Im Irak verliert die Terrormiliz IS die Kontrolle über Falludscha. Mit einem Entlastungsangriff an der türkischen Grenze wollen sich die Islamisten Luft verschaffen.
Die Region zwischen Aleppo und der türkischen Grenze ist zwischen dem IS, den Rebellen, syrischen Regierungstruppen und den Kurden aufgeteilt. Am Freitag war es dem IS gelungen, die Rebellenfront bei der Kleinstadt Marea mit Selbstmordanschlägen zu sprengen und damit die Verbindungsstraße zu kappen, über die der militärische und zivile Nachschub der gegnerischen Aufständischen von der Türkei über die Gremnzstadt Azaz nach Aleppo transportiert wird.
Laut Berichten von Nachrichtenagenturen und syrischen Twitter-Nutzern konnte der IS am Wochenende Marea umzingeln und in die 15.000-Einwohner-Stadt vorstoßen. Gleichzeitig rückte er auf Azaz vor. Die zehn Kilometer von der türkischen Grenze entfernte Stadt dient als militärisches Drehkreuz für die Rebellen der moderaten Freien Syrischen Armee (FSA) sowie der Al-Kaida-nahen Islamistenmilizen Al-Nusra-Front und Ahrar al-Sham. Die in Teilen zerstörte Stadt beherbergt Zehntausende Inlandsflüchtlinge.
Obwohl die Türkei weitere Panzer an die Grenze verlegte und ihren Verbündeten Feuerschutz gibt, ist die Rebellenfront bei Azaz offenbar im Begriff zusammenzubrechen. Am Sonnabend schloss die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen ihre Krankenhäuser nahe der Front und evakuierte die Patienten Richtung Grenze. Mindestens 61 Rebellen, 47 IS-Kämpfer und 29 Zivilisten wurden laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Wochenende bei den Kämpfen getötet. Karl Schembri vom Norwegischen Flüchtlingsrat (NRC) sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Lage sei beispiellos. „Das gesamte Gebiet um Azaz ist komplett unsicher und Tausende Zivilisten und Hunderte Helfer sind in die Konfliktzone geraten.“
Verbände des IS rückten Berichten türkischer Medien zufolge zudem auf zwei bis drei Kilometer an die riesigen Flüchtlingslager an der syrisch-türkischen Grenze heran, in denen mehr als 80.000 Menschen untergebracht sind. Das Flüchtlingshilfwerk UNHCR der Vereinten Nationen erklärten, etwa 165.000 Zivilisten säßen zwischen Azaz und der türkischen Grenze fest. Es bestehe akute Gefahr, dass sie ins Kreuzfeuer gerieten; ihnen fehlten Zugang zu medizinischer Hilfe, Essen, Wasser, Sicherheit.
Die Türkei ist trotz anderslautender Erklärungen ihres Präsidenten Recep Tayyip Erdogan aber bisher nicht bereit, die Grenze für neue Flüchtlinge zu öffnen. Im Land leben bereits mehr als drei Millionen Syrer und Iraker. Ankara hatte geplant, in Nordsyrien bei Azaz weitere Lager und Städte für Flüchtlinge zu bauen, wohl auch als Puffer gegen die syrischen Kurden, die in der umkämpften Region eine Landbrücke zwischen ihren geografisch getrennten Kantonen Kobane und Afrin herstellen wollen.
Die syrischen Kurden haben in ihren Kantonen bereits Zehntausende Araber aufgenommen, die vor dem IS flüchten. Auf Druck der USA unternahmen sie bisher keinen Angriff auf den IS in Richtung Marea und Azaz, weil die Türkei dieses Gebiet als ihre rote Linie für ein militärisches Eingreifen ihrerseits bezeichnet hatte. Da die von der Türkei unterstützten Rebellen aber keine militärischen Fortschritte in dem Gebiet erzielt haben und nicht einmal die Sicherheit der türkischen Grenzstadt Kilis garantieren konnten, neigt sich die Waage in Washington jetzt offenbar zugunsten der Kurden, ohne dabei übertrieben große Rücksicht auf die Türkei zu nehmen.
Islamischer Staat: Daish rückt zur türkischen Grenze vor | Terrorgruppe Islamischer Staat - Frankfurter Rundschau