Toni Maccaroni
Модерат&
Überraschung: Urlaub in Belgrad
Serbiens Hauptstadt muss den Vergleich mit Paris nicht scheuen: Es gibt stattliche Flusspromenaden und großartige Architektur - und das zu niedrigen Preisen. Am Samstag wird dort der Eurovision Song Contest ausgetragen
Paris ist Europas Hauptstadt des Tourismus und die Hochburg der Romantik. Frisch- und Wiederverliebte müssen da einfach hin. Sie können dort Hand in Hand auf prächtigen Promenaden spazieren und in Cafés träumen. Allerdings kostet der Espresso an den Champs-Elysées sechs Euro, ein Bier acht, ein Gläschen Wein 14 Euro. Das kann selbst den Hormonrausch von Verliebten trüben.
Nicht so in Belgrad, der Hauptstadt Serbiens, dem selbst ernannten "Herzen des Balkans". Auch dort gibt es stattliche Promenaden und romantische Orte für frisch und seit längerem Verliebte, aber der Espresso kostet hier nur ein paar Cent, ein Glas Wein oder Bier um zwei Euro. Belgrad ist ein günstiges Pflaster, da kann Paris nicht mithalten.
Auch bei den Flüssen schneidet Frankreichs Hauptstadt schlechter ab. Sie hat das Flüsschen Seine, aber Belgrad hat Save und Donau, zwei breite Ströme, die exakt im Schnittpunkt der Stadt ihren Mündungswinkel finden. Darin liegt eine unbewohnte Waldinsel, zu der man mit dem Boot übersetzen kann. Ein guter Tipp für Paare und Einsamkeitssuchende. Auch wenn das Eiland offiziell den Namen "Kriegsinsel" trägt.
Belgrad profitiert davon, dass Serbien nach schwierigen Jahren, nach Balkankriegen und Bombardierung durch die Nato, in politisch ruhigere Fahrwasser gelangt. Das beweist auch die jüngste Parlamentswahl Mitte Mai, bei der der Gemäßigte Boris Tadic, der eine pro-europäische Politik verfolgt, wiedergewählt wurde. Und während der Staatschef in Paris den Diktator Gaddafi in den Elysée-Palast holt und vor Heerscharen von Fotografen seine neue Ehefrau heiratet, hält der serbische Regierungschef sein Privatleben aus den Schlagzeilen heraus und bereitet sein Land nachhaltig auf eine EU-Mitgliedschaft vor.
Europa spielt derzeit ohnehin eine wichtige Rolle in Serbien: Der Eurovision Song Contest 2008, den Serbien voriges Jahr gewann, steht vor der Tür. Belgrad ist Gastgeber des Gesangswettbewerbs, dessen Finale am 24. Mai stattfindet. Hunderte Millionen Zuschauer weltweit werden sich die Sendung ansehen und sich ein Bild von Belgrad machen; Tausende Fans aus ganz Europa sind bereits hierher gereist.
Die No Angels gehen für Deutschland ins Rennen. Sie werden eine Stadt im Aufbruch erleben und auf Menschen treffen, die ihren Nationalismus nicht mehr als höchste patriotische Pflichterfüllung empfinden, auch wenn die Kosovo-Frage noch nicht gelöst ist. Aber die Atmosphäre hat sich verändert, die Serben wollen nicht mehr Herren des Balkans, sondern Europäer sein. Besucher empfangen sie nach einem Jahrzehnt der Isolation mit "Dobrodosli" ("Willkommen") und einer Herzlichkeit, die in der kommerziellen Touristenhochburg Paris unbekannt ist.
"Komm an die Donau", sagen die Belgrader von jeher und machen daran die Verheißung fest, "und du lebst länger."
Von Paris wissen wir alles. In Belgrad dagegen, der Schnittstelle zwischen Orient und Okzident, gibt es noch viel zu entdecken. Der Flughafen ist internationalem Standard angeglichen, die Verkehrswege sind gut ausgebaut. Die historischen Fassaden der Stadt werden in hohem Tempo erneuert, es gibt schicke Hotels, und jeden Tag eröffnet ein neues Lokal. Die Stadt zeigt sich modern und jünger als mittel- und westeuropäische Metropolen, das Kulturangebot ist erstaunlich vielfältig und international.
Beograd, wie Belgrad auf Serbisch heißt, gehört zu den ältesten Siedlungsgebieten Europas. Spuren reichen rund 7000 Jahre zurück, die erste offizielle Erwähnung der Stadt findet sich allerdings erst 878 in der Urkunde eines Papstes. Kelten und Römer, Byzantiner, Südslawen, Ungarn, Bulgaren, Osmanen und Habsburger wechselten sich beim Herrschen ab, es war ein Kommen und Gehen.
Das Nordende der Altstadt ist Zeuge dieser Periode. Es wird geprägt von der "mauer- und wallumschlossenen Krone" von Kalemegdan auf einem Felsvorsprung, wie der reisende Chronist Jan Neruda 1870 schrieb. Auf das 50 Meter hohe Kalkmassiv setzten die Türken eine starke Festung, von den Habsburgern im 18. Jahrhundert umgebaut, heute als Museum zugänglich. Die Türken nannten den Ort "Hügel zum Nachdenken". Die lärmmüden Belgrader genießen diese Oase mit verschiedenen Baumarten, Blumenbeeten, schattigen Wegen und zahlreichen Skulpturen.
Brautpaare bekommen dagegen offenkundig gern den Marsch geblasen - in ohrenbetäubender Lautstärke. Vor dem Standesamt in Zemun, das mit seinen Villen, Gründerzeithäusern und Jugendstilbauten als schönster Stadtteil gilt, wird an Wochenenden seriell getraut. Zuvor aber haben Sinti und Romakapellen ihren Auftritt. Kompaniestark rücken sie mit Trompeten, Tubas, Saxofonen und Trommeln an, auch Gitarristen sind dabei. Sobald ein blumenüberzogener Wagen vorfährt, stürmen alle auf ihn zu.
Mehrere Kapellen konkurrieren dann miteinander und versuchen, sich an Lautstärke zu überbieten.
Laut wird es auch am 20., 22. und 24. Mai beim Song
Contest in der Beograd Arena in Novi Beograd zugehen. Der Stadtteil steht für realsozialistische Einfalt: Quadratkilometerweit Platte, dazwischen gläserne Bürobauten und Hotels. Modern, aber nicht schön. So wie Paris in seinen Vorstädten. Doch das Bild ist geprägt von jungen Leuten, mehr als 60 000 Studenten leben hier, ihr Standardspruch lautet "nema problema", bloß keine Probleme. In Novi Beograd wird Party gemacht: Auf Donau und Save gibt es fest vertäute Schiffe, auf denen internationale DJs auflegen. Aus turmhohen Verstärkern donnern Dancehall-Rhythmen.
Was weiblich ist, trägt Hotpants, Pailetten-Tops und hochhackige Stiefel. Was männlich ist, lässt die Hemden über den Gürtel schlappen und trägt Goldketten. Manchmal schießt vor lauter Begeisterung einer in die Luft, in Belgrad sind viele Waffen im Umlauf. Keine Polizei rückt an, aber alle grölen vor Begeisterung. Wo könnte man das in Paris erleben?
Quelle: Überraschung: Urlaub in Belgrad - WELT am SONNTAG - WELT ONLINE
Serbiens Hauptstadt muss den Vergleich mit Paris nicht scheuen: Es gibt stattliche Flusspromenaden und großartige Architektur - und das zu niedrigen Preisen. Am Samstag wird dort der Eurovision Song Contest ausgetragen
Paris ist Europas Hauptstadt des Tourismus und die Hochburg der Romantik. Frisch- und Wiederverliebte müssen da einfach hin. Sie können dort Hand in Hand auf prächtigen Promenaden spazieren und in Cafés träumen. Allerdings kostet der Espresso an den Champs-Elysées sechs Euro, ein Bier acht, ein Gläschen Wein 14 Euro. Das kann selbst den Hormonrausch von Verliebten trüben.
Nicht so in Belgrad, der Hauptstadt Serbiens, dem selbst ernannten "Herzen des Balkans". Auch dort gibt es stattliche Promenaden und romantische Orte für frisch und seit längerem Verliebte, aber der Espresso kostet hier nur ein paar Cent, ein Glas Wein oder Bier um zwei Euro. Belgrad ist ein günstiges Pflaster, da kann Paris nicht mithalten.
Auch bei den Flüssen schneidet Frankreichs Hauptstadt schlechter ab. Sie hat das Flüsschen Seine, aber Belgrad hat Save und Donau, zwei breite Ströme, die exakt im Schnittpunkt der Stadt ihren Mündungswinkel finden. Darin liegt eine unbewohnte Waldinsel, zu der man mit dem Boot übersetzen kann. Ein guter Tipp für Paare und Einsamkeitssuchende. Auch wenn das Eiland offiziell den Namen "Kriegsinsel" trägt.
Belgrad profitiert davon, dass Serbien nach schwierigen Jahren, nach Balkankriegen und Bombardierung durch die Nato, in politisch ruhigere Fahrwasser gelangt. Das beweist auch die jüngste Parlamentswahl Mitte Mai, bei der der Gemäßigte Boris Tadic, der eine pro-europäische Politik verfolgt, wiedergewählt wurde. Und während der Staatschef in Paris den Diktator Gaddafi in den Elysée-Palast holt und vor Heerscharen von Fotografen seine neue Ehefrau heiratet, hält der serbische Regierungschef sein Privatleben aus den Schlagzeilen heraus und bereitet sein Land nachhaltig auf eine EU-Mitgliedschaft vor.
Europa spielt derzeit ohnehin eine wichtige Rolle in Serbien: Der Eurovision Song Contest 2008, den Serbien voriges Jahr gewann, steht vor der Tür. Belgrad ist Gastgeber des Gesangswettbewerbs, dessen Finale am 24. Mai stattfindet. Hunderte Millionen Zuschauer weltweit werden sich die Sendung ansehen und sich ein Bild von Belgrad machen; Tausende Fans aus ganz Europa sind bereits hierher gereist.
Die No Angels gehen für Deutschland ins Rennen. Sie werden eine Stadt im Aufbruch erleben und auf Menschen treffen, die ihren Nationalismus nicht mehr als höchste patriotische Pflichterfüllung empfinden, auch wenn die Kosovo-Frage noch nicht gelöst ist. Aber die Atmosphäre hat sich verändert, die Serben wollen nicht mehr Herren des Balkans, sondern Europäer sein. Besucher empfangen sie nach einem Jahrzehnt der Isolation mit "Dobrodosli" ("Willkommen") und einer Herzlichkeit, die in der kommerziellen Touristenhochburg Paris unbekannt ist.
"Komm an die Donau", sagen die Belgrader von jeher und machen daran die Verheißung fest, "und du lebst länger."
Von Paris wissen wir alles. In Belgrad dagegen, der Schnittstelle zwischen Orient und Okzident, gibt es noch viel zu entdecken. Der Flughafen ist internationalem Standard angeglichen, die Verkehrswege sind gut ausgebaut. Die historischen Fassaden der Stadt werden in hohem Tempo erneuert, es gibt schicke Hotels, und jeden Tag eröffnet ein neues Lokal. Die Stadt zeigt sich modern und jünger als mittel- und westeuropäische Metropolen, das Kulturangebot ist erstaunlich vielfältig und international.
Beograd, wie Belgrad auf Serbisch heißt, gehört zu den ältesten Siedlungsgebieten Europas. Spuren reichen rund 7000 Jahre zurück, die erste offizielle Erwähnung der Stadt findet sich allerdings erst 878 in der Urkunde eines Papstes. Kelten und Römer, Byzantiner, Südslawen, Ungarn, Bulgaren, Osmanen und Habsburger wechselten sich beim Herrschen ab, es war ein Kommen und Gehen.
Das Nordende der Altstadt ist Zeuge dieser Periode. Es wird geprägt von der "mauer- und wallumschlossenen Krone" von Kalemegdan auf einem Felsvorsprung, wie der reisende Chronist Jan Neruda 1870 schrieb. Auf das 50 Meter hohe Kalkmassiv setzten die Türken eine starke Festung, von den Habsburgern im 18. Jahrhundert umgebaut, heute als Museum zugänglich. Die Türken nannten den Ort "Hügel zum Nachdenken". Die lärmmüden Belgrader genießen diese Oase mit verschiedenen Baumarten, Blumenbeeten, schattigen Wegen und zahlreichen Skulpturen.
Brautpaare bekommen dagegen offenkundig gern den Marsch geblasen - in ohrenbetäubender Lautstärke. Vor dem Standesamt in Zemun, das mit seinen Villen, Gründerzeithäusern und Jugendstilbauten als schönster Stadtteil gilt, wird an Wochenenden seriell getraut. Zuvor aber haben Sinti und Romakapellen ihren Auftritt. Kompaniestark rücken sie mit Trompeten, Tubas, Saxofonen und Trommeln an, auch Gitarristen sind dabei. Sobald ein blumenüberzogener Wagen vorfährt, stürmen alle auf ihn zu.
Mehrere Kapellen konkurrieren dann miteinander und versuchen, sich an Lautstärke zu überbieten.
Laut wird es auch am 20., 22. und 24. Mai beim Song
Contest in der Beograd Arena in Novi Beograd zugehen. Der Stadtteil steht für realsozialistische Einfalt: Quadratkilometerweit Platte, dazwischen gläserne Bürobauten und Hotels. Modern, aber nicht schön. So wie Paris in seinen Vorstädten. Doch das Bild ist geprägt von jungen Leuten, mehr als 60 000 Studenten leben hier, ihr Standardspruch lautet "nema problema", bloß keine Probleme. In Novi Beograd wird Party gemacht: Auf Donau und Save gibt es fest vertäute Schiffe, auf denen internationale DJs auflegen. Aus turmhohen Verstärkern donnern Dancehall-Rhythmen.
Was weiblich ist, trägt Hotpants, Pailetten-Tops und hochhackige Stiefel. Was männlich ist, lässt die Hemden über den Gürtel schlappen und trägt Goldketten. Manchmal schießt vor lauter Begeisterung einer in die Luft, in Belgrad sind viele Waffen im Umlauf. Keine Polizei rückt an, aber alle grölen vor Begeisterung. Wo könnte man das in Paris erleben?
Quelle: Überraschung: Urlaub in Belgrad - WELT am SONNTAG - WELT ONLINE