In Syrien kämpfen Iran und die Türkei um die Macht
Während der Iran das Assad-Regime mit Waffen versorgt, gilt die Türkei als größter Drahtzieher hinter dem syrischen Aufstand. In Syrien steht das Endspiel bevor.
Der regierungsnahe syrische Radiosender Shams FM strahlte am Vormittag eine bemerkenswerte Nachricht aus.
Syrien und die Türkei, so hieß es da, verhandelten heimlich über die Freilassung von 49 türkischen Geheimdienstoffizieren, die auf syrischem Gebiet gefasst worden seien, wo sie Rebellen der "Freien syrischen Armee“ (FSA) unterstützt hätten.
In Syrien kämpfen Iran und Türkei weiter um Macht
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Der Sender berichtete, Damaskus fordere als Bedingung die Einstellung aller Infiltrationen durch türkische Sicherheitskräfte, einen Stopp der Ausbildung syrischer Rebellen durch die Türkei und die Aushändigung syrischer Rebellenführer, die von türkischem Gebiet aus den Aufstand in Syrien leiteten.
Schon im Dezember Berichte über Gefangennahme
Die Information ließ sich nicht bestätigen, allerdings hatte die türkische Zeitung "Aydinlik", unter Bezug auf eine libanesische Zeitung,
im Dezember von 49 gefangenen türkischen Geheimdienstoffizieren berichtet und Staatspräsident Gül gefragt, ob das stimmte. Sein Büro erklärte, man könne das nicht bestätigen.
Ob es stimmt oder nicht, die Tatsache, dass der staatliche Rundfunk dies behauptet, ist ein klares Signal des syrischen Regimes an die Türkei: Damaskus sieht Ankara als Aggressor, als im Grunde Kriegsführende Partei.
In der Meldung hieß es zudem, jegliche Vereinbarung solle vom Iran gegengezeichnet werden, als Syriens engstem Verbündeten.
Das führt zur nächsten bemerkenswerten Nachricht: Kurz davor hatte die FSA die Freilassung von elf gefangenen Iranern bekanntgegeben, und der Türkei für ihre Vermittlung, sowie für ihre Unterstützung der Rebellen gedankt.
Vom "Bruder" zum Schlachtgegner
Wie die Zeiten sich ändern. Die Türkei und der Iran stehen einander in Syrien als Gegner gegenüber, womöglich sogar auf dem Schlachtfeld.
Noch vor einem Jahr nannte der türkische Ministerpräsident
Recep Tayyip Erdogan den syrischen Diktator Baschir al-Assad seinen „Bruder“, die beiden Männer besuchten einander gerne auch privat. Und der Iran galt als befreundete Nation beider Länder, Präsident Ahmadinedschad als gern gesehener Gast in Ankara.
Mittlerweile ist die Türkei der große Drahtzieher hinter dem syrischen Aufstand, und der Iran ist die Hand, die Assad bewaffnet und ihm womöglich auch Kämpfer schickt. Es geht darum, wer in Zukunft – außer Israel – die dominante Macht im Nahen Osten wird.
Stürzt Assad, so verliert der Iran nicht nur Syrien, sondern auch einen großen Teil seiner Einflussmöglichkeiten im Libanon über die Hisbollah, und wohl auch sein Ansehen im Gazastreifen bei Hamas.
Stattdessen wäre die Türkei plötzlich die Macht, die in Damaskus das größte Gewicht besäße. Ankara würde noch mehr als bisher bei Hamas an Gewicht gewinnen und hätte die Hisbollah mehr oder minder in der Hand. Israel wäre nicht mehr von Kräften umkreist, die vom Iran abhängen, sondern von Kräften, die auf die Türkei angewiesen sind.
Was das bedeuten mag, ist heute noch nicht abzusehen. Vermutlich ist die Türkei, trotz aller Reibereien mit Israel in den letzten Jahren, ein eher berechenbarer Akteur, von dem keine existenzielle Bedrohung für den Judenstaat ausgeht.
Syrien steht ein Endspiel bevor
Jedenfalls deutet alles darauf hin, dass in Syrien das Endspiel bevorsteht. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu hat „alle Syrer“ aufgerufen, in die Türkei zu kommen, um dem drohenden Krieg zu entfliehen, und einen „schnellen Fall“ Assads prophezeit. Die Grenzen sind für Flüchtlinge offen. Die USA haben ihre Botschaft geschlossen, und auch internationale Unternehmen wie die Ölfirma INA haben ihre Mitarbeiter aus Syrien abgezogen.
Nach der an Russland und China
gescheiterten UN-Resolution gegen Syrien tritt nun die Türkei als die federführende Macht auf, um eine breite Koalition gegen das Assad-Regime auf die Beine zu stellen.
Davutoglu sagte, er werde mit dem arabischen Emirat Qatar über eine „road map“ zu Syrien sprechen und danach in Washington mit der amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton das weitere Vorgehen beraten.
Ministerpräsident Erdogan werde mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew telefonisch verhandeln. Ziel sei die Einberufung einer Syrien-Konferenz in der Türkei oder in einem anderen Land der Region.
Nicht nur diplomatisch schiebt sich die Türkei damit an die Spitze der internationalen Bewegung gegen Assad, auch militärisch hängt derzeit alles von Ankara ab. Die im vergangenen Sommer gegründete Rebellenarmee desertierter syrischer Soldaten operiert vor allem von türkischem Staatsgebiet aus, kann sich dorthin zurückziehen, und genießt seit etwa zwei Monaten von der türkischen Seite aus Bewegungsfreiheit nach Syrien hinein.
Entscheidungsschlacht? Großoffensive in allen Landesteilen
Als vor einigen Tagen die syrische Armee einen Stadtteil der Rebellenhochburg Homs bombardierte, berichtete BBC-Korrespondent Paul Wood, der mit den Rebellen unterwegs war, dass die FSA vor lauter Erbitterung eine Großoffensive in allen Landesteilen plane. Das klang fast nach Entscheidungsschlacht.
Auch ein Sprecher der FSA sagte am Mittwoch, die Entscheidung stehe kurz bevor, denn die syrische Armee stehe kurz vor dem Zusammenbruch.
Aber wenn sie nicht von alleine zusammenbricht – kann die FSA, selbst mit türkischer Unterstützung und indirekter Hilfe anderer Mächte, den Krieg gegen Assad ohne eine regelrechte Militärintervention von außen gewinnen?
Die Rebellenarmee wächst ständig, ist aber noch keine imposante Streitmacht. Die Zahlen variieren je nach Quelle zwischen 40.000 (das sagt die FSA über sich selbst) und etwas mehr als 10.000 Kämpfern.
Über das ganze Land verstreut
Organisiert ist die Streitmacht in 22 dezentrale „Bataillone“ ohne größere Einheiten. Diese relativ kleinen Verbände sind über das ganze Land verstreut, vorerst kann also nicht die Rede sein von „befreiten Gebieten“ oder großen Entscheidungsschlachten.
Das Ziel ist es vielmehr, den syrischen Sicherheitskräften wo immer möglich mit plötzlichen Guerilla-Angriffen zuzusetzen, um sich dann gleich wieder abzusetzen. Ein Hemmnis für die Rebellen ist ihre Abneigung, die reguläre Armee anzugreifen, denn das sind die einstigen Kameraden der Desertierten, und man hofft, noch mehr von ihnen zum Überlaufen zu überreden.
Die FSA verfügt kaum über schwerere Waffen als die allgegenwärtige Kalaschnikow oder Panzerfäuste vom russischen Typ RPG-7. Einige Einheiten sind jedoch geschlossen zu den Rebellen übergelaufen, mit einigen Panzern und Panzerwagen – deren Zahl variiert je nach Quelle zwischen vier und ungefähr 20.
USA dementieren Unterstützung der Rebellen
Einem britischen Bericht zufolge beschaffen sich die Rebellen Kommunikationstechnik und auch Waffen aus Großbritannien; die Regierung hat das dementiert, zumindest was die Waffen betrifft. Die Quelle der Lieferungen scheint den Berichten zufolge auch nicht staatlich zu sein, sondern über Söldnerorganisationen zu erfolgen, möglicherweise mit Wissen und Duldung Londons.
Ganz offen hat bislang nur die libysche Übergangsregierung gesagt, sie habe – über die Türkei – bereits mehrere Hundert Kämpfer nach Syrien geschickt und wolle auch Waffen liefern. In den USA wird derzeit überlegt, „humanitär“ in Syrien einzugreifen,
eine finanzielle oder sonstige Unterstützung der Rebellen wird dementiert.
Vermutlich gibt es mittlerweile ein gewisses Maß an verdeckter finanzieller Unterstützung, aber bislang finanzierten die Rebellen sich vor allem aus einer Quelle: syrische Geschäftsleute im Ausland spenden großzügig Geld für die Aufständischen. Damit werden Waffen in Syrien selbst auf dem schwarzen Markt gekauft, oder über die Türkei oder den Libanon hereingebracht.
Syriens Rebellen haben einen Vorteil, den ihre Waffenbrüder in Libyen nie hatten: Sie sind professionelle Soldaten, die ihr Handwerk kennen. Sie haben eine Chance auf den Sieg, auch ohne Invasion von außen.
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