Durch das Land der Skipetaren
Nordalbanien ist nichts für Warmduscher
(svd) Die Alpenwelt im Norden Albaniens ist nichts für Warmduscher – und dies im doppelten Wortsinn. Das ist eine der Erkenntnisse, die Sigismund von Dobschütz (62), Bad Kissingens Stadtratsbeauftragter für Tourismus und seit 35 Jahren im internationalen Gastgewerbe aktiv, bei einem dreiwöchigen Aufenthaltes in der Kelmend-Region gewann, einem knapp 600 Quadratkilometer weiten Hochgebirgsareal an der Grenze zu Montenegro.
Schon zum siebten Mal war der Tourismusfachmann seit 2006 im Auftrag des deutschen Senior-Experten-Service (Bonn) als Berater in einem Entwicklungs- oder Schwellenland unterwegs. Nach Einsätzen in Usbekistan, der Ukraine, Russland, Nepal (zweimal) und China hatte ihn die albanische Bergland-Entwicklungsagentur Mada, eine von internationalen Hilfsfonds finanzierte Gesellschaft angefordert.
Sein Auftrag im Land der Skipetaren: Vorschläge zur Optimierung des touristischen Angebots und Ratschläge zur weiteren Entwicklung des ländlichen Tourismus als wichtigem Einkommensfaktor für die Landbevölkerung. Hier beschreibt von Dobschütz seine Eindrücke.
Abenteuerlich faszinierend ist die gewaltige Bergwelt Nordalbaniens mit ihren kahlen Gipfeln, bis fast 2800 Meter hoch. Abenteuerlich ist auch die Straße von der 110 000 Einwohner zählenden Provinzhauptstadt Shkoder in den gebirgigen Norden. Sie ist die einzige Verbindung zu sieben Bergdörfern mit jeweils wenigen hundert Einwohnern, die überwiegend von der Landwirtschaft leben.
Was im anspruchsvollen Deutschland kaum als Wanderweg genehmigt würde, ist hier Hauptverkehrsader. Für 45 Kilometer zwischen zwei Dörfern braucht man zwei Stunden. Einheimische fahren Geländewagen oder in Deutschland billig gekaufte uralte Mercedes-Limousinen. Nicht, um nach Jahrzehnten der kommunistischen Herrschaft mit einem westlichen Symbol zu imponieren. Nein, der Mercedes sei das einzige Auto, das mit den Gebirgsstraßen klarkomme, versichert man mir.
In der Region, einem Eldorado für echte Kerle, Offroad- und Motorradfahrer, versteht man Konfuzius wörtlich: Der Weg ist das Ziel. Nicht das nächste Dorf, sondern die Straße dorthin ist das eigentliche Abenteuer. Ungesicherte, engen Kurven, Serpentinen bis zu 1800 Meter hoher Gebirgspässe, anstrengende Fahrten und unvergessliche Ausblicke in weitgehend unberührter Natur.
Körperlich erschöpft von mehreren Stunden Schotterpiste, die Augen müde geworden von den überwältigenden Eindrücken, freut man sich auf Bett und Dusche im Gästehaus des Landwirts, seinem erst kürzlich umgenutzten Bauernhaus.
Wer in der Kelmend-Region allein reist, bleibt nicht lange allein: Mehrbettzimmer ist angesagt. Geübte Wanderer und Trekking-Touristen, Motorrad- und Offroadfahrer aus Tschechien oder Österreich, Deutschland oder Italien, Rucksacktouristen aus Australien oder den USA kommen sich hier schnell und ungezwungen näher.
Duschen darf man allerdings allein – falls die Dusche nicht gerade besetzt ist. Das kann in der Hochsaison schon mal vorkommen, da für die 20 Betten nur ein einziger Waschraum mit Dusche und WC im Haus ist. Warmwasser kann der Hausherr nicht garantieren, da die Stromversorgung gelegentlich ausfällt und in manchen Dörfern Leitungen nicht bis zum letzten Haus verlegt sind.
Macht nichts: Kalt duschen ist gesund, sagte einst Pfarrer Kneipp. Dafür schmeckt anschließend der frische Salat aus dem Garten, der knusprige Lammbraten vom Schaf aus eigener Zucht, frischer Ziegenkäse in unterschiedlichen Reifestadien oder der berühmte Kos, ein Joghurt aus frischer Milch, umso besser.
„Sie hätten vor fünf Jahren kommen müssen; seitdem hat sich in Albanien vieles verändert“, erzählt mir jemand beim Rückflug. „Warum wollen Sie dies alles hier verändern?“, hatte mich wenige Tage zuvor eine Gruppe Motorradfahrer gefragt, als wir der hinter den Bergen untergehenden Sonne nachsahen.
Als Tourismusberater sitze ich zwischen den Stühlen: Mein Auftraggeber fordert Veränderung, will die Situation den Ansprüchen des internationalen Tourismus anpassen. Die heutigen Albanien-Urlauber lieben jedoch gerade das Ursprüngliche und Abenteuerliche der Region – unverbraucht, naturbelassen, einsam, friedlich. Ich auch. Es war bestimmt nicht mein letzter Albanien-Besuch.
Senior-Experten-Service
Fachleute im Ruhestand Der Senior Experten Service (SES), eine Stiftung der deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit, gibt mit Fachleuten im Ruhestand aus über 50 Branchen Hilfe zur Selbsthilfe. Die Einsätze finden vorwiegend in den Entwicklungs- und Schwellenländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas sowie in Mittel- und Osteuropa statt. Aktuell sind beim SES mehr als 9000 ehrenamtliche Senior Experten registriert. Seit seiner Gründung hat der SES über 24 000 Einsätze in 160 Ländern verwirklichen können.
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