Das Juwel von Trepca
Start
Service
Recherche
AUSVERKAUF DES KOSOVOEs begann mit dem Luftkrieg der NATO von 1999
"Kriege, Konflikte - alles nur Geschäft", seufzt Monsieur Verdoux in Charlie Chaplins gleichnamigem Film von 1947. Sicher wissen viele um den Konnex zwischen US-Konzernen, die sich heute völlig ungezwungen am irakischen Staatsvermögen bedienen, und jener Militärmaschinerie, die den Irak für dieses globale Business öffnete. Was viele nicht wissen: In einem anderen Teil der Welt wird ein ähnlicher Prozess angebahnt - in einem Land, auf das B-52-Bomber in einer anderen "Befreiungsmission" vor nicht langer Zeit ihre Bombenfracht abwarfen.
Auslöser des von der NATO zwischen März und Juni 1999 betriebenen Jugoslawien-Bombardements war - so die Standard-Version des Westens - die Weigerung der serbischen Delegation, das Friedensabkommen von Rambouillet zu unterzeichnen. Eine Version, die ungefähr so stichhaltig ist wie die Legende, der Irak habe sich dagegen verwahrt, mit den Waffeninspekteuren der UNO zu kooperieren, und trage daher die Schuld für die Invasion vom März 2003.
Der Vertrag von Rambouillet besaß den geheimen Zusatz (Annex B), der eine Dislozierung von NATO-Verbänden auf dem Hoheitsgebiet der damaligen Bundesrepublik Jugoslawiens vorsah. Später räumte beispielsweise Lord Gilbert vom britischen Außenministerium ein, Annex B sei bewusst implantiert worden, um eine Ablehnung Belgrads zu provozieren. Mindestens ebenso aussagekräftig - bezogen auf die strategischen Motive des Westens - war Kapitel IV des Rambouillet-Vertrages, das in Artikel 1 den Übergang zur "freien Marktwirtschaft" und in Artikel 2 die Privatisierung sämtlichen Staatsbesitzes forderte. Rest-Jugoslawien war zu diesem Zeitpunkt weder Mitglied der Weltbank noch der Welthandelsorganisation, weder des Internationalen Währungsfonds noch der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Das Land besaß allerdings Bergbauunternehmen, eine Erdölverarbeitungs-, eine Auto- und Tabakindustrie - 75 Prozent davon gehörten dem Staat direkt, der verbleibende Teil war sozialisierter Besitz von Arbeiterselbstverwaltungen, wie sie aus der Tito-Ära hervorgegangen waren. Ein Privatisierungsgesetz von 1997 legte fest, dass bei Verkäufen mindestens 60 Prozent der Anteile bei den Arbeitern derartiger Betriebe verbleiben mussten.
Schon im Februar 1999, auf dem Weltwirtschaftsforum von Davos, hatte der britische Premier Tony Blair die Belgrader Regierung nicht etwa wegen deren Kosovo-Politik angegriffen, sondern ihr die Blockade von Wirtschaftsreformen vorgeworfen. Die NATO-Luftangriffe wenige Wochen später, an denen die reichsten Nationen der Welt beteiligt waren, galten denn auch vorrangig Staatsunternehmen, weniger Kasernen oder Militärdepots. Getroffen wurden in exemplarischer Weise die Montagehallen des Autowerkes Zastava in Kragujevac, wodurch Zehntausende ihren Arbeitsplatz verloren - verschont wurden nahezu sämtliche private wie ausländische Firmen.
Nach dem Sturz Slobodan Milosevics im Oktober 2000 war es eine der ersten Entscheidungen der vom Westen herbei gesehnten "Reformregierung", das erwähnte Privatisierungsgesetz von 1997 aufzuheben und zu legitimieren, dass fortan bis zu 70 Prozent der Gesellschafteranteile eines Unternehmens in die Hände ausländischer Investoren wechseln durften. Für die Belegschaften, die größtenteils noch zu Zeiten der Selbstverwaltung entstanden waren, blieben marginale 15 Prozent. Parallel dazu unterschrieb die Belgrader Regierung die Sanierungsprogramme der Weltbank und beendete die finanzielle Unabhängigkeit Rest-Jugoslawiens. Auf die Eroberer wartete "der glitzernde Preis des Krieges", schrieb seinerzeit die New York Times, denn im Kosovo lagerten die zweitgrößten Steinkohlereserven Europas, dazu beachtliche Vorkommen an Zink, Gold, Silber, Blei und Erdöl. Als Juwel galten die Minen von Trepca, deren Wert schon 1997 auf fünf Milliarden Dollar taxiert worden war. Unmittelbar nach dem Kosovo-Krieg wurde das Unternehmen seinem bis dato tätigen Management in einer beispiellosen, überfallartigen Enteignungsaktion entzogen - ein Vorgang, der von NATO-Soldaten mit Tränengas und Gummi-Geschossen abgesichert wurde.
Fünf Jahre nach dem NATO-Krieg konnte die KTA - die Kosovo-Treuhandagentur unter dem Patronat der UN-Kosovo-Mission (UNMIK) - ein Programm zur Privatisierung von 500 Unternehmen ankündigen, die noch 2004 oder später versteigert werden, darunter Druckereien, Einkaufspassagen, Agro- und Bergbau-Betriebe.
Um die SOEs (Socially Owned Enterprises) - die Unternehmen in öffentlichem Besitz - noch attraktiver für ausländische Investoren zu machen, veränderte die UNMIK kosovarisches Grundrecht, so dass die KTA inzwischen mit Firmen Pachtverträge aushandeln kann, die eine Laufzeit von 99 Jahren haben. Der so entstehende Pachtbesitz ist übertragbar, kann beliehen oder als Sicherheit verwendet werden. Selbst die nach westlichen Maßstäben reformorientierte Regierung in Belgrad spricht von "Raub an staatlichem Land", aber vermeidet es, von den Rechten derer zu sprechen, die einen moralisches Anspruch haben: die Arbeiter und das Management der selbstverwalteten Betriebe, die de facto enteignet wurden - im Namen der "internationalen Gemeinschaft" und der Wirtschaftsreformen. Weder die "Befreiung" des Irak 2003 noch die "humanitäre" Intervention gegen Jugoslawien 1999 sind dazu angetan, Chaplins zynischen Antihelden Verdoux der Lüge zu überführen.