Ich denke, die anti-muslimische Einstellung von einigen Leuten hindert sie daran, die wirkliche Bedeutung des "arabischen Frühlings" zu begreifen.
Man muss erstmal im Kopf haben, dass es in 2011 eine globale Revolution gab, zum ersten Mal seit 1968, von der die Aufstände in arabischen Ländern nur der Auslöser waren. Dabei ging es in allen Länder, arabisch oder nicht, um ähnliche Themen (Jugendarbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Korruption, Demokratiedefizite etc).
Ägypten war eins der wenigen Länder, in dem der Aufstand ein zentrales Ziel hatte, das schnell erreicht wurde (anders als z.B. in Syrien, Bahrein, Griechenland, Israel, Spanien, USA, Russland, Indien etc). Das hat zu einem übertriebenen Optimismus geführt. Wer die Geschichte von Revolutionen kennt, weiß er dass eine wirkliche Veränderung nie so leicht zu erreichen ist, und auch wo sie erreicht wird, wird sie oft rückgängig gemacht. Ist auch üblich, dass nach einer Revolution konservative oder sogar konterrevolutionäre Kräfte an die Macht kommen. Das ist keine ägyptische oder arabische Besonderheit.
Aber auch wenn eine Revolution auf kurze Sicht besiegt oder kontrolliert wird, ihre Ideen bleiben, und auf längere Sicht hin können sie zum Erfolg führen. Ägypten hat eine sehr junge Bevölkerung, die unter sehr schwierigen Zuständen politisch aktiviert wurde, und das kann keine Muslimbruderschaft und kein Militärjunta rückgängig machen. In dieser Sicht, hat Ägypten möglicherweise mehr Hoffnung als die südeuropäischen Länder, und wahrscheinlich mehr als die nordeuropäischen (in denen es kaum Aufstände gab).
Ich habe auch den Eindruck, dass bestimmte Medien den politischen Streit in Ägypten ganz auf die Frage "liberal-säkular gegen islamistisch" reduzieren wollen. Man vergisst dass es auch andere Fragen von der gleichen oder größeren Bedeutung gibt, wie z.B. die soziale Gerechtigkeit.