegowina und wohl auch die Serben in Kosovo auf Konfliktkurs brachte.

Ich habe gesagt: Miloševic trug (und trägt) die Haupt-, aber nicht die Alleinverantwortung für das Auseinanderbrechen Jugoslawiens und für die Exzesse der 90er Jahre. Mitverantwortliche finden sich sowohl im serbischen Lager (man denke stellvertretend an Radovan Karadzic, Ratko Mladic u.a.) als auch in den nationalistischen Eliten anderer Republiken (etwa in Slowenien und v.a. in Kroatien). Der 1990 gewählte Präsident Kroatiens Franjo Tudjman und seine Mafia aus Herzegowina- und Auslandskroaten tragen ein gerüttelt Maß an Mitverantwortung für die Ereignisse in Jugoslawien. Tudjman ist nicht viel besser als Miloševic. Was beide unterscheidet, ist die Tatsache, daß Miloševic über wesentlich mehr Machtmittel und Ressourcen verfügte als Tudjman, der zunächst aus der Defensive heraus agieren mußte, und daß Miloševic offenbar keinerlei Überzeugung besitzt, während Tudjman ein fanatischer kroatischer Nationalist ist.

3) Trotz der überragenden Rolle, die Milosevic als Akteur besetzt hat, geht es im folgenden weniger um seine Person als um das Umfeld, in dem er agierte, das seine politische Karriere prägte und das er seinerseits mitgestaltete. Kurzum: es geht um die Wechselbeziehung zwischen Akteuren und Strukturen, zwischen Handlung und Ideologie, zwischen Umbruch und Tradition.

Dennoch möchte ich in aller Kürze einige Informationen zur Biographie Miloševics vorausschicken: Slobodan Miloševic wurde 1941 in Pozarevac östl. von Belgrad geboren. Sein aus Montenegro stammender Vater hatte ein Priesterseminar in Cetinje, dann die Theologische Fakultät in Belgrad absolviert und war anschließend als Lehrer beschäftigt. Nach dem Zweiten Weltkrieg trennte er sich von Slobodans Mutter, die eine strenge Kommunistin und ebenfalls Lehrerin war. Miloševic wuchs bei der Mutter auf, die 1972 Selbstmord beging, während der Vater schon zehn Jahre zuvor in Montenegro verstorben war. Es war v.a. der Selbstmord der Mutter, der Miloševic nachhaltig prägte. Als Schüler soll Slobodan “zugeknüpft, ordentlich und zurückhaltend” gewesen sein; er trug dunkle Anzüge mit weißen Hemden und galt als pedantisch. Als Gymnasiast vertrat er die ideologische Linie der Partei (des Bundes der Kommunisten) u. setzte sich für “ideologische Reinheit und politische Wachsamkeit” ein. Mit ausgezeichnetem Zeugnis und Empfehlungen der örtlichen Parteiorganisation kam er 18jährig (also Ende der 50er Jahre) an die Juristische Fakultät in Belgrad. Abermals wird er als “zugeknüpft, ernst und von festen Überzeugungen geprägt” geschildert, als wirkungsvoll und Genie des Apparats”. Er hinterließ den Eindruck eines jungen, zuverlässigen Apparatchiks, der von der Macht und seiner Aufgabe fasziniert war.

Schon während der Schulzeit hatte Milosevic seine jetzige Frau Mira Markovic kennengelernt. Diese hatte als Kleinkind ihre Mutter verloren. Es war eine verwickelte und tragische Geschichte. Die Mutter war während des Weltkriegs Sekretärin der Belgrader Kommunistischen Partei gewesen. Sie wurde von der Gestapo verhaftet und später verdächtigt, unter Folter Namen preisgegeben zu haben. Noch während des Krieges wurde sie als “Verräterin” von den Kommunisten erschossen. Mira glaubte nicht an den Verrat ihrer Mutter und verehrte sie grenzenlos. Ihr Vater war ein bekannter Politkommissar bei den Partisanen.

Slobodan und Mira kamen somit beide aus einem kommunistisch geprägten Umfeld und hatten ihre jeweilige Mutter durch einen gewaltsamen Tod verloren. Es heißt, daß Miras Kindheit von der Tragödie ihrer Mutter überschattet war und daß sie sich davon nie hat befreien können. Insider schreiben ihr noch heute, als Führerin der Jugoslawischen Linkspartei (JUL) und einer der einflußreichsten Berater ihres Mannes, die Sensibilität eines Kindes zu. Es fehle ihr jeglicher Sinn für Realität. Dagegen besitze sie ein sicheres Gefühl für Gefahr und verstehe es meisterhaft, die Menschen zu täuschen. In ihrem Tagebuch, das sie während des Bosnien-Krieges von 1992-95 führte, vermischen sich die lyrischen Ergüsse eines verträumten Mädchens mit regelrechten Anweisungen zur Vernichtung des Gegners. Ihr Biograph Slavoljub Djukiæ vermutet: Beim Ehepaar Miloševic handle es sich um zwei Menschen, die sich aufgrund ihres persönlichen Leids weit von der Gesellschaft entfernt hätten und die nach dem Unglück der Gesellschaft geradezu süchtig seien. Da hätten sich offenbar zwei Unglückliche gefunden, und ihre Liebe nähre sich aus dem Unglück der Welt: eine psychologische Interpretation, auf deren Stichhaltigkeit hier nicht eingegangen werden kann und soll.

Miloševics weitere Karriere wurde entscheidend durch seinen Mentor Ivan Stambolic bestimmt, einen der führenden Köpfe des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens und des Bundes der Kommunisten Serbiens. Durch ihn erhielt Miloševic schon 1973 (als 22jähriger) eine leitende Position in der Firma Tehnogas, später eine führende Position bei der Belgrader Bank. Zugleich avancierte er zum Vorsitzenden des Belgrader Parteikomitees. Im Mai 1986 begann sein kometenhafter Aufstieg, als er mit Unterstützung Stambolics zum Präsidenten der Kommunisten Serbiens und anderthalb Jahre später (im Dezember 1987) - - nachdem er seinen langjährigen Mentor verraten und sich als nationalistischer Hoffnungsträger profiliert hatte - zum Präsidenten der Republik Serbien gewählt wurde.

Miloševics Rolle und seine politischen Ziele lassen sich aber nicht allein (und nicht einmal in erster Linie) aus seiner Biographie erklären. Sie sind eingebettet in ein kompliziertes ideologisch-mentales Umfeld, in dessen Schnittpunkt Kosovo und die “serbische Frage” stehen.

Kommen wir zu Kosovo: Was hat Kosovo mit Serbien zu tun? Vor Beginn der jüngsten Flucht- und Vertreibungswellen sollen mehr als 90 Prozent der Bevölkerung des Kosovo Muslime, die überwiegende Mehrheit davon Albaner, gewesen sein. Die genaue Zahl kennt niemand, da die Kosovo-Albaner die jugoslawische Volkszählung von 1991 boykottierten. Amtlicherseits wurde die Zahl der Albaner i.J.1991 auf 1,6 Millionen (= 82% der Kosovo-Bevölkerung) beziffert. Die Zahl der Serben wurde mit 194.000 (= 10% der Bevölkerung) angegeben. Die ethnische und konfessionelle Struktur des Kosovo unterschied sich damit grundlegend von derjenigen in Bosnien- Herzegowina vor dem Krieg von 1992-95 oder von derjenigen in der “Republik Krajina” auf kroatischem Boden Anfang der 90er Jahre. Anders als Bosnien oder die Krajina war Kosovo nahezu ethnisch homogen; homogener als viele “Nationalstaaten” und weitaus homogener als die Republik Serbien in ihrer Gesamtheit. Kosovo war annähernd albanisch homogen, während Serben und Montenegriner nur eine kleine Minderheit stellten. Von allen im früheren Jugoslawien beheimateten Serben (insgesamt 8,1 Millionen) lebten in Kosovo Anfang der 80er Jahre nur 2,6 Prozent. Kosovo war damit alles andere als ein Zentrum des serbischen Siedlungsraums. Es stellte dessen Peripherie dar. Obwohl oder weil in Kosovo 1981 nur noch weniger als drei Prozent aller Serben lebten und ihr Anteil an der dortigen Bevölkerung auf 13% gesunken war, während er 1948 noch fast 24% betragen hatte, rückte die Autonome Provinz zunehmend ins Zentrum eines revitalisierten serbischen Nationalismus.

Was in den 80er und 90er Jahren in und um Kosovo passierte, ist nur vor dem Hintergrund dessen zu verstehen, was als ”historisches Gedächtnis” der Serben apostrophiert wird: eine mit Mythen durchsetzte Erinnerungskultur, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts zum ideologischen Kern der serbischen Identität (zu einer Art politischer Theologie) geformt worden war. Die Vorstellung von Kosovo als ”Wiege” des mittelalterlichen Serbien, als Ort der ”heiligen Erzählung des serbischen Volkes”, als “serbisches Jerusalem” sowie die pathetische Erinnerung an die Schlacht auf dem Amselfeld am St. Veits-Tag (28. Juni) 1389 bilden die beiden Grundkomponenten des Kosovo- Mythos. Zum Arsenal dieses Mythos gehören das Gelübde von Kosovo, der Verrat des Vuk Brankoviæ, das Opfer des Miloš Obiliæ und das Genozid-Trauma.

Nach Auskunft der mündlichen Überlieferung habe der serbische Fürst Lazar, der das antiosmanische Heer befehligte, vor der Schlacht gelobt, daß er den ehrenhaften Tod einem Leben in Schande vorziehe. Lazar habe sich damit für die “ewige Freiheit” und das ”himmlische Reich” entschieden und die militärische Niederlage in einen transzendenten Sieg verwandelt. Bald nach seiner Enthauptung auf dem Amselfeld wurde er von der serbischen Kirche heilig gesprochen, - wie viele andere mittelalterliche serbische Herrscher vor ihm. Mit dem Lazar-Kult und dem St. Veits- Kult sowie den anderen Heiligenkulten für die Herrscher aus der Dynastie Nemanja wurden die Erinnerung an das mittelalterliche Serbien und das Gelübde von Kosovo sowie die Transzendenz- Vorstellungen vom ”himmlischen Reich” und vom ”himmlischen Volk (”nebeski narod”) über Generationen hinweg weitergegeben. Der analog zur Judas-Legende gestaltete Verratsmythos, demzufolge ein Gefolgsmann Lazars seinen Herrn (und mit ihm das gesamte Serbentum) nach einem Abendmahl am Vorabend der Schlacht verraten habe, sowie das Heldentum des legendären Sultan- Mörders, der sein Leben opferte, um die Serben zu rächen, enthalten klare Botschaften: der Tod ist einem Leben in Schande vorzuziehen; Heldentum und Opferbereitschaft ebnen den Weg zum ”himmlischen Reich”; Uneinigkeit und Verrat stürzen das Volk ins Verderben.

Die Schlacht von 1389 wurde schon kurz darauf (wenngleich historisch unzutreffend) als Untergang des serbischen Reiches, als ”größte Katastrophe” und als ”Schicksalswende” in der serbischen Geschichte gedeutet. Mit ihr hätten die ”fünfhundertjährige Sklaverei” durch die Türken, der ”Genozid” (!) und die “Pogrome” an den Serben ihren Anfang genommen. Das multiethnische und multikonfessionelle Osmanische Reich, das rund ein halbes Jahrtausend den Balkanraum beherrschte, gilt nicht nur den Serben, sondern auch den anderen Balkanvölker als “Reich des Bösen schlechtin”. Die 500 Jahre “türkischem Joch” werden als Unzeit verstanden, und alles, was während dieser Unzeit geschehen ist, ist Unrecht und bedarf der Korrektur: uneingeschränkt und mit allen Mitteln.

Der Kosovo-Mythos unterscheidet sich nicht grundlegend von den Mythen anderer europäischer Nationen samt ihren verschlüsselten Botschaften von Freiheit, Christentum, Heldenmut, Opferbereitschaft und ähnlichem. Als bloße Erinnerungskultur bereitet er keine Probleme. Seine Brisanz erhält er aus der Tatsache, daß der konkrete Ort des Erinnerns von den ”Erbfeinden” der serbischen Nation in Besitz genommen wurde und daß die Spannungen zwischen Serben und Albanern als Fortsetzung des (angeblich) jahrhundertelangen Kampfes zwischen ”Christentum und Islam” (als Teil des ”clash of civilizations”) verstanden werden. Die Albaner werden gleich den bosnischen Muslimen für den “Genozid” am serbischen Volk während des “türkischen Jochs” in die Verantwortung genommen: Daraus wird der Anspruch auf Wiedergutmachung erlittenen Unrechts und die “Rechtfertigung” antialbanischer Politik im 20. Jahrhundert abgeleitet: eine ebenso atavistische wie historisch verworrene, wissenschaftlich abstruse Argumentation. Doch die serbische Erinnerungskultur erhielt dadurch eine aktuelle handlungsrelevante und politische Komponente.
 
Teil 2

Sie war Teil jenes politischen Langzeitprogramms, das der Innenminister des Fürstentums Serbien, Ilija Garašanin, im Jahre 1844 in einem Geheimdokument entworfen hatte. Garasanin erblickte das Hauptziel der serbischen Politik in der Wiederherstellung des mittelalterlichen Reiches unter Zar Stefan Dušan (aus der ersten Hälfte des 14. Jh.). Und er verstand die Restitution dieses Reiches als “heiliges historisches Recht” der Serben. Die Errichtung eines großserbischen Staates (unter Einschluß des Kosovo, Makedoniens, Bosnien-Herzegowinas und einiger weiterer Gebiete) galt seither als Leitziel serbisch-nationaler Politik, als politisches Testament bzw. als Vermächtnis der Ahnen, das einzulösen, Pflicht und Gebot jedes “wahren Serben” sei.

Im Zuge der Balkankriege von 1912/13 wurde Kosovo schließlich (nach 450jähriger osmanischer Herrschaft) von serbischen Truppen erobert. Die Serben sagen: Kosovo wurde “befreit”. Aber was heißt das? Ein Territorium ist nicht frei oder unfrei. Frei oder unfrei sind die Menschen, die darauf leben. Die Mehrheit der Bevölkerung in dem vom “türkischen Joch befreiten” Kosovo waren jedoch Albaner. In drei der vier Verwaltungsbezirke dieser Provinz waren nach Ausweis der Volkszählung von 1921 zwischen 60 und 65 Prozent, im vierten Bezirk (im Westen des Kosovo) sogar 80 Prozent der Bevölkerung albanischsprachig. Der Anteil der Muslime an der Bevölkerung der vier Bezirke schwankte zwischen 71% und 80%.

Diesem Tatbestand kann man entgegenhalten (und dies ist auch geschehen), daß es sich gar nicht um Albaner gehandelt habe, sondern um Serben (bzw. “Kryptoserben”), die zwangsweise zum Islam konvertiert wurden und die albanische Sprache angenommen hätten. Ausgeschlossen ist dies nicht, obwohl es sich nicht im größeren Maßstab beweisen läßt. Aber auch der Umkehrschluß gilt: Man kann nicht ausschließen, daß ein Teil der serbischen Bevölkerung “eigentlich” Albaner sind, obwohl man dies - von Einzelfällen abgesehen - ebenfalls nicht beweisen kann. Der ganze Diskurs über Abstammung und Blut ist nicht nur hoffnungslos antiquiert, sondern auch empirisch weitgehend unbelegbar. Tatsache dagegen ist, daß niemand die Menschen in Kosovo im Gefolge ihrer “Befreiung” nach ihren politischen Wünschen und Zielen gefragt hat. Die Formel von der “Befreiung” ist politische Rhetorik. Nicht mehr und nichts anderes.

Im Verlauf des Jahres 1913 wurde die politische Karte des zentralen Balkanraums in einseitigen Akten der Balkanstaaten sowie in mehreren internationalen Verhandlungsrunden neu gestaltet. Die Betroffenen wurden nicht gefragt. Der serbische König Peter Karadjordjevic verkündete am 7. September 1913 die Annexion der eroberten Gebiete. Seither ist Kosovo (mit einigen Modifizierungen) Teil Serbiens, das Ende 1918 im ersten jugoslawischen Staat aufging. Die Verhandlungen des Jahres 1913 waren begleitet von heftigen serbisch-albanischen Kämpfen, von massiven Ausschreitungen serbischer Truppen und paramilitärischer Einheiten (Tschetniks) gegen die albanische Bevölkerung, von Massenflucht, Vertreibung und Zwangsbekehrungen zur Orthodoxie (kurz: von dem, was seit einigen Jahren unter dem Begriff “ethnische Säuberungen” zusammengefaßt wird).

Ein zeitgenössischer österreichischer Sozialist bezeichnete die Geschehnissen von 1913 als “Albaniens Golgatha”. Es waren v.a. die Sozialisten, an ihrer Spitze Leo Trockij und der serbische Sozialist Dimitrije Tucovic, die die serbischen Massaker an der albanischen Bevölkerung öffentlich anprangerten. Aber nicht nur die Sozialisten, sondern auch die von der Carnegie-Stiftung eingesetzte internationale Enquete-Kommission dokumentierte die “ethnischen Säuberungen” im zentralen Balkanraum, die sich kaum von den “ethnischen Säuberungen” der Gegenwart unterschieden, sofern man von den zwischenzeitlich erfolgten “Vervollkommnungen” absieht.

“Das rücksichtslose Vorgehen Serbiens in seinem annektierten Gebiet ließ ausländische Beobachter zu dem Schluß kommen, der Staat verfolge hier einen von vorneherein in Einzelheiten genau festgelegten Plan, dessen leitende Gesichtspunkte in der Serbisierung der nicht-serbischen Bevölkerung bestünden, in der Eliminierung aller widerstrebenden Elemente und in der Beschlagnahme des nicht-serbischen Grundbesitzes und dessen Neubesiedlung mit Serben.... Die serbische Verwaltung, so ein britischer Diplomat, sei unendlich viel schlimmer als die türkische. Es könne zwar sein, daß sich dies auf lange Sicht hin - er ging von zwei Jahrhunderten aus - ändere, aber im Moment stelle sie einen Fluch dar.”

Niemand, der die Ereignisse von 1913 kennt, wird ernsthaft behaupten können, daß die durch Friedensverträge völkerrechtlich (indirekt) anerkannte Souveränität Serbiens bzw. Jugoslawiens über Kosovo irgend etwas mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker oder mit dem Respekt vor Menschenrechten zu tun hat. Nicht alles, was völkerrechtlich sanktioniert wurde, ist seinem Ursprung nach sakrosankt. Oft handelt es sich um post factum erfolgte Legalisierungen von Eroberungs- oder Gewaltakten bzw. um eine Art Verrechtlichung von Unrecht. Jürgen Habermas hat darauf hingewiesen, daß “die Subjekte des Völkerrechts mit den Blutspuren, die sie in der Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts hinterlassen haben, die Unschuldsvermutung des klassischen Völkerrechts längst ad absurdum geführt haben”

Zu dem ideologischen Umfeld, in dem Miloševic seit 1987 agierte, gehört neben dem Kosovo- Mythos und dem politischen Langzeitprogramm Ilija Garašanins auch ein latenter anti-albanischer Rassismus, der sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts herausgebildet hat. Der im Kampf gegen das Osmanische Reich proklamierte Grundsatz “Der Balkan den Balkanvölkern” enthielt eine klare Zweiteilung der Bevölkerung: in solche, die (wie Serben und Griechen) ein Anrecht auf einen eigenen Staat (unter Reklamation des Selbstbestimmungsrechts oder “historischer Rechte”) hatten, und solche, denen dieses Recht verweigert wurde (z.B. Albanern).

Verweigert wurde es ihnen im Geist klassischer Kolonialargumentation Die Albaner müßten zunächst “zivilisiert” werden. Den serbischen und griechischen “Kulturträgern” standen die unzivilisierten “Rothäute Europas” gegenüber. Und das Bild des “Wilden” diente nicht zuletzt zur Rechtfertigung rücksichtsloser “Zivilisierungsmaßnahmen”. Die Formulierung “Rothäute Europas” stammt aus einer 1913 in Leipzig veröffentlichten Broschüre des serbischen Gelehrten und Ministerpräsidenten Vladan Djordjevic. Ein erheblicher Teil derjenigen, die man “Albanesen” nenne, so Djordjevic, seien gar keine Albaner (“obwohl sie albanesich sprechen”), sondern “slawische und römische Typen, sie sind slawisierte und romanisierte Dardaner, Skordisken, Bessi, Triballen usw.” Die kleine Gruppe der “echten” Albaner bzw. “Arnauten” beschreibt der Autor mit folgenden Worten: “Der arnautische Typus ist mager und klein, in ihm ist etwas Sinti und Romahaftes, Phönizisches. Nicht bloß an die Phönizier erinnern die Albanesen, sondern auch an die Urmenschen, welche auf den Bäumen schliefen, an denen sie sich mit ihren Schweifen festhielten. Durch die späteren Jahrtausende, in denen der menschliche Schweif nicht mehr gebraucht wurde, verkümmerte derselbe so, daß die heutigen Menschen bloß eine kleine Spur davon in den Knöchelchen des Steißbeines besitzen. Bloß unter den Albanesen scheint es noch geschwänzte Menschen im XIX. Jahrhundert gegeben zu haben.”

Djordjevics Broschüre war keine Satire, sondern eine Kampfschrift zur Verhinderung der albanischen Staatsgründung und zur Verweigerung eines albanischen Selbstbestimmungsrechts. Vom “Urmenschen” zum “Unmenschen” war es nicht weit. Die Diktion von Djordjevics Pamphlet erinnert an jene Parolen über “Mißgeburten” und “Unmenschen”, die Ende der 80er Jahre auf den von Slobodan Miloševic in Serbien organisierten “Meetings” zu lesen oder zu hören waren. Miloševic selbst soll nach Informationen der Neuen Zürcher Zeitung vom 25. März 1999 in einem Schreiben an den britischen und französischen Außenminister erklärt haben, daß die Serben in Kosovo ihre historische Würde verteidigen gegen “Ratten, die keine Ahnung von Würde und Geschichte” haben. (Im Vergleich zu Miloševics Rhetorik nehmen sich die Formulierungen von Djordjevic geradezu hausbacken aus.)

Die Haltung serbischer Nationalisten gegenüber den Albanern schwankte längere Zeit zwischen Exklusion und Inklusion. Einerseits wurden sie ausgegrenzt und als “Türken” stigmatisiert (stigmatisiert insofern, als die Bezeichnung “Türken” mit dem “türkischen Joch” assoziiert wurde). Andererseits wurden sie (zumindest partiell) für das serbische Volkstum reklamiert, wobei es zwei Varianten gab: das Paradigma vom “verlorenen Sohn” und das Paradigma des “Verräters”. Gemäß der ersten Variante mußte der “verlorene Sohn”, der infolge tragischer Umstände (“türkisches Joch”) Sprache und Glaube seiner Väter aufgegeben hatte, in den Schoß der Familie zurückgeholt werden (Assimilierungsstrategie). Wer sich uneinsichtig zeigte, galt als Verräter und war dementsprechend zu behandeln (Bestrafungsstrategie). Die Albaner zeigten sich uneinsichtig und bekamen die ganze Härte der “Zivilisierung” zu spüren.

Die antialbanischen Ressentiments bzw. der latente antialbanische Rassismus in Teilen der serbischen Gesellschaft wurde seit 1987 von Miloševic gezielt und systematisch politisch instrumentalisiert. Bevor aus den ausufernden, folkloristischen und historisch verzerrten ”Bildern” konkrete nationale Politik werden konnte, mußten sie strukturiert, fokussiert und aktualisiert werden. Dies geschah nicht spontan, nicht von unten, durch die ”vox populi”, war nicht der “Wille des serbischen Volkes”, sondern das Werk der Deutungs- und Sinngebungseliten. Akademiker, Schriftsteller und Geistliche bildeten die Vorhut der nationalistisch-ideologischen Aufrüstung in Serbien während der 80er Jahre. Den Auftakt bildete ein Appell, den 21 serbisch-orthodoxe Priester und Mönche im April 1982 an die kommunistische Führung Jugoslawiens und Serbiens richteten. Darin erklärten sie, daß das Thema Kosovo nicht dem Verstand, sondern der Emotion, nicht der Analyse, sondern dem Eifer gehöre. Und vor allem gehöre es nicht den Lebenden, sondern den Toten. Am wenigsten den lebenden Albanern, am meisten den toten Serben. Diese würden seit Jahrhunderten verfolgt und seien gegenwärtig abermals Opfer der Verfolgung. Ohne alle Übertreibung könne man behaupten, so die Geistlichen, daß das serbische Volk in Kosovo einen “langsamen, gut geplanten Genozid” erleide.

Es folgte der sog. “Fall Martinovic” vom Frühjahr 1985 - die angebliche (aber nie restlos aufgeklärte) sexuelle Mißhandlung eines Serben durch Albaner, die in der serbischen Presse monatelang für maßlos überzogene und hysterische Berichte sorgte. Selbst im jugoslawischen Bundesparlament kam es darüber zu einer Aussprache. Im Herbst 1985 stellte der serbische Nationalist Kosta Bulatovic eine serbische Klageschrift, die sog. “Petition der 2016” zusammen, in der die Unterzeichner um Schutz für die serbische Bevölkerung Kosovos baten. Ebenfalls 1985 veröffentlichte der serbische Historiker Dimitrije Bogdanovic eine polemisch durchsetzte Geschichte Kosovos, in der er die These vertrat, die dortigen Albaner bedrohten die Serben durch eine Art biologischen Genocids. Im Februar 1986 übergaben 160 Serben und Montenegriner aus dem Kosovo dem jugoslawischen Bundesparlament einen Beschwerdekatalog. Schon einen Monat zuvor hatten 216 serbische Intellektuelle unter Führung des Romanciers und späteren Präsidenten Rest- Jugoslawiens Dobrica Cosic eine Petition unterzeichnet, in der die Kosovo-Serben zu Opfern eines “Genocids” erklärt wurden.

Ihre “akademische Würde” erhielten die antialbanischen Ressentiments sowie die nationalen Gravamina der Serben durch das sog. Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften von 1986. Der erste Teil des ”Memorandums” war der ”Krise der jugoslawischen Wirtschaft und Gesellschaft” gewidmet. Darin konstatierten die Autoren eine umfassende politische, wirtschafliche und moralische Krise in allen Bereichen von Gesellschaft und Staat. Die jugoslawische Wirklichkeit, insbesondere die wirtschaftliche Entwicklung, das Selbstverwaltungssystem, die übermäßige Dezentralisierung der Föderation seit Ende der 60er Jahre, die Aufspaltung der jugoslawischen Wirtschaft in acht Subökonomien, der Trend zur Eigenstaatlichkeit bei Republiken und Provinzen und die Politik des BdKJ wurden einer schonungslosen Kritik unterzogen. Die Föderation habe aufgehört zu funktionieren. Das politische System Jugoslawiens sei widersprüchlich, dysfunktional und teuer; es sei weder rational noch modern. Die gesellschaftliche Ordnung des Landes befinde sich ”offenbar im Zustand der Paralyse.” Sehr wahr gesprochen!

Der zweite Hauptteil des Memorandums befaßte sich mit der ”Lage Serbiens und des serbischen Volkes”. Er bildete den Kern dessen, was fortan als ”serbisches Nationalprogramm” verstanden wurde. Schon im ersten Absatz wurden die langjährige Vernachlässigung der serbischen Wirtschaft, die ungeklärten staatlichen Beziehungen Serbiens zur Föderation und zu den autonomen Provinzen sowie der ”Genozid” am serbischen Volk in Kosovo als jene drei Schlüsselfragen herausgestellt, die nicht nur das serbische Volk, sondern auch die Stabilität ganz Jugoslawiens gefährdeten. Den Grund für die behauptete wirtschaftliche und politische Diskriminierung ihrer Republik sahen die Verfasser des Memorandums in einer jahrzehntelangen Verschwörung Kroatiens und Sloweniens gegen Serbien, - angeführt durch den Kroaten Tito und den Slowenen Edvard Kardelj, den langjährigen (1979 verstorbenen) Chefideologen des BdKJ.

Zu höchster Dramatik steigerte sich das ”Memorandum” bei der Darstellung der Situation in Kosovo: In düstersten Farben wurde der “physische, politische, rechtliche und kulturelle Genozid (!) an der serbischen Bevölkerung” Kosovos beschworen. Seit Frühjahr 1981 (seit den damaligen Demonstrationen der Albaner) würde gegen die Serben in Kosovo ein “offener und totaler Krieg” geführt. Brandstiftungen, Morde, Vergewaltigungen serbischer Frauen und Schändungen religiöser Stätten seien an der Tagesordnung. Die Autoren behaupteten, daß in den letzten zwanzig Jahren rd. 200.000 Serben infolge ihrer Diskrimierung das Kosovo-Gebiet verlassen hätten. Ausdrücklich erwähnten sie den “Fall Martinovic” und die “Petition der 2016” als Beweis für den “physischen, moralischen und psychologischen Terror”, dem die Serben in Kosovo ausgesetzt seien.

Nicht minder düster wurde die Lage der Serben in Kroatien geschildert. Mit Ausnahme der Jahre 1941-45 seien die Serben in Kroatien nie so bedroht gewesen wie in den 80er Jahren. Eine Fülle weiterer Klagen schloß sich an: über Serbophobie und antiserbischen Chauvinismus, über die Diskriminierung des serbischen Volkes in Jugoslawien, über seine politische, ökonomische sowie kulturelle Verarmung usw. Die Serben, die in den letzten beiden Kriegen 2,5 Millionen Mitbürger verloren hätten, seien auch nach vier Jahrzehnten im neuen Jugoslawien die einzige Nation, die ”keinen eigenen Staat” habe. Eine schlimmere historische Niederlage in Friedenszeiten sei nicht vorstellbar.
 
Teil 2

Sie war Teil jenes politischen Langzeitprogramms, das der Innenminister des Fürstentums Serbien, Ilija Garašanin, im Jahre 1844 in einem Geheimdokument entworfen hatte. Garasanin erblickte das Hauptziel der serbischen Politik in der Wiederherstellung des mittelalterlichen Reiches unter Zar Stefan Dušan (aus der ersten Hälfte des 14. Jh.). Und er verstand die Restitution dieses Reiches als “heiliges historisches Recht” der Serben. Die Errichtung eines großserbischen Staates (unter Einschluß des Kosovo, Makedoniens, Bosnien-Herzegowinas und einiger weiterer Gebiete) galt seither als Leitziel serbisch-nationaler Politik, als politisches Testament bzw. als Vermächtnis der Ahnen, das einzulösen, Pflicht und Gebot jedes “wahren Serben” sei.

Im Zuge der Balkankriege von 1912/13 wurde Kosovo schließlich (nach 450jähriger osmanischer Herrschaft) von serbischen Truppen erobert. Die Serben sagen: Kosovo wurde “befreit”. Aber was heißt das? Ein Territorium ist nicht frei oder unfrei. Frei oder unfrei sind die Menschen, die darauf leben. Die Mehrheit der Bevölkerung in dem vom “türkischen Joch befreiten” Kosovo waren jedoch Albaner. In drei der vier Verwaltungsbezirke dieser Provinz waren nach Ausweis der Volkszählung von 1921 zwischen 60 und 65 Prozent, im vierten Bezirk (im Westen des Kosovo) sogar 80 Prozent der Bevölkerung albanischsprachig. Der Anteil der Muslime an der Bevölkerung der vier Bezirke schwankte zwischen 71% und 80%.

Diesem Tatbestand kann man entgegenhalten (und dies ist auch geschehen), daß es sich gar nicht um Albaner gehandelt habe, sondern um Serben (bzw. “Kryptoserben”), die zwangsweise zum Islam konvertiert wurden und die albanische Sprache angenommen hätten. Ausgeschlossen ist dies nicht, obwohl es sich nicht im größeren Maßstab beweisen läßt. Aber auch der Umkehrschluß gilt: Man kann nicht ausschließen, daß ein Teil der serbischen Bevölkerung “eigentlich” Albaner sind, obwohl man dies - von Einzelfällen abgesehen - ebenfalls nicht beweisen kann. Der ganze Diskurs über Abstammung und Blut ist nicht nur hoffnungslos antiquiert, sondern auch empirisch weitgehend unbelegbar. Tatsache dagegen ist, daß niemand die Menschen in Kosovo im Gefolge ihrer “Befreiung” nach ihren politischen Wünschen und Zielen gefragt hat. Die Formel von der “Befreiung” ist politische Rhetorik. Nicht mehr und nichts anderes.

Im Verlauf des Jahres 1913 wurde die politische Karte des zentralen Balkanraums in einseitigen Akten der Balkanstaaten sowie in mehreren internationalen Verhandlungsrunden neu gestaltet. Die Betroffenen wurden nicht gefragt. Der serbische König Peter Karadjordjevic verkündete am 7. September 1913 die Annexion der eroberten Gebiete. Seither ist Kosovo (mit einigen Modifizierungen) Teil Serbiens, das Ende 1918 im ersten jugoslawischen Staat aufging. Die Verhandlungen des Jahres 1913 waren begleitet von heftigen serbisch-albanischen Kämpfen, von massiven Ausschreitungen serbischer Truppen und paramilitärischer Einheiten (Tschetniks) gegen die albanische Bevölkerung, von Massenflucht, Vertreibung und Zwangsbekehrungen zur Orthodoxie (kurz: von dem, was seit einigen Jahren unter dem Begriff “ethnische Säuberungen” zusammengefaßt wird).

Ein zeitgenössischer österreichischer Sozialist bezeichnete die Geschehnissen von 1913 als “Albaniens Golgatha”. Es waren v.a. die Sozialisten, an ihrer Spitze Leo Trockij und der serbische Sozialist Dimitrije Tucovic, die die serbischen Massaker an der albanischen Bevölkerung öffentlich anprangerten. Aber nicht nur die Sozialisten, sondern auch die von der Carnegie-Stiftung eingesetzte internationale Enquete-Kommission dokumentierte die “ethnischen Säuberungen” im zentralen Balkanraum, die sich kaum von den “ethnischen Säuberungen” der Gegenwart unterschieden, sofern man von den zwischenzeitlich erfolgten “Vervollkommnungen” absieht.

“Das rücksichtslose Vorgehen Serbiens in seinem annektierten Gebiet ließ ausländische Beobachter zu dem Schluß kommen, der Staat verfolge hier einen von vorneherein in Einzelheiten genau festgelegten Plan, dessen leitende Gesichtspunkte in der Serbisierung der nicht-serbischen Bevölkerung bestünden, in der Eliminierung aller widerstrebenden Elemente und in der Beschlagnahme des nicht-serbischen Grundbesitzes und dessen Neubesiedlung mit Serben.... Die serbische Verwaltung, so ein britischer Diplomat, sei unendlich viel schlimmer als die türkische. Es könne zwar sein, daß sich dies auf lange Sicht hin - er ging von zwei Jahrhunderten aus - ändere, aber im Moment stelle sie einen Fluch dar.”

Niemand, der die Ereignisse von 1913 kennt, wird ernsthaft behaupten können, daß die durch Friedensverträge völkerrechtlich (indirekt) anerkannte Souveränität Serbiens bzw. Jugoslawiens über Kosovo irgend etwas mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker oder mit dem Respekt vor Menschenrechten zu tun hat. Nicht alles, was völkerrechtlich sanktioniert wurde, ist seinem Ursprung nach sakrosankt. Oft handelt es sich um post factum erfolgte Legalisierungen von Eroberungs- oder Gewaltakten bzw. um eine Art Verrechtlichung von Unrecht. Jürgen Habermas hat darauf hingewiesen, daß “die Subjekte des Völkerrechts mit den Blutspuren, die sie in der Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts hinterlassen haben, die Unschuldsvermutung des klassischen Völkerrechts längst ad absurdum geführt haben”

Zu dem ideologischen Umfeld, in dem Miloševic seit 1987 agierte, gehört neben dem Kosovo- Mythos und dem politischen Langzeitprogramm Ilija Garašanins auch ein latenter anti-albanischer Rassismus, der sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts herausgebildet hat. Der im Kampf gegen das Osmanische Reich proklamierte Grundsatz “Der Balkan den Balkanvölkern” enthielt eine klare Zweiteilung der Bevölkerung: in solche, die (wie Serben und Griechen) ein Anrecht auf einen eigenen Staat (unter Reklamation des Selbstbestimmungsrechts oder “historischer Rechte”) hatten, und solche, denen dieses Recht verweigert wurde (z.B. Albanern).

Verweigert wurde es ihnen im Geist klassischer Kolonialargumentation Die Albaner müßten zunächst “zivilisiert” werden. Den serbischen und griechischen “Kulturträgern” standen die unzivilisierten “Rothäute Europas” gegenüber. Und das Bild des “Wilden” diente nicht zuletzt zur Rechtfertigung rücksichtsloser “Zivilisierungsmaßnahmen”. Die Formulierung “Rothäute Europas” stammt aus einer 1913 in Leipzig veröffentlichten Broschüre des serbischen Gelehrten und Ministerpräsidenten Vladan Djordjevic. Ein erheblicher Teil derjenigen, die man “Albanesen” nenne, so Djordjevic, seien gar keine Albaner (“obwohl sie albanesich sprechen”), sondern “slawische und römische Typen, sie sind slawisierte und romanisierte Dardaner, Skordisken, Bessi, Triballen usw.” Die kleine Gruppe der “echten” Albaner bzw. “Arnauten” beschreibt der Autor mit folgenden Worten: “Der arnautische Typus ist mager und klein, in ihm ist etwas Sinti und Romahaftes, Phönizisches. Nicht bloß an die Phönizier erinnern die Albanesen, sondern auch an die Urmenschen, welche auf den Bäumen schliefen, an denen sie sich mit ihren Schweifen festhielten. Durch die späteren Jahrtausende, in denen der menschliche Schweif nicht mehr gebraucht wurde, verkümmerte derselbe so, daß die heutigen Menschen bloß eine kleine Spur davon in den Knöchelchen des Steißbeines besitzen. Bloß unter den Albanesen scheint es noch geschwänzte Menschen im XIX. Jahrhundert gegeben zu haben.”

Djordjevics Broschüre war keine Satire, sondern eine Kampfschrift zur Verhinderung der albanischen Staatsgründung und zur Verweigerung eines albanischen Selbstbestimmungsrechts. Vom “Urmenschen” zum “Unmenschen” war es nicht weit. Die Diktion von Djordjevics Pamphlet erinnert an jene Parolen über “Mißgeburten” und “Unmenschen”, die Ende der 80er Jahre auf den von Slobodan Miloševic in Serbien organisierten “Meetings” zu lesen oder zu hören waren. Miloševic selbst soll nach Informationen der Neuen Zürcher Zeitung vom 25. März 1999 in einem Schreiben an den britischen und französischen Außenminister erklärt haben, daß die Serben in Kosovo ihre historische Würde verteidigen gegen “Ratten, die keine Ahnung von Würde und Geschichte” haben. (Im Vergleich zu Miloševics Rhetorik nehmen sich die Formulierungen von Djordjevic geradezu hausbacken aus.)

Die Haltung serbischer Nationalisten gegenüber den Albanern schwankte längere Zeit zwischen Exklusion und Inklusion. Einerseits wurden sie ausgegrenzt und als “Türken” stigmatisiert (stigmatisiert insofern, als die Bezeichnung “Türken” mit dem “türkischen Joch” assoziiert wurde). Andererseits wurden sie (zumindest partiell) für das serbische Volkstum reklamiert, wobei es zwei Varianten gab: das Paradigma vom “verlorenen Sohn” und das Paradigma des “Verräters”. Gemäß der ersten Variante mußte der “verlorene Sohn”, der infolge tragischer Umstände (“türkisches Joch”) Sprache und Glaube seiner Väter aufgegeben hatte, in den Schoß der Familie zurückgeholt werden (Assimilierungsstrategie). Wer sich uneinsichtig zeigte, galt als Verräter und war dementsprechend zu behandeln (Bestrafungsstrategie). Die Albaner zeigten sich uneinsichtig und bekamen die ganze Härte der “Zivilisierung” zu spüren.

Die antialbanischen Ressentiments bzw. der latente antialbanische Rassismus in Teilen der serbischen Gesellschaft wurde seit 1987 von Miloševic gezielt und systematisch politisch instrumentalisiert. Bevor aus den ausufernden, folkloristischen und historisch verzerrten ”Bildern” konkrete nationale Politik werden konnte, mußten sie strukturiert, fokussiert und aktualisiert werden. Dies geschah nicht spontan, nicht von unten, durch die ”vox populi”, war nicht der “Wille des serbischen Volkes”, sondern das Werk der Deutungs- und Sinngebungseliten. Akademiker, Schriftsteller und Geistliche bildeten die Vorhut der nationalistisch-ideologischen Aufrüstung in Serbien während der 80er Jahre. Den Auftakt bildete ein Appell, den 21 serbisch-orthodoxe Priester und Mönche im April 1982 an die kommunistische Führung Jugoslawiens und Serbiens richteten. Darin erklärten sie, daß das Thema Kosovo nicht dem Verstand, sondern der Emotion, nicht der Analyse, sondern dem Eifer gehöre. Und vor allem gehöre es nicht den Lebenden, sondern den Toten. Am wenigsten den lebenden Albanern, am meisten den toten Serben. Diese würden seit Jahrhunderten verfolgt und seien gegenwärtig abermals Opfer der Verfolgung. Ohne alle Übertreibung könne man behaupten, so die Geistlichen, daß das serbische Volk in Kosovo einen “langsamen, gut geplanten Genozid” erleide.

Es folgte der sog. “Fall Martinovic” vom Frühjahr 1985 - die angebliche (aber nie restlos aufgeklärte) sexuelle Mißhandlung eines Serben durch Albaner, die in der serbischen Presse monatelang für maßlos überzogene und hysterische Berichte sorgte. Selbst im jugoslawischen Bundesparlament kam es darüber zu einer Aussprache. Im Herbst 1985 stellte der serbische Nationalist Kosta Bulatovic eine serbische Klageschrift, die sog. “Petition der 2016” zusammen, in der die Unterzeichner um Schutz für die serbische Bevölkerung Kosovos baten. Ebenfalls 1985 veröffentlichte der serbische Historiker Dimitrije Bogdanovic eine polemisch durchsetzte Geschichte Kosovos, in der er die These vertrat, die dortigen Albaner bedrohten die Serben durch eine Art biologischen Genocids. Im Februar 1986 übergaben 160 Serben und Montenegriner aus dem Kosovo dem jugoslawischen Bundesparlament einen Beschwerdekatalog. Schon einen Monat zuvor hatten 216 serbische Intellektuelle unter Führung des Romanciers und späteren Präsidenten Rest- Jugoslawiens Dobrica Cosic eine Petition unterzeichnet, in der die Kosovo-Serben zu Opfern eines “Genocids” erklärt wurden.

Ihre “akademische Würde” erhielten die antialbanischen Ressentiments sowie die nationalen Gravamina der Serben durch das sog. Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften von 1986. Der erste Teil des ”Memorandums” war der ”Krise der jugoslawischen Wirtschaft und Gesellschaft” gewidmet. Darin konstatierten die Autoren eine umfassende politische, wirtschafliche und moralische Krise in allen Bereichen von Gesellschaft und Staat. Die jugoslawische Wirklichkeit, insbesondere die wirtschaftliche Entwicklung, das Selbstverwaltungssystem, die übermäßige Dezentralisierung der Föderation seit Ende der 60er Jahre, die Aufspaltung der jugoslawischen Wirtschaft in acht Subökonomien, der Trend zur Eigenstaatlichkeit bei Republiken und Provinzen und die Politik des BdKJ wurden einer schonungslosen Kritik unterzogen. Die Föderation habe aufgehört zu funktionieren. Das politische System Jugoslawiens sei widersprüchlich, dysfunktional und teuer; es sei weder rational noch modern. Die gesellschaftliche Ordnung des Landes befinde sich ”offenbar im Zustand der Paralyse.” Sehr wahr gesprochen!

Der zweite Hauptteil des Memorandums befaßte sich mit der ”Lage Serbiens und des serbischen Volkes”. Er bildete den Kern dessen, was fortan als ”serbisches Nationalprogramm” verstanden wurde. Schon im ersten Absatz wurden die langjährige Vernachlässigung der serbischen Wirtschaft, die ungeklärten staatlichen Beziehungen Serbiens zur Föderation und zu den autonomen Provinzen sowie der ”Genozid” am serbischen Volk in Kosovo als jene drei Schlüsselfragen herausgestellt, die nicht nur das serbische Volk, sondern auch die Stabilität ganz Jugoslawiens gefährdeten. Den Grund für die behauptete wirtschaftliche und politische Diskriminierung ihrer Republik sahen die Verfasser des Memorandums in einer jahrzehntelangen Verschwörung Kroatiens und Sloweniens gegen Serbien, - angeführt durch den Kroaten Tito und den Slowenen Edvard Kardelj, den langjährigen (1979 verstorbenen) Chefideologen des BdKJ.

Zu höchster Dramatik steigerte sich das ”Memorandum” bei der Darstellung der Situation in Kosovo: In düstersten Farben wurde der “physische, politische, rechtliche und kulturelle Genozid (!) an der serbischen Bevölkerung” Kosovos beschworen. Seit Frühjahr 1981 (seit den damaligen Demonstrationen der Albaner) würde gegen die Serben in Kosovo ein “offener und totaler Krieg” geführt. Brandstiftungen, Morde, Vergewaltigungen serbischer Frauen und Schändungen religiöser Stätten seien an der Tagesordnung. Die Autoren behaupteten, daß in den letzten zwanzig Jahren rd. 200.000 Serben infolge ihrer Diskrimierung das Kosovo-Gebiet verlassen hätten. Ausdrücklich erwähnten sie den “Fall Martinovic” und die “Petition der 2016” als Beweis für den “physischen, moralischen und psychologischen Terror”, dem die Serben in Kosovo ausgesetzt seien.

Nicht minder düster wurde die Lage der Serben in Kroatien geschildert. Mit Ausnahme der Jahre 1941-45 seien die Serben in Kroatien nie so bedroht gewesen wie in den 80er Jahren. Eine Fülle weiterer Klagen schloß sich an: über Serbophobie und antiserbischen Chauvinismus, über die Diskriminierung des serbischen Volkes in Jugoslawien, über seine politische, ökonomische sowie kulturelle Verarmung usw. Die Serben, die in den letzten beiden Kriegen 2,5 Millionen Mitbürger verloren hätten, seien auch nach vier Jahrzehnten im neuen Jugoslawien die einzige Nation, die ”keinen eigenen Staat” habe. Eine schlimmere historische Niederlage in Friedenszeiten sei nicht vorstellbar.
 
1999


Hahaha - da tut der shipo einen Essey mitten aus der Kreigszeit herauskramen um gegen Serben zu hetzen, man man

als noch "Fakten" über 500.000 massakrierte Albaner durch die Medien geisterten, oder Hufeisenpläne, da het diese Feige Wurst auch gerne mitgehetzt, war ja gerade Serbenhetze höhepunkt
 
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