Türkei ist Trumpf
Der kürzeste Weg zu den aufstrebenden Märkten der Schwellenländer dauert knappe zwei Flugstunden. Die Türkei hält mit einem dynamischen Binnenmarkt sowie politischer und wirtschaftlicher Stabilität gleich mehrere Trümpfe in der Hand.
Die Einkaufstempel Istanbuls wirken wie ausgestorben. Die Einwohner der Millionenmetropole haben andere Sorgen, denen sie in langen Schlangen vor den Banken und Wechselstuben teilweise lautstark Ausdruck verleihen. Jeder versucht, zu retten, was zu retten ist, die herumgereichten Zukunftsprognosen überbieten einander an Aussichtslosigkeit. Es ist der Tag nach dem" Schwarzen Mittwoch" im Februar 2001, an dem die Istanbuler Börse nach einem schweren Zerwürfnis in der damaligen Regierung um fast ein Fünftel und die Lira zum Dollar um ein Drittel eingebrochen waren.
Inzwischen erstrahlt die Sonne so hell über dem Bosporus wie selten zuvor. Dazwischen liegen eine Rosskur des IWF inklusive zahlreicher Reformen - und natürlich zehn Jahre. Während in zahlreichen anderen Ländern noch an den Folgen der weltweiten Finanzkrise gekiefelt wird, brummt die Konjunktur in der Türkei längst wieder auf Hochtouren. "Dank der 2001er-Krise hat die Türkei den Test der globalen Finanzkrise erfolgreich bestanden", bringt es HSBC-Fondsmanager Ercan Güner auf den Punkt.
Der IWF musste diesmal nicht als Retter eingreifen, schließlich war die Krise von 2008 letzten Endes nicht mehr als ein kurzer Durchhänger in der türkischen Erfolgsstory. Das zeigt sich auch am Verschuldungsgrad der öffentlichen Hand, die im Vorjahr wieder unter die Marke von 45 Prozent des BIP gedrückt werden konnte. Eine Marke, von der die klammen und hoch verschuldeten Staaten Westeuropas und die USA nur träumen können.
Stabilitätspakt. Seit nunmehr neun Jahren hält die Regierungspartei AKP das Zepter fest in der Hand und brachte den Türken, was diese dringend benötigten: Stabilität, sowohl politisch als auch wirtschaftlich. In nackten Zahlen bedeutet das ein Absenken der Inflation von 77 Prozent im Krisenjahr 2001 auf knapp fünf Prozent im Jänner dieses Jahres. Gleichzeitig boomte die Wirtschaft mit hohen Wachstumsraten zwischen vier und sechs Prozent. Angesichts dieser wirtschaftlichen Erfolgsstory verwundert es nicht, dass auch für die im Juni anstehenden Parlamentswahlen niemand an einem neuerlichen Sieg der AKP zweifelt - gewissermaßen ein Stabilitätspakt auf Türkisch. "Die politische Stabilität hat bei den Auslandsinvestoren Vertrauen geschaffen", erklärt Marco Garcia, Handelsdelegierter der Wirtschaftskammer in Istanbul.
Angelockt hat das ausländische Kapital der stark expandierende Binnenmarkt, der im Gegensatz zu den exportorientierten asiatischen Tigerstaaten den Boom in der Türkei am Laufen hält. Da kommt die Bevölkerungsstruktur der Türkei ins Spiel: Im Gegensatz zu den alternden Staaten Europas wächst die Bevölkerung von 72 Millionen um über ein Prozent jährlich. Und das bei einem Durchschnittsalter von 28 Jahren - auch ein Mosaikstein für langfristiges Wirtschaftswachstum. Unterstützend wirkt auch das gesunde und strikt regulierte Finanzsystem, das bei vergleichsweise niedrigem Hebel profitablel arbeitet.
Achillesferse Leistungsbilanz. Natürlich hat die Medaille auch eine Kehrseite, und im Fall der Türkei ist es das Leistungsbilanzdefizit, das laufend durch Kapitalzuflüsse abgedeckt werden muss. Oder anders ausgedrückt: Mittel- bis langfristig muss der bisher schwächelnde Exportsektor angekurbelt werden. Hier gehen die Türken eigene Wege, wie WKÖ-Handelsdelegierter Garcia erläutert: "Die Türkei hat für uns exotische Märkte mit starken Wachstumsraten - etwa den Irak - vor der Haustür." Sowohl die geografische als auch die kulturelle Nähe begünstigt das Land am Bosporus dabei, diese Exportmärkte in Zukunft stärker zu erschließen.
Das Wirtschaftswachstum dürfte dabei eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Im Vorjahr kam es zu Nachholeffekten nach der Finanzkrise, die das Wachstum auf ungewöhnlich hohe 8,5 Prozent katapultierten. Für heuer ist wieder eine Normalisierung angesagt, der IWF erwartet ein Plus von 4,5 Prozent im laufenden Jahr. Derzeit bekämpft das Land wie so viele die Inflation. Allerdings mit etwas unorthodoxen Methoden: Zinssenkungen und begrenzte Geldmengen der Banken sollen nicht nur der Teuerung Einhalt gebieten, sondern auch ausländisches spekulatives Kapital in die Schranken weisen. Diese Maßnahmen haben nicht für Euphorie, sondern weltweit eher für Verwirrung gesorgt. Besonders bei den Rating-Agenturen, die wahrscheinlich heuer noch über ein Investment Grade-Rating des Landes entscheiden werden. "Das hohe Leistungsbilanzdefizit und die unkonventionellen Maßnahmen zur Eindämmung der Inflation könnten die Rating-Agenturen zögern lassen", erklärt Julia Wörz, Türkei-Analystin der Österreichischen Nationalbank.
Tacheles wird spätestens nach der Wahl im Juni geredet. Eine höhere Bewertung würde auf jeden Fall mehr Kapital von ausländischen Investoren anlocken, besonders von großen Pensionsfonds, die bei türkischen Anleihen zuschlagen könnten. Eine Aufwertung der türkischen Assets würde der Wirtschaft des Landes einen willkommenen Boost geben.
Junk-Status ade. Für HSBC-Fondsmanager Güner ist eine Rating-Aufwertung schon überfällig: "Die Zinsaufschläge türkischer Anleihen befinden sich auf dem Niveau von Südafrika oder Russland, die über ein Investment Grade-Rating verfügen. Wir glauben daher, dass die Türkei der nächste Kandidat für das Investment Grade ist, wahrscheinlich nach den Wahlen Mitte 2011." Auch WKÖ-Handelsdelegierter Marco Garcia erwartet, dass mit dem möglichen Erlangen des Investment Grades die nächste Stufe im türkischen Boom gezündet wird: "Dann wird noch mehr Geld ins Land kommen."
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