Block-Party in Tirana
In Tirana geht die Sonne unter. Das Gebet des Muezzins schallt durch die hereinbrechende Nacht. Luxus-Limousinen schieben sich im Schritttempo durch den Straßenverkehr. Wer kein Auto hat, geht zu Fuß. Gleich gegenüber des Sky Tower Hotels markiert die Oops Bar einen beliebten Einstieg ins Vergnügungsviertel Blloku, was soviel heißt wie "der Block": Auf sechs Straßenzügen drängen sich Bars, dazwischen Clubs und Restaurants, gesäumt von dicht bevölkerten Biergärten. Aus den Boxen wummert House-Musik.
Im Gewimmel Partyhungriger bahnt sich Deni ihren Weg. Über ihrer zerschlissenen Jeans trägt sie eine kurze weiße Filzjacke, eine Plastikblüte ziert das rotgelockte Haar. "Wer sich vorgenommen hat, einen guten Abend zu verbringen, lässt sich einfach treiben", sagt die 22-jährige Studentin und gibt sich dem Sog der Straße hin.
Doch so laut und bunt ging es im Block nicht immer zu. Bis zum Ende der kommunistischen Diktatur Mitte der 1980er Jahre war das Viertel ein exklusiver Wohnbezirk, denen vorbehalten, die in der kommunistischen Partei Albaniens das Sagen hatten. Die Villen der einstigen Polit-Elite sind heute beinahe komplett aus dem Stadtbild verschwunden. Lediglich die verlassene Residenz Enver Hoxhas ruht als Trutzburg einer vergangenen Ära an einer belebten Straßenkreuzung.
Heute bestimmen in die Höhe strebende Apartmenthäuser in knalligen Farben die Szenerie. Und dennoch hat sich nicht viel am Ruf des Viertels geändert: Wer etwas auf sich hält, kauft hier eine Wohnung. 1500 bis 2000 Euro und damit im Schnitt viermal so viel wie in anliegenden Stadtteilen kostet der Quadratmeter.
Etwas zurückgesetzt von der Straße liegt die Retro-Bar Club Radio. Deni steigt über die Absperrkette zum Hof und steuert auf den Eingang zu: "Das ist das Geheimnis der guten Bars in Tirana. Man sieht sie erst auf den zweiten Blick." Drinnen sind die Wände mit karierten Stofftapeten beklebt, und das Mobiliar wirkt bunt zusammengewürfelt. Auf Regalen stapeln sich Transistorradios. Edith Piafs Stimme vibriert im Hintergrund. An den Tischen sitzen junge Hipster, ins Gespräch vertieft. Worüber man gerade so spricht? "Über Politik", sagt Deni, "darum geht es eigentlich fast immer."
Tirana ist eine der am schnellsten wachsenden Metropolen Europas. Allein in den vergangenen drei Jahren ist die Einwohnerzahl um ein Drittel gestiegen. Heute leben geschätzt 900 000 Menschen hier. In keiner anderen europäischen Hauptstadt gibt es so viele junge Menschen zwischen 20 und 30. Alle hoffen sie, in der großen Stadt Arbeit und den Partner fürs Leben zu finden.
"Wer das Land nicht verlassen kann, geht nach Tirana. Hier hat man zumindest eine Chance auf eine bessere Zukunft und auf ein bisschen Spaß", sagt Deni, die für das Fach Finanzwesen an der Uni eingeschrieben ist. "Abends auszugehen und ausgelassen zu feiern, ist die einzige Freiheit, die ich mir hin und wieder leisten kann." Ihr Handy blinkt, Zeit für einen Ortswechsel.
Verführerisch wie die Süßwarenauslage im Supermarkt lockt das opulente Innere des Vergnügungstempels Lollipop: getupfte Wände, die Decke, eine Lamettawiese, aus der riesige Blumen gen Tanzfläche streben. Hinter dem Mischpult rührt ein stadtbekannter DJ am Plattenteller, die Masse zuckt im Rhythmus der elektronischen Beats. Der Türsteher lässt Deni passieren. Die übrigen Gäste müssen zahlen: Umgerechnet 4 Euro kostet der Eintritt - ein kleines Vermögen angesichts gängiger Stundenlöhne von 1,50 Euro. Ein Bier ist noch drin, dann taucht Deni ein in die Partywoge aus Glitzertops, Stiletto-Beinen und falschen Designer-Jeans.
Ein paar Hinterhöfe weiter, im Checkpoint Charly Pub, lehnt Flavio an der Theke und studiert die Leuchttafel über der Bar. "Hier steigen und fallen die Bierpreise mit der Nachfrage", erklärt der 24-Jährige. Die Kaufrate seiner favorisierten Biermarke steigt gerade. Flavio ist wegen des Jobs nach Tirana gezogen. Als Reporter bemüht er sich bei einem privaten Fernsehsender um kritische Berichterstattung.
"Die aktuelle politische Stabilität ist auf ein wackeligea Fundament gebaut. Immer wieder schaffen es Mitglieder der Regierung durch Korruptionsfälle in die Medien", erzählt er. Früher oder später, davon ist Flavio überzeugt, würden die maroden politischen Strukturen von echten demokratischen abgelöst. Er wirft einen Blick auf die Bierpreise. Sein Lieblingsbier steht noch immer hoch im Kurs. "Mit der Politik in Albanien ist es wie mit den Bierpreisen hier. Man braucht viel Geduld für Veränderungen."
Wo Albaniens Jugend ausgeht: Block-Party in Tirana | RP ONLINE