Und diese Interpretation hat einige Plausibilität auf ihrer Seite. Denn was die meisten Autoren, die Marx des Antisemitismus überführen wollen, nicht zitieren, sind eben jene Sätze, in denen Marx die "dem Juden" zugeschriebenen Elemente auf die ganze bürgerliche Gesellschaft bezieht. Im Judentum würde nämlich ein "allgemeines gegenwärtiges antisoziales Element" (MEW 1/372) erkennbar, an dem "die Juden in dieser schlechten Beziehung eifrig mitgearbeitet" hätten (373). Wir haben es nach Marx also mit einem allgemeinen Phänomen zu tun, dem zwar auch "der Jude" verfallen ist - aber eben nicht nur. Denn das Geld sei "durch ihn und ohne ihn" zur Weltmacht geworden und hätte eine bürgerlich-kapitalistische und nicht politische Form der Emanzipation des Judentums hervorgebracht: "Die Juden haben sich insoweit emanzipiert, als die Christen zu Juden geworden sind." (ebd.) "(...) in der jetzigen Gesellschaft", fährt Marx am Schluss seines Textes fort, "finden wir das Wesen des heutigen Juden, nicht als ein abstraktes, sondern als ein höchst empirisches Wesen, nicht nur als Beschränktheit des Juden, sondern als die jüdische Beschränktheit der Gesellschaft." Marx schließt mit den Worten: "Die gesellschaftliche Emanzipation des Juden ist die Emanzipation der Gesellschaft vom Judentum." (ebd.: 377)